OLG Hamm, Urteil vom 04.12.2009 - 20 U 131/09
Fundstelle
openJur 2011, 68555
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 22.04.2009 verkündete Urteil der 22. Zivilkammer des Landgerichts Dortmund wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten der Berufung.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages erbringt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, der eine Versicherungsagentur für die W AG betreibt, Schadensersatz wegen behaupteter Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit dem Abschluss eines Versicherungsvertrages auf der Grundlage des Gesetzes zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechtes.

Der Zeuge T, Ehemann der Klägerin, ist seit 1994 Kunde des Beklagten. Er nahm über diesen mehrfach Fahrzeugversicherungen (Teil- bzw. Vollkasko) bei der X. Für ein früher gehaltenes Wohnmobil bestand zunächst eine Fahrzeugvollversicherung. Zum 28.02.2006 wurde auf Betreiben des Zeugen T nur noch eine Fahrzeugteilversicherung unterhalten (vgl. Bl. 65/66 d. A.). Das so versicherte Fahrzeug und einen gebrauchten Pkw Daewoo gab der Zeuge in Zahlung, als er am 04.06.2007ein anderes Wohnmobil zu einem Kaufpreis von insgesamt 21.900,00 € mit einem Kilometerstand von 94.200 erwarb (Bl. 92 d. A.). Der danach noch an den Verkäufer zu entrichtende Betrag von 10.700,00 € wurde durch die Inanspruchnahme eines Kredites finanziert. Da auch dieses neu erworbene Fahrzeug über das Büro des Beklagten bei der X versichert werden sollte (VN sollte die Klägerin sein) begab sich der Zeuge T im Auftrag der Klägerin am 11.06.2007 in die Geschäftsräume der Beklagten und sprach mit der Zeugin N, einer Mitarbeiterin des Beklagten. Die Einzelheiten des Gespräches sind zwischen den Parteien streitig. Streitig ist auch, ob dem Zeugen das aus Bl. 111 d. A. ersichtliche Angebot überreicht wurde. Unstreitig wurde der Klägerin ein Versicherungsschein vom 29.06.2007 übersandt, der "nur" eine Kfz-Haftpflicht- und eine Teilkaskoversicherung umfasste (vgl. Bl. 7 d. A.).

Mit Schreiben vom 06.09.2007 wandte sich die Klägerin über ihren Prozessbevollmächtigten an den Beklagten und machte geltend, dass das Wohnmobil bei einem Unfall vom 02.09.2007 einen Schaden erlitten habe; die Zeugin N habe es versäumt, auf den notwendigen Abschluss einer Vollkaskoversicherung hinzuweisen.

Die X wurde zuvor wegen des Unfalles nicht in Anspruch genommen.

Die Klägerin hat behauptet, der Zeuge T habe der Zeugin N erklärt, er habe das alte Wohnmobil und den Pkw Daewoo in Zahlung gegeben, den Differenzbetrag habe er finanzieren müssen. Die Finanzierungszeit betrage 4 Jahre. Die Zeugin N habe gefragt, ob das neue Wohnmobil wie das alte Wohnmobil versichert werden solle. Daraufhin habe der Zeuge T erwidert, dass sie dies zunächst so machen könne. Die Zeugin N habe erklärt, dass sie das neue Wohnmobil zu den gleichen Konditionen versichern werde, wie das in Zahlung gegebene alte Wohnmobil.

Das Wohnmobil sei - geführt von einem Bekannten - am 02.09.2009 verunfallt; es sei bei einem Überholvorgang ins Schlingern geraten und verunfallt liegen geblieben. An dem Fahrzeug sei ein erheblicher Sachschaden in Höhe von, 21.320,55 € netto entstanden. Die Klägerin beziffert den Schadensersatzanspruch auf insgesamt 22.670,02 € (vgl. Bl. 4).

Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen an sie,

1.) 22.670,02 € nebst 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.12.2007 zu zahlen,

2.) 1.085,04 € (außergerichtliche Rechtsanwaltskosten) nebst 5 %-Punkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 17.12.2007 zu zahlen

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat behauptet, die Zeugin N habe den Zeugen T gefragt, wie das Wohnmobil versichert werden solle. Darauf habe der Zeuge T2 erklärt; "Wie bisher". Dieser habe zudem erklärt, der bisherige Wert in Höhe von 21.000,00 € könne beibehalten werden. Der Zeuge T habe am Ende des Gespräches ein ausgedrucktes Angebot erhalten, welches ihm zur Prüfung binnen zwei Tagen übergeben worden sei. Nach zwei Tagen sei der Zeuge T erneut erschienen und habe um die Policierung des Vertrages auf der Grundlage des Angebots vom 11.06.2007 gebeten.

Der Fahrer habe den Unfall (gegebenenfalls) durch überhöhte Geschwindigkeit grob fahrlässig herbeigeführt, so dass der Versicherer gemäß. § 61 WG a.F. leistungsfrei geworden wäre. Er hat weitere Einwendungen zur Höhe (500,00 € Selbstbeteiligung/500,00 € Vertragsstrafe) erhoben.

Das Landgericht hat die Klägerin angehört und die Zeugen T und N vernommen (Bl. 92 ff. d. A.). Es hat die Klage abgewiesen.

Die Zeugin N habe die anlassbezogene Fragepflicht aus § 42 C VV a. F. nicht verletzt. Der Zeuge T habe einen klar artikulierten fest abgegrenzten Wunsch geäußert. Danach habe Einigkeit bestanden, dass das Fahrzeug "wie bisher", also teilkaskoversichert, werden sollte. Eine Verletzung der Beratungspflicht sei im Hinblick auf den eindeutig geäußerten Wunsch zum Abschluss einer Teilversicherung nicht gegeben. Die Verletzung der Dokumentationspflicht habe jedenfalls nicht zu einem Schaden bzw. zu einem Beweisnachteil geführt.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Mit ihrer Berufung verfolgt die Klägerin unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ihr erstinstanzliches Begehren weiter. Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil. Unstreitig unter den Parteien ist, dass die Zeugin N den Ehemann der Klägerin gefragt hat, wie er das Fahrzeug versichert haben möchte. Unstreitig hat der Ehemann der Klägerin geantwortet: "wie bisher".

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht zu. Das Urteil des Landgerichts erweist sich sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung als zutreffend. Zur Vermeidung von Wiederholung nimmt der Senat vollumfänglich Bezug auf die überzeugenden Ausführungen im angefochtenen Urteil. Im Hinblick hierauf sieht der Senat nur noch Anlass zu folgenden - ergänzenden - Ausführungen:

1.) Als Anspruchsgrundlage kommt nur die - durch die Vermittlerrichtlinie eingeführte und vom 22.05.- 31.12.2007 geltende - abschließende - Regelung des § 43 e VVG a. F. (der die Regelung des § 63 VVG n. F. entspricht) in Betracht (vgl. hierzu z. B. Reiff, Das Gesetz zur Neuregelung des Versicherungsvermittlerrechts, VersR 2007, 717; Fetzer; Das neue Recht für Versicherungsvermittler, juris-PR-VersR 1/2007, 2/2007 und 5/2007; Reiff in Beckmann/Matusche-Beckmann, VRHB, 2. Aufl., § 5 RdNr. 154 ff.) und zwar wegen der Verletzung der aus § 42 c VVG a. F. folgenden Fragepflicht bzw. Beratungspflicht und Dokumentationspflicht (§ 61 VVG n. F.).

2.) Die Zeugin N hat vorliegend weder die anlassbezogene Fragepflicht noch die darauf aufbauende Beratungspflicht verletzt.

Zwar muss der Vertreter bei der Vermittlung von Versicherungsschutz den Kunden nach dessen Wünschen und Bedürfnissen befragen. Dies gilt aber nur, wenn und soweit nach der Schwierigkeit der angebotenen Versicherung oder nach der Person oder Situation des Kunden hierfür Anlass besteht. Äußert der Kunde einen klar artikulierten fest abgegrenzten Wunsch, so ist der Vertreter regelmäßig nicht zur Befragung verpflichtet. Zur Durchführung einer Risikoanalyse ist der Vertreter ohnehin nicht verpflichtet (Reiff VRH, RdNr. 162 unter Hinweis auf BT-Drucks. 16/1935, S. 24; Fetzer aaO 5/2007).

Vorliegend hat die Zeugin N den Zeugen T unstreitig gefragt, wie das Fahrzeug versichert werden solle. Hierauf hat der Zeuge T - insoweit ebenfalls unstreitig - erklärt, das Fahrzeug solle "wie bisher" versichert werden. Im Hinblick darauf, dass das "bisherige" Fahrzeug nur haftpflicht- und teilkaskoversichert war - was sowohl dem Zeugen T als auch der Zeugin N bekannt und auch präsent war - kann diese Äußerung nach Auffassung des Senats - entgegen der von der Klägerin noch zuletzt im Schriftsatz vom 27.11.2009 geäußerten Auffassung - nur als klar artikulierter und fest abgegrenzter Wunsch gewertet werden, das neu zu versichernde Fahrzeug ebenso zu versichern, wie das bisherige, also ebenfalls nur in Bezug auf Haftpflicht und Teilkasko, nicht aber Vollkasko.

Bei dieser Sachlage bestand für die Zeugin N auch keine weitergehende Beratungspflicht. Zum einen handelt es sich bei der Haftpflicht- und Kaskoversicherung um ein Standardprodukt im Massengeschäft mit verhältnismäßig geringer Prämie (vgl. hierzu § 42c Abs. 1 Satz 2 VVG a. F.). Zum anderen bestand bei dem Zeugen T ersichtlich überhaupt kein Beratungsbedarf. Dieser kann - abgestellt auf die Argumentation der Klägerin - nur darin gelegen haben, die Unterschiede zwischen Teil- und Vollkasko aufzuzeigen. Diese Unterschiede waren dem Zeugen T aber bekannt. So hatte er die Vollkaskoversicherung für das "alte" Wohnmobil zum 28.02.2006 gekündigt und das Fahrzeug nur noch teilversichert. Als Grund für diesen Schritt hat der Zeuge T angegeben, dass "überlegt worden sei, ob aufgrund des Wertes des Wohnmobils noch sinnvoll ist, den Wagen Vollkasko zu versichern" (vgl. Bl. 94/95). Soweit er in diesem Zusammenhang erklärte, dass bei der Provinzial alle Fahrzeuge generell vollkaskoversichert worden seien, so entspricht das nicht den Tatsachen. Insoweit hat die Beklagte unwidersprochen vorgetragen, dass die zum 01.01.1998 geltende Neuversicherung für das "alte" Wohnmobil keinen Vollkaskoschutz enthalten habe (vgl. Bl. 169). Schließlich hat der Zeuge selbst eingeräumt, dass auch ein Roller und ein Motorrad bei der X nur mit Teilkaskoschutz versichert worden waren. Bei Würdigung der Gesamtumstände ist nicht ersichtlich, in welche Richtung die Zeugin N den Zeugen T noch hätte beraten sollen und müssen.

3.) Auch bei einer unterstellten Verletzung der Dokumentationspflicht wäre der Beklagte nicht zum Schadensersatz verpflichtet. Zum einen soll die Dokumentation lediglich Beweis für den Umfang der Befragung und Beratung erbringen (Rüffer/Halbach/ Schimikowski, VVG, 1. Aufl. zu § 6 RdNr. 26; Looschelders/ Pohlmann, VVG 2010, zu § 61 RdNr. 18); die Verletzung der Dokumentationspflicht soll zu einer Beweiserleichterung führen (BT-Drucks. 16/1935 S. 26). Demzufolge kann die Verletzung der Dokumentationspflicht im Regelfall nur dann zu einem Schadensersatzanspruch führen, wenn dem VN ein Beweisnachteil entsteht. Das ist vorliegend zu verneinen. Da hier weder eine Befragungs- noch eine Beratungspflicht bestanden (s.o.), gab es nichts zu dokumentieren. Die Zeugin N hätte allenfalls nur dokumentieren müssen, dass keine Befragung und Beratung erfolgt war. Dieser Umstand ist aber zwischen den Parteien unstreitig und hat daher nicht zu einem kausalen Schaden (Beweisnachteil) geführt.

Aber auch dann, wenn die Auffassung der Klägerin zutreffen würde, wäre nach Überzeugung des Senats kein kausaler Schaden gegeben. Die Klägerin stützt sich insoweit darauf, dass sie bei Aushändigung der Dokumentation sofort bemerkt hätte, dass der Wagen nur teilkasko- und nicht vollkaskoversichert werden sollte. Dann hätte sie aber sofort reagiert und auf Vollkaskoschutz gedrängt. Diese Argumentation gehrt deshalb ins Leere, weil die Klägerin selbst dann nicht reagierte, als sie den Versicherungsschein erhielt, aus dem unmissverständlich hervorging, dass das Wohnmobil nur teilversichert war. Warum sollte sie bei der Aushändigung eines Angebotes (wenn man darin die Erfüllung der Dokumentationspflicht sehen würde, was fraglich ist, s.o.) reagieren, wenn sie schon bei Erhalt - des wesentlich wichtigeren - Versicherungsscheines nicht entsprechend reagiert hat?

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO. Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst (§ 543 ZPO).

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