OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.06.2009 - 13 A 3603/07
Fundstelle
openJur 2011, 67559
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 K 630/05
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 6. November 2007 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 50.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 5 Satz 2 VwGO nur im Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.

Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h. wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. Juni 2000 - 1 BvR 830/00 -, NVwZ 2000, 1163; BVerwG, Beschluss vom 10. März 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838.

Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Verlängerung der Zulassung gemäß § 105 Abs. 4f Satz 1 AMG stehe der Versagungsgrund des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG entgegen. Die Klägerin habe die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels unzureichend begründet. Mit dem streitigen Präparat seien keine klinischen Prüfungen durchgeführt worden. Das vorgelegte anderweitige wissenschaftliche Erkenntnismaterial lasse nicht darauf schließen, dass die Anwendung des Arzneimittels "bei Juckreiz (Pruritus)" zu Heilerfolgen führe. Diesen Mangel habe die Klägerin nicht innerhalb der angemessenen Mängelbeseitigungsfrist ausgeräumt. Die dagegen erhobenen Einwände zeigen ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung nicht auf.

Fehl geht zunächst die Annahme der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe einen unzutreffenden Maßstab bei der Beurteilung des vorgelegten anderen wissenschaftlichen Erkenntnismaterials angelegt.

Nach § 105 Abs. 4a Satz 1 AMG i. V. m. § 22 Abs. 2 Satz 1 AMG sind im Rahmen des Nachzulassungsantrags unter anderem die Ergebnisse der pharmakologischen und toxikologischen Versuche (Nr. 2) und die Ergebnisse der klinischen Prüfungen oder sonstigen ärztlichen, zahnärztlichen oder tierärztlichen Erprobung (Nr. 3) vorzulegen. An Stelle der Ergebnisse nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG kann anderes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vorgelegt werden, und zwar gemäß § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG bei einem Arzneimittel, dessen Wirkstoffe seit mindestens zehn Jahren in der Europäischen Union allgemein medizinisch oder tiermedizinisch verwendet wurden, deren Wirkungen und Nebenwirkungen bekannt und aus dem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ersichtlich sind (sog. "bibliographischer Zulassungsantrag"). Auch Altarzneimitteln können die Erleichterungen des § 22 Abs. 3 AMG zugute kommen (§ 105 Abs. 4a Satz 1 Halbsatz 2 AMG).

Vgl. BVerwG, Urteile vom 16. Oktober 2008 - 3 C 23.07 und 3 C 24.07 -, jeweils juris; OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 13 A 2085/07 -, vom 20. Januar 2009 - 13 A 4306/06 -, jeweils juris, und vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, A & R 2009, 94.

§ 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG ist durch Art. 1 Nr. 15 Buchstabe c) des 14. AMG- Änderungsgesetzes neu gefasst worden. Die Zulassungsvorschrift wird nunmehr für Arzneimittel mit bekannten Wirkungen und Nebenwirkungen ("well established use") im Sinne von Art. 10a der Richtlinie 2001/83/EG vom 6. November 2001 in der Fassung der Richtlinie 2004/27/EG vom 31. März 2004 konkretisiert. Der Senat hat zur Auslegung und Anwendung von § 22 Abs. 3 AMG bereits mehrfach entschieden, dass das im Rahmen eines bibliographischen (Nach-)Zulassungsantrags vorgelegte Erkenntnismaterial nach Sinn und Zweck der Vorschrift sowie nach Art. 10a Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG dergestalt beschaffen sein muss, dass es in etwa den Ergebnissen nach § 22 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 AMG entspricht. Dieser Maßstab gilt, anders als die Klägerin meint, nicht nur für das nationale Erstzulassungsverfahren im Sinne von § 21 Abs. 1 Satz 1 AMG, sondern auch für die Verlängerung der (fiktiven) Zulassung von sog. Altarzneimitteln (vgl. wiederum § 105 Abs. 4a Satz 1 Halbsatz 2 AMG).

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2007 - 13 A 328/04 -, juris; sowie Beschlüsse vom 16. Dezember 2008 - 13 A 2085/07 -, a. a. O.; vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, a. a. O.; vom 19. März 2009 - 13 A 1029/08 -, und vom 6. August 2007 - 13 A 598/07 -, jeweils juris; in diesem Sinne auch schon EuGH, Urteil vom 5. Oktober 1995 - Rs. C-440/93 -, Slg. 1995 I - 2851.

Die Annahme einer ausreichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit muss auch hinreichende Darlegungen zur Zweckmäßigkeit der angegebenen Dosierung enthalten. Dies lässt sich bereits aus § 24 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AMG ableiten, wonach aus dem klinischen Gutachten die Zweckmäßigkeit der vorgesehenen Dosierung hervorgehen muss.

Hierzu OVG NRW, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 13 A 4306/06 -, a. a. O.

Im Hinblick auf die Frage, welchen konkreten Anforderungen das wissenschaftliche Erkenntnismaterial zu genügen hat, hat das Verwaltungsgericht entgegen der Auffassung der Klägerin die während des Mängelbeseitigungsverfahrens geltende Arzneimittelprüfrichtlinie in der Fassung vom 5. Mai 1995 (BAnz. Nr. 96a vom 20. Mai 1995) angewendet und darüber hinaus auch zu Recht auf die Arzneimittelprüfrichtlinie vom 11. Oktober 2004 (BAnz. Nr. 197 vom 16. Oktober 2004) hingewiesen, die im Hinblick auf eine "allgemeine medizinische Verwendung" im Wesentlichen dem Anhang 1 Teil II Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG in der Fassung der Richtlinie 2003/63/EG vom 25. Juni 2003 entspricht. Nach Teil II Nr. 1 Buchstabe d des Anhangs 1 dieser Richtlinie muss im Rahmen eines bibliographischen Antrags gezeigt werden, inwiefern vorgelegte Daten, die ein anderes als das in den Verkehr zu bringende Arzneimittel betreffen, für die Beurteilung des zuzulassenden Arzneimittels relevant sind. Schließlich hat das Verwaltungsgericht als Beurteilungsparameter für das hier fragliche topisch anzuwendende Arzneimittel die "Leitlinie zu den klinischen Anforderungen an lokal anwendbare, lokal wirksame Produkte mit bekannten Bestandteilen" (CPMP/EWP/239/95 final) der Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (EMEA) angeführt. Die Leitlinien ihres Ausschusses für Humanarzneimittel entfalten zwar keine unmittelbare rechtliche Bindungswirkung. Sie sind aber wie die nach § 26 Abs. 1 AMG vom zuständigen Bundesministerium zu erlassenden Arzneimittelprüfrichtlinien wie "antizipierte Sachverständigengutachten" bei der Anwendung arzneimittelrechtlicher Bestimmungen heranzuziehen, die sich auf außerrechtliche Erkenntnisquellen wie etwa den "jeweils gesicherte(n) Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse" (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 4, Satz 3 AMG) beziehen, weil sie regelmäßig widerspiegeln, was auf europäischer Ebene dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand entspricht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Februar 2009 - 13 A 813/08 -, a. a. O., m. w. N.

Diesen Prüfungsmaßstab hat das Verwaltungsgericht - wie sich der angefochtenen Entscheidung ohne Weiteres entnehmen lässt - zutreffend zugrundegelegt. Es hat sodann in Anwendung der genannten Vorgaben im Einzelnen dargelegt, dass und warum die therapeutische Wirksamkeit von "B. N Puder" bei Juckreiz durch die vorgelegten Unterlagen nicht begründet werde. Mit diesen - das Urteil tragenden - Erwägungen setzt sich die Klägerin im Berufungszulassungsverfahren nicht auseinander, so dass ihr Vorbringen insoweit schon nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO, wonach das Oberverwaltungsgericht nur die dargelegten Gründe prüft, genügt. Ungeachtet dessen sind Rechtsanwendungsfehler auch nicht ersichtlich. In Bezug auf das (nur noch) beanspruchte Anwendungsgebiet sind die bis zum Abschluss des Mängelbeanstandungsverfahrens vorgelegten Unterlagen auch nach Auffassung des Senats unergiebig. Weder aus dem klinischen Sachverständigengutachten von Prof. Dr. O. vom 22./24. Januar 2001 noch aus dem vom ihm in Bezug genommenen wissenschaftlichen Erkenntnismaterial ergeben sich hinreichende Anhaltspunkte dafür, dass Benzocain in der hier fraglichen Darreichungsform als Puder bei der Anwendung gegen Juckreiz zu Heilerfolgen führt. Der Sachverständige beschreibt zwar einerseits die Anwendung und Wirkung von - in Form von Salben, Cremes und Gels dargereichtem - Benzocain bei Hauterkrankungen,

vgl. hierzu OVG NRW, Beschlüsse vom 19. März 2009 - 13 A 1022/08, 13 A 1023/08, 13 A 1024/08 und 13 A 1029/08 -, jeweils juris, wonach die Klägerin auch die therapeutische Wirksamkeit der von ihr in Verkehr gebrachten "B. "- Salben/Cremes nicht zureichend begründet hat,

und andererseits - in allgemeiner Form - die Vorzüge und Nachteile der Verwendung von Puder. Bibliographische Unterlagen, die sich auf die hier allein in Rede stehende Darreichung von Benzocain in Puderform beziehen, werden hingegen nicht beigebracht. Prof. Dr. O. räumt im Gutachten sogar ausdrücklich ein, dass zur Anwendung von Benzocain als Bestandteil von Pudern keine klinischen Studien vorlägen. Entsprechend aussagekräftiges Erkenntnismaterial wäre jedoch erforderlich gewesen, weil - worauf das Verwaltungsgericht zu Recht hingewiesen hat - in der Dermatologie schon die Änderung der Hilfs- und Trägerstoffe einen störenden Einfluss auf die Wirksamkeit haben kann.

Auf die behauptete Zulassung des streitigen Arzneimittels in Österreich kann sich die Klägerin schon deshalb nicht berufen, weil sie nach ihrem eigenen Vorbringen die nach § 105 Abs. 4c Nr. 2 AMG erforderlichen Unterlagen bislang nicht bei der Beklagten eingereicht hat.

Die Rechtssache weist nach den vorstehenden Ausführungen auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die im vorliegenden Verfahren aufgeworfenen Rechtsfragen lassen sich ohne größere Auslegungsaufwendungen aus dem Gesetz und unter Zuhilfenahme der vorgelegten Unterlagen beantworten und übersteigen demnach nicht das Normalmaß vergleichbarer Streitigkeiten.

Die Berufung ist ferner nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Über den vorliegenden Einzelfall hinausgehende, verallgemeinerungsfähige Fragen tatsächlicher oder rechtlicher Art, die der Rechtsfortbildung und/oder -vereinheitlichung dienlich und in der Berufung klärungsbedürftig und klärungsfähig sind, werden nicht vorgebracht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Die grundsätzlichen Anforderungen an die Begründung der therapeutischen Wirksamkeit des Arzneimittels im Sinne von § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG sind durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. Oktober 1993 - 3 C 21.91 -, BVerwGE 94, 215, und - 3 C 46.91 -, Pharma Recht 1994, 380.

Im Übrigen ist das vorliegende Verfahren nicht geeignet, die Anforderungen an die Qualität des wissenschaftlichen Erkenntnismaterials im Sinne von § 22 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AMG näher zu hinterfragen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.