AG Duisburg, Urteil vom 29.10.2009 - 49 C 3398/09
Fundstelle
openJur 2011, 69358
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und die Kosten der Streithelferin hat der Kläger zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagte aus eigenem und abgetretenem Recht seiner Frau D. B. auf Schadensersatz und Reisepreisminderung in Anspruch.

Der Kläger buchte bei der Beklagten für sich, seine Ehefrau und seine drei minderjährigen Kinder eine Flugpauschalreise für insgesamt 21 Tage in die Türkei in das Hotel "A" in Belek zu einem Gesamtpreis von 2.418,00 €. Reisebeginn war der 04.05.2009. Der Rückflug sollte am 25.05.2009 erfolgen.

Am Urlaubsort erkrankten die drei Kinder des Klägers an Windpocken. Bei dem jüngsten Kind, dem Baby L., geboren am 08.07.2008, brach die Krankheit erst am 15.05.2009 aus. Der Kläger ließ auf Anraten eines A.-mitarbeiters vor Ort das Baby am 23.05.2009 im Hospital in Belek ärztlich untersuchen. Hierbei wurde ihm vom behandelnden Kinderarzt nach erfolgter Untersuchung des Babys dessen Flugfähigkeit mittels eines "fit for flight report" (Bl.16 d.GA) bescheinigt. Weiterhin wurde dem Kläger ein "medical report" ausgestellt, in dem der Zustand und die Symptome des Kindes dargestellt wurden.

Am 25.05.2009, dem Tag des geplanten Rückflugs mit der Fluggesellschaft C., legte der Kläger am Flugschalter die "fit for flight"-Bescheinigung vor. Das Flughafenpersonal nahm den Check-In des Klägers und seiner Familie einschließlich des Babys vor. Am Boardingschalter wurde dem Kläger jedoch mitgeteilt, dass der Flugkapitän das Kind des Klägers wegen möglicher Ansteckungsgefahr der anderen Passagiere nicht mitnehmen wolle. Es erfolgte ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem Flugkapitän, bei dem ausdrücklich auf das ärztliche Attest verwiesen wurde. Zudem verschaffte sich der Flugkapitän einen persönlichen Eindruck vom Zustand des Babys. Auch hiernach gab der Flugkapitän nicht sein Einverständnis zur Mitnahme des Babys und begründete dies mit der Ansteckungsgefahr für die anderen Passagiere.

Daraufhin verließen der Kläger und seine Familie den Flughafen. Am 26.05.2009 ließ der Kläger, nach entsprechend erlangter telefonischer Auskunft, ein weiteres Attest über den Gesundheitszustand seines Kindes durch Herrn Dr. K. ausstellen.

Der Rückflug der Familie nach Deutschland erfolgte am Abend des 26.05.2009. Am 27.05.2009 ließ der Kläger seine Tochter von einem Arzt in Deutschland untersuchen. Dieser attestierte, dass von dem Baby am 25.05.2009 keine Ansteckungsgefahr mehr ausgegangen sei.

Der Kläger behauptet, der Flugkapitän habe die Mitnahme des Kindes zu Unrecht verweigert. Die dem Kläger über den Gesundheitszustand des Kindes ausgestellte Bescheinigung "fit for flight report" sei ausreichend gewesen, um die vom Flugkapitän befürchtete Ansteckungsgefahr anderer Passagiere auszuschließen.

Der Kläger behauptet weiterhin, er habe am 26.05.2009 für die Versorgung seiner Familie mit Essen und Getränken umgerechnet 60,00 € ausgegeben, weil er und seine Familie gezwungen gewesen seien, das Hotel L. in Antalya, in welchem die Familie in der Nacht vom 25.05.2009 zum 26.05.2009 übernachtet hätten, bereits ab 11 Uhr zu verlassen. Für die Hotelübernachtung habe er 40,00 € gezahlt, er für das weitere Attest durch Dr. K. 62,50 €. Durch notwendige Telefonate mit seinem Handy mit der A. GmbH und der C. GmbH seien außerdem Telefonkosten in Höhe von 364,19 € entstanden.

Der Kläger ist der Ansicht, der Flugkapitän sei Erfüllungsgehilfe der Beklagten. Wegen der zu Unrecht verweigerten Rückbeförderung sei er zu einer Reisepreisminderung in Höhe von 25 % berechtigt, weil er und seine Familie hierdurch den Erholungseffekt des Urlaubs eingebüßt hätten.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen an den Kläger 1.202,19 € nebst fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass der Flugkapitän in Ausübung seiner luftpolizeilichen Bordgewalt gemäß § 29 LuftVG gehandelt habe. Der medizinische Report irgendeines Arztes sei nicht ausreichend; erforderlich sei ein Gesundheitscheck am Flughafen über den Betreuungshinweis und die medizinischen Angaben durch den Flughafenarzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Dem Kläger stehen gegen die Beklagte weder Ansprüche wegen einer Minderung des Reisepreises noch auf Schadensersatz zu.

Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch wegen einer Minderung des Reisepreises gemäß §§ 651 d Abs. 1, 638 Abs. 3 BGB. Denn schon auf der Grundlage des Klägervortrags kann ein Mangel der Reise nicht festgestellt werden.

Nach dem zugrunde zu legenden subjektiven Fehlerbegriff ist dafür ein Abweichen der erbrachten Leistung von der geschuldeten Leistung erforderlich. Ein Fehler kann insbesondere darin begründet liegen, dass die nach dem Vertrag geschuldete Leistung ganz oder teilweise nicht oder nicht in der gebotenen Weise erbracht wird.

Da die Reise bis zum dem Antritt des Rückflugs beanstandungsfrei verlaufen ist, kommt ein Mangel nur insofern in Betracht, als der Flugkapitän die Beförderung der Tochter des Klägers auf dem Rückflug verweigert hat.

Die Beklagte ist in Bezug auf diese Beanstandung aktivlegitimiert, weil der Flugkapitän insoweit als Erfüllungsgehilfe der Beklagten handelte.

Zwar hat der verantwortliche Luftfahrzeugführer gemäß § 29 Abs.3 LuftVG während des Flugs oder bei Start und Landung die geeigneten Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Sicherheit und Ordnung an Bord zu treffen. Alle an Bord befindlichen Personen haben den hierzu notwendigen Anordnungen Folge zu leisten. Der Flugzeugführer übt insoweit als sog. Beliehener luftpolizeiliche Hoheitsgewalt aus. Daneben hat er als Vertreter der Fluggesellschaft privatrechtliche Weisungsbefugnisse, die sich aus dem mit dem Fluggast geschlossenen Beförderungsvertrag oder Pauschalreisevertrag ergeben (vgl. LG Duisburg, Urteil vom31.05.2007, Az. 12 S 151/06).

Die endgültige Weigerung des Flugkapitäns, die Tochter des Klägers zu befördern, wurde nicht während des Flugs oder bei Start und Landung ausgesprochen. In Anlehnung an Art. 5 Abs. 2 des Tokioter Abkommens vom 14. September 1963 über strafbare und bestimmte andere an Bord von Luftfahrzeugen begangene Handlungen (BGBl. 1969 II, S. 125) ist anerkannt, dass hiermit grundsätzlich der Zeitraum zwischen dem Schließen der Außentüren nach dem Einstieg und dem Öffnen einer Außentür gemeint ist (vgl. LG Berlin, Urteil vom 08.01.2009, Az. 23 O 86/07). Die Hoheitsgewalt des verantwortlichen Luftfahrzeugführers wird unter anderem deshalb begründet, um hoheitliches Handeln auch dann zu ermöglichen, wenn wegen der besonderen Situation bei Start, Flug und Landung sonstige Träger öffentlicher Gewalt im Flugzeug regelmäßig nicht eingreifen können. Vorliegend erfolgte die Verweigerung der Beförderung vor dem Start des Fluges, so dass die Maßnahme des Flugkapitäns nicht seiner Hoheitsgewalt, sondern der Wahrnehmung der ihm als Vertreter der Fluggesellschaft zustehenden privatrechtlichen Weisungsbefugnisse zuzurechnen ist.

Die Verweigerung der Beförderung durch den Flugkapitän stellt jedoch keinen Reisemangel dar.

Wird ein Reisender zu Unrecht aus dem Flugzeug gewiesen, so ist hierin ein zur Minderung führender Mangel der Reise zu sehen (vgl. LG Duisburg, Urteil vom 31.05.2007, Az. 12 S 151/06). Dass der Tochter des Klägers von Seiten des Flugkapitäns der Zutritt zum Flugzeug untersagt und damit die gebuchte Flugreiseleistung versagt worden ist, ist zwischen den Parteien unstreitig.

Allerdings war diese Verweigerung der vertraglichen Leistung durch den Flugkapitän gerechtfertigt.

Dabei ist zu beachten, dass dem Flugkapitän im Rahmen der Ausübung seiner Bordgewalt ein gewisses Ermessen zusteht, über das Bestehen einer Fremd- oder Eigengefährdung zu urteilen. Eine zu Unrecht erfolgte Verweigerung der Beförderung liegt nur dann vor, wenn dem Flugkapitän bei seiner Entscheidung ein Ermessensfehler vorgeworfen werden kann. Ein solcher Ermessensfehler liegt hier nicht vor.

Der Flugkapitän hat die Weigerung des Transports der Tochter des Klägers mit dem Schutz der anderen Passagiere vor der Ansteckung mit Windpocken, mithin mit einer Gesundheitsgefährdung der Passagiere begründet.

Es bestanden hinreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen einer solchen Gefährdung. Denn die Tochter des Klägers zeigte unstreitig äußere Anzeichen einer Erkrankung mit Windpocken. Auch ist dem von dem Arzt Dr. C. ausgestellten "medical report" (Bl.18 d.GA) zu entnehmen, dass das Kind noch am 23.05.2009 um 11 Uhr an juckenden Pusteln an Kopf, Körper und Gesicht litt. Aufgrund dieser Symptombeschreibung war es durchaus möglich, dass eine Ansteckungsgefahr noch bestand.

Soweit der Kläger vorträgt, am 23.05.2009 sei durch den "fit for flight report" die Flugfähigkeit des Babys ärztlich bescheinigt worden, schließt dies eine Ansteckungsgefahr des Kindes nicht aus. Denn der "fit for flight report" bescheinigt lediglich, dass eine Untersuchung des Babys stattgefunden hat und dass das Kind flugfähig war. Damit wird ausschließlich auf den Gesundheitszustand des Babys eingegangen, nicht hingegen auf eine mögliche Ansteckungsgefahr.

Eine Stellungnahme zur Ansteckungsgefahr enthält lediglich das weitere vom Kläger vorgelegte Attest vom 26.05.2009 des Arztes Dr. K. (Bl.15 der GA). Diesem Attest ist jedoch nur die Feststellung des Arztes zu entnehmen, dass eine Ansteckungsgefahr mit Windpocken von dem Kind zu dem Zeitpunkt der Ausstellung, also einen Tag später, nicht mehr ausging.

Auch das vom Kläger vorgelegte in Deutschland ausgestellte Attest vom 27.05.2009 belegt nicht, dass am 25.05.2009 eine Ansteckungsgefahr auszuschließen war. Zwar hat der behandelnde Kinderarzt in dem Attest erklärt, dass am 25.05.2009 keine Ansteckungsgefahr mehr von dem Baby ausgegangen sei; zur Begründung hat er sich jedoch im Wesentlichen auf die Angabe des Klägers und seiner Ehefrau zum Beginn der Erkrankung und auf das Attest vom 23.05.2009 gestützt, das zu einer Ansteckungsgefahr keine Angaben macht. Im Übrigen lag dieses Attest dem Flugkapitän gerade nicht vor, so dass er es seiner Entscheidung nicht zugrunde legen konnte.

Für die Entscheidung des Flugkapitäns, die Tochter des Klägers nicht zu befördern, war vielmehr der durch die persönliche Begutachtung des Kindes gewonnene Eindruck ausschlaggebend. Der Kläger hat nicht bestritten, dass der Flugkapitän sich das Kind angesehen hat, um die Krankheitserscheinungen beurteilen zu können. Aufgrund dieses persönlichen Eindrucks hat der Flugkapitän gefolgert, dass eine Ansteckungsgefahr nicht auszuschließen sei. In Anbetracht der Tatsache, dass an dem Baby unstreitig noch deutlich Pusteln zu erkennen waren, erscheint die Entscheidung des Flugkapitäns nicht ermessensfehlerhaft.

Dabei kann dahinstehen, ob der Flugkapitän tatsächlich den medizinischen Dienst des Flughafens kontaktiert hat. Denn es ist bekannt, dass Windpockenviren hoch ansteckend sind und eine Ansteckung über die Luft auch ohne direkten Kontakt möglich ist. Allgemein bekannt ist auch, dass die Krankheit bei Kindern zwar meist ungefährlich ist, bei Erwachsenen jedoch größere Komplikationen drohen, so sind etwa Hirnhautentzündungen und eine Erkrankung mit Gürtelrose zu befürchten. Angesichts dieser erheblichen Gefahren, des kurzen Entscheidungszeitraums und des äußeren Erscheinungsbildes der Tochter des Klägers sowie der Tatsache, dass das vom Kläger vorlegte Attest die Ansteckungsgefahr nicht ausschloss, war die Entscheidung des Flugkapitäns nachvollziehbar und damit ermessensfehlerfrei; die Verweigerung der Beförderung erfolgte zu Recht.

Da ein Reisemangel nicht vorliegt, steht dem Kläger auch kein Anspruch auf Schadensersatz gemäß § 651 Abs.1 BGB zu.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Der Streitwert wird endgültig auf 1.211,19 € festgesetzt.