LG Köln, Urteil vom 29.07.2009 - 25 O 305/08
Fundstelle
openJur 2011, 68719
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft gemäß § 84a AMG zu erteilen über sämtliche ihr bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und diesbezügliche Verdachtsfälle hinsichtlich einer schädlichen Wirkung ausgehend von dem durch die Beklagte vertriebenen Arzneimittel "Zoloft", soweit diese Erkenntnisse Suizide und Suizidversuche betreffen sowie über sämtliche Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit solcher schädlicher Wirkungen des Medikaments von Bedeutung sein können, insbesondere sämtliche Schadensmeldungen seit Einführung des Produktes.

Bezüglich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten wird die Klage abgewiesen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 5.000,00 €.

Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Tatbestand

Die Kläger verlangen aus ererbtem Recht ihrer am 21.04.2005 verstorbenen Mutter und Ehefrau L1(im Folgenden: Patientin) von der Beklagten als Herstellerin und Vertreiberin des Medikamentes "A1" Auskunft über sämtliche ihr bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen sowie bekannte Verdachtsfälle.

Die am 8.10.1955 geborene Patientin litt Anfang 2005 unter Depressionen und suchte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. L2 auf. Diese dokumentierte für Montag, den 4.4.2005, dass sie der Patientin zur Einnahme von "A1" 25 mg täglich geraten habe (Anlage B5 im Anlagenordner). Die Patientin hatte das Präparat bereits im März 2005 auf Verschreibung ihrer Neurologin eingenommen, wegen Einschlafstörungen jedoch nach der ersten Einnahme abgesetzt. Die Patientin wollte mit der Einnahme am Wochenende beginnen, weil sie durch die Anwesenheit ihres Ehemannes Sicherheit gewönne. Bei einer Vorstellung am 19.4.2005 dokumentierte die behandelnde Ärztin, dass die Patientin eine Woche "A1" eingenommen habe. Gegenüber der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler gab sie an, die Patientin habe ihr mitgeteilt, sie habe am 18. und 19.4.2005 eine ganze Tablette eingenommen. Wegen wieder eingetretener Schlafstörungen sollte das Medikament aber abgesetzt werden. Zeitgleich nahm die Patientin die Medikamente T1 und I1 ein.

Am 21.04.2005 nahm sich die Patientin das Leben.

Im Jahr 2007 wurde in die Packungsbeilage des Medikaments "A1" als Nebenwirkung ein Warnhinweis dahingehend aufgenommen, dass Suizidgedanken und damit zusammenhängendes Verhalten auftreten könne (SH 1, Anlage K 3).

Die Kläger behaupten, die Patientin habe ab dem 9.4.2005 täglich 25 mg und am 18.04.2005 und 19.04.2005 50 mg eingenommen. In der Packung, die dem Kläger zu 2) noch vorläge, fehlten 6 Tabletten.

Die Kläger behaupten, der Suizid der Patientin sei durch die Einnahme des Medikamentes verursacht worden. Aufgrund des wissenschaftlichen Erkenntnisstandes hätten schon im Jahr 2005 Warnhinweise bezüglich des Suizidrisikos in die Packungsbeilage aufgenommen werden müssen. Die Beklagte habe ihre Produktbeobachtungspflicht verletzt.

Die Kläger beantragten und erhielten einen positiven Bescheid gem. § 84a Abs. 2 AMG über Akteneinsicht bei dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Dieser Bescheid ist mittlerweile bestandskräftig.

Die Kläger beantragen,

die Beklagte zu verurteilen, Auskunft gemäß § 84a AMG zu erteilen über sämtliche ihr bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen und diesbezügliche Verdachtsfälle hinsichtlich einer schädlichen Wirkung ausgehend von dem durch die Beklagte vertriebenen Arzneimittel "A1", soweit diese Erkenntnisse Suizide und Suizidversuche betreffen sowie über sämtliche Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit solcher schädlicher Wirkungen des Medikaments von Bedeutung sein können, insbesondere sämtliche Schadensmeldungen seit Einführung des Produktes. die Beklagte zu verurteilen, für den Fall der nicht richtigen oder nicht vollständigen Auskunftserteilung die Richtigkeit und Vollständigkeit durch Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung zu erklären. die Beklagte zu verurteilen, an sie die außergerichtlich angefallene Geschäftsgebühr in Höhe von 1.882,80 € zu zahlen.

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagten meinen, die Kläger hätten nicht ausreichend dargelegt, dass die Patientin das Arzneimittel verordnet bekommen und eingenommen hätte.

Sie bestreiten die Kausalität zwischen der Einnahme und dem Suizid, weil es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass "A1" geeignet sei, den Suizid der Patientin zu verursachen. Dieser beruhe auf der Grunderkrankung. Angesichts der kurzen Einnahmedauer und der Unterdosierung -die empfohlene Tagesdosis betrage 50 mg- habe keine antidepressive Wirkung erzielt werden können. Wegen der Halbwertszeit von einem Tag habe am 21.4.2005 jedenfalls keine antidepressive Wirkung mehr vorgelegen. Der Suizid sei auch keine Absetzreaktion. Zum einen seien Absetzreaktionen erst nach längerer Einnahmedauer zu beobachten, zum anderen handele es sich bei Suizid nicht um eine Absetzreaktion. Schließlich sei das Nutzen-Risiko-Profil des Medikaments jederzeit positiv gewesen und die Produktinformation habe den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprochen. Auch die weiteren Arzneimittel von der Patientin eingenommenen Arzneimittel T1 und I1 hätten die den Suizid auslösende Stimmung herbeiführen können.

Sie berufen sich außerdem darauf, dass die Auskunft zur Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch gegeben sei, nicht erforderlich sei. Schließlich berufen sie sich auf die Verjährung des Schadensersatzanspruchs. Der Kläger zu 2) habe Kenntnis von den anspruchsbegründenden Tatsachen gehabt, weil er sich bereits im Mai 2005 an die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft gewandt habe.

Gründe

Die Klage ist in der ersten Stufe begründet. Die Kläger haben gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auskunftserteilung gem. § 84a AMG aus ererbtem Recht. Gem. § 84a Abs. 1 AMG kann der Geschädigte von dem pharmazeutischen Unternehmer Auskunft verlangen, wenn Tatsachen vorliegen, die die Annahme begründen, dass ein Arzneimittel einen Schaden verursacht hat. Diese Voraussetzungen liegen vor.

1.

Die Patientin hat das Mittel "A1" vom 8.9.2005 bis zum 19.05.2005 eingenommen. Hiervon ist die Kammer aufgrund der Anhörung des Klägers zu 2), dessen Angaben sich mit den bei der Akte befindlichen Unterlagen der Ärztin Dr. L2 decken, überzeugt. Der Kläger zu 2) hat glaubhaft erklärt, seine Ehefrau habe das Medikament ab dem 9.4.2005 zunächst in einer Dosis von 25 mg eingenommen. Weil sie erneut mit Unruhe reagiert habe, habe sie versucht, die Ärztin zu erreichen, die ihr am 18.04.2005 geraten habe, weitere 25 mg einzunehmen und am Folgetag zu ihr zu kommen. Daraufhin habe seine Frau am 18.4.2005 weitere 25 g und am 19.04.2005 eine Dosis von 50 mg eingenommen. Er hat sich hierzu auf die handschriftlichen Eintragungen seiner verstorbenen Frau in deren Taschenkalender bezogen, in dem am 9.4.2005 "1. A1 50 ½" und am 18.4.2005 "+ mittags ½ A1" eingetragen ist, und die angebrochene Packung "A1" vorgezeigt. Seine Angaben decken sich mit den Aufzeichnungen der Ärztin Dr. L2. Diese dokumentierte für den 4.4.2005, dass die Patientin am 1.3.2005 "A1" 50 mg eingenommen habe, dass sie nun mit 25 mg starten solle. Am 19.4.2005 dokumentierte sie, dass die Patientin das Medikament eine Woche eingenommen habe (Anlage B 5 im Anlagenordner). Auch in ihrer Stellungnahme für die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler vom 11.7.2005 (Anlage B7 im Anlagenordner) beschrieb Frau Dr. L2, dass sie der Patientin am 4.4.2005 zur Einnahme mit halbierter Dosis geraten habe und die Patientin ihr am 19.4.2005 berichtete, das Medikament eine Woche lang zunächst mit 25 mg und am 18.4. und 19.4.2005 mit 50 mg eingenommen habe. Dass in dem Taschenkalender der Patientin nur am 9.4.2005 und am 18.4.2005 eine Eintragung über die Einnahme existiert, steht dem nicht entgegen. Dies kann darauf beruhen, dass die Patientin nur jeweils den Einnahmebeginn und Dosiserhöhungen notiert hat.

Dass keine Verordnung über das Medikament vorliegt, ist irrelevant, weil es sich um eine unverkäufliche Musterpackung handelte.

2.

Es liegen auch Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, das betreffende Arzneimittel habe den Schaden verursacht.

Nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 14/7752 vom 7.12.2001, S. 20 ff.) sollen dem Geschädigten, der den Weg des angewandten Arzneimittels von der Forschung an nicht überschauen kann, die zur Geltendmachung der ihm zustehenden Ansprüche notwendigen Tatsachen zugänglich gemacht werden, damit er schon vor einem gerichtlichen Verfahren prüfen kann, ob er einen Schadensersatzanspruch habe. Er muss dazu Tatsachen dartun, die die Annahme begründen, dass das Arzneimittel einen Schaden verursacht habe. Dafür reicht ein geäußerter unbestimmter Verdacht nicht aus, andererseits ist auch nicht der Vollbeweis einer Kausalität zu führen. Vielmehr wird dem Richter eine Plausibilitätsprüfung aufgetragen, ob die vorgetragenen Tatsachen den Schluss auf eine Ursache/Wirkung-Beziehung zwischen dem Arzneimittel und dem Schaden ergeben (BT-Drs. 14/7752 vom 7.12.2001, S. 20 ff.). Indiztatsachen können z.B. die Dosierung des Medikaments, die Art und Dauer seiner Anwendung, der zeitliche Zusammenhang zum Schadenseintritt, das Schadensbild, der gesundheitliche Zustand des Geschädigten im Zeitpunkt der Medikamenteneinnahme und vergleichbare Schadeneintritte bei anderen Personen sein (Sander, Arzneimittelrecht, 45. Lieferung, November 2007, Band 2, § 84 a C4). Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Auskunftsanspruch die Geltendmachung des Haftungsanspruchs vorbereiten soll, der schon eingreift, wenn das Arzneimittel im Einzelfall geeignet ist, den Schaden zu verursachen. Die Anforderungen an die Darlegung des Auskunftsanspruchs dürfen nicht strenger sein. Erst recht können nicht solche Tatschen verlangt werden, die einen umfänglichen Sachverständigenbeweis erforderten, weil der Auskunftsanspruch gerade der Gewinnung von Tatsachen und Erkenntnissen dient. Es dürfen also keine übertriebenen Anforderungen an die Substantiierungspflicht gestellt werden (Ufer Metzmacher, Die Durchsetzbarkeit von Ansprüchen aus Arzneimittelhaftung, JR 2009, 95, 97).

Nach Maßgabe dieser Grundsätze liegen Tatsachen vor, die die Annahme rechtfertigen, das Arzneimittel habe den Schaden verursacht. Denn eine Schadensverursachung durch das Medikament erscheint plausibel. Zum einen liegt ein zeitlicher Zusammenfall mit der Einnahme des Medikaments vom 9.4.2005 bis zu seiner Absetzung am 19.4.2005 und dem Suizid am 21.4.2005 vor. Es gibt außerdem weitere Verdachtsfälle, in denen das Medikament bzw. dessen Absetzung Suizidgedanken ausgelöst haben sollen. Des Weiteren wurde in der Packungsbeilage, Stand 7/2007 (SH 1 Anlage K3), im Rahmen der Nebenwirkungen auf "...Psychiatrische Erkrankungen ... Selten: Suizidgedanken und damit zusammenhängendes Verhalten..." hingewiesen. Schließlich ergibt sich aus der Entscheidung der Europäischen Kommission vom 19.08.2005, dass das Arzneimittel jedenfalls bei Kindern und Jugendlichen grundsätzlich geeignet ist, Suizidgedanken auszulösen und zu verstärken. Bei Vorliegen dieser grundsätzlichen Eignung muss den Klägern auch im Rahmen des Auskunftsanspruchs der Gedanke der Beweislastumkehr des § 84 Abs. 2 AMG zu Gute kommen, wonach bei einer grundsätzlichen Eignung des Medikaments für die Schadensverursachung den pharmazeutischen Unternehmer die Beweislast trifft.

Dass die Patientin parallel zu dem Medikament auch die Medikamente T1 und I1 einnahm, ist in diesem Zusammenhang irrelevant. Denn gem. § 84 Abs. 2 S. 3 AMG liegt grundsätzlich ein anderer Umstand, der nach den Gegebenheiten des Einzelfalls geeignet ist, den Schaden zu versuchen und der zu einer Nichtanwendung der Beweislastumkehr des § 84 Abs. 2 AMG führen würde, nicht in der Anwendung weiterer Arzneimittel, die geeignet sein können, den Schaden zu verursachen. Dies muss auch im Rahmen des Auskunftsanspruchs gelten.

Dass die im Dezember 2006 vorgestellte Metaanalyse der amerikanischen FDA die die Beklagte ohne nähere Darlegungen in Bezug genommen hat, zu dem Ergebnis gekommen sei, zwischen der Einnahme von Antidepressiva und Suizidalität bei Erwachsenen gebe es keinen kausalen Zusammenhang, führt nicht dazu, dass der Zusammenhang zwischen dem Suizid der Patientin und der Einnahme des Medikaments nicht plausibel ist. Spezifische Aussagen zu dem Medikament A1 enthält diese Untersuchung nicht, ebenso nicht die weiteren von der Beklagten angeführten Studien.

3.

Die Beklagten können sich nicht darauf berufen, dass die Auskunftserteilung für die Feststellung, ob ein Schadensersatzanspruch besteht, nicht erforderlich sei, § 84a Abs. 1 S. 1 aE AMG. Hierbei handelt es sich um eine Einwendung, für die die Beklagte die Darlegungs- und Beweislast trifft. Die Auskunftserteilung ist nicht erforderlich, wenn ein Ersatzanspruch gem. § 84 AMG von vornherein nicht in Betracht kommt, weil das Medikament nicht bestimmungsgemäß eingenommen wurde, der Anspruch verjährt ist oder der Geschädigte die Informationen auf einem anderen Wege in zumutbarer und gleichwertiger Weise erlangen kann (vgl. Ufer/Metzmacher, aaO, S. 97). Dies ist hier nicht der Fall.

Dass ein Schadensersatzanspruch mangels bestimmungsgemäßen Gebrauchs des Medikaments ausscheide, hat die Beklagte nicht ausreichend dargelegt. Dies folgt insbesondere nicht daraus, dass die Patientin das Medikament zunächst nur in einer Dosis von 25 mg einnahm. Insoweit ist der medizinrechtlich spezialisierten Kammer bekannt, dass Antidepressiva oft "eingeschlichen" werden. Soweit die Beklagte eine Indikation für die Einnahme des Medikaments bestreitet, weil der Kläger zu 2) zunächst die Ärztin Dr. L2 wegen eines Behandlungsfehlers in Anspruch nehmen wollte, ist dieses Bestreiten unsubstantiiert, weil sich aus sämtlichen von der Beklagten vorgelegten Unterlagen eine Depression der Patientin ergibt (Tagesprotokoll von Dr. L2, Auflistung der Krankenkasse, Krankenakte von Dr. L, Krankenakte von Dr. M = Anlagen B 4, 3, 12, 15 des Anlagenordners). Es steht zudem im Widerspruch zum eigenen Vortrag der Beklagten in der Klageerwiderung, wonach der Suizid auf die schwere depressive Erkrankung der Patientin zurückzuführen sei (Bl. 9 der Klageerwiderung, Bl. 26 d.A.).

Der Kläger zu 2) hat sich auch nicht in Widerspruch zu seinem bisherigen Prozessvortrag gesetzt, indem er in der mündlichen Verhandlung erklärt hat, er wisse nicht, ob seine Frau tatsächlich an einer Depression gelitten habe, glaube aber, sie hätte nur Angst gehabt, eine Depression zu bekommen. Damit wollte er ersichtlich keine medizinisch fundierte Stellungnahme zu der Indikation des Medikaments abgeben, sondern hat nur seine persönliche, laienhafte Sicht wiedergegeben.

Soweit die Beklagten bestreiten, dass den Klägern ein Schadensersatzanspruch gem. § 84 AMG zustehe, weil zwischen dem Suizid der Patientin und der Einnahme des Medikamentes kein Zusammenhang bestehe, weil das Medikament unterdosiert genommen worden sei, die Einnahmedauer zu kurz gewesen sei und die klinischen Studien mit Antidepressiva kein erhöhtes Risiko für Erwachsene über 24 Jahren zeigten, ist dies im Rahmen des vorbereitenden Auskunftsprozesses irrelevant. Denn diese Fragen könnten nur durch eine umfangreiche Beweisaufnahme geklärt werden. Müsste schon im Auskunftsprozess über sämtliche Anspruchsvoraussetzungen des § 84 AMG Sachverständigenbeweis erhoben werden, würde der Zweck, dem Geschädigten Informationsmaterial zur Entscheidung über die Führung eines Schadensersatzprozesses zugänglich zu machen, unterlaufen werden. Diese Beweiserhebung muss dem Schadensersatzprozess vorbehalten bleiben.

Die Beklagten können sich auch nicht darauf berufen, dass der zugrunde liegende Anspruch verjährt sei. Zwar hat sich der Kläger zu 2) schon im Jahr 2005 (Anlage B 57 im Anlagenordner) an die Arzneimittelkommission gewandt, weil die Fachinformation nicht ausreichend sei und seines Erachtens nicht nur bei Kindern eine negative Nutzen/Risikenabwägung vorliege. Die diesem Schreiben zugrunde liegende Mutmaßung reicht jedenfalls nicht dafür aus anzunehmen, dass der Kläger zu 2) die für die Durchsetzung des Anspruchs gem. § 84 S. 2 Nr. 1 AMG erforderliche Kenntnis hatte. Denn um den Lauf der Verjährungsfrist in Gang zu setzen, muss der Kläger Kenntnis davon haben, dass es sich um ein Arzneimittel handelt, bei dem nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, dass es bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. Hierzu genügt nicht, dass der Kläger zu 2) den Suizid seiner Ehefrau mit dem Medikament "A1" in Verbindung gebracht hat. Er muss zusätzlich wissen, dass die aufgetretenen schädlichen Wirkungen bei bestimmungsgemäßer Anwendung entstehen, also nicht auf eine Fehldiagnose, eine falsche Dosierung oder eine fehlerhafte, nicht bestimmungsgemäße Verbindung mit anderen Medikamenten zurückgehen können. Zudem müssen ihm die Umstände bekannt sein, die den Schluss tragen, dass die schädlichen Wirkungen im Verhältnis zu dem Nutzen einer bestimmungsgemäßen Anwendung nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft unvertretbar sind (BGH, NJW 1991, 2351, 2352). Diese Voraussetzungen lagen im Jahr 2005 noch nicht vor. Vielmehr soll erst der Auskunftsprozess den Klägern die entsprechende Kenntnis verschaffen.

Für den Einwand der Verjährung ist auch nicht maßgeblich, ob die Kläger in der Hauptsache einen Anspruch gem. § 84a Abs. 1 Nr. 1 oder 2 AMG verfolgen wollen. Eine Festlegung ist für den Auskunftsanspruch nicht erforderlich. Zum anderen gehen die Kläger in der Klageschrift von einer Haftung nach beiden Nummern aus (Bl. 4 d.A.)

Der Anspruch ist schließlich auch trotz der Einsichtnahme in die Unterlagen des Bundesinstituts für Arzneimittel erforderlich. Dass diesem sämtliche Unterlagen über Verdachtsfälle vorliegen, von denen die Beklagte Kenntnis erlangt hat, hat die Beklagte nicht behauptet. Dass dies nicht der Fall ist, sondern der Zulassungsbehörde nicht sämtliche Unterlagen der Beklagten vorliegen, folgt auch aus dem Bescheid des Bundesinstituts vom 16.03.2009.

4.

Der Anspruch ist auch nicht durch die im Rahmen dieses Verfahrens zur Akte gereichten Unterlagen erfüllt. Der Auskunftsanspruch erstreckt sich auf dem pharmazeutischen Unternehmer bekannte Wirkungen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie ihm bekannt gewordene Verdachtsfälle von Nebenwirkungen und Wechselwirkungen sowie sämtliche weiteren Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit schädlicher Wirkungen von Bedeutung sein können. Dem kann der Unternehmer zum Beispiel nachkommen, indem er die Berichtsbögen der ihm übermittelten Verdachtsfälle unerwünschter Arzneimittelwirkungen zur Verfügung stellt (Hieke, Die Auskunftspflicht des pharmazeutischen Unternehmers nach § 84a Abs. 1 AMG, PharmaR 2005, 35, 40); weiter sind die Erkenntnisse, die für die Bewertung der Vertretbarkeit der konkreten in Frage stehenden schädlichen Wirkungen von Bedeutung sein können, offenzulegen. Danach muss der Unternehmer Informationen offenbaren, die sich auf das beim Anspruchsteller aufgetretene Krankheitsbild beziehen, offenlegen.

Eine Auskunft, die den oben dargestellten Anforderungen entspricht, ist im Rahmen dieses Rechtsstreits nicht erteilt worden. Mit der Vorlage von Berichten und/oder Studien über die Verträglichkeit des Medikaments ist keine Auskunft über konkrete, der Beklagten selbst bekannt gewordenen Verdachtsfälle verbunden.

Wegen der außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist die Klage abzuweisen. Die Kläger tragen keine Tatsachen vor, aus denen folgt, dass die Beklagte bei Beauftragung ihrer Prozessbevollmächtigten mit der Erfüllung des Auskunftsanspruches in Verzug waren, was Voraussetzung für eine Haftung gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB ist.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert:

10.000,00 €