VG Düsseldorf, Urteil vom 06.11.2008 - 9 K 2466/07
Fundstelle
openJur 2011, 65845
  • Rkr:
Tenor

Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten vom 19. Dezember 2006 in Verbindung mit der ergänzenden Auflage vom 7. Mai 2007 und dem ergänzenden Bescheid vom 19. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises O vom 30. August 2007 sowie die der Beigeladenen erteilte Baugeneh-migung des Beklagten vom 8. Mai 2008 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der au-ßergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Das etwa 2.000 m² große Grundstück E-Straße 000 (Flurstücke 118 und 122, Flur 2, G1) in I bildet die südwestliche Ecke eines Straßengevierts, das im Süden durch die E-Straße (B 000), im Westen durch die P-Straße, im Norden durch die F-Straße und im Osten durch die X-Straße begrenzt wird. Für den Bereich innerhalb dieses Straßengevierts besteht kein Bebauungsplan.

Auf dem Flurstück 122 ist im 19. Jahrhundert im südwestlichen Bereich - unmittelbar angrenzend an die E-Straße im Süden und die O-Straße im Westen - ein Gebäude errichtet worden, das seit dieser Zeit wohl bis zum Jahr 2002 als Gaststätte ("N1") genutzt worden ist. An das Flurstück 118 schließt sich im Osten das Flurstück 170 an, auf dem sich ein Kirchengebäude befindet. An die Flurstücke 118 und 122 grenzen im Norden die Flurstücke 115 und 117 an, die einen schmalen Verbindungsweg zwischen der O-Straße und dem Kirchengrundstück bilden. Dieser Verbindungsweg trennt das Flurstück 122 von dem im Eigentum der Klägerin stehenden Grundstück O-Straße 4 (Flurstück 18), das im Westen an die O-Straße sowie im Norden an den A-Weg grenzt. Das Flurstück 18 ist mit einem Wohnhaus bebaut, das von der Klägerin und ihrem Ehemann bewohnt wird. An das Grundstück der Klägerin schließen sich im Osten weitere mit Wohnhäusern bebaute Grundstücke am A-Weg an. Auch im übrigen ist innerhalb des genannten Straßengevierts - abgesehen von einer östlich der Kirche an der E-Straße gelegenen Schule - ausschließlich Wohnbebauung vorhanden. Südlich der E-Straße befinden sich große industriell genutzte Hallen. Auf dem westlich der O-Straße gegenüber dem Flurstück 122 gelegenen Weidegrundstück ist ein Sendemast mit Umschaltstation errichtet. Auf dem nördlich angrenzenden Grundstück - ebenfalls auf der Westseite der O-Straße - befindet sich ein gewerblich genutztes Gebäude.

Auf einen entsprechenden Antrag des Geschäftsführers der Beigeladenen von Anfang Februar 2004 erteilte der Beklagte diesem unter dem 8. April 2004 eine Baugenehmigung für das Grundstück E-Straße 160 (Flurstücke 118 und 122) für folgendes Vorhaben: "Einrichtung eines Gewerbebetriebes durch Errichtung einer Zelthalle sowie Nutzungsänderung der vorhandenen baulichen Anlagen für den Verkauf mediterraner Pflanzen (Palmen) und zweckdienlichem Zubehör, Anlegung von 10 Kfz-Stellplätzen". Die Baugenehmigung ist auf fünf Jahre ab dem Tag der Zustellung befristet. Die Beigeladene nahm im Frühjahr 2004 die genehmigte Nutzung auf. Mit Bescheid vom 25. November 2004 erteilte der Beklagte dem Geschäftsführer der Beigeladenen eine Nachtragsgenehmigung für die Errichtung einer Gewächshaushalle zur Pflanzenaufzucht an Stelle der ursprünglich geplanten Zelthalle. Entsprechend dieser Genehmigung wurde die Gewächshaushalle im nordwestlichen Bereich des Flurstücks 122 errichtet.

Am 26. Oktober 2006 stellte der Geschäftsführer der Beigeladenen beim Beklagten einen Bauantrag für die "zeitweise Nutzungsänderung des Betriebes N2 von Gewerbe in Gastronomie". Ende November 2006 eröffnete er in dem Gebäude E-Straße 160 das Restaurant "M". Mit Bescheid vom 19. Dezember 2006 erteilte der Beklagte der Beigeladenen die Genehmigung, das Bauvorhaben "Belassung: Zeitweise Nutzungsänderung des Betriebes N2 von Gewerbe in Gastronomie" durchzuführen. Ausweislich der zur Genehmigung gehörenden Bauvorlagen wird das Erdgeschoss des Betriebsgebäudes E-Straße 160 sowie eine nördlich dieses Gebäudes auf dem Flurstück 122 gelegene ca. 120 m² große Freifläche zeitweise für Gastronomie genutzt. Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 enthält folgende "Bedingungen:

Die Baugenehmigung ergeht unter der Bedingung, dass vor Inbetriebnahme der Außengastronomie dem Bauverwaltungs- und Bauaufsichtsamt eine Lärmimmissionsprognose über die zu erwartenden Geräuschwerte und deren Höhe im Bereich der angrenzenden nördlichen Wohnbebauungen am A-Weg vorgelegt wird. Die Außengastronomie darf erst dann eröffnet werden, wenn die nach Pkt. 1. vorzulegende Lärmimmissionsprognose unbedenklich ist, bzw. zu erwartende Bedenken ausgeräumt sind."

Ferner enthält die Baugenehmigung eine Reihe von Auflagen. Nach der Auflage Nr. 3 hat die von der Genehmigung erfasste Nutzung, insbesondere die gastronomische Nutzung im gebäuderückwärtigen Freibereich, so zu erfolgen, dass die von ihr ausgehenden Geräuschimmissionen im Bereich der am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Räume der Wohnhäuser auf dem A-Weg/O-Straße tagsüber 55 dB (A) und nachts sowie an Sonn- und Feiertagen 40 dB (A) - gemessen und gerechnet nach Ziffer 6.8 der TA Lärm - nicht überschreiten; einzelne kurzzeitige Geräuschspitzen dürfen die Immissionsrichtwerte am Tage um nicht mehr als 30 dB (A) und in der Nachtzeit um nicht mehr als 20 dB (A) überschreiten. Nach der Auflage Nr. 5 wird den Betriebszeiten für die Gastronomie an Werktagen von 18.00 Uhr bis 1.00 Uhr sowie an Sonn- und Feiertagen von 12.00 Uhr bis 1.00 Uhr zugestimmt.

Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 wurde der Klägerin am 22. Januar 2007 zugestellt, die mit Schriftsatz ihrer jetzigen Prozessbevollmächtigten vom 1. Februar 2007 dagegen Widerspruch erhob. Zur Begründung führte sie mit Schriftsatz vom 22. März 2007 im Wesentlichen aus: Die gastronomische Nutzung des Betriebsgrundstückes der Beigeladenen sei bauplanungsrechtlich unzulässig, weil sich dieses Vorhaben nicht gemäß § 34 Abs. 1 des Baugesetzbuches (BauGB) in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge, die als Gemengelage zu qualifizieren sei. Die genehmigte Nutzung als Gastronomie und Außengastronomie sprenge den durch Wohnen, Industrie, Kirche und Sendemast geprägten Rahmen, weil Gastronomie bislang in der näheren Umgebung nicht vorhanden sei. Selbst wenn man unterstellte, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein faktisches allgemeines Wohngebiet handele, wäre die Baugenehmigung rechtswidrig, weil die gastronomische Nutzung nicht der Versorgung der Wohnbevölkerung diene, sondern Laufkundschaft und gebietsfremde Kundschaft anlocken solle. Das ergebe sich aus dem Charakter als Spezialitätenrestaurant und gelte insbesondere für die beabsichtigte Außengastronomie. Die Nutzung als Schank- und Speisewirtschaft sowie als Biergarten sei wegen der zu erwartenden Immissionen nicht mit der angrenzenden Wohnnutzung vereinbar und rücksichtslos. Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 sei wegen Verstoßes gegen eine die Klägerin in ihren Rechten schützende Vorschrift rechtswidrig.

Anfang April 2007 legte die Beigeladene dem Beklagten ein schalltechnisches Gutachten des staatlich anerkannten Sachverständigen für Schall- und Wärmeschutz N3 vom 23. März 2007 zum Nachweis des Schallimmissionsschutzes für das Restaurant mit Außenbewirtung E-Straße 160 in I vor. Das Gutachten kommt zu folgendem Ergebnis: "Die zur Prognose des Schallschutzes durchgeführten schalltechnischen Berechnungen haben für das Vorhaben keine Überschreitung der für allgemeine Wohngebiete zulässigen Immissionsrichtwerte ergeben, sodass hier ein ausreichender Schallimmissionsschutz vorhanden ist."

Der Beklagte legte das schalltechnische Gutachten der Bezirksregierung E mit der Bitte um Prüfung vor. Die Bezirksregierung äußerte verschiedene Bedenken gegen das Gutachten.

Nachdem die Beigeladene dem Beklagten mitgeteilt hatte, dass die im schalltechnischen Gutachten angegebenen Betriebszeiten der gastronomischen Nutzung maßgeblich seien, erließ der Beklagte mit Bescheid vom 7. Mai 2007 eine ergänzende Auflage zur Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006, mit der er die Auflage Nr. 5 zur Baugenehmigung aufhob und durch folgende Auflage Nr. 15 ersetzte:

"Den in der nachfolgenden Tabelle aufgeführten Betriebszeiten für die Innen- und Außengastronomie wird zugestimmt:

Innengastronomie Außengastronomie

werktags 18.00 Uhr bis 01.00 Uhr 18.00 Uhr bis 22.00 Uhr samstags 14.00 Uhr bis 01.00 Uhr 14.00 Uhr bis 22.00 Uhr sonn- und feiertags 10.00 Uhr bis 01.00 Uhr 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr"

Der Bescheid vom 7. Mai 2007 wurde der Klägerin am 10. Mai 2007 zugestellt.

Am 11. Juni 2007 hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben, die zunächst mit dem Hauptantrag auf die Aufhebung des Bescheides vom 7. Mai 2007 gerichtet war.

Nachdem der Sachverständige N3 der Bezirksregierung E einen Nachtrag vom 24. Mai 2007 zum schalltechnischen Gutachten vom 23. März 2007 vorgelegt hatte, hat die Bezirksregierung dem Beklagten mit Schreiben vom 11. Juni 2007 mitgeteilt, dass das Gutachten in Verbindung mit dem Nachtrag nunmehr hinreichend plausibel sei und aus der Sicht des Immissionsschutzes gegen das Vorhaben keine Bedenken bestünden, wenn einige - näher bezeichnete - Nebenbestimmungen ergänzend in die Baugenehmigung aufgenommen würden.

Daraufhin hat der Beklagte unter dem 19. Juni 2007 einen "ergänzenden Bescheid" zur Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 erlassen, in dem es heißt: "Somit können die Bedingungen (Nr. 1 und Nr. 2) aus meiner Baugenehmigung vom 19.12.2006 als erfüllt angesehen werden. Die Nutzungsaufnahme der Außengastronomie wird unter Beachtung bzw. Einhaltung der in der Baugenehmigung formulierten Auflagen freigegeben." Ferner enthält der Bescheid vom 19. Juni 2007 folgende "ergänzende Auflagen" zur Baugenehmigung:

"16. Das Schalltechnische Gutachten (...) vom 23.03.2007 und 24.05.2007 wird zum Bestandteil der Baugenehmigung, es ist inhaltlich zu beachten und umzusetzen.

17. Aufgrund der abschließenden Stellungnahme der Bezirksregierung E ergeben sich die nachfolgenden Auflagen:

17.1. Die Schließung der Außengastronomie muss regelmäßig um spätestens 22:00 Uhr beendet sein.

17.2. Während des Nachtbetriebes - 22:00 Uhr bis 01:00 Uhr - sind sämtliche Gebäudeaußenflächen in Richtung der Wohnbebauung, wie z.B. Fenster und Türen, regelmäßig und vollständig geschlossen zu halten.

17.3. Antragsgemäß endet der Gastronomiebetrieb um spätestens 01:00 Uhr.

17.4. Durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen ist dafür Sorge zu tragen, dass die v.g. Nebenbestimmungen Nr. 17.1 bis Nr. 17.3 sicher erfüllt werden.

17.5. Durch technische und/oder organisatorische Maßnahmen ist dafür Sorge zu tragen, dass das Personenverhalten auf dem Parkplatz nicht zu einer Störung der Nachtruhe führt."

Am 19. Juli 2007 hat die Klägerin den Bescheid vom 19. Juni 2007 in das vorliegende Klageverfahren einbezogen und beantragt, diesen Bescheid aufzuheben.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30. August 2007 hat der Landrat des Kreises N den Widerspruch der Klägerin gegen die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 zurückgewiesen. Zur Begründung hat er im Wesentlichen ausgeführt: Die genehmigte Nutzungsänderung sei bauplanungsrechtlich nach § 34 Abs. 2 BauGB zulässig, weil die Eigenart der näheren Umgebung des Grundstückes E-Straße 160 sowie des Grundstückes der Klägerin einem allgemeinen Wohngebiet entspreche und es sich bei dem gastronomischen Betrieb der Beigeladenen um eine der Versorgung des Gebiets dienende Schank- und Speisewirtschaft handele, die in einem allgemeinen Wohngebiet allgemein zulässig sei. Entgegen der Auffassung der Klägerin handele es sich nicht um eine Gemengelage, weil sowohl die E-Straße als auch die O-Straße trennende Wirkung hätten; nördlich und östlich des Betriebsgrundstückes der Beigeladenen seien eine Kirche und eine Schule und im übrigen ausschließlich Wohnbebauung vorhanden. Um den Schutz der Nachbarschaft vor unzumutbaren Lärmimmissionen zu gewährleisten, sei die Inbetriebnahme der Außengastronomie von der Vorlage eines schalltechnischen Gutachtens abhängig gemacht worden. Durch das Gutachten vom 23. März 2007 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 24. Mai 2007 sei der Nachweis erbracht worden, dass die maßgeblichen Immissionsrichtwerte eingehalten würden. Außerdem habe der Beklagte in die Baugenehmigung und den ergänzenden Bescheid vom 19. Juni 2007 verschiedene dem Schutz der Nachbarn dienende Auflagen aufgenommen. Damit habe er im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen den Schutz der Anlieger vor unzumutbaren Beeinträchtigungen umfassend gewährleistet.

Mit Schriftsatz vom 27. September 2007 hat die Klägerin ihre Klage auf die Baugenehmigung des Beklagten vom 19. Dezember 2006 sowie den Widerspruchsbescheid des Landrates des Kreises N vom 30. August 2007 erstreckt und die Aufhebung dieser Bescheide beantragt.

Mit Bescheid vom 8. Mai 2008 hat der Beklagte der Beigeladenen eine weitere Baugenehmigung erteilt, nämlich die Genehmigung, das Bauvorhaben "Nutzungsänderung: Wechselseitige Änderung der Betriebszeiten Gastronomie/Palmenhandel" durchzuführen. Seinem Wortlaut nach beinhaltet der Bescheid zur Nutzungsänderung "die Änderung der bis dahin genehmigten Öffnungszeiten für den gastronomischen Betrieb - M im Wechsel mit dem Palmenhandel - N2." Der Bescheid enthält fünf Auflagen, wobei die Auflage Nr. 2 die Zustimmung zu im Einzelnen angegebenen Betriebszeiten für die Innen- und Außengastronomie sowie die Auflage Nr. 3 die Zustimmung zu im Einzelnen angegebenen Betriebszeiten für den Palmenhandel betrifft. Nach der Auflage Nr. 4 haben die gastronomische und die gewerbliche Nutzung ausschließlich wechselseitig zu erfolgen, was auch aus den genannten Öffnungszeiten hervorgehe. Die Auflage Nr. 5 entspricht der Auflage Nr. 3 zur Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006.

Mit Schriftsatz vom 28. Mai 2008 hat die Klägerin den Bescheid vom 8. Mai 2008 in das vorliegende Klageverfahren einbezogen und seine Aufhebung beantragt.

Zur Begründung ihrer Klage nimmt die Klägerin Bezug auf ihre Widerspruchsbegründung vom 22. März 2007 und trägt ergänzend im Wesentlichen vor: Die Beigeladene beschalle ihre Gäste beim Betrieb der Außengastronomie mit einer Musikanlage. Das Gutachten des Sachverständigen N3 vom 23. März 2007 mit Nachtrag vom 24. Mai 2007 enthalte hierzu keinerlei Ausführungen. Diese weitere Geräuschquelle, die zu den vom Sachverständigen in der Begutachtung berücksichtigten Geräuschquellen hinzutrete, führe dazu, dass sie (die Klägerin) durch den Biergartenbetrieb in ihren Nachbarrechten beeinträchtigt werde. Das Gutachten sei daher nicht geeignet im Sinne der Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006. Schon der Umstand, dass der Beklagte diese Baugenehmigung durch die ergänzenden Bescheide vom 7. Mai 2007 und 19. Juni 2007 nachgebessert habe, mache deutlich, dass durch die dergestalt "maßgeschneiderte" Baugenehmigung der Schutz der Nachbarn vor unzumutbaren Immissionen nicht ausreichend gewährleistet werde und die Baugenehmigung daher rechtswidrig sei. Die nachträglichen Auflagen seien zu einer tatsächlichen bauplanerischen Konfliktbewältigung nicht geeignet, weil mit ihrer Beachtung nicht gerechnet werden könne und sie nicht auf effektive Umsetzung angelegt seien. Dies gelte insbesondere für die im Bescheid vom 19. Juni 2007 enthaltenen Auflagen Nr. 17.2 und 17.5; die Einhaltung der Grenzwerte gemäß der Auflage Nr. 3 zur Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 sei nicht effektiv kontrollierbar. Es komme hinzu, dass der Beklagte die Einhaltung der Auflagen auch tatsächlich nicht überwache.

Die Klägerin beantragt,

die der Beigeladenen vom Beklagten erteilte Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 in Verbindung mit der ergänzenden Auflage vom 7. Mai 2007 und dem ergänzenden Bescheid vom 19. Juni 2007 in der Fassung des Widerspruchsbescheides des Landrates des Kreises N vom 30. August 2007 sowie die Baugenehmigung des Beklagten vom 8. Mai 2008 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 verletze die Rechte der Klägerin nicht, weil jedenfalls durch die nachträglich erlassenen Auflagen der Schutz der Anwohner vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen sichergestellt sei. Diese Auflagen seien auch effektiv umsetzbar. Es sei für das Personal problemlos möglich, die Gäste auf das Erfordernis der Schließung der Fenster und Türen hinzuweisen bzw. diese selbst zu schließen. Dies gelte ebenso für das Verhalten der Personen auf dem Parkplatz zwecks Verhinderung von nächtlichen Ruhestörungen. Auch die Einhaltung der vorgeschriebenen Immissionsrichtwerte könne mit entsprechenden Geräten jederzeit überprüft werden. Es treffe auch nicht zu, dass er die Einhaltung der Auflagen durch die Beigeladene nicht kontrollieren bzw. durchsetzen werde. Eine lückenlose Überwachung durch ständige Präsenz vor Ort sei allerdings weder rechtlich geboten noch faktisch möglich.

Die Beigeladene schließt sich dem Vorbringen des Beklagten an und stellt keinen förmlichen Antrag.

Der Einzelrichter hat die Örtlichkeit am 18. August 2008 in Augenschein genommen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die hierüber gefertigte Niederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und des Landrates des Kreises N ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Soweit die Klägerin die ursprünglich nur auf die Aufhebung des Bescheides ("Ergänzende Auflage") vom 7. Mai 2007 gerichtete Klage durch Einbeziehung der Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sowie durch Einbeziehung der nach Klageerhebung ergangenen Bescheide vom 19. Juni 2007 und 8. Mai 2008 erweitert hat, ist diese Klageänderung nach § 91 Abs. 1 und 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) zulässig, weil sie sachdienlich ist und weil die übrigen Beteiligten sich schriftsätzlich bzw. in der mündlichen Verhandlung auf die geänderte Klage eingelassen haben.

Die Klage ist als Anfechtungsklage gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Beklagten zulässig, wobei die einzelnen im Klageantrag aufgeführten Bescheide nach dem erkennbaren Willen des Beklagten und auch aus der Sicht der Betroffenen eine einheitliche Regelung bilden, durch die der Beklagte der Beigeladenen die mit Nebenbestimmungen versehene Genehmigung erteilt hat, das Gebäude E-Straße 160 und eine näher bezeichnete Freifläche auf dem Flurstück 122 zu bestimmten Zeiten gastronomisch zu nutzen.

Die Klage ist begründet.

Die Baugenehmigung des Beklagten vom 19. Dezember 2006 in der Fassung, die sie durch die ergänzenden Bescheide vom 7. Mai 2007, 19. Juni 2007 und 8. Mai 2008 erhalten hat, ist rechtswidrig und verletzt nachbarrechtliche Abwehrrechte der Klägerin (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Ein öffentlichrechtliches nachbarliches Abwehrrecht setzt voraus, dass die dem Bauherrn erteilte Baugenehmigung gegen zwingendes, zumindest auch dem Schutz des Nachbarn dienendes materielles Baurecht verstößt, dieser Verstoß auch nicht durch eine Befreiung ausgeräumt werden kann und - sofern dies die gesetzliche Bestimmung erfordert - der Nachbar durch die Ausführung oder Nutzung des Vorhabens tatsächlich und nicht nur unwesentlich beeinträchtigt wird. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Die angegriffene Baugenehmigung verletzt Nachbarrechte der Klägerin jedenfalls in bauplanungsrechtlicher Hinsicht. Dabei kann offen bleiben, ob die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens der Beigeladenen, das Gegenstand der Baugenehmigung ist, nach Absatz 1 oder Absatz 2 des § 34 BauGB zu beurteilen ist.

Gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist (innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile) ein Vorhaben zulässig, wenn es sich unter anderem nach Art und Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Verordnung über die bauliche Nutzung der Grundstücke (Baunutzungsverordnung - BauNVO) bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach dieser Verordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 Abs. 2 BauGB).

Es spricht vieles dafür, dass die Eigenart der näheren Umgebung des Betriebsgrundstückes der Beigeladenen (Flurstücke 118 und 122) einem allgemeinen Wohngebiet (vgl. § 4 BauNVO) entspricht.

Berücksichtigt werden muss die "nähere Umgebung" einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zweitens insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Dabei muss die Betrachtung auf das Wesentliche zurückgeführt werden, und es muss alles außer Betracht gelassen werden, was die Umgebung nicht prägt oder in ihr gar als Fremdkörper erscheint. Es darf aber nicht nur diejenige Bebauung als erheblich angesehen werden, die gerade in der unmittelbaren Nachbarschaft des Baugrundstücks überwiegt, sondern es muss auch die Bebauung in der weiteren Umgebung des Grundstücks insoweit berücksichtigt werden, als auch sie noch "prägend" auf dasselbe einwirkt.

Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 18. Oktober 1974 - IV C 77.73 -, Baurechtssammlung (BRS), Band 28 Nr. 27, sowie Krautzberger in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 10. Aufl. 2007, § 34 Rz. 13 f., jeweils mit weiteren Nachweisen.

Bei der Bestimmung der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB können auch beplante Gebiete mit einbezogen werden.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 10. Juli 2000 - 4 B 39.00 -, BRS 63 Nr. 101.

Nach diesen Grundsätzen spricht einiges dafür, dass der Bereich innerhalb des Straßengevierts E-Straße / O-Straße / F-Straße / X-Straße die maßgebliche nähere Umgebung des Vorhabens bildet. Das dem Betriebsgrundstück der Beigeladenen auf der südlichen Seite der E-Straße gegenüberliegende Grundstück, das mit einer großen industriell genutzten Halle bebaut ist, gehört nicht mehr zur näheren Umgebung, weil der breiten und stark befahrenen E-Straße nach dem Eindruck, den der Einzelrichter im Ortstermin gewonnen hat, eine trennende Wirkung zukommt.

Vgl. zur trennenden Wirkung von Straßen: BVerwG, Urteil vom 6. Juli 1984 - 4 C 28.83 -, BRS 42 Nr. 26.

Auch die O-Straße könnte ungeachtet ihres Charakters als Nebenstraße eine solche trennende Wirkung haben, so dass die den Grundstücken der Beigeladenen und der Klägerin auf der Westseite der O-Straße gegenüberliegenden - teilweise gewerblich genutzten - Grundstücke trotz der geringen Entfernung nicht mehr zur näheren Umgebung gehörten. Da sich innerhalb des genannten Straßengevierts nach den im Ortstermin getroffenen Feststellungen außer dem Betrieb der Beigeladenen ausschließlich Wohngebäude (§ 4 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) sowie eine Kirche mit Gemeindezentrum und eine Schule (§ 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO) befinden, entspräche die Eigenart der näheren Umgebung dann einem allgemeinen Wohngebiet. Der auf dem Grundstück E-Straße 160 von der Beigeladenen auf der Grundlage der Baugenehmigung vom 8. April 2004 betriebene Palmenhandel steht der Qualifizierung als faktisches allgemeines Wohngebiet nicht entgegen. Denn hierbei dürfte es sich um einen sonstigen nicht störenden Gewerbebetrieb handeln, der nach § 4 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO im allgemeinen Wohngebiet ausnahmsweise zugelassen werden kann. Dass in einem allgemeinen Wohngebiet nach § 4 Abs. 3 BauNVO Vorhaben nur ausnahmsweise zulässig sind, steht der Annahme eines allgemeinen "faktischen" Wohngebiets noch nicht entgegen. Das ist dann anders, wenn die vorhandenen Vorhaben sich nicht auf wirkliche Ausnahmefälle beschränken, sondern gerade als "Ausnahmen" eine eigene prägende Wirkung auf die Umgebung ausüben,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. Februar 2000 - 4 B 1.00 -, BRS 63 Nr. 102,

was im Hinblick auf den Palmenhandel der Beigeladenen ersichtlich nicht der Fall ist.

Stuft man die nähere Umgebung des Grundstückes E-Straße 160 danach (wie der Landrat des Kreises N im Widerspruchsbescheid vom 30. August 2007) als faktisches allgemeines Wohngebiet ein, so ist die durch die angefochtenen Bescheide genehmigte Nutzung als Gaststätte mit großer Außengastronomie nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 4 Abs. 2 BauNVO planungsrechtlich unzulässig. § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO bestimmt, dass - nur - die der Versorgung des Gebiets dienenden Schank- und Speisewirtschaften zulässig sind. Jedenfalls die genehmigte Außengastronomie dient nicht der Versorgung des Gebiets und ist daher unzulässig.

Ob eine Gaststätte im Sinne des § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO der "Versorgung des Gebiets" dient, ist vom verbraucherbezogenen Einzugsbereich her zu bestimmen; nicht entscheidend sind dagegen - auch bei kleinen Landgemeinden - das Gemeindegebiet oder Gemeindegebietsteile (Ortsteile), ebenso nicht zwingend das festgesetzte Wohngebiet. Ein verbrauchernaher Einzugsbereich liegt nicht vor, wenn die Gaststätte auf Besucher ausgerichtet ist, die realistischerweise zum Besuch ein Kraftfahrzeug benutzen, oder wenn die Gaststätte eine Kapazität aufweist, die nicht erwarten lässt, dass sie durch die Bewohner des "Gebiets" in einem ins Gewicht fallenden Umfang ausgelastet wird.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. September 1998 - 4 B 85.98 -, BRS 60 Nr. 67, und Urteil vom 29. Oktober 1998 - 4 C 9.97 -, BRS 60 Nr. 68; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 2. März 2001 - 7 A 2432/99 -, BRS 64 Nr. 69.

Die Frage der Gebietsversorgung ist für jeden Einzelfall unter Würdigung der konkreten Umstände zu beantworten. Ein Indiz für die funktionale Zuordnung einer Gaststätte zu einem Wohngebiet ist neben der gebietsangemessenen Betriebsgröße und einem darauf abgestimmten Nutzungskonzept die fußläufige Erreichbarkeit der Gaststätte.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. März 2005 - 10 B 1350/04 -, BRS 69 Nr. 62.

Bei Anwendung dieser Kriterien dient der gastronomische Betrieb der Beigeladenen, insbesondere der Biergarten, nicht der Versorgung des Gebiets. Die Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 in Verbindung mit dem ergänzenden Bescheid vom 19. Juni 2007 trifft zur Kapazität der Außengastronomie keine Aussage und legt keine Obergrenze der Besucherzahl fest. Aus den zur Baugenehmigung gehörenden Bauvorlagen geht lediglich hervor, dass die zeitweise für Gastronomie genutzte Freifläche eine Größe von ca. 120 m² aufweist. Der Sachverständige N3 geht in seinem schalltechnischen Gutachten vom 23. März 2007 davon aus, dass diese Fläche Platz für ca. 96 Gäste bietet. Der Geschäftsführer der Beigeladenen hat im Ortstermin erklärt, bei besonderen Anlässen hätten sich sogar 150 bis 200 Gäste in seinem Biergarten aufgehalten. Nach dem Inhalt der Baugenehmigung ist somit eine Außengastronomie für mindestens 100 Gäste möglich und zulässig. Die tatsächliche Gästezahl mag in der Regel geringer sein; darauf kommt es jedoch für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung nicht an.

Bei einer erlaubten Kapazität von 100 Gästen dient der Biergarten der Beigeladenen nicht der Versorgung des Gebiets, in dem er sich befindet. Als Gebiet in diesem Sinne kommt allenfalls ein Bereich in Betracht, der im Süden durch die E-Straße, im Westen durch die G-Straße, im Norden durch die S-Straße und S1-Straße sowie im Osten durch die X-Straße begrenzt wird. Nur in diesem Bereich befindet sich Wohnbebauung, während die angrenzenden Gebiete von gewerblicher bzw. industrieller Nutzung geprägt sind. Die in dem so umrissenen "Wohngebiet" lebenden Menschen können die Gaststätte der Beigeladenen fußläufig erreichen, während andere Besucher, die etwa in anderen Teilen der Stadt I wohnen, realistischerweise ein Kraftfahrzeug benutzen werden, um dorthin zu gelangen. Das Wohngebiet nördlich der E-Straße ist aber relativ klein, so dass nicht zu erwarten ist, dass der Biergarten mit 100 Plätzen in nennenswertem Umfang durch die Bewohner dieses Gebietes ausgelastet sein wird. Das behauptet auch der Geschäftsführer der Beigeladenen nicht, der im Ortstermin lediglich angegeben hat, viele seiner Gäste kämen aus der näheren Umgebung, ohne den Begriff der "näheren Umgebung" zu konkretisieren.

Ist die planungsrechtliche Zulässigkeit des streitigen Vorhabens der Beigeladenen nach § 34 Abs. 2 BauGB zu beurteilen, so ist die Baugenehmigung folglich rechtswidrig und die Klägerin in ihren Rechten verletzt, da § 4 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO nachbarschützende Wirkung hat,

vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. September 1998 - 4 B 85.98 -, BRS 60 Nr. 67.

Misst man der O-Straße keine trennende Wirkung bei und rechnet man die Grundstücke, die auf der Westseite der O-Straße den Grundstücken der Beigeladenen und der Klägerin gegenüber liegen, noch zur näheren Umgebung, so entspricht deren Eigenart nicht einem allgemeinen Wohngebiet, weil sich dort ein Sendemast und gewerblich genutzte Gebäude befinden. Um ein faktisches Mischgebiet (vgl. § 6 BauNVO) handelt es sich aber wegen des eindeutigen Überwiegens der Wohnbebauung innerhalb des genannten Straßengevierts ebenfalls nicht. Es ist somit von einer "Gemengelage" und der Anwendbarkeit des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB auszugehen. Auch dann verletzt die Baugenehmigung Nachbarrechte der Klägerin, weil das genehmigte Vorhaben (gastronomische Nutzung, insbesondere Außengastronomie) mit dem im Tatbestandsmerkmal "Einfügen" enthaltenen Gebot der Rücksichtnahme nicht vereinbar ist.

Welche Anforderungen an das in diesem Tatbestandmerkmal des § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB bzw. in § 15 Abs. 1 BauNVO enthaltene Gebot der Rücksichtnahme zu stellen sind, hängt wesentlich von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Danach kann um so mehr an Rücksichtnahme verlangt werden, je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung derer ist, denen die Rücksichtnahme in diesem Zusammenhang zugute kommt; umgekehrt braucht derjenige, der das Vorhaben verwirklichen will, umso weniger Rücksicht zu nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm mit seinem Vorhaben verfolgten Interessen sind. Bei diesem Ansatz kommt es für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalls wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem Rücksichtnahmepflichtigen nach Lage der Dinge zuzumuten ist.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Oktober 1993 - 4 C 5.93 -, BRS 55 Nr. 168 m.w.N..

Nach diesen Grundsätzen erweist sich das genehmigte Vorhaben als rücksichtslos.

Durch den Biergartenbetrieb mit einer - nach der Baugenehmigung zulässigen - Größenordnung von mindestens 100 Sitzplätzen werden für das Grundstück der Klägerin unzumutbare Immissionen hervorgerufen. Die maßgebliche nähere Umgebung wird ganz überwiegend wohngebietstypisch genutzt; der rückwärtige Bereich des Grundstücks der Klägerin und der übrigen auf der Südseite des A-Weges gelegenen Grundstücke dient im Wesentlichen der Ruhe und Erholung der dort lebenden Bewohner. Von der auf dem angrenzenden Flurstück 170 befindlichen Kirche gehen keine nennenswerten Störungen aus, da diese allenfalls am Wochenende für wenige Stunden von einer erfahrungsgemäß geringen Anzahl von Gläubigen genutzt wird, die - im Unterschied zu den Besuchern eines Biergartens - nicht im Freien lärmen. Eine gewisse Vorbelastung des Grundstücks der Klägerin ist zwar durch die Nähe zur stark befahrenen E-Straße und zur auch von Lastkraftwagen genutzten O-Straße gegeben; der Verkehrslärm ist jedoch in den allgemeinen Ruhe- und Erholungszeiten (abends, am Wochenende) deutlich geringer, zumal dann der Zu- und Abgangsverkehr in die bzw. aus den das Wohngebiet umgebenden Gewerbegebieten entfällt. Gerade zu diesen Zeiten werden Biergärten - wie auch der der Beigeladenen - aber erfahrungsgemäß verstärkt besucht und macht sich der dabei erzeugte Lärm besonders störend bemerkbar.

Der Klägerin sind die Lärmbeeinträchtigungen des Biergartens der Beigeladenen aufgrund seiner Lage im rückwärtigen Bereich hinter ihrem Wohnhaus O-Straße 4 nicht zuzumuten. Von dem Vorhaben geht ein hohes Störpotential aus. Aufgrund des Betriebs des nach der Genehmigung vom 8. Mai 2008 werktags von 12.00 Uhr bis 15.00 Uhr und von 17.30 Uhr bis 22.00 Uhr, samstags von 12.00 Uhr bis 22.00 Uhr sowie sonn- und feiertags von 10.00 Uhr bis 22.00 Uhr nutzbaren Biergartens wird die Klägerin durch laute Unterhaltungen, Rufen, lautes oder schrilles Lachen der Gäste sowie durch das Klappern von Geschirr und Gläsern und sogar durch Musikbeschallung, die nach der Baugenehmigung zumindest nicht ausgeschlossen ist, in der Wohnruhe gestört. Derartige Beeinträchtigungen gibt es vornehmlich in den Zeiten, in denen die Wohnbevölkerung ein besonderes Ruhebedürfnis besitzt, nämlich in den Abendstunden und an Sonn- und Feiertagen. In diesen Zeiten kann die Wohnnutzung grundsätzlich Schutz vor erheblichen, das Wohnen wesentlich störenden Lärmbelästigungen beanspruchen.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1983 - 4 C 64.79 -, BRS 40 Nr. 45; OVG NRW, Beschlüsse vom 9. Juli 1998 - 7 B 1226/98 - und vom 13. Februar 1998 - 10 B 2290/97 -.

Die Beeinträchtigungen sind für die Klägerin unzumutbar, da sie auf den rückwärtigen Bereich und damit auf den Ruhebereich ihres ca. 40 m vom Biergarten entfernten Wohnhauses einwirkt. Den Lärmbelästigungen ist ihr Grundstück, welches von dem durch Außengastronomie genutzten Flurstück 122 nur durch eine schmalen Fußweg getrennt ist, weitgehend ungeschützt ausgesetzt. Lediglich der in der nordwestlichen Ecke des Flurstücks 122 errichteten Gewächshaushalle kommt eine gewisse schalldämmende Wirkung zu. Diese - typischerweise besonders lärmintensive - Art des Gaststättengewerbes dringt in einen hinter den Gebäuden des A-Weges liegenden Bereich ein, der bisher nicht von derart spürbaren Geräuschimmissionen beeinträchtigt worden ist. Bauliche Nutzungen, die nennenswerte vergleichbare Geräuschbelastungen erwarten lassen, sind dort bisher nicht zugelassen worden. Mit dem Biergarten ist vielmehr Lärm in eine bislang der vorhandenen Wohnnutzung zugute kommende schutzbedürftige Ruhezone hineingetragen worden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 1998 - 7 B 1226/98 -, und Beschluss vom 25. Juni 2008 - 10 A 2525/07 -, juris.

Die Einschätzung des Gerichts, dass durch den Biergartenbetrieb der Beigeladenen für das Grundstück der Klägerin unzumutbare Lärmimmissionen hervorgerufen werden, wird durch das schalltechnische Gutachten des Sachverständigen N3 vom 23. März 2007 in Verbindung mit dem Nachtrag vom 24. Mai 2007 nicht in Frage gestellt. Das Gutachten (Schallschutzprognose) gelangt auf der Grundlage - komplizierter, ohne technisches Fachwissen kaum nachvollziehbarer - schalltechnischer Berechnungen zu dem Ergebnis, dass durch den Gastronomiebetrieb auf dem Grundstück E-Straße 160 (Innen- und Außengastronomie) die für allgemeine Wohngebiete zulässigen Immissionsrichtwerte nicht überschritten werden. Dabei legt das Gutachten die Immissionsrichtwerte gemäß TA Lärm und Freizeitlärmerlass zugrunde (S. 7 ff. des Gutachtens). Die Einhaltung dieser Immissionsrichtwerte besagt jedoch nicht notwendig, dass die durch die gastronomische Nutzung verursachten Lärmimmissionen für die mit Wohnhäusern bebauten Nachbargrundstücke zumutbar sind. Denn bei der Beurteilung der Frage, welche Lärmimmissionen Anwohnern zuzumuten sind, haben technische Regelwerke wie insbesondere die TA Lärm, aber auch die Freizeitlärmrichtlinie nur eine begrenzte Aussagekraft, da sie nicht alle Aspekte erfassen, so dass regelmäßig eine situationsbezogene Abwägung der Umstände des Einzelfalls geboten ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Juli 2003 - 4 B 55.03 -, BRS 66 Nr. 167; OVG NRW, Beschlüsse vom 28. August 1998 - 10 B 1253/98 -, BRS 60 Nr. 202, und vom 25. August 2003 - 7 B 1477/03 -, juris.

Gerade bei Anlagen der Außengastronomie werden die Auswirkungen dieser - typischerweise besonders lärmintensiven - Art des Gaststättenbetriebs durch eine schalltechnische Untersuchung, die sich schematisch an das jeweilige Regelwerk hält, nicht vollständig erfasst. Es geht nämlich nicht um die Bewertung von Arbeitslärm oder gleichmäßigen bzw. gleichförmigen Geräuschen (wie sie z.B. von Lüftungsanlagen ausgehen können), sondern um die Beurteilung der Lautäußerungen von Gaststättenbesuchern, die von dem Gaststättenbetreiber kaum beeinflusst werden können und die wegen ihrer Informationshaltigkeit als besonders störend empfunden werden. Die Belastbarkeit des Menschen mit Lärm hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nur unvollkommen in einem einheitlichen Messwert aggregierend zusammengefasst werden können. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - die in die Beurteilung einzustellenden Geräusche vornehmlich durch menschliches Verhalten verursacht werden und vom Naturell und der jeweiligen Stimmung der einzelnen Gaststättenbesucher abhängen und daher weder gesteuert noch hochgerechnet werden können.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 9. Juli 1992 - 7 A 158/91 -, BRS 54 Nr. 190, sowie Beschlüsse vom 25. Juni 2008 - 10 A 2525/07 - und vom 17. Juli 2008 - 7 A 1868/07 -, alle m.w.N..

Gerade für eine Biergartennutzung sind als besonders lästig empfundene Einzelgeräusche wie lautes bzw. schrilles Rufen oder Lachen geradezu typisch.

Vgl. hierzu z.B. OVG NRW, Beschluss vom 9. Juli 1998 - 7 B 1226/98 -.

Diesen Besonderheiten der von der Außengastronomie ausgehenden Lärmimmissionen trägt das Gutachten des Sachverständigen N3 nicht ausreichend Rechnung. So wird auf Seite 35 des Gutachtens ausgeführt, beim Emissionsansatz für die Außengastronomie sei davon ausgegangen worden, dass jede zweite Person spreche und hiervon wiederum jede zweite Person mit gehobener Sprache; außerdem ist die Impulshaltigkeit der Sprachkommunikation mit einem Korrekturwert berücksichtigt worden. Diese Annahmen lassen außer Acht, dass in einem Biergarten typischerweise nicht nur gesprochen, sondern auch gerufen, gelacht und gegrölt wird. Hinzu kommt das Klirren von Gläsern und das Klappern von Geschirr sowie im vorliegenden Fall vor allem die Musikbeschallung, die im Gutachten N3 mit keinem Wort erwähnt wird. Insoweit geht das Gutachten von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen aus. Dies gilt auch für zwei weitere Annahmen, auf denen die Immissionsberechnung für die Außengastronomie beruht. Zum einen heißt es auf Seite 35 des Gutachtens, der Freibereich für die Außenbewirtung sei auf 100 Personen ausgelegt. Insoweit ist zwar einzuräumen, dass die für Außenbewirtung genehmigte Fläche von ca. 120 m² bei Ausstattung mit Tischen und Stühlen bzw. Bänken in der Regel nicht mehr als 100 Gästen Platz bieten mag. Die Baugenehmigung enthält jedoch keine Beschränkung der Gästezahl, so dass eine intensivere Nutzung der Freifläche erlaubt ist und den Angaben des Geschäftsführers der Beigeladenen zufolge bei bestimmten Anlässen auch stattfindet. Zum anderen werden im Gutachten (S. 35) "die Traufen des Gewächshauses mit jeweils h = 2,70 m und der First der Halle mit h = 3,70 m" als Schirme berücksichtigt. Die Halle, deren Errichtung im nördlichen Bereich des Flurstücks 122 offenbar geplant war, ist aber tatsächlich nicht vorhanden, so dass ihre Berücksichtigung als Schallschutzschirm fehlerhaft ist. Aus den genannten Gründen ist das Gutachten des Sachverständigen N3 nicht geeignet nachzuweisen, dass die durch die Außengastronomie verursachten Lärmimmissionen für das Nachbargrundstück der Klägerin zumutbar sind.

Die Auflagen, mit denen der Beklagte die Baugenehmigung - zum Teil nachträglich - versehen hat, sind nicht geeignet, die Rücksichtslosigkeit des Vorhabens in immissionsschutzrechtlicher Hinsicht auszuräumen. Dies gilt zunächst für die Auflage Nr. 3 zur Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006, die sich als Auflage Nr. 5 im Bescheid vom 8. Mai 2008 wiederfindet. Denn durch die Vorgabe, dass die von der genehmigten Nutzung ausgehenden Geräuschimmissionen bestimmte Immissionsrichtwerte nicht überschreiten dürfen, kann aus den oben dargelegten Gründen ein wirksamer Schutz der Nachbarn vor unzumutbaren Lärmbeeinträchtigungen nicht sichergestellt werden. Im Übrigen erscheint fragwürdig, ob der Beklagte die Einhaltung dieser Auflage durch die Beigeladene effektiv überwachen und durchsetzen kann. Auch die durch den ergänzenden Bescheid vom 19. Juni 2007 der Baugenehmigung beigefügte Auflage Nr. 16, wonach das schalltechnische Gutachten vom 23. März 2007 und 24. Mai 2007 "zum Bestandteil der Baugenehmigung" wird sowie "inhaltlich zu beachten und umzusetzen" ist, ist ungeeignet, zur Regelung und Begrenzung der Immissionen beizutragen. Sie ist inhaltlich völlig unbestimmt, weil nicht nachvollziehbar ist, was es bedeuten soll, dass das Gutachten Bestandteil der Baugenehmigung und inhaltlich umzusetzen sein soll. Das Gutachten des sachverständigen N3 regelt keine zulässigen Lärmwerte, sondern stellt Prognosen über zu erwartenden Lärm auf. Die nachträgliche Auflage Nr. 16 ergibt deshalb keinen Sinn.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. November 1989 - 7 B 2966/87 -, BRS 49 Nr. 205.

Die durch Bescheid vom 19. Juni 2007 angefügten Auflagen Nr. 17.1 bis 17.5 ändern an der Rücksichtslosigkeit des Vorhabens schon deshalb nichts, weil sie nicht die vom Betrieb der Außengastronomie ausgehenden - für die Klägerin unzumutbaren - Lärmimmissionen betreffen. Im Übrigen spricht manches dafür, dass die Baugenehmigung durch diese Nebenbestimmungen im Hinblick auf den Störgrad des Vorhabens passend gemacht werden sollte. Individuelle immissionsrelevante Nebenbestimmungen führen aber nur dann zu einer tatsächlichen bauplanerischen Konfliktbewältigung, wenn sie auf effektive Umsetzung angelegt sind, so dass bei realistischer Betrachtungsweise mit ihrer Beachtung gerechnet werden kann.

Vgl. zur "maßgeschneiderten" Baugenehmigung: OVG NRW, Beschluss vom 10. August 2007 - 10 B 401/07 - m.w.N..

Das ist hier etwa bei der Auflage Nr. 17.2 nicht der Fall. Denn es kann insbesondere im Sommer kaum verhindert werden, dass Gäste auch nach 22.00 Uhr die zur Freifläche hin gelegene Tür auf der Nordseite des Betriebsgebäudes öffnen, um den Gastraum zu kühlen und zu belüften oder auch um die Freifläche zu betreten, da auch die Schließung der Außengastronomie um 22.00 Uhr (Auflage Nr. 17.1) an warmen Sommerabenden nur schwer durchsetzbar sein wird.

Auf Bestandsschutz kann sich die Beigeladene nicht berufen. Zwar ist das Gebäude E- Straße 160 über einen Zeitraum von wohl mehr als 100 Jahren als Gaststätte genutzt worden und wird auch eine entsprechende Baugenehmigung erteilt worden sein, die allerdings vom Beklagten nicht vorgelegt worden ist. Ein etwa gegebener Bestandschutz für die gastronomische Nutzung ist aber dadurch erloschen, dass auf dem fraglichen Grundstück im Frühjahr 2004 auf der Grundlage der Baugenehmigung vom 8. April 2004 eine anderweitige Nutzung (Verkauf von mediterranen Pflanzen und Zubehör) aufgenommen worden ist, die nicht nur vorübergehend ausgeübt werden sollte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. März 1988 - 4 C 21.85 -, BRS 48 Nr. 138; OVG NRW, Urteil vom 14. März 1997 - 7 A 5179/95 -, BRS 59 Nr. 149.

Erweist sich das streitgegenständliche Vorhaben der Beigeladenen somit gegenüber der Klägerin als rücksichtslos und die angefochtene Baugenehmigung als nachbarrechtswidrig, so führt dies zur Aufhebung der Baugenehmigung in vollem Umfang, auch wenn nur die Außengastronomie zu beanstanden ist. Denn die Baugenehmigung kann nicht in eine Genehmigung der Nutzung des Gebäudes als Restaurant und eine Genehmigung der Nutzung der Freifläche als Biergarten geteilt werden. Eine Baugenehmigung stellt regelmäßig ein einheitliches Ganzes dar, soweit die einzelnen Bestandteile des Vorhabens eine bautechnische Einheit bilden, wenn sie unter Nutzungsgesichtspunkten eine enge funktionale Verbindung aufweisen, wenn der eine Bestandteil ohne den anderen baurechtlich nicht zulässig ist oder wenn die Einheitlichkeit des Vorhabens dem ausdrücklich geäußerten Willen des Bauherrn entspricht.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. September 2001 - 10 B 332/01 -, BRS 64 Nr. 180 m.w.N..

Nach diesen Grundsätzen ist die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung nicht teilbar, weil Innen- und Außengastronomie unter Nutzungsgesichtspunkten eine enge funktionale Verbindung aufweisen und die Einheitlichkeit des Vorhabens dem Willen der Beigeladenen entspricht. Die enge Verbindung zwischen Innen- und Außengastronomie kommt auch in der der Baugenehmigung vom 19. Dezember 2006 beigefügten "Bedingung" Nr. 1 zum Ausdruck.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 der Zivilprozessordnung.