LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 08.07.2009 - L 16 B 9/09 KR ER
Fundstelle
openJur 2011, 71327
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 16 (11) KR 160/08 ER
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 20. Januar 2009 wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.

Streitig ist die Kostenübernahme durch die Antragsgegnerin(AGn) für eine Immunglobulin-Therapie mit einem Fertigarzneimittel zur Behandlung einer Augenerkrankung.

Die am 00.00.1941 geborene Antragstellerin (AStn) befindet sich in ständiger Behandlung der Augenabteilung am St. G-Hospital in N. Im Jahre 2000 wurde eine Kataraktoperation an beiden Augen durchgeführt. In der Folgezeit kam es zu verschiedenen Schleimhauterkrankungen und im Jahre 2003 wurde eine voranschreitende Keratinisierung (Verhornung, d. h. Vorgang der schrittweisen Umwandlung von lebenden Epithelzellen in "totes" Hornmaterial) der gesamten unteren Bindehaut an beiden Augen fest- und die Diagnose eines okulären Pemphigoides (chronische, autoimmunologisch bedingte Bindehautentzündung des Auges) beidseits gestellt. Im Jahre 2005 fand sich ein invasives (in das umgebende Gewebe hineinwucherndes) Karzinom am nasalen Lidrand des linken Auges. Der maligne Tumor wurde entfernt; zugleich erfolgte eine Rekonstruktion des Fornix (Umschlagfalte, die die Bindehaut des Auges im Spaltraum unterhalb der Lider bildet) am linken Auge. Das rechte Auge zeigte sich über diesen Verlauf hin stabil ohne wesentliche Aktivität der vernarbenden Schleimhauterkrankungen. Die Sehschärfe am rechten Auge lag zwischen 80 und 100 %. Im weiteren Verlauf kam es zu einer Einmauerung des Bulbus oculi (Augapfel) links mit einer Aufhebung der Motilität. Eine zuletzt durchgeführte Fornixrekonstruktion zur Motilitätsverbesserung zeigte keine dauerhafte Befreiung des Bulbus. Bei der Kontrolle Ende 2007 konnte eine Sehschärfe von rechts 0,9 und links 0,5 mit Korrektur festgestellt werden. Es wurde mit einer hochdosierten Cortison-Therapie mit 1 mg je kg Körpergewicht fortgefahren.

Am 11.12.2007 beantragte die AStn unter Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung der Augenabteilung am St. G-Krankenhaus vom selben Tag die Versorgung der bei der Agn gegen Krankheit versicherten AStn mit Immunglobulinen zur Behandlung des okulären Pemphigoides beidseits. Grundsätzlich sei eine cortisonsparende Therapie erforderlich, da die Erkrankung durch Cortison allein nicht in adäquater Dosis zum Stillstand gebracht werden könne. Aufgrund der bestehenden malignen Erkrankung (Karzinom am Unterlid links) sei eine konventionelle immunsuppressive (die normale Funktion des Immunsystems unterdrückende) Therapie nicht möglich. Insofern erscheine eine Therapie mit Immunglobulinen sinnvoll. Hierzu gebe es einzelne Fallserien, die durchweg über positive Ergebnisse berichteten. Bei drohender Erblindung der AStn werde gebeten, den Antrag für diese "sicherlich sehr teure Therapie kritisch zu prüfen".

In seiner Stellungnahme vom 31.01.2008 kam der von der AGn mit der Überprüfung der medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) Westfalen-Lippe zu dem Ergebnis, dass in der sog. Roten Liste insgesamt vierzehn verschiedene Immunglobulin-Präparate angegeben seien, von denen jedoch kein einziges über eine arzneimittelrechtliche Zulassung für die von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Diagnose eines okulären Pemphigoides (chronische, autoimmunologisch bedingte Bindehautentzündung des Auges) beidseits verfüge. Bei der AStn liege eine schwerwiegende Erkrankung vor, die allerdings nicht innerhalb von Wochen oder Monaten zu einer akuten Erblindung führen könne. Es gebe Therapiealternativen zu der beantragten Immunglobulin-Therapie im Rahmen konservativer Behandlung, wie Verabreichung von Tränenersatzmitteln, Durchführung einer adäquaten Lidhygiene, gegebenenfalls mit Epilation der Wimpern, Therapie mit Immunsuppression, systemische Corticosteroidtherapie, gegebenenfalls chirurgischer Verschluss der Tränenwege. Im Übrigen lägen zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zur Wirksamkeit von Immunglobulinen nicht vor.

Diesen Standpunkt machte sich die AGn in zwei Schreiben vom 06.02.2008 zu eigen und wies darauf hin, dass die Verantwortung für die Verordnung von Arzneimitteln bei dem behandelnden Arzt liege. Eine Genehmigung von ärztlichen Verordnungen durch die Krankenkasse sei unzulässig. Der dennoch mit der Überprüfung des Sachverhalts in medizinischer Hinsicht beauftragte MDK sei zu dem Ergebnis gekommen, dass ein sog. offlabeluse nicht in Betracht komme.

Gegen dieses Schreiben richtete sich der Widerspruch der AStn vom 03.03.2008. Parallel dazu hat sie am 18.08.2008 bei dem Sozialgericht (SG) Münster die Gewährung vorläufigen Rechtschutzes beantragt. Zur Begründung hat sie ausgeführt, es liege zwar derzeit die arzneimittelrechtliche Zulassung für die hier erstrebte Therapie nicht vor, jedoch habe sie nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) und des Bundessozialgerichts (BSG) einen Anspruch auf die begehrte Arzneimittelversorgung auch in die Zulassung überschreitender Weise. Sie könne das dringend notwendige Arzneimittel, das einen Kostenaufwand von ca. 1.900 EUR monatlich verursachen werde, mit ihrem Einkommen von 1.556,97 EUR pro Monat nicht finanzieren. Es sei ihr auch nicht zumutbar, den Ausgang eines entsprechenden Hauptsacheverfahrens abzuwarten.

Die AStn hat schriftsätzlich beantragt,

die AGn im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu verpflichten, die Kosten für ihre Versorgung mit Immunglobulinen entsprechend ihrem Antrag zu übernehmen.

Die AGn hat beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Zur Begründung hat die AGn darauf hingewiesen, die behandelnde Klinik habe die begehrten Immunglobuline bisher weder auf Kassenrepezt im Rahmen einer vertragärztlichen Verordnung noch auf Privatrezept verordnet. Die an die AStn und an die behandelnden Ärzte gerichteten Schreiben vom 06.02.2008 stellten keinen ablehnenden Verwaltungsakt dar, seien mithin auch keinem Widerspruch zugänglich; ein solcher sei unzulässig.

Darüber hinaus hat sich die AGn auf die ergänzende Stellungnahme des MDK vom 26.08.2008 bezogen. Danach bestehe für das Immunglobulin "G" z. B. der Firma Baxter, dessen Einsatz geplant sei, keine indikationsbezogene Diagnose. Anwendungsgebiete seien: Substitutionsbehandlung bei primären Immundefekten, bei Myelom oder lymphatischer Leukämie bzw. bei Kindern mit kongenitaler HIV-Infektion und rezidivierenden Infekten. Ein weiteres Anwendungsgebiet stelle die Immunmodulation bei idiopathischer thrombozytopenischer Purpura, beim Kawasaki-Syndrom und beim Guillain-Barré-Syndrom, ebenso bei allogener Knochenmarktransplantation dar. Die Voraussetzungen für einen sog. offlabeluse aber lägen nicht vor. Es fehle bereits an einer lebensbedrohlichen Erkrankung. Möglicherweise lasse sich eine Behandlung mit zugelassenen Arzneimitteln finden. Jedenfalls gebe es für das begehrte Fertigarzneimittel keinen ausreichenden Wirksamkeitsnachweis im Sinne kontrollierter, prospektiver und randomisierter Studien mit ausreichender Fallzahl, validen Endpunkten und langer Verlaufsbeobachtung. Auf Basis der hier vorliegenden Unterlagen und Informationen werde in diesem Einzelfall der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) keine Kostenübernahme für die beantragte Therapiemaßnahme empfohlen.

Das SG hat einen Befundbericht von Prof. Dr. I vom St. G-Hospital N vom 09.12.2008 eingeholt. Dieser hat mitgeteilt, dass bei der AStn im Jahre 2008 ein weiteres Plattenepithelkarzinom (bösartiger Hauttumor) im Bereich der linken Parotis (Ohrspeicheldrüse) diagnostiziert worden sei, der operativ entfernt und mittels Bestrahlung behandelt worden sei. Das vom MDK als Therapiealternative benannte Azathioprin® sei ebenso wie alle Proliferationshemmer kontraindiziert; bei Cortison sei die Gefahr massiver Nebenwirkungen permanent gegeben. Auch wenn nicht akut die Gefahr einer Erblindung bestehe, sei bei der AStn wegen des schweren chronischen Verlaufs der Erkrankung das Erblindungsrisiko hoch. Gehe die Erkrankung in das Stadium IV über, was in ca. zwölf Monaten bevorstehe, so trete in 75 % der Fälle eine Erblindung ein. Die Kosten der beantragten Immunglobulin-Therapie lägen bei rund 1.500,00 EUR pro Monat für vorerst zwei Jahre und die erstrebte Behandlung müsse nunmehr unmittelbar beginnen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2009 hat die AGn den Widerspruch der AStn gegen das Schreiben vom 06.02.2008 als unzulässig verworfen; denn das Schreiben stelle keinen mit dem Widerspruch anfechtbaren Verwaltungsakt dar.

Das SG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung mit Beschluss vom 20.01.2009 abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, es werde zwar nicht die Auffassung der AGn geteilt, dass kein ordnungsgemäßer Antrag und keine rechtsmittelfähige Ablehnung vorlägen und ohne Vorliegen eines Privatrezeptes der Widerspruch und das einstweilige Rechtsschutzverfahren unzulässig seien. Der Antrag habe jedoch in der Sache keinen Erfolg. Die AStn begehre die Behandlung im sog. offlabeluse auf Kosten der GKV, die nur in absoluten Ausnahmefällen möglich sei. Ein solcher Ausnahmefall liege nicht vor. Die AStn habe nicht glaubhaft gemacht, dass ihre Augenerkrankung lebensbedrohlich oder regelmäßig tödlich verlaufend sei. Auch sei mit dem MDK nicht davon auszugehen, dass nur durch die Behandlung mit Immunglobulinen eine Verschlechterung der Sehkraft des Auges vermieden werden könne. Darüber hinaus bestehe auf Grund der Datenlage keine hinreichend begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg. Es lägen nur unzureichende wissenschaftliche Studien vor.

Gegen den ihren Prozessbevollmächtigten am 22.01.2009 zugestellten Beschluss hat die AStn am 16.02.2009 Beschwerde eingelegt und zugleich - im Hauptsacheverfahren - Klage erhoben, die unter dem Az.: S 9 KR 20/09, SG Münster, geführt wird. Zur Begründung verweist sie auf ihren bisherigen Vortrag und auf die von den behandelnden Ärzten erteilten Auskünften. Danach liege eine zugespitzte gesundheitliche Gefährdung im Sinne des drohenden Verlustes eines Organs, des zu behandelnden Auges, vor. Zumindest unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu lebensbedrohlichen Erkrankungen stehe ihr ein Anspruch auf die begehrte Sachleistung zu. Nach Auskunft der behandelnden Ärzte entspreche der Einsatz von Immunglobulinen in Fällen wie dem vorliegenden ärztlichem Konsens.

Die AStn beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

den Beschluss des SG Münster vom 20.01.2009 zu ändern und die AGn im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig, längstens bis zur bestandskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu verpflichten, die Kosten für ihre (der AStn) Versorgung mit Immunglobulinen entsprechend ihrem Antrag zu übernehmen.

Die AGn beantragt schriftsätzlich sinngemäß,

die Beschwerde der AStn gegen den Beschluss des SG Münster vom 20.01.2009 zurückzuweisen.

Sie bezieht sich zur Begründung auf den ihrer Auffassung nach zutreffenden erstinstanzlichen Beschluss sowie auf die ergänzenden Stellungnahmen des MDK vom 29.04.2009 und 27.05.2009. Danach sei der Visus innerhalb des Jahres 2008 bei dem rechten Auge stabil geblieben und habe sich bei dem linken Auge von 0,5 auf 0,8 mit Korrektur verbessert. Ein Übergang innerhalb von zwölf Monaten in das Stadium IV der Erkrankung lasse sich ebenso wenig nachvollziehen wie die Angabe, dass 75 % der Erkrankten erblinden würden. Vielmehr liege bei der Versicherten keine Situation vor, die innerhalb der nächsten Wochen oder Monate die Gefahr der Erblindung beinhalte. Zwar handele es sich um eine Erkrankung, die die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen könne. Es bestünden aber andere Behandlungsmöglichkeiten als die Immunglobulin-Therapie, nämlich die symptomatische Therapie u. a. mit Tränenersatzmittel, die adjuvante lokale Therapie mit Corticosteroid-Augentropfen und der Einsatz des antibiotisch wirkenden Arzneistoffes Dapson. Die von dem Hausarzt beschriebende Corticoiddauertherapie stelle keine Kontraindikation zu der vorgeschlagenen intermittierenden Corticosteroidtherapie dar. Zudem fehlten für die begehrte Immunglobulin-Therapie Wirksamkeitsnachweise im Sinne kontrollierter, prospektiver und randomisierter Studien mit ausreichenden Fallzahlen, validen Endpunkten und langer Verlaufsbeobachtung. Im Verhältnis zu den möglichen Gefahren und Risiken, zu den die Behandler weiterhin keine Angaben machten, könne die Kostenübernahme nicht empfohlen werden.

Der Senat hat eine ergänzende Stellungnahme des behandelnden Arztes Prof. Dr. I vom St. G-Hospital N eingeholt. Danach steht die AStn in regelmäßiger radioonkologischer Nachsorge nach stattgehabter Strahlentherapie. Bei der Nachsorge am18.12.2008 hätten sich dosisadäquate Nebenwirkungen der Strahlentherapie gezeigt. Eine Corticosteroidtherapie sei von dem Hausarzt durchgeführt worden. Auf potentielle Nebenwirkungen einer Immunglobulin-Behandlung sei die AStn hingewiesen worden; die Gefahr der Gegenanzeigen erscheine nicht über das allgemeine Maß hinaus gesteigert.

In seinem vom Senat angeforderten Befundbericht vom 07.05.2009 hat Dr. X, Arzt für Innere Medizin, mitgeteilt, bei der AStn bestehe u. a. eine chronischobstruktive Lungenerkrankung und ein atopisches (allergisches) Ekzem. Deshalb erhalte die AStn seit 2001 eine Corticosteroid-Dauertherapie. Bei Verschlechterung der pulmonalen Symptomatik werde die Therapie intermittierend gesteigert. Wegen der pulmonalen Erkrankung müsse die Behandlung mit dem Steroid fortgeführt werden, die AStn sei auf die Einnahme trotz der inzwischen eingetretenen Nebenwirkungen, wie steroidindizierte Osteoporose, Cushing-Symptomatik (körperliche Veränderungen aufgrund hohen Cortisonspiegels im Körper, wie Vollmondgesicht, Stammfettsucht, "Stiernacken", diabetische Stoffwechsellage, arterielle Hypertonie, Osteoporose, Muskelschwäche) und periphere Muskeldystrophie, zwingend angewiesen.

Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf den Inhalt der Prozessakte sowie der Verwaltungsvorgänge der AGn Bezug genommen, die ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen sind.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Beschwerde der AStn gegen den Beschluss des SG Münster vom 20.01.2009 ist nicht begründet. Das SG hat im Ergebnis und in der Begründung zu Recht den Antrag der AStn auf Versorgung mit einem Fertigarzneimittel im Rahmen einer Immunglobulin-Therapie abgelehnt.

Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) können einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erfolgen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund sind insoweit glaubhaft zu machen, vgl. § 86b Abs. 2 S. 4 SGG i. V m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO). Das einstweilige Rechtsschutzverfahren dient vorläufigen Regelungen. Nur wenn dies zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist, d. h. wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg in der Hauptsache spricht, weil dem Rechtsschutzsuchenden ein bestimmter Anspruch zusteht (vgl. Bundesverwaltungsgericht -BVerwG-, Beschl. vom 13.08.1999, Az.: 2 VR 1/99, www.juris.de; Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 9. Aufl. 2008, § 86b RdNr. 31 m. w. N.), ist ausnahmsweise die Vorwegnahme der Hauptsache im vorläufigen Rechtsschutzverfahren zulässig (vgl. BVerwG, Beschl. vom 13.08.1999, a. a. O.; Meyer-Ladewig, a. a. O.; ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats, vgl. Beschlüsse vom 16.10.2002 - L 16 KR 219/02 ER -, vom 13.05.2004 - L 16 B 20/04 KR ER -, vom 29.11.2005 - L 16 B 90/05 -, vom 06.04.2006 - L 16 B 3/06 KR ER -, vom 11.07.2006 - L 16 B 43/06 KR ER -, vom 24.09.2008 - L 16 B 62/08 KR ER, sowie vom 20.05.2009 - L 16 B 13/09 KR ER -, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Das SG hat zu Recht die Auffassung vertreten, es fehle bereits an einem Anordnungsgrund. Insbesondere hat die AStn weiterhin nicht ausreichend dargelegt und glaubhaft gemacht, dass eine besondere Eilbedürftigkeit bestehe, die ein Abwarten des Ausgangs des Hauptsacheverfahrens unzumutbar machen könnte. Auch aus den im Beschwerdeverfahren vorgelegten bzw. eingeholten ergänzenden Stellungnahmen der behandelnden Ärzte ergibt sich dies nicht.

Arzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs. 1 S. 1, § 12 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V)) nicht von der Leistungspflicht der GKV nach § 27 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 3, § 31 Abs. 1 S. 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche (§ 21 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG)) arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (vgl. z. B. BSG Sozialrecht (SozR) 4-2500 § 27 Nr. 7 m. w. N.). Abgesehen davon, dass die behandelnden Ärzte der AStn zu keinem Zeitpunkt das konkret einzusetzende Fertigarzneimittel benannt haben, weist keines der unter der Gliederungsziffer 75.1.1 (Human-Immunglobuline) in der Roten Liste 2009 aufgeführten Fertigarzneimittel eine Zulassung für die maßgebliche Erkrankung der AStn auf.

Eine zulassungsüberschreitende Anwendung eines Fertigarzneimittels auf Kosten der GKV, das nur über eine Zulassung für die Behandlung anderer Krankheiten als für diejenige verfügt, an welcher die AStn leidet, muss ebenfalls ausscheiden. Ein Off-Label-Use kommt nach der ständigen Rechtsprechung des BSG, der sich der erkennende Senat anschließt, nur in Betracht, wenn es um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn keine andere Therapie verfügbar ist und wenn aufgrund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (vg. BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8, BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 5, und BSG, Urteilssammlung der GKV (USK) 2007-25). Auch wenn im Hinblick auf die deutliche Sehkraftminderung - mit dem MDK - eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigtende Erkrankung bei der AStn anzunehmen sein dürfte, vermag der Senat in der in Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage derzeit nicht zu erkennen, dass die beiden anderen Voraussetzungen, die zur Anspruchsbegründung kumulativ vorliegen müssen, gegeben sind. Der MDK hat in mehrfachen Stellungnahmen Therapiealternativen, die dem Leistungskatalog der GKV entsprechen, benannt. Eine begründete Stellungnahme der die AStn behandelnden Ärzte, warum diese nicht in Betracht zu ziehen seien, liegt nicht vor. Davon abgesehen hat auch die AStn zu der dritten Voraussetzung - Datenlage - nicht substantiiert vortragen können.

Für einen sog. Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem letztgenannten Erfordernis erwogen werden könnte (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 1), ist nichts vorgetragen, ebenso wenig für ein sog. Systemversagen (vgl. dazu BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 12). Auch Anhaltspunkte für eine hier gebotene grundrechtsorientierte Auslegung (vgl. z. B. im Anschluss an BVerfG SozR 4-2500 § 27 Nr. 5: BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 12) sind weder vorgebracht worden noch sonst ersichtlich. Die verfassungskonforme Auslegung setzt voraus, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 4) oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung (vgl. BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 7) vorliegt, bezüglich derer eine auf Indizien gestützte, nicht ganz fern liegende Aussicht wenigstens auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht. Es fehlt bereits an der ersten Voraussetzung: Mit dem Kriterium einer Krankheit, die zumindest mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung in der Bewertung vergleichbar ist, ist eine strengere Voraussetzung umschrieben, als sie etwa mit dem Erfordernis einer "schwerwiegenden" Erkrankung für die Eröffnung des sog. offlabeluse (vgl. dazu BSG SozR 3-2500 § 31 Nr. 8) formuliert ist (vgl. BSG SozR 4-2500 § 31 Nr. 8; BSG SozR 4-2500 § 27 Nr. 10). Der Verlust eines wichtigen Sinnesorgans - dazu zählt der erkennende Senat das Auge - ist der Lebensbedrohlichkeit im o. g. Sinne grundsätzlich gleichzusetzen. Es fehlt jedoch nach derzeitigen Erkenntnisse das zeitliche Moment. Dass in absehbarer Zeit (vgl. insoweit BSG, Beschl. vom 14.05.2007, Az.: B 1 KR 16/07 B, www.juris.de) mit dem Verlust der Sehkraft zu rechnen sei, hat die AStn weder dargelegt noch glaubhaft gemacht. Unabhängig von der Frage, ob damit der Zeitraum eines Jahres umfasst sein kann, ist jedenfalls die bei Antragstellung am 11.12.2007 von den Behandlern aufgestellte Prognose, innerhalb der nächsten zwölf Monate sei mit einem Eintritt des okulären Pemphigoides in das Stadium IV und damit mit einer Wahrscheinlichkeit von 75 % mit einem völligen Verlust der Sehkraft zu rechnen, offensichtlich nicht zutreffend gewesen; denn mehr als sechs Monate nach Ablauf dieses Jahreszeitraumes hat sich die Sehkraft der AStn. stabilisiert bzw. sogar verbessert.

Auch wenn der Senat derzeit die Voraussetzungen für den Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung nicht zu verkennen vermag, bedeutet dies nicht, dass sich bei einer Änderung der Verhältnisse nicht doch ein entsprechender Anspruch ergeben könnte. Insoweit dürfte es hilfreich sein, bei einem dann zu stellenden erneuten Antrag eine Präzisierung bzgl. des einzusetzenden Fertigarzneimittels vorzunehmen, die das konkret einzusetzende Fertigarzneimittel betreffende Datenlage aufzuführen und insbesondere darzulegen und glaubhaft zu machen, warum gegebenenfalls die vom MDK mehrfach benannten Therapiealternativen, insbesondere unter Berücksichtigung der sonstigen schweren Erkrankungen der AStn, nicht aussichtsreich sein sollen. Im vorliegenden Verfahren hat der Senat ebenfalls eine Auseinandersetzung der die AStn behandelnden Ärzte mit den zum Teil recht erheblichen Nebenwirkungen im Verhältnis zu den erwarteten Vorteilen bei Verabreichung von Immunglobulinen vermisst.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Der Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.

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