OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11.12.2008 - 7 D 111/07.NE
Fundstelle
openJur 2011, 65355
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird verworfen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan 269 - M. - der Antragsgegnerin, weil dieser in der Nachbarschaft seines Wohngrundstücks im Wesentlichen ein Sondergebiet "großflächiger Einzelhandel" nebst Stellplätzen ausweist. Das Wohngrundstück des Antragstellers und weitere Wohngrundstücke am Rande des Sondergebiets sind als allgemeines Wohngebiet bzw. Mischgebiet in den Planbereich mit einbezogen.

Der strittige Bebauungsplan überplant einen zentral in F. am Rande der Innenstadt brach liegenden ehemaligen Kokereistandort. Das Plangebiet erstreckt sich über eine Breite von ca. 280 m von der Jahnstraße im Westen bis zur Straße M. (L 238) im Osten, einer in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Haupterschließungsstraße. Im Nordwesten bezieht der Plan einen Kindergarten als Fläche für den Gemeinbedarf mit ein; die östlich hiervon liegenden Tennisplätze sind nicht Bestandteil des Bebauungsplans. Nördlich des Kindergartens und der Tennisplätze verläuft die J1. von West nach Ost durch F. . Im Süden begrenzt die August-U. -Straße das Plangebiet. Im südöstlichen Teil des Bebauungsplans ist die Straße M. im Kreuzungsbereich August-U. -Straße und N.-----straße erfasst und als Straßenverkehrsfläche ausgewiesen. Die nordwestlich hiervon vorhandene Mischnutzung von Wohnbebauung und nicht wesentlich störenden Gewerbebetrieben hat zur Festsetzung eines Mischgebiets geführt.

Auch die Wohnbebauung an der nördlichen Seite der August-U. -Straße, u.a. das Wohngrundstück des Antragstellers, wird von dem Bebauungsplan erfasst. Hier ist mit Blick auf die vorhandene Bebauung ein allgemeines Wohngebiet festgesetzt worden. Ein nördlich des Grundstücks des Antragstellers am westlichen Rand des Plangebiets liegender, von der K.---straße erschlossener öffentlicher Parkplatz ist als Mischgebiet überplant.

Westlich des Plangebiets jenseits der K.---straße befinden sich eine Schule, eine Eissporthalle sowie eine Sport- und Schwimmhalle. Östlich des Plangebiets beginnt in einer Entfernung von ca. 250 m die Innenstadt F. mit der Fußgängerzone Grabenstraße/Neustraße.

Der nachfolgende Kartenausschnitt gibt das Plangebiet und dessen Umgebung wieder.

Kartenausschnitt aus datenschutzrechtlichen Gründen entfernt

Der Bebauungsplan trifft im Wesentlichen folgende Festsetzungen:

Die zentrale Fläche des Plangebiets ist als Sondergebiet mit der Zweckbestimmung "Großflächiger Einzelhandel" festgesetzt. Dort ist nach den Festsetzungen in der Planurkunde großflächiger Einzelhandel mit einer maximalen Verkaufsfläche von 6.000 qm, nahversorgungs- und zentrenrelevante Sortimente, davon

- nahversorgungsrelevante Sortimente max. 3.500 qm,

- zentrenrelevante Sortimente max. 3.000 qm, davon Bekleidung max. 2.000 qm, übrige zentrenrelevante Sortimente jeweils max. 1.500 qm Verkaufsfläche zulässig.

Die textlichen Festsetzungen regeln unter Nr. 1.1.1. "nahversorgungsrelevante Sortimente", dass auf max. 3.500 qm Verkaufsfläche mehrere Fachmärkte aus dem Bereich Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren, Wasch- und Putzmittel, Hygieneartikel, Körperpflegemittel, Tafel, Küchen- u.ä. Haushaltsgeräte zulässig sind. Unter Nr. 1.1.2. "zentrenrelevante Sortimente" treffen die textlichen Festsetzungen folgende Bestimmung: Auf max. 3.000 qm Verkaufsfläche sind weitere Fachmärkte mit zentrenrelevanten Sortimenten zulässig: ein Fachmarkt mit den Sortimenten Textilien, Bekleidung, Pelzwaren mit einer maximalen Verkaufsfläche von 1.500 qm, weitere Fachmärkte mit einer Verkaufsfläche von mindestens 500 qm und maximal 900 qm. Zudem werden in einer Liste die Sortimentsgruppen aufgeführt, die als zentrenrelevante Sortimente gelten. Im Sondergebiet sind zusätzliche Nutzungen wie gastronomische Betriebe, sonstige Dienstleistungsbetriebe, Anlagen für gesundheitliche und sportliche Zwecke sowie Büro- und Verwaltungsgebäude zulässig (Nr. 1.2 der textlichen Festsetzungen). Nach Nr. 1.3 können ausnahmsweise Wohnungen für Aufsichts- und Bereitschaftspersonen sowie für Betriebsinhaber und Betriebsleiter zugelassen werden, wenn die Wohnungen dem Gewerbebetrieb zugeordnet und ihm gegenüber in Grundfläche und Baumasse untergeordnet sind. Zudem sind Versorgungsanlagen für die Versorgung mit Gas und Elektrizität ausnahmsweise zulässig.

Der Bebauungsplan setzt für das Sondergebiet eine maximale Traufhöhe von 9 m bei zwei Vollgeschossen fest. Die überbaubare Grundstücksfläche des Sondergebiets ist umfassend durch Baugrenzen gegliedert.

Verkehrlich erschlossen werden soll das Sondergebiet sowohl von der Straße M. im Osten als auch von der K.---straße im Westen - hier über den öffentlichen Parkplatz K.---straße . Eine weitere Zufahrt soll über die August-U. -Straße geschaffen werden, indem die Wohnbebauung dort durchbrochen wird.

Das Verfahren zur Aufstellung des Bebauungsplans nahm folgenden Verlauf:

Am 10. Mai 2005 beschloss der Planungs-, Umwelt- und Bauausschuss der Antragsgegnerin (im Folgenden: Planungsausschuss), den Bebauungsplan 269 - M. - aufzustellen. Der Aufstellungsbeschluss wurde im Amtsblatt der Antragsgegnerin vom 25. Mai 2005 bekanntgemacht. Zugleich wurde die Aufstellung der 83. Änderung des Flächennutzungsplans der Antragsgegnerin - M. - beschlossen.

Die frühzeitige Bürgerbeteiligung fand gemäß Bekanntmachung vom 25. Mai 2005 durch öffentliche Ausstellung der beabsichtigten Planung in der Zeit vom 2. Juni 2005 bis zum 4. Juli 2005 statt. Die Planung sah (noch) eine Einbeziehung der nördlich des Sondergebiets liegenden Tennisplätze vor. Träger öffentlicher Belange wurden mit Anschreiben vom 18. Mai 2005 beteiligt. Das Staatliche Umweltamt A wies mit Schreiben vom 1. Juni 2005 darauf hin, dass beidseitig der J. ein Uferrandstreifen von mindestens 5 m frei zu halten sei.

Am 25. Januar 2006 nahm der Planungsausschuss der Antragsgegnerin die Ergebnisse der frühzeitigen Beteiligungen zur Kenntnis und beschloss die Offenlegung des Planentwurfs, die gemäß Bekanntmachung vom 27. Januar 2006 in der Zeit vom 6. Februar 2006 bis 10. März 2006 stattfand. Um den Bedenken des Staatlichen Umweltamtes A. Rechnung zu tragen, wurden die Tennisplätze aus dem Plangebiet herausgenommen. Die Träger öffentlicher Belange wurden mit Schreiben vom 2. Februar 2006 um ihre Stellungnahmen gebeten.

Die Industrie- und Handelskammer A. wies unter dem 17. Februar 2006 auf ihre Stellungnahme im Zuge der frühzeitigen Beteiligung hin und betonte, dass eine Verwirklichung des Planvorhabens zu Lasten vorhandener Geschäfte in der Innenstadt gehen werde. Die weiteren eingegangenen Stellungnahmen befassten sich insbesondere mit den Auswirkungen der Planung auf den lokalen Einzelhandel. Der Antragsteller äußerte sich nicht.

Am 25. Oktober 2006 befasste sich der Rat der Antragsgegnerin mit den während der Offenlegung eingegangenen Stellungnahmen und beschloss sodann den Bebauungsplan sowie die dazugehörige Begründung als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde im Amtsblatt der Antragsgegnerin am 17. Januar 2007 bekanntgemacht. Die vom Rat der Antragsgegnerin am 29. März 2006 beschlossene 83. Änderung des Flächennutzungsplans war von der Bezirksregierung K bereits unter dem 10. August 2006 genehmigt und am 18. Oktober 2006 bekanntgemacht worden.

Mit Schreiben vom 8. Februar 2007 wandten sich die Prozessbevollmächtigten des Antragstellers im Namen einer "BGB-Klägergemeinschaft M. -F. " an den Bürgermeister der Antragsgegnerin und rügten diverse Fehler des Planungsverfahrens. So sei der Umweltbericht unvollständig, weil die Hochwasserproblematik nicht untersucht worden sei. Auch hätten die Altlasten im Plangebiet näher ermittelt werden müssen. Vor der Ausweisung eines Sondergebiets für großflächigen Einzelhandel hätte die Antragsgegnerin ein Einzelhandelskonzept erstellen lassen müssen.

Unter dem 13. März 2008 wurde der Beigeladenen vom Bürgermeister der Antragsgegnerin eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Fachmarktzentrums einschließlich gastronomischer Betriebe sowie eines Parkplatzes im Sondergebiet erteilt. Das Verwaltungsgericht Aachen ordnete mit Beschluss vom 20. August 2008 (3 L 242/08) die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung an. Im Beschwerdeverfahren verpflichtete der Senat über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage hinausgehend den Bürgermeister der Antragsgegnerin, gegenüber der Beigeladenen eine sofort vollziehbare Stilllegungsverfügung zu erlassen (OVG NRW, Beschluss vom 27. Oktober 2008 - 7 B 1368/08 -).

Mit Beschluss vom 28. Juli 2008 (7 B 496/08.NE) war auf Antrag des Antragstellers der Vollzug des Bebauungsplans 269 - M. - ausgesetzt worden. Der Rat der Antragsgegnerin beschloss am 27. August 2008 die Durchführung eines ergänzenden Verfahrens und am 10. Dezember 2008 den durch das ergänzende Verfahren geänderten Bebauungsplan als Satzung. Der Satzungsbeschluss wurde noch nicht bekanntgegeben.

Die Beigeladene legte mit Schreiben vom 13. November 2008 eine Vergleichsvereinbarung vor, ausweislich der sich der Antragsteller u.a. verpflichtet habe, einen Prozessbevollmächtigten anzuweisen, in seinem Namen den anhängigen Normenkontrollantrag zurückzunehmen.

Diesen Normenkontrollantrag hat der Antragsteller bereits am 27. September 2007 gestellt - ursprünglich gemeinsam mit zwei weiteren Antragstellern, deren Verfahren mit Beschluss vom 5. Juni 2008 abgetrennt worden ist.

Zur Begründung seines Antrags trägt der Antragsteller insbesondere vor, sein in einem allgemeinen Wohngebiet liegendes Grundstück werde durch die planbedingte Zunahme an Verkehr unzumutbaren Lärmimmissionen ausgesetzt. Angesichts der geplanten Verkehrsführung würde der vom Fachmarktzentrum abfahrende Verkehr das Grundstück demnächst von zwei Seiten umfließen.

Der Umweltbericht sei unvollständig, weil Untersuchungen und Feststellungen zur Hochwasserproblematik fehlten. Gegen § 3 Abs. 2 Satz 1 BauGB sei verstoßen worden, weil der Planentwurf den an der Kreuzung M. /N.-----straße vorgesehenen Verkehrskreisel nicht enthalte und so die Probleme der veränderten Verkehrsführung der Öffentlichkeit nicht unterbreitet worden seien. Des Weiteren leide der Bebauungsplan an einem Abwägungsdefizit. Die Altlastenproblematik sei nicht hinreichend erfasst worden, sondern mittels städtebaulichen Vertrags auf den Vorhabenträger abgeschoben worden. Ein weiteres Abwägungsdefizit liege in der Außerachtlassung des Hochwasserschutzes. Auch habe man das Sondergebiet für den großflächigen Einzelhandel festgesetzt, ohne zuvor ein städtebauliches Gesamtkonzept erstellt zu haben. Schließlich seien die planbedingten Verkehrsströme bei der Beratung und Beschlussfassung über den Bebauungsplan 269 nur unvollständig erfasst und berücksichtigt worden. Erst nach der Bekanntmachung des Bebauungsplans sei die konkrete Straßenausbauplanung vorgestellt worden. Auch die Verwaltungsvereinbarung zwischen dem Kreis A. und der Antragsgegnerin über den Ausbau der L 238 - Straße M. - stamme erst vom Januar 2007.

Soweit sich die Beigeladene und die Antragsgegnerin auf eine außergerichtliche Vereinbarung beriefen, ausweislich der er, der Antragsteller, u.a. seinen Normenkontrollantrag durch einen Prozessbevollmächtigten zurückzunehmen habe, sei diese Vereinbarung nichtig und werde zudem angefochten. Man habe seine juristische Unerfahrenheit ausgenutzt und standeswidrig gehandelt, als man ihn am 3. November 2008 die Vereinbarung gegen ein Entgelt von 10.000,- Euro habe unterschreiben lassen. Nachdem es einen ersten Gesprächskontakt im Laufe des Oktober 2008 gegeben habe, sei es zu einem persönlichen Gespräch am 31. Oktober 2008 mit einem Herrn U1. gekommen, der sich als Vertreter der Beigeladenen ausgegeben habe. Er könne sich nicht mehr erinnern, ob ihm anlässlich dieses Gesprächs eine Vollmacht der Beigeladenen gezeigt worden sei. Herr U1. habe über die anhängigen Verfahren gesprochen und sinngemäß gesagt, die Erfolgsaussichten stünden 50 : 50. In dem Gespräch habe Herr U1. von sich aus einen Geldbetrag von 10.000,- Euro als Gegenleistung für die Beendigung der gerichtlichen Verfahren angeboten. Man habe dann die Geldübergabe und die Unterzeichnung der Vereinbarung für den 3. November 2008 vereinbart. Während des Termins am 3. November 2008 sei er von Herrn U1. nicht über den Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2008 im einstweiligen Rechtsschutzverfahren gegen die Baugenehmigung für das Fachmarktzentrum in Kenntnis gesetzt worden. Man habe ihn daher arglistig getäuscht. Er selbst sei von seinem Prozessbevollmächtigten per Briefpost über den Beschluss unterrichtet worden und habe daher am 3. November 2008 noch keine Kenntnis vom Verfahrensausgang gehabt. Den Text der Vereinbarung habe er sich zweimal durchgelesen, bevor er unterschrieben habe. Er sei auch nicht der einzige Kritiker des Planvorhabens in F. . Ein größerer Kreis halte den Bebauungsplan für unwirksam und habe sich zu einer Interessengemeinschaft zusammengeschlossen. Diese Interessengemeinschaft unterstütze ihn. Dem Vertreter der Beigeladenen habe er anlässlich der Unterzeichnung der Vergleichsvereinbarung ein Schriftstück gezeigt, aus dem sich ergebe, dass die Interessengemeinschaft ihm die Freistellung von gerichtlichen Kosten zugesagt habe. Niemand habe ihn gedrängt, sich von der Vereinbarung wieder zu lösen. Dies habe er aus eigenem Entschluss getan und seinen Prozessbevollmächtigten bereits am 6. November 2008 gebeten, das Verfahren fortzuführen. Den Betrag von 10.000,- Euro habe er am 8. Dezember 2008 zurücküberwiesen.

Der Antragsteller beantragt,

den Bebauungsplan 269 - M. - der Antragsgegnerin für unwirksam zu erklären.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Der Normenkontrollantrag sei mittlerweile unzulässig, weil sich der Antragsteller außergerichtlich verpflichtet habe, das Verfahren nicht weiter fortzuführen. Sie, die Antragsgegnerin, sei an der Vergleichsvereinbarung nicht beteiligt gewesen. Der Antrag sei zudem unbegründet. Von einer bislang ungestörten Wohnnutzung des Antragstellers könne keine Rede sein. Der angefochtene Bebauungsplan verdränge lediglich die derzeitige Ausweisung "Fläche für Versorgungsanlage (Gaswerk)". Nördlich des Grundstücks des Antragstellers habe sich seit jeher eine Parkplatzanlage befunden, die Besuchern der westlich gelegenen Sporteinrichtungen (Eissporthalle, Schwimmhalle) diene.

Sollte der Umweltbericht unvollständig sein, dann allenfalls in einem unwichtigen Punkt im Sinne von § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 BauGB. Der Belang "Hochwasser" sei in den Blick genommen worden. Der Anstoßfunktion der Offenlegung sei entsprochen worden: Es stelle keinen Auslegungsmangel dar, dass die konkrete Ausgestaltung der Straßenverkehrsfläche nicht dargestellt worden sei. Auch die Altlastenproblematik sei erkannt und einer Lösung zugeführt worden. Die Sanierung einer Altlastenfläche außerhalb des Bebauungsplanverfahrens sähen die einschlägigen Vorschriften vor. Im städtebaulichen Vertrag sei die Sanierungsverpflichtung dem Vorhabenträger auferlegt worden. Abwägungsdefizite hinsichtlich der städtebaulichen Gesamtentwicklung oder der Straßen- und Verkehrsführung gebe es nicht.

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

den Antrag abzulehnen.

Aufgrund der außergerichtlichen Einigung sei der Antrag durch Prozessurteil abzuweisen, weil sich der Antragsteller nicht an die Vereinbarung halte. Die Vereinbarung sei rechtswirksam. Der Antragsteller sei als Filialleiter eines Supermarktes geschäftlich nicht unerfahren, auch habe kein Fall der Anwaltsumgehung vorgelegen, als ihr ordnungsgemäß bevollmächtigter Vertreter den Antragsteller aufgesucht habe. Weder könne von einem Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung noch von einer Sittenwidrigkeit der Vereinbarung die Rede sein. Schließlich sei der Antragsteller nicht getäuscht worden, als er die Vereinbarung unterzeichnet habe. Ihr Vertreter habe den Antragsteller darüber informiert, wie der Senat im Verfahren 7 B 1368/08 entschieden habe. Hierzu werde auf die eidesstattlichen Versicherungen ihres Vertreters sowie von dessen Sekretärin verwiesen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der von der Antragsgegnerin vorgelegten Aufstellungsvorgänge, der Gerichtsakte 3 L 242/08 VG Aachen (7 B 1368/08 OVG NRW) sowie der Gerichtsakte 7 B 496/08.NE ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Der Normenkontrollantrag des Antragstellers ist unzulässig.

Der Antragsteller hat sich rechtswirksam verpflichtet, den Antrag im vorliegenden Verfahren durch einen von ihm beauftragten Prozessbevollmächtigten zurücknehmen zu lassen. Hiergegen verstößt der Antragsteller, indem er nunmehr die Fortführung des Normenkontrollverfahrens beansprucht.

Ob in einem solchem Fall das Rechtsschutzbegehren als unzulässig abzuweisen ist, weil die Fortführung des Verfahrens als unzulässige Rechtsausübung gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstößt

- vgl. hierzu BVerwG, Beschlüsse vom 27. Oktober 1993 - 4 B 175/93 -, NJW 1994, 2306, und vom 13. Januar 1982 - 1 B 142/81 -, Buchholz 310 § 92 VwGO Nr. 6; OVG NRW, Urteil vom 15. Juli 1974 - III A 51/74 -, NJW 1975, 949; Clausing in Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Stand: März 2008, § 92, Rnr. 9 -

oder insoweit das Rechtsschutzinteresse entfallen ist

- vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. Mai 2005

- 12 A 455/04 -, juris -,

kann dahinstehen. Zumindest ist es einhellige Auffassung, dass das Rechtsschutzbegehren in solchen Fällen unzulässig ist.

Vgl. BGH, Urteile vom 13. Februar 1989 - II ZR 110/88 -, NJW-RR 1989, 802, und vom 14. Mai 1986 - IVa ZR 146/85 -, WM 1986, 1061; Greger in Zöller, ZPO, 27. Auflage 2009, § 269, Rnr. 3; Reichold in Thomas/Putzo, ZPO, 29. Auflage 2008, § 269 Rnr. 2; Dolderer in Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Auflage 2006, § 106 Rnr. 78; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Auflage 2007, § 92 Rnr. 5, 6.

Der Antragsteller hat mit der Beigeladenen unter dem 3. November 2008 eine rechtsgültige Vereinbarung dahingehend getroffen, dass er den Normenkontrollantrag im vorliegenden Verfahren durch einen Prozessbevollmächtigten zurücknehmen lässt (2.3 der Vergleichsvereinbarung).

Diese Vereinbarung ist wirksam.

Auch im Verwaltungsprozess kann sich der Kläger wirksam zur Klagerücknahme - bzw. der Antragsteller zur Rücknahme eines Normenkontrollantrags -verpflichten. Das kann in einem außergerichtlichen Vergleich oder einer sonstigen Vereinbarung gesehen.

Vgl. Clausing, a.a.O., § 92 Rnr. 9., m.w.N..

Die Zulässigkeit eines solchen Klagerücknahmeversprechens ergibt sich ebenso wie das Recht zur Klagerücknahme aus der Verfügungsbefugnis des Klägers

über seinen Rechtsschutzanspruch.

Vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 1980 - III ZR 38/79 -, BGHZ 79, 131; Hartmann in Baumbach/Lauterbach/ Hartmann, ZPO, 67. Auflage 2009, Grdz § 128 Rnr. 49; Greger, a.a.O., vor § 128 Rnr. 32.

Die Vereinbarung, die der Antragsteller mit der Beigeladenen geschlossen hat, verstößt auch nicht gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB).

Art. 19 Abs. 4 GG untersagt es dem Einzelnen grundsätzlich nicht, auf öffentlich- rechtliche Rechtsbehelfe zu verzichten, die der Wahrung seiner privaten Rechte und geschützten Interessen dienen.

Vgl. BGH, Urteil vom 11. Dezember 1980

- III ZR 38/79 -, a.a.O..

Es liegt vielmehr im Rahmen seiner Dispositionsbefugnis, ob er Rechtsschutz in Anspruch nehmen will, so dass es auch dem Antragsteller grundsätzlich frei stand, sich zur Rücknahme seines Normenkontrollantrags vertraglich zu verpflichten.

Dem steht nicht entgegen, dass - so der Antragsteller - hier die Vollziehung und Ausnutzung eines offensichtlich rechtswidrigen Bebauungsplans und der entsprechenden Baugenehmigung in Rede steht und diese Ziele rechtsstaatswidrig und gemeinschädlich seien. Selbst wenn sich die privaten Interessen des Antragstellers an der Verhinderung der hier streitigen Planung mit den Belangen des Gemeinwohls decken sollten, folgt hieraus nicht ein Verbot für den Antragsteller, auf subjektive Rechte und deren Durchsetzung in einem rechtsstaatlich geordneten Verfahren zu verzichten.

Die Vereinbarung ist auch nicht wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig. Ein Rechtsgeschäft ist nach § 138 Abs. 1 BGB nichtig, wenn es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist. Hierzu ist weder das Bewusstsein der Sittenwidrigkeit noch eine Schädigungsabsicht erforderlich.

Vgl. BGH, Urteil vom 22. September 2006

- V ZR 239/05 -, MDR 2007, 289, m.w.N..

Gegenseitige Verträge können, auch wenn der Wuchertatbestand des § 138 Abs. 2 BGB nicht erfüllt ist, sittenwidrig sein, wenn zwischen Leistung und Gegenleistung ein auffälliges Missverhältnis besteht und mindestens ein weiterer Umstand hinzukommt, der den Vertrag bei Zusammenfassung der subjektiven und objektiven Umstände als sittenwidrig erscheinen lässt.

Nach diesen Maßstäben ist eine Sittenwidrigkeit vorliegend zu verneinen. Insbesondere verstößt es nicht gegen die guten Sitten im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB, dass der Antragsteller ein Entgelt für seine Verpflichtung erhalten hat, das Normenkontrollverfahren nicht weiter zu betreiben. Die vertragliche Verknüpfung der Aufgabe möglicher Abwehransprüche mit Zahlungsansprüchen ist nicht sittenwidrig.

Vgl. Clausing, a.a.O., § 92 Rnr. 9., m.w.N..

Das Recht des Antragstellers, Abwehransprüche gegen Zahlung eines Entgelts aufzugeben, folgt aus seiner Stellung als Eigentümer eines im Plangebiet liegenden Grundstücks und damit aus einem Recht, welchem der Verkehr einen bestimmten Vermögenswert zuerkennt.

Auch besteht kein offensichtliches sittenwidriges Missverhältnis zwischen den vereinbarten gegenseitigen Vertragsleistungen. Der wirtschaftliche Wert des Rechts, auf dass der Antragsteller zu verzichten meint, ergibt sich nicht etwa aus dem Schaden der Beigeladenen, der ihr entsteht, wenn der Bebauungsplan für unwirksam erklärt würde und die planbedingte Errichtung eines Fachmarktzentrums nicht verwirklicht werden könnte. Vielmehr ist der wirtschaftliche Wert in den Blick zu nehmen, der aus der Rechtsposition des Antragstellers als Grundstückseigentümer folgt. Die Beeinträchtigung dieses Vermögenswerts ist maßgebend, um zu bestimmen, ob die vertraglich vereinbarte Zahlung in Höhe von 10.000,- Euro in einem sittenwidrigen Missverhältnis zur Aufgabe von Abwehransprüchen steht. Die konkrete Beeinträchtigung, die das Grundstück des Antragstellers trifft, ist die planbedingte Zunahme des Verkehrs und damit einhergehend erhöhte Lärmimmissionen. Für die Hinnahme dieser Beeinträchtigungen erhält der Antragsteller einen Betrag von 10.000,- Euro. Mit Blick hierauf ist ein auffälliges Missverhältnis zwischen der Rücknahme der Rechtsbehelfe und einem Betrag in dieser Höhe, den der Antragsteller u.a. auch für Lärmschutzmaßnahmen an seinem Wohnhaus nutzen könnte, nicht ersichtlich.

Auch soweit bei der Aufstellung der Bauleitpläne nach § 1 Abs. 6 BauGB die Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse und die Belange des Umweltschutzes insbesondere zu berücksichtigen sind, folgt hieraus keine Sittenwidrigkeit der Vereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen. Zwar steht hier im Vordergrund der Schutz der Umwelt und die durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützte individuelle Gesundheit. Diese Verfassungsnorm gewährleistet jedoch zunächst nur den Schutz des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit vor staatlichen Eingriffen und begründet die Pflicht staatlicher Organe, sich schützend und fördernd vor diese Rechtsgüter zu stellen.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1979 - 1 BvR 385/77 -, BVerfGE 53, 30.

Den Einzelnen will diese Vorschrift nicht davon abhalten, über seine körperliche Unversehrtheit selbst zu bestimmen. Die Grenze, von der ab die Preisgabe des individuellen Interesses an körperlicher Unversehrtheit im Austausch gegen eine Geldleistung mit Rücksicht auf die in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verkörperte verfassungsrechtliche Grundentscheidung von der Rechtsordnung zu missbilligen wäre, ist jedenfalls nicht überschritten. Wie der Senat bereits in seinem Beschluss vom 28. Juli 2008 im Verfahren 7 B 496/08.NE ausgeführt hat, steht hier u.a. in Frage, welchen Lärmimmissionen der Antragsteller durch die planbedingte Zunahme des Verkehrs ausgesetzt sein wird. Dass der Antragsteller im Falle einer Antragsrücknahme seine körperliche Unversehrtheit in einem Maße gefährden würde, welches rechtlich nicht mehr zu billigen wäre, ist nicht ersichtlich.

Die Vereinbarung zwischen dem Antragsteller und der Beigeladenen ist auch nicht deshalb sittenwidrig, weil sie ohne Wissen des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers erfolgt ist. Auch im Anwaltsprozess können die Beteiligten materiell- rechtlich bindende Vereinbarungen über die Zurücknahme von Klagen oder Rechtsmittel persönlich treffen.

Vgl. BGH, Urteile vom 13. Februar 1989 - II ZR 110/88 -, a.a.O., und vom 14. Mai 1986 - IVa ZR 146/85 -, a.a.O.; Greger, a.a.O., vor § 128 Rnr. 32.

Der für Prozesshandlungen bestehende Anwaltszwang, hier nach §§ 47 Abs. 1 Nr. 1, 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO, beschneidet eine geschäftsfähige Person nicht in ihren Möglichkeiten, durch Vertrag mit einem Verfahrensbeteiligten Verpflichtungen über das prozessuale Verhalten einzugehen.

Hier ist eine Vereinbarung zwischen dem Antragsteller und Herrn U1. als Bevollmächtigtem der Beigeladenen zustande gekommen. Die Beigeladene hat Herrn U1. ausweislich der zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen unter dem 31. Oktober 2008 Verhandlungs- und Abschlussvollmacht erteilt. Vertragspartner sind daher der Antragsteller und die Beigeladene. Der Bevollmächtigte der Beigeladenen, Herr U1. , ist zudem kein Rechtsanwalt, so dass bereits vom Ansatz her kein Raum für die Annahme besteht, die Prozessbevollmächtigen der Beigeladenen hätten unter Umgehung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers den Abschluss der Vereinbarung bewirkt. Dass darüber hinaus ein solcher Verstoß nicht ohne weitere Umstände zur Nichtigkeit der Vereinbarung führt

- vgl. BGH, Urteil vom 17. Oktober 2003

- V ZR 429/02 -, NJW 2003, 3692 -,

ist somit ohne Belang. Ebenso hat die nach den Angaben des Antragstellers von Herrn U1. eingeräumte Rechtsberatung durch die Prozessbevollmächtigten der Beigeladenen keine Auswirkungen auf die Rechtswirksamkeit der Vereinbarung. Warum es der Beigeladenen bzw. Herrn U1. als deren Bevollmächtigtem versagt bleiben soll, sich im Innenverhältnis rechtlich beraten zu lassen, bevor sie den Abschluss einer Vereinbarung mit dem Antragsteller anstreben, erschließt sich nicht. Die insoweit einschlägige Berufsordnung für Rechtsanwälte sieht in § 12 Abs. 1 allein vor, dass ein Rechtsanwalt nicht ohne Einwilligung des Rechtsanwalts eines anderen Beteiligten mit diesem unmittelbar Verbindung aufnehmen oder verhandeln darf. Dass sich ein Beteiligter von seinem Rechtsanwalt beraten lässt, bevor er selbst mit einem anderen Beteiligten verhandelt, ist dagegen von der Berufsordnung nicht untersagt.

Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Vereinbarung unter Ausbeutung der Unerfahrenheit des Antragstellers abgeschlossen worden ist (vgl. § 138 Abs. 2 BGB). Zwar mag der Antragsteller juristisch unerfahren sein, Anhaltspunkte dafür, dass ihm der Inhalt der Vereinbarung aufgrund seiner fehlenden juristischen Kenntnisse verschlossen geblieben sein könnte, liegen jedoch nicht vor. Der Antragsteller hat selbst vorgetragen, dass er die Vereinbarung zweimal gelesen habe, bevor er sie unterzeichnete. Zudem war er in der Lage, die eigene Rechtsbetroffenheit durch das von der Beigeladenen angestrebte und von der Antragsgegnerin durch die Bauleitplanung vorbereitete Projekt so einzuschätzen, dass er anwaltlichen Rat einholte und seinen Prozessbevollmächtigten mit der Einleitung eines Normenkontrollverfahrens gegen den Bebauungsplan und der Erhebung einer Klage gegen die Baugenehmigung für das auf der Grundlage des Bebauungsplans zu errichtende Fachmarktzentrum beauftragte. In beiden Verfahren waren die Anträge des Antragstellers auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes erfolgreich. Vor diesem Hintergrund fehlt es an jeglichem Anhalt, eine Unerfahrenheit des Antragstellers oder eine Haustür- oder Abendsituation sei ausgenutzt worden. Wer die eigene Rechtsbetroffenheit erkennt und nach anwaltlicher Beratung um gerichtlichen Rechtsschutz nachsucht, vermag auch die Rücknahme seiner Rechtsschutzbegehren in ihrer Bedeutung zu erfassen.

Hinzu kommt, dass dem Antragsteller ausreichend Zeit und Gelegenheit blieb, seinen Prozessbevollmächtigten zu kontaktieren und um rechtlichen Rat nachzusuchen, bevor er die Vereinbarung unterzeichnete. Der Bevollmächtigte der Beigeladenen suchte den Antragsteller innerhalb eines Zeitraums von 14 Tagen dreimal auf. Erst beim dritten Besuch wurde die Vereinbarung unterzeichnet; hierbei wurde dem Antragsteller ausreichend Zeit gelassen, sich die Vereinbarung zweimal durchzulesen. Bereits nach dem Gespräch mit Herrn U1. am Freitag, dem 31. Oktober 2008, in dem mündlich die Rücknahme des Antrags gegen Zahlung von 10.000,- Euro erörtert worden sei, hätte sich der Antragsteller bei Zweifeln an seinen Prozessbevollmächtigten wenden können. Auch unter Berücksichtigung des gesetzlichen Feiertags am 1. November 2008 stand dem Antragsteller der gesamte Montag, 3. November 2008, für Rückfragen zur Verfügung. Dass der Antragsteller seinen Prozessbevollmächtigten nicht kontaktierte, sondern am Abend des 3. November 2008 die Vereinbarung unterzeichnete und den Betrag von 10.000,- Euro entgegennahm, lässt nur den Schluss zu, dass er den Inhalt der Vereinbarung erfasst hatte und aus seiner Perspektive keiner rechtlichen Unterstützung bedurfte.

Eine Sittenwidrigkeit ergibt sich auch dann nicht, wenn man den Vortrag des Antragstellers unterstellt, die Beigeladene und Herr U1. hätten zum Zeitpunkt der Unterzeichnung der Vereinbarung am Abend des 3. November 2008 trotz Kenntnis von dem Beschluss des Senats im Verfahren 7 B 1368/08 den Antragsteller hierüber nicht informiert. Der Beschluss des Senats vom 27. Oktober 2008 hat die Rechtslage, die durch die erstinstanzliche Entscheidung des Verwaltungsgerichts Aachen vom 20. August 2008 geschaffen worden und in der schriftlichen Vereinbarung zutreffend beschrieben ist, im Wesentlichen unverändert gelassen. Die erstinstanzlich erfolgte Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers gegen die Baugenehmigung wurde im Beschwerdeverfahren bestätigt. Darüber hinaus wurde nunmehr die Bauordnungsbehörde verpflichtet, die Stilllegung der Bauarbeiten zu verfügen. Eine neue, gegenüber der erstinstanzlichen Entscheidung zu Gunsten des Antragstellers erheblich abweichende Rechtslage wurde dadurch aber nicht geschaffen. Bereits das Verwaltungsgericht ist in seinem Beschluss vom 20. August 2008 davon ausgegangen, dass die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung rechtswidrig ist und eine Situation eintreten kann, die eine sofort vollziehbare Ordnungsverfügung notwendig erscheinen lässt. Von der Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine sofort vollziehbare Stilllegungsverfügung zu erlassen, hat das Verwaltungsgericht nur abgesehen, weil es (noch) keine Anhaltspunkte dafür hatte, dass die Beigeladene angesichts des Beschlusses nicht von sich aus auf die Ausnutzung der Baugenehmigung verzichten werde. Erst die Missachtung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers durch die Beigeladene führte zu der Verpflichtung der Antragsgegnerin, eine sofort vollziehbare Ordnungsverfügung zu erlassen.

Warum der Antragsteller am 3. November 2008 - so sein Vortrag - der Ansicht gewesen sein soll, rechtswidrige Baumaßnahmen nicht aufhalten zu können, obwohl sowohl im Normenkontrollverfahren als auch im Baugenehmigungsverfahren zu seinen Gunsten vorläufiger Rechtsschutz gewährt worden war, erschließt sich daher nicht. Auf den Inhalt der eidesstattlichen Versicherung des Herrn U1. , ausweislich der der Antragsteller über "den Baustopp" in Kenntnis gesetzt worden sein soll, kommt es daher nicht an. Der Beweisanregung der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung brauchte daher nicht nachgegangen zu werden.

Schließlich kommt weder eine Unwirksamkeit der Vergleichsvereinbarung wegen Irrtums über die Vergleichsgrundlage gemäß § 779 Abs. 1 BGB in Betracht noch liegt ein sonstiger Fall der Störung der Geschäftsgrundlage im Sinne des § 313 Abs. 1 BGB vor, der zur Anpassung der Vereinbarung führen oder ein Rücktrittsrecht einräumen würde. Die Anwendung des § 313 BGB, der generell die Folgen der Störung der Geschäftsgrundlage regelt, ist durch die Vorschrift des § 779 BGB, die ein gesetzlich geregelter Sonderfall des Fehlens der Geschäftsgrundlage ist, nicht ausgeschlossen.

Vgl. Palandt/Sprau, BGB , 67. Auflage 2008,

§ 779 Rnr. 13; zur Rechtslage vor der Schuldrechtsmodernisierung BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999 - I ZR 230/97 -, NJW 2000, 2497, m.w.N..

Hier liegen aber weder die Voraussetzungen des § 779 Abs. 1 BGB noch die des § 313 Abs. 1 und Abs. 3 BGB vor. Zwar ist in Nr. 1 der am 3. November 2008 unterzeichneten Vergleichsvereinbarung ausgeführt, dass das Beschwerdeverfahren 7 B 1368/08 bei dem erkennenden Senat noch anhängig sei, obwohl der Beschluss des Senats in diesem Eilverfahren vom 27. Oktober 2008 stammt. Hierin ist jedoch kein Irrtum über die Vergleichsgrundlage oder eine sonstige Störung der Geschäftsgrundlage zu sehen. Wie bereits oben dargelegt, hat der Senatsbeschluss die Rechtslage im Wesentlichen unverändert gelassen. Bereits das Verwaltungsgericht hat nach summarischer Prüfung die angefochtene Baugenehmigung für rechtswidrig gehalten. Dies hat der Senat in seinem Beschluss bestätigt. Die Verpflichtung, eine sofort vollziehbare Ordnungsverfügung zu erlassen, ist im erstinstanzlichen Verfahren nur mit Blick auf das zukünftige Verhalten der Beigeladenen unterblieben. Die Verpflichtung des Bürgermeisters der Antragsgegnerin in der zweiten Instanz ist allein Folge der Missachtung der aufschiebenden Wirkung der Klage des Antragstellers durch die Beigeladene. Die von den Beteiligten der Vereinbarung zugrunde gelegte Ausgangslage - u.a. die erfolgreichen vorläufigen Rechtsschutzgesuche des Antragstellers - hat sich nicht verändert.

Die Vereinbarung ist auch nicht durch eine Anfechtung des Antragstellers wegen Täuschung gemäß § 123 Abs. 1 BGB unwirksam geworden. Zwar kann ein materiell- rechtlicher Vergleich grundsätzlich wegen arglistiger Täuschung angefochten werden.

Vgl. LSG Bayern, Urteil vom 11. Juni 2008

- L 13 KN 22/07 -, juris; Palandt/Sprau, a.a.O., § 779 Rnr. 26 f.; Bork in jurisPK- BGB, § 779

Rnr. 19, jeweils m.w.N..

Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass der Antragsteller durch arglistige Täuschung zur Abgabe einer Willenserklärung bestimmt worden ist.

Eine arglistige Täuschung des Antragstellers durch Vorspiegelung falscher Tatsachen ist nicht erfolgt. Auch wenn es in Nr. 1 der Vergleichsvereinbarung heißt, das Beschwerdeverfahren 7 B 1368/08 sei noch anhängig, liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass die Beigeladene bei der Ausarbeitung der Vereinbarung diese Passage mit dem Ziel der Täuschung des Antragstellers aufnahm. Da den Beteiligten erst im Laufe des 3. November 2008 der Beschluss des Senats bekannt wurde, spricht alles dafür, dass die Vereinbarung vor diesem Zeitpunkt abgefasst und am Nachmittag des 3. November 2008 nicht mehr angepasst wurde. Selbst wenn die Vereinbarung aber erst nach Bekanntwerden des Senatsbeschlusses aufgesetzt worden sein sollte, liegt hierin keine Täuschung des Antragstellers, denn die Vergleichsgrundlage hat sich durch die Entscheidung des Senats - wie oben ausgeführt - nicht geändert. Dass in der Aussage von Herrn U1. vom 31. Oktober 2008, bei den anhängigen Gerichtsverfahren stünden die Erfolgsaussichten 50 : 50, keine Täuschungshandlung liegt, versteht sich von selbst. Zu diesem Zeitpunkt war den Beteiligten der Senatsbeschluss vom 27. Oktober 2008 noch nicht bekannt, und es ist erst recht nicht ersichtlich, dass ansonsten einer der Beteiligten über überlegenes Wissen hinsichtlich des Ausgangs der anhängigen Verfahren verfügt hätte oder verfügen würde.

Auch eine Anfechtung wegen einer Täuschung durch Verschweigen von Tatsachen kommt nicht in Betracht. Die Täuschung durch Unterlassen setzt eine Aufklärungspflicht voraus, die ihre Grundlage in § 242 BGB hat. Eine derartige Pflicht, deren Verletzung eine arglistige Täuschung begründen kann, hat die Rechtsprechung aus den konkreten, zwischen Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen dann hergeleitet, wenn das Verschweigen von Tatsachen insbesondere im Hinblick auf eine mögliche Vereitelung des Vertragszwecks gegen Treu und Glauben verstoßen würde und der Erklärungsgegner die Mitteilung der verschwiegenen Tatsache nach der Verkehrsauffassung erwarten durfte.

Vgl. BGH, Urteil vom 8. Dezember 1999

- I ZR 230/97 -, a.a.O..

Dieser Grundsatz geht jedoch nicht so weit, dass jeweils sämtliche Umstände dargelegt werden müssen, die eine Vertragspartei zum Vertragsabschluss motivieren. Grundsätzlich muss derjenige, der einen Vertrag schließt, sich selbst darüber vergewissern, ob er für ihn von Vorteil ist oder nicht. Darauf darf sich der andere Vertragsteil grundsätzlich einstellen. Er braucht deshalb nicht auf Umstände hinzuweisen, von denen er annehmen kann, dass darauf Wert gelegt und dementsprechend nach ihnen gefragt wird.

Vgl. BGH, Urteil vom 13. Juli 1988

- VIII ZR 224/87 -, MDR 1989, 57.

Vorliegend lässt sich bereits keine Aufklärungspflicht der Beigeladenen erkennen. Selbst wenn Herr U1. den Ausgang des zweitinstanzlichen Eilverfahrens vor Abschluss der Vereinbarung dem Antragsteller verschwiegen hat, würde dies im Hinblick auf eine mögliche Vereitelung des Vertragszwecks nicht gegen Treu und Glauben verstoßen. Wie bereits oben ausgeführt, hat der Beschluss des Senats vom 27. Oktober 2008 die den Antragsteller begünstigende Rechtslage, die durch die erstinstanzliche Entscheidung geschaffen worden war, im Wesentlichen unverändert gelassen. Aus Sicht der Beigeladenen hätte daher kein Anlass bestanden, den Antragsteller über den Ausgang des zweitinstanzlichen Eilverfahrens zu informieren, da die für den Antragsteller positive Rechtslage bestätigt worden war.

Eine Pflicht zur Aufklärung über den Ausgang des zweitinstanzlichen Eilverfahrens hätte den Vertreter der Beigeladenen allenfalls dann - wenn überhaupt -getroffen, wenn in einem erstinstanzlichen Beschluss der Antrag des Antragstellers vollumfänglich abgewiesen und in der zweiten Instanz nunmehr dem Begehren stattgegeben worden wäre.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.

Zitate18
Zitiert0
Referenzen0
Schlagworte