OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16.11.2010 - 13 A 2464/09
Fundstelle
openJur 2011, 72313
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 15. September 2009 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfah-rens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfah-ren auf 50.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO).

Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seines klageabweisenden Urteils ausgeführt: Einer Verlängerung der fiktiven Zulassung des streitgegenständlichen Arzneimittels "D. " nach § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG stehe der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG entgegen. Das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) habe die Nachzulassung gemäß § 105 Abs. 5 Satz 1 und 2 AMG zu Recht versagt, weil die Klägerin dem im Februar 2004 zutreffend gerügten Mangel der unzureichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit innerhalb der gesetzlichen Höchstfrist von 12 Monaten nicht abgeholfen habe.

Die dagegen von der Klägerin erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht auf.

Fehl geht zunächst die Annahme der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe den an die Wirksamkeitsbegründung anzulegenden Prüfungsmaßstab verkannt.

Nach § 105 Abs. 4f Satz 1, Abs. 5 Satz 2 i. V. m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG ist die Nachzulassung zu versagen, wenn die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse vom Antragsteller unzureichend begründet und der Mangel innerhalb der von der Beklagten gesetzten Frist nicht beseitigt worden ist.

Die therapeutische Wirksamkeit ist unzureichend begründet im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG, wenn die vom Antragsteller eingereichten Unterlagen nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse den geforderten Schluss nicht zulassen, wenn sie sachlich unvollständig sind oder wenn sie schließlich inhaltlich unrichtig sind. Die Darlegung der unzureichenden Begründung geschieht dadurch, dass das BfArM die fehlende oder die fehlerhafte Schlussfolgerung in der Begründung des Antragstellers aufzeigt, das Forschungsergebnis benennt, zu dem sich der Antragsteller nicht geäußert hat oder die inhaltliche Unrichtigkeit einer - wesentlichen - Unterlage nachweist. Die Behauptung, dass das Arzneimittel die vom Antragsteller angegebene therapeutische Wirksamkeit hat, ist der Sache nach jedenfalls dann unzureichend begründet, wenn sich aus dem vorgelegten Material nach dem jeweils gesicherten Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse nicht ergibt, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung. Das lässt sich nur dartun, wenn ausgeschlossen wird, dass die den Unterlagen zu entnehmenden therapeutischen Ergebnisse auf Spontanheilungen oder wirkstoffunabhängige Effekte zurückzuführen sind. Kann nämlich die Anwendung des Arzneimittels hinweg gedacht oder durch die Anwendung eines Placebos ersetzt werden, ohne dass der Heilungserfolg entfällt, dann darf die therapeutische Wirksamkeit dem zur Zulassung gestellten Arzneimittel nicht zugesprochen werden.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 -, BVerwGE 94, 215, und - 3 C 46.91 -, PharmR 1994, 380; siehe auch § 25 Abs. 2 Satz 3 AMG.

Auf die Anforderung an die Begründung, im einzelnen darzulegen, dass die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung, kann auch dann nicht verzichtet werden, wenn es sich um ein Arzneimittel im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG handelt. Diese Vorschrift betrifft nicht den Maßstab der therapeutischen Wirksamkeit, sondern nur das dem Antrag auf Zulassung beizufügende Erkenntnismaterial, das sie belegen soll. Das ergibt sich aus ihrem Wortlaut und aus ihrer systematischen Stellung. § 22 Abs. 3 Satz 1 AMG lässt zu, dass an die Stelle der Ergebnisse der pharmakologischtoxikologischen und der klinischen Prüfungen anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial tritt. Die Überschrift des § 22 AMG weist zudem aus, dass die Regelung die "Zulassungsunterlagen" betrifft und nicht etwa den Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG, der im Übrigen auf § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG auch keinen Bezug nimmt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 und 3 C 46.91 -, jeweils a. a. O.

Allerdings darf kein zwingender Beweis der Wirksamkeit eines Arzneimittels im Sinne eines jederzeit reproduzierbaren Ergebnisses eines nach einheitlichen Methoden ausgerichteten naturwissenschaftlichen Experiments verlangt werden.

Vgl. den Bericht des Gesundheitsausschusses des Deutschen Bundestages zur Änderung des Arzneimittelgesetzes, BT-Drucks. 7/5091, S. 15.

Dies widerspräche schon dem Aussagegehalt der Behauptung, ein bestimmtes Arzneimittel sei therapeutisch wirksam, denn sie versteht sich als eine Wahrscheinlichkeitsaussage. Es liegt in der körperlichen und seelischen Individualität des Menschen, dass es kaum ein Arzneimittel geben wird, das in seiner Anwendung im Einzelfall mit Sicherheit den Heilerfolg herbeiführt. Andererseits lassen sich auch Wahrscheinlichkeitsaussagen über die therapeutische Wirksamkeit in objektivierbarer Weise auf ihre Richtigkeit nachprüfen, und zwar mit Hilfe von Indizien.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 und 3 C 46.91 -, jeweils a. a. O.

Die therapeutische Wirksamkeit ist aber nicht schon dann zureichend begründet, wenn sich überhaupt Indizien für die Wirksamkeit finden ließen. Tatsachen werden zu Indizien, wenn sie allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen den Schluss auf die Haupttatsache, die ihrerseits dem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal entspricht, zulassen. Handelt es sich um ein Indiz, das nur in Verbindung mit weiteren Tatsachen den Schluss auf die Haupttatsache zulässt, so kann aus ihm allein eine Rechtsfolgerung nicht gezogen werden. Das einzelne therapeutische Ergebnis lässt den Schluss auf die therapeutische Wirksamkeit des angewandten Arzneimittels nicht zu, solange damit gerechnet werden muss, dass es auf einer Spontanheilung oder einem Placeboeffekt beruht. Erst wenn die Anwendung des Arzneimittels zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führt als seine Nichtanwendung, ist der Schluss gerechtfertigt, dass diese Differenz weder auf Spontanheilungen noch auf Placeboeffekte, sondern auf die Wirkungen des Arzneimittels zurückzuführen ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 und 3 C 46.91 -, jeweils a. a. O.

Deshalb muss das im Rahmen eines bibliographischen (Nach-)Zulassungsantrags vorgelegte Erkenntnismaterial ein Gewicht haben, das in etwa dem der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht. Dieser Maßstab gilt nicht nur für das Erstzulassungsverfahren im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG, sondern auch für die Verlängerung der (fiktiven) Zulassung von sog. Altarzneimitteln (vgl. § 105 Abs. 4a Satz 1 Hs. 2 AMG).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 328/04 -, juris, sowie Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 13 A 2085/07 -, juris, vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, A & R 2009, 94; vom 19. März 2009 - 13 A 1029/08 -, vom 5. August 2009 13 A 3499/07 , vom 17. Februar 2010 13 A 561/09 -, und vom 6. August 2007 - 13 A 598/07 -, jeweils juris; in diesem Sinne auch schon EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1995 - Rs. C-440/93 -, Slg. 1995 I - 2851.

Gemessen hieran hat die Klägerin die therapeutische Wirksamkeit des in Rede stehenden Arzneimittels unzureichend begründet. Das Verwaltungsgericht hat hierzu detailliert und plausibel ausgeführt, dass und warum sich aus den Sachverständigengutachten von Dr. C. vom 20. Juli 2000 und vom 14. Januar 2005 und aus der vorgelegten Anwendungsbeobachtung nicht in einer den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG in etwa gleichgewichtigen Aussagekraft entnehmen lasse, dass die Gabe des streitigen Präparats zu einer größeren Zahl an therapeutischen Erfolgen führe als seine Nichtgabe. Die Ausführungen des Verwaltungsgerichts hat die Klägerin nicht schlüssig in Frage gestellt. Hinsichtlich der vom Verwaltungsgericht nicht für ausreichend erachteten Anwendungsbeobachtung (vgl. Empfehlungen zur Planung und Durchführung von Anwendungsbeobachtungen vom 12. November 1998, BAnz. S. 16884) führt sie an, dass in der Palliativ-Therapie die Durchführung kontrollierter klinischer Studien nicht möglich sei. Einen plausiblen Nachweis für ihre Behauptung bleibt die Klägerin indes schuldig. Weder in den Sachverständigengutachten noch in den sonstigen Stellungnahmen hat die Klägerin hinreichend dargelegt, warum ausnahmsweise eine Anwendungsbeobachtung zum Beleg der Wirksamkeit ausreichend sei. Demgegenüber hat das BfArM auf eine entsprechende klinische Studie hingewiesen, die im Bericht von Piao et. al., Anticancer Research 24, 303 ff. (2004) erwähnt wird. Ebenso hat das BfArM zu den von der Klägerin angeführten fachwissenschaftlichen Kriterien zur Beurteilung von Verfahren zur Messung der Lebensqualität den Beitrag von M. Bullinger, C. Petersen, A. Mehnert angeführt. Die dort angesprochenen Fragebögen würden von den Patienten überwiegend selbst ausgefüllt, so dass deren subjektive Einschätzung erfasst werden könne. Auch dies spricht dafür, dass die therapeutische Wirksamkeit nicht mit Hilfe der von der Klägerin vorgelegten Anwendungsbeobachtung begründet werden kann.

Soweit die Klägerin mit ihrer Zulassungsbegründung allgemeine Ausführungen zum Beibringungs- statt Untersuchungsgrundsatz und zum Indizienprozess usw. gemacht hat, liegt bereits keine hinreichende Zulassungsbegründung nach § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO vor, da eine hinreichende Anknüpfung an das angefochtene Urteil fehlt. Soweit die Klägerin die Auffassung vertritt, die langjährige Anwendung und Erfahrung mit dem Wirkstoff "Viscum album" könne als anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial zum Nachweis der Wirksamkeit im Sinne des § 22 Abs. 3 Satz 1 AMG dienen, führt dies den Zulassungsantrag nicht zum Erfolg. Die Herstellung und das Inhaltsstoffspektrum des streitbefangenen Arzneimittels weicht von anderen auf dem Markt befindlichen Mistelextrakten ab. Die Bezugnahme auf anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial, das mit anderen Mistelpräparaten gewonnen wurde, scheidet daher aus. Soweit für traditionelle pflanzliche Arzneimittel ein Sonderregime in §§ 39a ff. AMG geschaffen worden ist, lässt sich im Hinblick auf den Wirksamkeitsbeleg für ein sonstiges Phytopharmakon nichts ableiten. Nach der gemeinschaftsrechtlichen Vorgabe von Kapitel 2a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 i. d. F. der Richtlinie 2004/24/EG vom 31. März 2004 hat der Richtliniengeber ausweislich des Erwägungsgrunds 6 der Richtlinie 2004/24/EG es als angemessen angesehen, den Geltungsbereich der vereinfachten Registrierung auf traditionelle pflanzliche Arzneimittel zu beschränken, weil die große Mehrzahl der Arzneimittel mit einer ausreichend langen und kohärenten Tradition pflanzlicher Natur ist. Insoweit liegt eine sachlich begründete, aber abschließende Sonderregelung für solche Arzneimittel vor.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. März 2009 13 A 1573/08 , juris.

Im Übrigen setzt sich die Klägerin mit den inhaltlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts im Berufungszulassungsverfahren nicht substantiiert auseinander, so dass ihr Vorbringen nicht den Darlegungsanforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO genügt.

Die Berufung ist schließlich nicht deshalb zuzulassen, weil die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die Anforderungen an die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG sind durch die vorstehend zitierte höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Besondere Schwierigkeiten in tatsächlicher Hinsicht weist die Rechtssache gleichfalls nicht auf.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.