OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 12.04.2010 - 15 A 69/09
Fundstelle
openJur 2011, 72716
  • Rkr:
Tenor

Das Verfahren wird eingestellt. Das erstinstanzliche Urteil ist wirkungslos.

Die Kosten des Verfahrens beider Rechtszüge trägt der Beklagte.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Nachdem die Beteiligten die berufungsbefangene Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist insoweit gemäß §§ 125 Abs. 1, 87a Abs. 1 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Berichterstatter entsprechend § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 der Zivilprozessordnung das Verfahren einzustellen und das angegriffene Urteil für wirkungslos zu erklären sowie gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes über die Kosten zu entscheiden.

Hier entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten die Kosten aufzuerlegen, da die Berufung nach dem bisherigen Verfahrensstand zurückzuweisen gewesen wäre. Der Beschluss des Beklagten vom 9. November 2006 zu Punkt 12 der Tagesordnung über die Nichtzulassung der Anfrage des Klägers hätte sich voraussichtlich als rechtswidrig erwiesen, weil er dessen Fragerecht wohl verletzt hat.

Das Fragerecht des Klägers als Mitglied des Beklagten in der vergangenen Kommunalwahlperiode wurzelt in seinem in § 43 der Gemeindeordnung des Landes Nordrhein-Westfalen (GO NRW) begründeten Status als Ratsmitglied, ist in § 47 Abs. 2 Satz 2 GO NRW vorausgesetzt und wird zwischenzeitlich auch von § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW erfasst.

Der Gesetzgeber ermächtigt den Rat, in der Geschäftsordnung Inhalt und Umfang des Fragerechts der Ratsmitglieder zu regeln, § 47 Abs. 2 Satz 2 GO NRW. Dabei hat der Rat die Funktion des Fragerechts zu beachten. Es dient der sachlichen Aufgabenerfüllung des Ratsmitglieds. Es ist aufgrund seines Mandats berufen, eigenverantwortlich an den Aufgaben mitzuwirken, die dem Rat obliegen. Das setzt voraus, dass es über die dafür erforderlichen Informationen verfügt. Diese besitzt es aber eher selten aufgrund eigener Kenntnis. Daher ist das Ratsmitglied in hohem Maße auf den Sachverstand der Stadtverwaltung angewiesen. Dabei darf es nicht auf die Informationen verwiesen werden, die die Stadtverwaltung von sich aus zur Verfügung stellt. Soll das Ratsmitglied sein Mandat nach seiner freien, nur durch Rücksicht auf das Gemeinwohl bestimmten Überzeugung ausüben, muss es selbst darüber befinden können, welche Informationen es für die eigenverantwortliche Erfüllung seiner Aufgaben bedarf.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteile vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff., und vom 4. Oktober 1993 - 15/92 -, NWVBl. 1994, 10 ff.

Entsprechend dem vorbeschriebenen Sinn und Zweck des Fragerechts ist der Bürgermeister als Leiter der Stadtverwaltung dazu verpflichtet, die Fragen eines Ratsmitglieds zu beantworten. Die Geschäftsordnung kann eine Antwortpflicht also nicht prinzipiell ausschließen.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteile vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff., und vom 4. Oktober 1993 - 15/92 -, NWVBl. 1994, 10 ff.

Wie im Verhältnis zwischen Landtagsabgeordneten und Landesregierung unterliegt auch die Antwortpflicht des Bürgermeisters vom Grundsatz her bestimmten Grenzen. Da diese nicht von vornherein für alle in Betracht kommenden Fälle im Voraus bestimmt werden können und sich bestimmte Grenzen namentlich aus formellen Bundes- und Landesrecht ergeben können, sind Geschäftsordnungen der Räte, die solche Grenzen nicht (ausdrücklich) erwähnen, als insoweit nicht abschließend zu verstehen.

Mit Blick auf die Verankerung des Fragerechts in der GO NRW und einer damit korrespondierenden Antwortpflicht besteht grundsätzlich nur ein enger Entscheidungsspielraum darüber, ob überhaupt eine Antwort gegeben wird. Die Ablehnung, eine Frage überhaupt in der Sache zu beantworten, muss daher die Ausnahme sein.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteile vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff., und vom 4. Oktober 1993 - 15/92 -, NWVBl. 1994, 10 ff.; siehe ferner BayVerfGH, Entscheidung vom 26. Juli 2006 - Vf.11-IVa-05 -, NVwZ 2007, 204 ff.

Gegebenenfalls sind die Gründe für eine Ablehnung anzugeben. Nur so erfährt der Fragesteller die Gründe der Antwortverweigerung und wird in die Lage versetzt, sie entweder nachzuvollziehen oder die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes einzuschätzen. Mit Blick auf diesen Zweck des Begründungserfordernisses kommt namentlich ein "Nachschieben" von Gründen im verwaltungsgerichtlichen Verfahren nicht in Betracht. Der Antwortgeber muss sich daher an seiner angegriffenen Antwort nebst dazu gegebener Begründung festhalten lassen, sobald ein darauf bezogenes gerichtliches Verfahren anhängig ist.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteil vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff.

Beschränkungen der Antwortpflicht als solcher können sich zunächst aus der Funktion des Fragerechts (vgl. oben) ergeben. Es hat sich im Rahmen des Aufgabenbereichs des Rates zu halten. Demgemäß kann sich die Antwortpflicht des Bürgermeisters nur auf solche Bereiche erstrecken, für die er unmittelbar oder mittelbar verantwortlich ist und die den Zuständigkeitsbereich des Rates oder seiner Ausschüsse berühren. Eine weitere Grenze des Auskunftsanspruches ergibt sich aus der allen Kommunalorganen und ihren Gliederungen obliegenden Verpflichtung zu gegenseitiger Rücksichtnahme, das die Antwortpflicht des Bürgermeisters namentlich auf solche Informationen begrenzt, die ihm vorliegen oder die mit zumutbarem Aufwand beschafft werden können.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteil vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff.

Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit kann u. a. zu berücksichtigen sein, welches Zeitfenster die jeweilige Geschäftsordnung für die Beantwortung einer Anfrage zur Verfügung stellt.

Die Pflicht zur Beantwortung von Anfragen durch Ratsmitglieder wird schließlich auch dadurch begrenzt, dass sie als Ausübung öffentlicher Gewalt die grundrechtlich geschützten Positionen privater Dritter zu beachten hat.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteil vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff.

Dabei hat die grundsätzlich gebotene Abwägung widerstreitender Interessen zu beachten, dass der grundrechtliche Datenschutz auf der Ebene des Verfassungsrechts und der Informationsanspruch des Ratsmitglieds "nur" auf der Ebene des einfachen Rechts angesiedelt ist.

Grenzen des Informationsanspruchs bestehen auch in Bezug auf die Art und Weise der Antwort. Sie ergeben sich aus der bereits erwähnten Pflicht zur gegenseitigen Rücksichtnahme, die auch die Respektierung der Funktions- und Arbeitsfähigkeit der Stadtverwaltung gebietet. Zu deren Wahrung darf der Bürgermeister innerhalb einer rechtlich umgrenzten Einschätzungsprärogative über Art und Weise der Antwort befinden. Dabei muss er sich an der Pflicht zu vollständiger und zutreffender Antwort orientieren.

Vgl. für das Fragerecht von Landtagsabgeordneten: VerfGH NRW, Urteil vom 19. August 2008 - 7/07 -, DVBl. 2008, 1380 ff.

Nach diesen Grundsätzen hätte sich der angegriffene Beschluss des Beklagten vom 9. November 2006 zu Punkt 12 der Tagesordnung über die Nichtzulassung der Anfrage des Klägers voraussichtlich als rechtswidrig erwiesen:

Die Entscheidung darüber, ob und in welchem Umfang eine Anfrage beantwortet werden soll, steht mit Blick auf den Adressaten und die Zielrichtung einer Anfrage an die Verwaltung alleine dem Bürgermeister zu (vgl. jetzt auch § 55 Abs. 1 Satz 2 GO NRW). Die Verwaltung ist antwortpflichtig, nicht der Rat. Dort und nicht im Rat ist einzuschätzen, ob Gründe für eine Nichtbeantwortung vorliegen. Die Verwaltung hat die Ablehnung der Beantwortung einer Anfrage oder eine inhaltliche unzureichende Antwort ggf. in einem gerichtlichen Verfahren zu vertreten.

Dem Beklagten wiederum stand keine Befugnis zu, die Anfrage nicht zuzulassen. Ein solches Recht ergibt sich weder aus der GO NRW noch aus der Geschäftsordnung des Beklagten. Wäre ein solches Recht in einer Ratsgeschäftsordnung geregelt, wäre dies rechtlich nicht unbedenklich, da es zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung beitragen könnte, wenn zunächst der Rat in eigener Einschätzung eine Anfrage ganz oder teilweise nicht zulassen würde, das Ratsmitglied insoweit dann ggf. um Rechtsschutz nachsuchen müsste, um sich anschließend an den Bürgermeister zu wenden, der aus anderen Erwägungen die Beantwortung der Anfrage verweigert und das Ratsmitglied deshalb wieder ein gerichtliches Verfahren anstrengen müsste. Eine aus einer entsprechende Konstruktion resultierende Verfahrensverzögerung könnte das Fragerecht regelmäßig leerlaufen lassen, was der klaren gesetzlichen Zielsetzung, dem einzelnen Mitglied des Rates u. a. durch das Fragerecht seine am Gemeinwohl orientierte und im Interesse der Allgemeinheit ausgeübte Aufgabe zu ermöglichen und zu unterstützen, widersprechen würde. Vor diesem Hintergrund könnte sich eine in der Geschäftsordnung des Rates geregelte Befugnis, Anfragen von Ratsmitgliedern an die Verwaltung zurückweisen zu können, u. U. als nicht vereinbar mit den Wertungen der GO NRW erweisen.

Soweit dem Beschluss des Beklagten die auch in der Äußerung seines Mitglieds Dr. I. zum Ausdruck gekommene Einschätzung zugrunde gelegen haben sollte, es habe sich um einen Arbeitsauftrag an die Stadtverwaltung und nicht um eine Anfrage gehandelt, weshalb durch einen Geschäftsordnungsbeschluss die Zulassung der Anfrage habe verhindert werden dürfen, rechtfertigt dies keine andere Beurteilung. Denn es handelte sich sowohl nach Form als auch nach Inhalt bei verständiger und lebensnaher Würdigung um eine Anfrage im klassischen Sinne, deren Beantwortung nicht durch eine - unzutreffende - abweichende Klassifizierung verhindert werden kann. Ein dahingehender Geschäftsordnungsbeschluss wäre rechtswidrig.

Im Übrigen trägt die in der Sitzung des Beklagten zum Ausdruck gebrachte und vor Einleitung des Klageverfahrens nicht weiter angereicherte inhaltliche Begründung der Nichtzulassung der Anfrage dem Informationsanspruch des Klägers nicht hinreichend Rechnung. Soweit sich der Beklagte die im Protokoll seiner Sitzung vom 9. November 2006 festgehaltene Erwägung des Oberbürgermeisters der Stadt H. zu Eigen gemacht hat, die Beantwortung der Anfrage sei nicht leistbar, sie binde Arbeitskraft und könne nicht nebenbei erledigt werden, reicht das nicht. Dass das damit in Bezug genommene Schutzgut der Arbeitsfähigkeit der Verwaltung durch eine Beantwortung der gestellten Anfrage gefährdet gewesen wäre, ist so nicht belastbar vorgetragen (auch nicht innerhalb des für die Beantwortung der Anfrage in der Geschäftsordnung zur Verfügung gestellten Zeitfensters) und war mit Blick auf die Eingrenzung der Anfrage auf das Jahr 2005 vor Einleitung des Klageverfahrens auch sonst nicht ersichtlich. Vor diesem Hintergrund war der Kläger nicht ausreichend in die Lage versetzt, die Gründe der Antwortverweigerung nachzuvollziehen oder die Erfolgsaussichten einer Inanspruchnahme verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes abzuschätzen. Dass sich unter Umständen aus den Darlegungen im Klageverfahren anderes ergeben könnte, ist unerheblich, da ein "Nachschieben" von Gründen aus den im Maßstäblichen genannten Erwägungen nicht in Betracht kam.

Die Streitwertentscheidung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.