OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 22.02.2010 - 12 E 1740/09
Fundstelle
openJur 2011, 72189
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtsgebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

Die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 3 RVG fristgerecht eingelegte Beschwerde, über die nach § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 8 Satz 1 RVG der Berichterstatter als Einzelrichter entscheidet, ist als Beschwerde des beigeordneten Rechtsanwaltes statthaft und auch im Übrigen zulässig. Da die durch die Gewährung von Prozesskostenhilfe im Hauptsacheverfahren begünstigte Partei hier - wo es um die Erstattungspflicht der Staatskasse gegenüber dem beigeordneten Rechtsanwalt geht - selbst nicht beschwerdeberechtigt ist,

vgl. Müller-Rabe, in: Gerold/Schmidt, RVG, 18. Aufl. 2008, § 56 Rn. 6 und 17,

hat der Senat von einer Bescheidung ihres Antrags auf Gewährung von Prozesskostenhilfe für das vorliegende Beschwerdeverfahren abgesehen. Dass der Beschwerdewert von 200 Euro gem. § 56 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 33 Abs. 3 Satz 1 RVG nicht erreicht wird, ist unerheblich, weil das Verwaltungsgericht die Beschwerde in Anwendung von § 33 Abs. 3 Satz 2 RVG gesondert zugelassen hat.

Die Beschwerde, mit der sich der beigeordnete Anwalt unter Hinweis auf den zum 5. August 2009 eingeführten § 15a RVG gegen die Anrechnung einer noch vor dem 5. August 2009 entstandenen Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG, für die aber keine Zahlung erfolgt ist, auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG wendet, hat indes in der Sache keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat die Erinnerung zu Recht zurückgewiesen, weil es im vorliegenden Altfall nicht zu beanstanden ist, dass der Urkundsbeamte bei der Vergütungsfestsetzung vom 16. November 2009 nach der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG die vorgerichtlich wegen desselben Gegenstandes entstandene Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr nach Nr. 3100 VV-RVG angerechnet hat.

Weil das Bundesverwaltungsgericht für die Rechtslage vor Einfügung von § 15a Abs. 1 RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 3 des Gesetzes zur Modernisierung von Verfahren in anwaltlichen und notariellen Berufsrecht, zur Errichtung einer Schlichtungsstelle der Rechtsanwaltschaft sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften (BGBl. 2009 I, S. 2449) und der Neufassung von § 55 Abs. 5 Satz 2 RVG durch Art. 7 Abs. 4 Nr. 6 des vorgenannten Gesetzes jeweils zum 5. August 2009 (Art. 10) für den Bereich verwaltungsgerichtlicher Verfahren entschieden hat, dass eine Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV-RVG, die in einem vorangegangenen Verfahren vor der Verwaltungsbehörde angefallen ist, nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG vor dem Hintergrund des § 162 Abs. 2 Satz 1 VwGO grundsätzlich anzurechnen ist,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2009 - 9 KSt 4.08, 9 KSt 4.08 (9 A 3.06) -, BayVBl. 2010, 30; BayVGH, Beschluss vom 21. Oktober 2009 - 19 C 09.2395 -, juris, sowie OVG NRW, Beschluss vom 22. Februar 2008 - 12 E 165/08 - jedenfalls für den Fall dass die Zuziehung des Bevollmächtigten für das Vorverfahren nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO für notwendig erklärt worden ist,

kommt es auf die in der Zivilrechtsprechung für die dortigen Verfahren geführte Diskussion, ob § 15a RVG als bloße Klarstellung der bestehenden Gesetzeslage auch auf sog. Altfälle Anwendung findet oder als Änderung des geltenden Rechts gem. § 60 Abs. 1 RVG für Altfälle keine Anwendung findet,

vgl. zum Meinungsstand etwa BGH, Beschluss vom 9. Dezember 2009 - XII ZB 175/07 -, juris; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Dezember 2009 - I - 10 W 126/09 -, juris, jeweils m. w. N.,

nicht an. Die für den zivilrechtlichen Bereich umstrittene und für die Diskussion ausschlaggebende Frage nach der bisherigen Rechtslage ist durch die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts für den Bereich verwaltungsgerichtlicher Verfahren nämlich als geklärt anzusehen, so dass einer früheren anderslautenden Rechtsprechung der Instanzgerichte,

vgl. etwa OVG NRW, Beschlüsse vom 25. April 2006 - 7 E 410/06 -und vom 14. März 2008 - 2 E 1045/07 m. w. N.; siehe auch die Nachweise bei BayVGH, Beschluss vom 21. Oktober 2009 - 19 C 09.2395 -,

und einer darauf aufbauenden Rechtsprechung zur Behandlung von Altfällen,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2009

- 2 E 1133/08 -,

die im Übrigen in der Folgezeit nicht fortgesetzt worden ist, nicht gefolgt werden kann. Dass das Bundesverwaltungsgericht zur Begründung seiner Auffassung maßgeblich auf den in § 162 Abs. 1 und 2 VwGO zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers abstellt und diese Regelungen nur den Kostenausgleich zwischen den Verfahrensbeteiligten regeln, heißt nicht, dass im Verhältnis zwischen beigeordnetem Anwalt und an die Stelle des Kostenschuldners tretender Staatskasse etwas anderes gilt. Es ist nach dem Rechtsstand bis zum 5. August 2009 nämlich nicht ersichtlich, dass die Staatskasse dem beigeordneten Rechtsanwalt insofern mehr oder weniger zu erstatten hat, als ihm im Verhältnis der Parteien zueinander geschuldet ist. Erst § 15a Abs. 2 RVG legt fest, dass sich ein Dritter auf die Anrechnung nur berufen kann, soweit er den Anspruch auf eine der beiden Gebühren erfüllt hat, wegen eines dieser Ansprüche gegen ihn ein Vollstreckungstitel besteht oder beide Gebühren in demselben Verfahren gegen ihn geltend gemacht werden.

Ist für den Bereich des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens davon auszugehen, dass bisher die für das vorangegangene Verwaltungsverfahren anfallende Geschäftsgebühr schon mit ihrer Entstehung nach Maßgabe der Vorbemerkung 3 Abs. 4 VV-RVG anteilig auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens angerechnet werden musste, hängt die Anwendung des § 15a RVG als Neuregelung und nicht lediglich als Klarstellung,

vgl. auch BayVGH, Beschluss vom 21. Oktober 2009, a. a. O.,

und des mit ihm korrespondierenden § 55 Abs. 5 Satz 3 RVG n. F. davon ab, ob die Übergangsregelung in § 60 Abs. 1 Satz 1 RVG greift.

Insoweit ebenso: OVG NRW, Beschluss vom 11. August 2009 - 4 E 1609/08 -, wobei aber das Ergebnis der Prüfung im Hinblick auf die Annahme, es handele sich bloß um eine Klarstellung der bisherigen Rechtslage, offen gelassen wird; von vornherein offen gelassen: OVG NRW, Beschluss vom 31. August 2009 - 2 E 1133/08 -.

Dies ist indes nicht der Fall. § 15a RVG ist zwar seit dem 5. August 2009 in Kraft, jedoch verbleibt es bei der Berechnung der aus der Staatskasse zu erstattenden Vergütung nach der bisherigen Rechtslage, weil der Rechtsanwalt vor diesem Zeitpunkt - nämlich mit Beschluss vom 9. Juni 2009 - gerichtlich beigeordnet worden ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 56 Abs. 2 Sätze 2 und 3 RVG.

Der Beschluss ist unanfechtbar.