LAG Düsseldorf, Urteil vom 22.10.2009 - 5 Sa 535/09
Fundstelle
openJur 2011, 69783
  • Rkr:
Verfahrensgang

1) Die Übergangsvorschrift des § 30 c Abs. 1 BetrAVG verhindert die Anwendung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG auf alle Versorgungszusagen, die vor dem 01.01.1999 erteilt wurden.

2) Entgegenstehende Regelungen in einer Betriebsvereinbarung sind gemäß § 134 BGB nichtig.

Tenor

1)Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Ar-

beitsgerichts Essen vom 24.04.2009 - 5 Ca 652/08 - teil-

weise abgeändert und wie folgt formuliert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2008 1.282,02 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2009 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für die Zeit vom 01.07.2008 bis zum 31.03.2009 1.923,03 € brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2009 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ab dem 01.04.2009 bis auf Weiteres über den Betrag von 3.908,84 € brutto hinaus monatlich weitere 213,67 € brutto, jeweils fällig am Monatsende, zu zahlen.

2. Im Übrigen werden die weitergehende Klage abgewiesen

und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Die Revision wird für beide Parteien zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Frage, ob und wie das betriebliche Altersruhegeld des Klägers anzupassen ist.

Der am 22.07.1930 geborene Kläger ist seit dem 01.07.1960 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin, der RWE Energie AG (im Folgenden nur noch "RWE" genannte) als außertariflicher Angestellter beschäftigt. Grundlage des Arbeitsverhältnisses der Parteien bildete zuletzt ein Anstellungsvertrag vom 20.10.1975, der in Ziffer 6 die Anwendung der "jeweils geltenden Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung des RWE" vorsah. Wegen der weiteren Einzelheiten des Anstellungsvertrags wird auf Blatt 7 bis 10 der Akten verwiesen.

Der Kläger schied mit Wirkung zum 31.12.1995 aus den Diensten der RWE aus und wurde der Beklagten als Versorgungsnehmer zugeordnet.

Die Altersversorgung bei der RWE war bis zum Jahre 1986 in den "Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft Essen" vom 18.05.1966 (RL 66) geregelt. Ab dem 01.04.1986 wurden die Regelungen der RL 66 durch die in Form einer Betriebsvereinbarung geschlossenen "Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft, Essen" (RL 89) ersetzt. Die Anpassung laufender Betriebsrenten ist dort in § 5 Abs. 5 bis 9 wie folgt geregelt:

§ 5

Berechnung des ruhegeldfähigen Diensteinkommens

(5)Die RWE-Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung wird für Pensionsfälle ab 1992 höchstens um die Inflationsrate angepasst, soweit diese zum Zeitpunkt einer Rentenerhöhung unterhalb der Erhöhungen der Nettovergütungen der aktiven RWE - Mitarbeiter liegt. Übersteigt die Inflationsrate die Erhöhung der Nettovergütungen, verbleibt es bei der Anhebung der Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung um den Prozentsatz der Erhöhung dieser Nettovergütungen.

Sollte die Erhöhung der Sozialversicherungsrenten gesetzlich von der bruttolohnbezogenen auf die nettolohnbezogene Rentendynamisierung umgestellt werden, tritt im Rahmen der beschriebenen Anpassung an die Stelle der Erhöhung der Nettovergütungen die Erhöhung der Sozialversicherungsrenten.

(6)Die Inflationsrate wird nach der Veränderung des durch das Statistische Bundesamt jährlich ermittelten Preisindexes für die Lebenshaltung von Vier-Personen-Arbeitnehmerhaushalten mit mittleren Einkommen berechnet. Die Nettovergütung wird auf der Grundlage der Vergütungsgruppe 9, Stufe 16 des jeweiligen Vergütungstarifvertrages (auf der Basis des Manteltarifvertrages vom 21.07.1977/28.09.1982) unter Berücksichtigung der Steuerklasse III/o abzüglich sämtlicher Steuern und Sozialversicherungsbeiträge (Rentenversicherung, Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung) ermittelt.

(7)Die Anpassung der Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung erfolgt auf der Basis des bisherigen Ruhe- bzw. Hinterbliebenengeldes, ohne dass die Erstberechnung des Ruhe- bzw. Hinterbliebenengeldes nachvollzogen wird.

(8) Stichtag für die Anpassung der Betriebsrenten ist jeweils der Zeitpunkt der Anpassung der gesetzlichen Sozialversicherungsrenten.

(9) § 16 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung vom 19.12.1974 bleibt unberührt. Dabei sind zwischenzeitlich nach den vorstehenden Absätzen erfolgte Anhebungen zu berücksichtigen.

Der Kläger bezog seit dem 01.01.1996 eine betriebliche Altersrente in Höhe von 6.601,58 DM pro Monat. Zum 01.07.1996 erfolgte eine Anpassung; die danach dem Kläger gewährte monatliche Betriebsrente betrug 6.664,30 DM. Sie wurde bis zum 01.07.2003 auf 3.700,81 € brutto erhöht.

In den Jahren 2004 und 2005 nahm die Beklagte zunächst keinerlei Anpassungen vor. Zum 01.07.2006 erfolgte die nächste Anpassung und Rentenerhöhung in Höhe von 1,25 %.

Unter dem 18.12.2006 schlossen die RWE Rhein-Ruhr AG, Essen und der bei ihr gebildete Gesamtbetriebsrat die "Betriebsvereinbarung zur Änderung der Richtlinien für die Ruhegeld- und Hinterbliebenenversorgung der Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk Aktiengesellschaft" vom 09.02.1989 (im Folgenden "BV 2006" genannt). Diese lautet auszugsweise wie folgt:

§ 1

Geltungsbereich

Diese Betriebsvereinbarung gilt für alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens - im Folgenden Mitarbeiter - genannt -, die ausgeschiedenen Mitarbeiter sowie Pensionäre und Hinterbliebene, denen eine Versorgungszusage auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung nach Maßgabe der RL 02/89 erteilt wurde oder zukünftig erteilt wird.

§ 2

Neufassung des § 5 Absätze 5 bis 9 RL 02/89

§ 5 Absätze 5 bis 9 RL 02/89 wird in allen bis zum Inkrafttreten

dieser Betriebsvereinbarung geltenden Fassungen durch folgende

Regelung ersetzt:

Das Unternehmen verpflichtet sich, jeweils zum 1. Juli eines jeden

Jahres die laufenden Versorgungsleistungen um 1% anzupassen.

Steigen die Verbraucherpreise in einem Jahr um 4,75% oder mehr

oder in drei aufeinander folgenden Jahren um 11,5% oder mehr,

verpflichten sich die Betriebsparteien, über eine einmalige Neure-

gelung der Anpassung zu verhandeln mit dem Ziel eine Entwer-

tung der Renten zu verhindern.

Im Übrigen bleiben die Regelungen der RL 02/89 unberührt.

§ 3

Teilunwirksamkeit

Die Unwirksamkeit einzelner Bestandteile berührt die Wirksamkeit der übrigen Regelungen dieser Betriebsvereinbarung nicht.

Die Betriebsparteien verpflichten sich, in diesem Fall anstelle der unwirksamen Regelung eine solche zu vereinbaren, die wirksam ist und dem Inhalt der unwirksamen Regelung unter Beachtung des von den Betriebsparteien Gewollten möglichst nahe kommt.

§ 4

Inkrafttreten

Die vorliegende Betriebsvereinbarung tritt mit Wirkung zum 01.07.2007 in Kraft.

Auf der Grundlage dieser Betriebsvereinbarung passte die Beklagte die betriebliche Altersversorgung des Klägers zum 01.07.2007 auf 3.870,14 € an und verwies hierzu auf die 1 %-Regelung des § 2 Betriebsvereinbarung 2006.

Mit seiner am 25.02.2008 beim Arbeitsgericht Essen anhängig gemachten und später erweiterten sowie mehrfach geänderten Klage hat der Kläger einen Anpassungsanspruch auf der Grundlage des § 16 Abs. 1 BetrAVG geltend gemacht und zugleich eine 1 %-ige Erhöhung zum 01.07.2008 auf der Grundlage der BV 2006. Der Kläger hat hierzu erklärt, er behalte sich weitergehende Zahlungsansprüche zum 01.07.2007 und 01.07.2008 auf der Grundlage der RL 89 vor.

Er hat im Übrigen die Ansicht vertreten, dass die Beklagte verpflichtet sei, alle drei Jahre eine Anpassungsüberprüfung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG vorzunehmen. Die in der BV 2006 vorgesehen 1 %-Regelung lasse die Anpassungsverpflichtung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG nicht entfallen. Gemäß § 30 c Abs. 1 BetrAVG gelte nämlich § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nur für laufende Leistungen, die auf Zusagen beruhten, die nach dem 31.12.1998 erteilt worden wären.

Der Kläger hat weiter vorgetragen, die Teuerungsrate von Januar 1996 bis zum Januar 2008 habe 21,09 % betragen. Ihm hätte daher, beginnend mit dem 01.01.2008, eine monatliche Rente von 4.087,19 € zugestanden. Darüber hinaus hätte die Beklagte die Pflicht gehabt, seine Betriebsrente zum 01.07.2008 um mindestens 1 % zu erhöhen, was eine zusätzliche monatliche Differenz von 219,22 € ausmache.

Der Kläger hat beantragt,

1.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 01.01.2008 bis 30.06.2008 € 1.302,30 brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2009 zu zahlen;

2.die Beklagte zu verurteilen, an ihn für die Zeit vom 01.07.2008 bis 31.03.2009 € 1.972,98 brutto nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 01.04.2009 zu zahlen;

3.die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 01.04.2009 bis auf Weiteres über den Betrag von € 3.904,80 brutto hinaus weitere € 219,22 brutto, jeweils fällig am Monatsende, zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, dass nur noch die BV 2006 mit einer Anpassungsverpflichtung von jährlich 1 % Geltung habe und sie demgemäß nicht verpflichtet sei, eine Anpassung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG vorzunehmen. Die in der BV 2006 vorgesehene jährliche Anpassung sei auch in Ansehung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nicht zu beanstanden. Insbesondere stehe § 30 c Abs. 1 BetrAVG nicht entgegen. Dieser spreche nämlich von "laufenden Leistungen", wodurch der Gesetzgeber verdeutlicht hätte, dass nur Betriebsrenten erfasst sein sollten, die bereits vor dem 01.01.1999 tatsächlich gezahlt worden seien. Das mit der Einführung der 1 %-Regelung verbundene gesetzgeberische Ziel, die betriebliche Altersversorgung zu erhalten und ihre Verbreitung zu fördern, spreche dafür, die Regelungen auf alle Anpassungen ab 1999 anzuwenden. Würde man demgegenüber alle bis zum 31.12.1998 erteilten Versorgungszusagen von der Möglichkeit der 1 %-Anpassung herausnehmen, so könnte die Regelung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrVG das dargestellte gesetzgeberische Ziel gar nicht erreichen.

Die Beklagte hat darüber hinaus die Berechnung der Klageforderung gerügt und darauf hingewiesen, dass bei der Anpassungsberechnung ab dem 01.01.2003 der so genannte Verbraucherpreisindex (VPI) zugrunde zu legen wäre. Darüber hinaus sei es aber auch unzulässig, wenn der Kläger die Anpassung gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG und § 2 BV 2006 kumuliert anwende. Keinesfalls gehe es an, dass beide Anpassungsformen "durchmischt" würden.

Mit Urteil vom 24.04.2009 hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Essen - 5 Ca 652/08 - die Beklagte zur Zahlung der aus dem Tenor ersichtlichen Beträge verurteilt und zu einem geringen Teil die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die Bezug genommen wird, hat das Arbeitsgericht ausgeführt, die Beklagte sei zur Anpassung des Altersruhegeldes des Klägers gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG verpflichtet. § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG, der die Anpassungspflicht gemäß Absatzes 1 entfallen lasse, sei gemäß der Übergangsvorschrift des § 30 c Abs. 1 BetrAVG unanwendbar. Die danach durchzuführende Anpassungsprüfung hätte zuletzt zum 01.01.2008 erfolgen müssen. Dabei wäre als Preissteigerungsrate für die Zeit von Dezember 1995 bis Dezember 2007 ein Wert von 20,99 % zugrunde zu legen. Das Arbeitsgericht hat hieraus monatliche Differenzbeträge bis einschließlich Juni 2008 von jeweils 213,67 € errechnet und für die Zeit ab Juli 2008 in Höhe von 215,81 €. Das Arbeitsgericht hat für die Berechnung des zuletzt genannten Wertes auch auf eine 1 %-ige Erhöhung der Altersrente auf monatlich 4.124,65 € abgestellt und insoweit die Auffassung vertreten, dass dabei unentschieden bleiben könnte, ob § 2 BV 2006 oder § 5 Abs. 5 RL 89 Geltung hätten.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 18.05.2009 zugestellte Urteil mit einem am 25.05.2009 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese - nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 21.08.2009 - mit einem am 21.08.2009 eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie wiederholt zunächst ihren Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug und unterstreicht ihre Rechtsauffassung, dass ihre Anpassungspflicht gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG durch die Regelungen in §§ 30 c Abs. 1, 16 Abs. 3 Ziffer 1 BetrAVG entfallen sei. Selbst wenn man aber zu einer Anpassungspflicht aus § 16 Abs. 1 BetrAVG gelangte, sei bei der Berechnung der erhöhten monatlichen Altersrente auf den VPI 2005 abzustellen. Dass dieser erst im Februar 2008 veröffentlicht worden sei, spiele keine Rolle. Schließlich, so die Beklagte weiter, sei es dem Kläger aber vor allen Dingen nicht gestattet, neben der Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG noch eine Erhöhung von 1 % nach der BV 2006 zu verlangen; eine Kumulation beider Anpassungsverpflichtungen könne nicht hingenommen werden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 24.04.2009 - 5 Ca 652/08 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das arbeitsgerichtliche Urteil und wiederholt ebenfalls seinen Sachvortrag aus dem ersten Rechtszug. Er meint, dass sich vor allem aus dem eindeutigen Wortlaut des § 30 c Abs. 1 BetrAVG ergebe, dass § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG nur für solche Betriebsrentenansprüche gelte, deren Versorgungszusagen nach dem 31.12.1998 erteilt worden seien. Dann aber sei die Beklagte auch verpflichtet gewesen, die Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG vorzunehmen.

Der Kläger führt weiter aus, hinsichtlich der Erhöhung zum 01.01.2008 sei auf den VPI 2000 abzustellen gewesen, da der VPI 2005 erst im Februar 2008 veröffentlicht worden wäre. Er könne deshalb bei der Anpassung zum 01.01.2008 nicht mehr herangezogen werden und spielte insoweit keine Rolle.

Der Kläger vertritt schließlich auch die Auffassung dass neben der Anpassungsprüfung § 16 Abs. 1 BetrAVG eine 1 %-ige Erhöhung auf der Grundlage der BV 2006 vorzunehmen wäre.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zu den Akten gereichten Urkunden und der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Gründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nämlich an sich statthaft (§ 64 Abs. 1 ArbGG), nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes zulässig (§ 64 Abs. 2 Ziffer b ArbGG) sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.

In der Sache selbst hatte die Berufung nur zu einem ganz geringen Teil Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG einen Anspruch auf Anpassung seiner betrieblichen Altersrente seit dem 01.01.2008. Die Beklagte ist insoweit verpflichtet, dem Kläger pro Monat einen Betrag von 213,67 € als Differenzbetrag nachzuzahlen, und zwar bis einschließlich 30.06.2008 in Höhe von 1.282,02 € brutto und danach bis zum 31.03.2009 in Höhe von 1.923,03 € brutto. Soweit der Kläger darüber hinaus die Erhöhung seiner monatlichen Rente seit dem 01.07.2008 um weitere 1 % begehrt, ist die Klage unbegründet.

1.Das Arbeitsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung mit durchweg überzeugenden Argumenten und sorgfältig begründet dargestellt, dass die Beklagte gemäß § 16 Abs. 1 BetrAVG zur Anpassung der Altersrente des Klägers am 01.01.2008 verpflichtet gewesen ist. Das Arbeitsgericht hat dazu weiter ausgeführt, dass angesichts der Übergangsvorschrift in § 30 c Nr. 1 BetrAVG eine Anwendbarkeit des § 16 Abs. 3 Ziffer 1 BetrAVG nicht in Betracht kommt und dass bei der Anpassung auf den VPI 2000 abzustellen sei. Dem schließt sich die erkennende Berufungskammer in vollem Umfang an und verzichtet zur Vermeidung von Wiederholungen auf eine erneute Darstellung der Entscheidungsgründe.

2.Lediglich zur Ergänzung und bei gleichzeitiger Würdigung des Sachvortrags der Beklagten in der zweiten Instanz sei noch auf folgendes hingewiesen:

2.1Die BV 2006 verstößt auch nach Auffassung der Berufungskammer gegen § 30 c Abs. 1 BetrAVG und erweist sich damit als rechtsunwirksam. Die Regelung in § 2 Abs. 2 BV 2006 steht im Widerspruch zu § 16 Abs. 1 Satz 1 BetrAVG, der dem Arbeitgeber auferlegt, alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und im Rahmen seiner Leistungsfähigkeit nach billigem Ermessen vorzunehmen, sofern ein entsprechender Anpassungsbedarf besteht. Zur Rechtfertigung ihres abweichenden Verhaltens und zur Rechtfertigung der in § 2 Abs. 2 BV 2006 getroffenen Regelung ist es der Beklagten verwehrt, sich auf § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG zu stützen. Die Übergangsvorschrift des § 30 c Abs. 1 BetrAVG verhindert nämlich eine Anwendung des § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG auf alle Versorgungszusagen, die vor dem 01.01.1999 erteilt wurden. Soweit die Beklagte demgegenüber die Meinung vertritt, die Anknüpfung an laufende Leistungen in § 30 c Abs. 1 BetrAVG lasse die Auslegung zu, dass danach zu unterscheiden sei, ob am Stichtag des 01.01.1999 bereits Rentenleistungen durch den Arbeitgeber erbracht wurden, ist dem nicht zu folgen. Diese Auslegung steht nach Meinung der erkennenden Berufungskammer im Widerspruch zu dem eindeutigen Gesetzeswortlaut, der hinsichtlich des Stichtags an die "Erteilung der Zusage" anknüpft.

Dann aber steht auch fest, dass § 2 Abs. 2 BV 2006 hinsichtlich der Altversorgungsfälle, zu denen auch die Altersrente des Klägers zu zählen ist, gegen § 16 Abs. 1, 17 Abs. 3 Satz 3 BetrAVG verstößt und damit nach § 134 BGB nichtig ist (so auch: LAG Hamm 02.09.2008 - 4 Sa 438/08 - n. v.).

2.2Erweist sich § 2 Abs. 2 BV 2006 als nichtig, so führt dies nach Meinung der erkennenden Berufungskammer dazu, das die Anpassungsvorschriften in § 5 Abs. 5 bis 9 RL 89 wieder aufleben und Gültigkeit erlangen.

2.2.1Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist davon auszugehen, dass abweichend von dem allgemein für Rechtsgeschäfte geltenden § 139 BGB die Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung nur dann zur Unwirksamkeit aller Regelungen der betreffenden Betriebsvereinbarung führt, wenn der verbleibende Teil ohne die unwirksamen Bestimmungen keine sinnvolle und in sich geschlossene Regelung enthält. Stellt sich dagegen der verbleibende Teil einer Betriebsvereinbarung als eine weiterhin sinnvolle und anwendbare Regelung dar, so kommt es für dessen isolierte Weitergeltung auf einen möglicherweise entgegenstehenden Willen der Betriebsparteien regelmäßig nicht an. Dies folgt aus dem Normcharakter einer Betriebsvereinbarung, der es ebenso wie bei Tarifverträgen und Gesetzen gebietet, im Interesse der Kontinuität und Rechtsbeständigkeit einer gesetzten Ordnung diese soweit aufrechtzuerhalten, wie sie auch ohne den unwirksamen Teil ihrer Ordnungsfunktion noch enthalten kann (BAG 21.01.2003 - 1 ABR 9/02 - NZA 2003, 1097; BAG 15.05.2001 - 1 ABR 39/00 - NZA 2001, 1154; LAG Hamm 02.09.2008, a. a. O.).

2.2.2Es verbleibt bei einer Unanwendbarkeit des § 2 Abs. 2 BV 2006 keine Teilregelung, die sinnvollerweise aufrecht erhalten werden könnte. Die §§ 1, 3 und 4 BV 2006 enthalten bloße Nebenbestimmungen hinsichtlich des Geltungsbereichs, den Folgen einer Teilunwirksamkeit sowie des Zeitpunkts des Inkrafttretens. Auch in den Absätzen 1 und 3 des § 2 BV 2006 finden sich keine weitergehenden materiellrechtlichen Bestimmungen. Der Regelungsgehalt der BV 2006 erschöpft sich damit eindeutig in der Ersetzungsregelung des § 2 Abs. 2 BV 2006. Die von der Beklagten vertretene Aufspaltung in zwei Regelungen, nämlich einmal die Aufhebung der bisherigen Anpassungsregelung in § 5 Abs. 5 bis 8 RL 89 und zum anderen die Ersetzung des § 16 Abs. 1 BetrAVG durch eine Mindestanpassung nach § 16 Abs. 3 Nr. 1 BetrAVG, erscheint in der Tat künstlich und lässt sich gerade nicht den Bestimmungen der Betriebsvereinbarung entnehmen, die insoweit eindeutigen Charakter hat und dessen klarer Wortlaut eine andere Interpretation nicht zulässt.

2.3In Übereinstimmung mit der Auffassung des Arbeitsgerichts war bei der Anpassungsprüfung zum 01.01.2008 die VPI 2000 zugrunde zu legen, weil die von der Beklagten bevorzugte VPI 2005 unstreitig erst im Februar 2008 veröffentlicht worden ist.

2.3.1Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts richtet sich der Anpassungsbedarf der Versorgungsempfänger nach dem zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlust. Bei der Ermittlung der Kaufkraftentwicklung ist auf die Veränderung des entsprechenden Preisindex abzustellen. Die voraussichtliche Entwicklung der wirtschaftlichen Lage des Unternehmens und die Auswirkungen eines Teuerungsausgleichs müssen, ausgehend von den Verhältnissen am Anpassungsstichtag, abgeschätzt werden. Spätere Veränderungen wirken sich demgegenüber erst auf die nächste Anpassungsprüfung aus oder könnten - ausnahmsweise - zu einem Widerruf der Versorgungszusage wegen wirtschaftlicher Notlage berechtigen (BAG 17.10.1995 - 3 AZR 881/94 - AP Nr. 34 zu § 16 BetrAVG).

2.3.2Die Berufungskammer meint, dass diese Rechtsprechung auch dann heranzuziehen ist, wenn es sich, wie vorliegend, um die Ermittlung des anzuwendenden VPI handelt. Auch hier sollte aus Gründen der Rechtssicherung und Rechtsklarheit in erster Linie auf den Anpassungsstichtag abgestellt werden und auf den zu diesem Zeitpunkt gültigen VPI. Sollte sich dieser dann in der Folgezeit ändern, so hat dies Auswirkungen auf die nächste Anpassungsprüfung, nicht aber auf die zurückliegende.

2.4Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist die Berufungskammer allerdings der Auffassung, dass es dem Kläger verwehrt ist, neben der Anpassung nach § 16 Abs. 1 BetrAVG die von ihm begehrte 1 %-ige Erhöhung seiner monatlichen Altersrente in Anspruch zu nehmen.

2.4.1Das Arbeitsgericht hat in seiner erstinstanzlichen Entscheidung hierzu ausgeführt, dass es zur Beantwortung dieser Frage dahingestellt sein könnte, ob die BV 2006 oder die RL 89 zur Anwendung gelangt.

Dem steht indessen für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit entgegen, dass die BV 2006, wie unter Ziffer 2.2 im Einzelnen dargelegt, insgesamt nichtig ist und deshalb keinerlei Rechtswirkungen mehr entfalten kann.

2.4.2Ein Anspruch auf eine 1 %-ige Erhöhung könnte sich indessen aus der RL 89 ergeben. Bei Anwendung dieser Richtlinie erscheint es dann fraglich, ob der Kläger nicht zu einer Verrechnung mit weiteren Anpassungen/Erhöhungen verpflichtet wäre, wie aus § 5 Abs. 9 RL 89 abgeleitet werden könnte.

Diese Frage kann indessen dahingestellt bleiben, weil es dem Kläger verwehrt ist, sich auf eine alternative Berechnung nach § 5 Abs. 5 - 8 RL 89 zu berufen. Der Kläger hat in beiden Rechtszügen wiederholt und ausdrücklich klargestellt, dass er sich Ansprüche auf Anpassung oder Erhöhung seiner betrieblichen Altersrente nach der RL 89 auch für die Zeit ab dem 01.07.2008 ausdrücklich vorbehalte und im vorliegenden Rechtsstreit nicht geltend mache. Er hat sich nach mehrmaliger Änderung seiner Klageanträge allein auf § 16 Abs. 1 BetrAVG und hinsichtlich der 1 %-Regelung auf die BV 2006 berufen. Dann aber ist es der Kammer verwehrt, in einer alternativen Betrachtungsweise auf Rechtsvorschriften zurückzugreifen, auf die sich der Kläger gerade nicht berufen will.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO i. V. m. § 92 Abs. 2 Ziffer 1 ZPO.

Die erkennende Kammer hat die Revision für die Beklagte zugelassen, weil sie das Vorliegen einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung bejaht hat, § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G :

Gegen dieses Urteil kann von beiden Parteien

R E V I S I O N

eingelegt werden.

Die Revision muss innerhalb einer Notfrist* von einem Monat schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht

Hugo-Preuß-Platz 1

99084 Erfurt

Fax: 0361 2636 2000

eingelegt werden.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung.

Die Revisionsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1.Rechtsanwälte,

2.Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3.Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nummer 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung dieser Organisation und ihrer Mitglieder oder anderer Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

In den Fällen der Ziffern 2 und 3 müssen die Personen, die die Revisionsschrift unterzeichnen, die Befähigung zum Richteramt haben.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

gez.: Göttlinggez.: Drißnergez.: Dorsten