OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 13.10.2009 - 16 B 1067/09
Fundstelle
openJur 2011, 68001
  • Rkr:
Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden vom 2. Juli 2009 wird der angefochtene Beschluss mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert. Der Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage (Az. VG Minden 12 K 1423/09) gegen die Ordnungsver-fügung des Antragsgegners vom 13. Mai 2009 wird abgelehnt.

Der Antragsteller trägt die Kosten beider Rechtszüge.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfah-ren auf 2.500 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners hat Erfolg. Der Antragsteller kann nicht die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage beanspruchen.

Der Senat ist anders als das Verwaltungsgericht der Auffassung, dass die Klage des Antragstellers offensichtlich unbegründet ist und deshalb das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 13. Mai 2009 gegenüber dem persönlichen Interesse des Antragstellers am vorläufigen weiteren Gebrauchmachen von seiner EUFahrerlaubnis auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland überwiegt.

Der Antragsgegner ist jedenfalls im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die in Ungarn ausgestellte Fahrerlaubnis des Antragstellers kraft Gesetzes nicht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Bundesgebiet berechtigt. Das Fehlen der Berechtigung, die Fahrerlaubnis in der Bundesrepublik Deutschland zu nutzen, folgt aus § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV und die Befugnis des Antragsgegners zum Erlass eines Feststellungsbescheides aus § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV; diese Regelungen sind auch auf Fahrerlaubnisse anzuwenden, die in einem EU oder EWRStaat im Wege des Umtauschs eines Führerscheins aus einem Drittstaat erworben worden sind.

Vgl. Dauer, in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, Kommentar, 40. Aufl., § 28 FeV Rn. 4, unter Hinweis auf BRDrucks. 443/98, S. 283.

Nach § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV gilt die Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland nicht für Inhaber einer EU oder EWRFahrerlaubnis, die ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland haben und denen unter anderem zuvor im Inland die Fahrerlaubnis von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen oder eine beantragte Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt worden ist. Dass der Antragsteller ungeachtet etwaiger zwischenzeitlicher Auslandsaufenthalte zumindest jetzt (wieder) in Deutschland lebt, ergibt sich schon aus seinen Einlassungen. Eine Fahrerlaubnisentziehung oder eine bestandskräftige Versagung eines Antrags auf Erteilung einer Fahrerlaubnis liegen zwar nicht vor. Der Antragsteller hat aber, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis zu sein, wiederholt Verkehrsdelikte begangen, die im Falle des Besitzes einer Fahrerlaubnis mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zur Entziehung dieser Fahrerlaubnis geführt hätten. Es kann ihn daher im Hinblick auf die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV nicht privilegieren, dass er die beiden Trunkenheitsfahrten in den Jahren 2003 und 2004 begangen hat, ohne im Besitz einer Fahrerlaubnis für die verwendeten Fahrzeuge gewesen zu sein, d.h. sich zusätzlich des vorsätzlichen Führens eines Kraftfahrzeuges ohne Fahrerlaubnis schuldig gemacht hat. Im Übrigen muss bei wertender Betrachtung der bestandskräftigen Versagung einer beantragten Fahrerlaubnis der Fall gleichgestellt werden, in dem der Betroffene einen Fahrerlaubnisantrag zurücknimmt, nachdem er im Erteilungsverfahren ohne Erfolg eine ärztliche oder eine medizinischpsychologische Begutachtung hat durchführen lassen oder aber wie vorliegend eine solche Untersuchung verweigert hat. Denn es kann keinen rechtlichen Unterschied begründen, ob einem Fahrerlaubnisbewerber wegen einer negativen Begutachtung oder wegen der Verweigerung einer Begutachtung die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis bestandskräftig versagt wird oder ob er aus denselben Gründen durch die Antragsrücknahme hier am 22. April 2008 der sicheren Ablehnung seines Antrags zuvorkommt.

Die Anwendung des § 28 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 FeV ist auch weder im Hinblick auf die Vereinbarkeit der in dieser Vorschrift geregelten Anerkennungsverweigerung mit Europäischem Recht noch wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Frage gestellt.

Eine vorliegend noch an der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG) zu messende Europarechtswidrigkeit liegt auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs

vgl. zuletzt Beschluss vom 9. Juli 2009 C445/08 (Wierer) , Juris,

schon deshalb nicht vor, weil vorliegend Art. 8 Abs. 6 der Richtlinie 91/439/EWG anzuwenden ist und bei der Anwendung dieser Bestimmung anders als bei Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG kein prinzipieller Anwendungsvorrang des Anerkennungsgrundsatzes gemäß Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG besteht. Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 2 der Richtlinie 91/439/EWG bestimmt, dass nach dem Umtausch eines von einem Drittstaat also weder einem EU noch einem EWRStaat ausgestellten Führerscheins gegen einen Führerschein nach dem EGMuster und einer aufgrund der Angaben des Antragstellers hier anzunehmenden Verlegung des Wohnsitzes in einen anderen Mitgliedstaat dieser (Zuzugs)Mitgliedstaat Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG nicht anzuwenden braucht. Dieser klare Normbefund gibt keine Handhabe, durch ein extensives Verständnis des Anerkennungsgrundsatzes nach Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG die Befugnisse der Zuzugsstaaten zur Gewährleistung ihrer einzelstaatlichen Sicherheitsstandards im Fahrerlaubnisrecht einzuschränken.

Vorliegend kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem solchen Umtausch einer Fahrerlaubnis eines Drittstaates in Ungarn ausgegangen werden. Die unter II. in Anlage 9 zur FeV genannte, in der gesamten EU geltende einleitende Schlüsselzahl 70, die in dem ungarischen Führerschein des Antragstellers (Feld 12) eingetragen ist, belegt den Umtausch einer in Ungarn vorgelegten Fahrerlaubnis eines anderen Staates. Die Verwendung des Kürzels "RUS" lässt zwanglos auf einen Ersterwerb der Fahrerlaubnis in der Russischen Föderation schließen. Der Antragsteller ist der Darstellung des Antragsgegners über die Umstände des Fahrerlaubniserwerbs auch nicht substanziiert entgegengetreten. Aufgrund der erheblichen Vorbelastung des Antragstellers, der bereits im Alter von 19 bzw. 20 Jahren dreimal hochgradig alkoholisiert (Blutalkoholkonzentrationen von 2,26, 2,14 und 1,70 Promille) am Straßenverkehr teilgenommen hat, darunter zweimal ohne die erforderliche Fahrerlaubnis mit einem Kraftfahrzeug, darüber hinaus aber auch wegen der offenkundigen Absicht des Antragstellers, sich der Anwendung der in Deutschland geltenden Standards bei der Fahrerlaubniserteilung zu entziehen, ist die Entscheidung des Antragsgegners, den Führerscheinumtausch im Inland nicht anzuerkennen, auch ohne Weiteres ermessensgerecht. Auf die Frage, inwieweit sich die abschließend vom Landgericht Q. im Urteil vom 24. Mai 2005 verhängte Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis auf die Anerkennungsfähigkeit der in Ungarn umgetauschten russischen Fahrerlaubnis auswirkt, kommt es nach alledem nicht an.

Unter den aufgezeigten Umständen liegt auch der vom Verwaltungsgericht gesehene Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht vor. Soweit der Senat die Rechtmäßigkeit von Ordnungsverfügungen, mit denen Inländern das Recht aberkannt worden ist, im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland von einer im Ausland erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, von einer Aufforderung zum Nachweis der vermeintlich wiedererlangten Fahreignung abhängig gemacht hat,

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 13. September 2006 16 B 989/06 , VRS 111 (2006), 466 = Blutalkohol 43 (2006), 507 = Juris (Rn. 34), vom 7. August 2007 16 B 418/07 , Juris, sowie vom 12. Januar 2009 16 B 1610/08 , DAR 2009, 159 = VRS 116 (2009), 314 = Blutalkohol 46 (2009), 109 = Juris (Rn. 35),

betraf das ausschließlich Fälle, in denen bereits die ausländische Fahrerlaubnisbehörde die Fahreignung des Betroffenen wenngleich möglicherweise gemessen an den deutschen Bestimmungen unzulänglich überprüft hat. Hat aber wie vorliegend keine materielle Fahreignungsprüfung durch die Fahrerlaubnisbehörde eines EU oder EWRStaates stattgefunden, besteht für die inländische Fahrerlaubnisbehörde unter dem Gesichtspunkt der grundsätzlichen Pflicht zur Anerkennung EU bzw. EWRausländischer Fahrerlaubnisse kein Anlass, im Vorfeld einer aberkennenden Entscheidung eigene Ermittlungen über die Fahreignung des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers anzustellen.

Abschließend bleibt anzufügen, dass die vom Antragsteller vermutlich im Jahr 2006 erworbene russische Fahrerlaubnis diesen nicht mehr zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland berechtigt. Abgesehen davon, dass der Antragsteller seinen russischen Führerschein beim Umtausch in Ungarn den dortigen Behörden ausgehändigt haben dürfte (vgl. Art. 8 Abs. 6 Unterabs. 2 Satz 1 Richtlinie 91/439/EWG), ist nach der Beendigung des offensichtlich auf die Zeit für den Erwerb der Fahrerlaubnis beschränkten Aufenthalts des Antragstellers in der Russischen Föderation der Fortgeltungszeitraum von sechs Monaten (§ 29 Abs. 1 Satz 3 FeV) seit langem abgelaufen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung aus den §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 sowie 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).