LG Kleve, Beschluss vom 21.01.2009 - 4 T 240/08
Fundstelle
openJur 2011, 64740
  • Rkr:
Tenor

In Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Geldern vom 26. August 2008 wird der von der Beteiligten zu 1. geltend gemachte Anspruch auf Steuern und Abgaben seit dem 4. August 2006 in Höhe von 4.422,66 € und Kosten der Vollstreckung in Höhe von 123,55 € der Rangklasse § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zugeordnet.

Die Kosten des Verfahrens werden der Schuldnerin auferlegt.

Gründe

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Die Beteiligte zu 1. ist eine Kommune. Sie betreibt wegen näher bezeichneter Steuern und Abgaben (vgl. Antrag vom 3. Juli 2008) die Zwangsversteigerung des im Rubrum näher bezeichneten Grundbesitzes der Beteiligten zu 2. Bei den Grundbesitzabgaben handelt es sich um Gebühren für Schmutzwasser, Straßenreinigung, Winterwartung sowie Müllentsorgung nebst Mahngebühren und Säumniszuschlägen. Die Kosten für Abwasser, Straßenreinigung und Winterwartung sind nach den diesbezüglichen Satzungen der Beteiligten zu 1. grundstücksbezogene Benutzungsgebühren. Den Anfall der Müllgebühren hat die Beteiligte zu 1. in der Satzung über die Abfallentsorgung vom 14. Dezember 1999 und in der Gebührensatzung zur Satzung über die Abfallentsorgung vom 14. Dezember 1999 geregelt, auf deren Inhalt verwiesen wird. Die Beteiligte zu 1. hat beantragt, die angemeldeten Gebührenforderungen insgesamt der Rangklasse § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zuzuordnen. Mit Beschluss vom 26. August 2008 hat das Amtsgericht Geldern die Zwangsversteigerung des Grundbesitzes angeordnet und hierbei den angemeldeten Anspruch der Beteiligten zu 1. der Rangklasse § 10 Abs. 1 Nr. 5 ZVG zugeordnet. Zur Begründung hat es ausgeführt: Allerdings handele es sich bei den angemeldeten Kosten für Abwasser, Straßenreinigung und Winterwartung ausweislich der vorgelegten Satzungen der Beteiligten zu 1. um grundstücksbezogene Benutzungsgebühren. Nach der Satzung über die Abfallentsorgung vom 14. Dezember 1999 und der Gebührensatzung zur Satzung über die Abfallentsorgung vom 14. Dezember 1999 seien aber die Abfallgebühren als personen- und verbrauchsabhängige Gebühren und damit nicht als grundstücksbezogene Benutzungsgebühren im Sinne des § 6 Abs. 5 KAG NRW anzusehen. Da der Beteiligten zu 1. erklärtermaßen eine Aufschlüsselung der verschiedenen Gebühren nicht möglich sei, sei die Forderung insgesamt der Rangklasse § 10 Abs. 1 Nr. 4 ZVG zuzuordnen.

Gegen den ihr am 29. August 2008 zugestellten Beschluss wendet sich die Beteiligte zu 1. mit der "Beschwerde" vom 3. September 2008, bei Gericht eingegangen am Folgetag.

Das Rechtsmittel der Beteiligten zu 1. ist als sofortige Beschwerde gemäß den §§ 11 Abs. 1 RPflG, 793, 869 ZPO zulässig. Soweit mit dem Beschluss auf Anordnung der Zwangsversteigerung des streitgegenständlichen Grundbesitzes vom 26. August 2008 der Antrag der Gläubigerin auf Zuordnung ihrer Forderung zur Rangklasse § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG zurückgewiesen worden ist, handelt es sich nämlich um eine Entscheidung des Vollstreckungsgerichts im Sinne des § 793 ZPO.

In der Sache hat der Rechtsbehelf Erfolg, da es sich bei den von der Gläubigerin angemeldeten Steuern und Grundbesitzabgaben um öffentliche Grundstückslasten im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG handelt.

In die Rangklasse des § 10 Abs. 1 Nr. 3 ZVG gehören öffentliche Grundstückslasten. Das sind alle persönlichen, sachlichen und finanziellen Leistungen, die dem Bürger zugunsten der Allgemeinheit auferlegt werden. Öffentliche Grundstückslasten sind die öffentlichrechtlichen Lasten nur, soweit das Grundstück dafür dinglich haftet. Die Eigenschaft als öffentliche Grundstückslast muss sich hierbei aus der rechtlichen Ausgestaltung der Zahlungspflicht und aus ihrer Beziehung zum Grundstück eindeutig ergeben. Zweifel in dieser Hinsicht schließen eine Berücksichtigung der Zahlungspflicht als öffentliche Last aus (vgl. OLG Zweibrücken, WM 2008, 179 f.; Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 17. Aufl., § 10 Rdnr. 6 m.w.N.).

Durch § 6 Abs. 5 Kommunalabgabengesetz NRW in der Fassung vom 9. Oktober 2007 sind grundstücksbezogene Benutzungsgebühren als öffentliche Lasten auf dem Grundstück ausgestaltet worden. Die hier nur streitige Abgabeverpflichtung für Müllgebühren folgt aus der einschlägigen Ortssatzung der Beteiligten zu 1. und ist damit öffentlichrechtliche Last. Diese Last ist entgegen der Auffassung des Amtsgerichts auch grundstücksbezogen, weil die Satzung über die Abfallentsorgung der Beteiligten zu 1. vom 14. Dezember 1999 und die hierzu ergangene Gebührensatzung eindeutig die dingliche Haftung des Grundstücks für die Abfallentsorgungsgebühren normieren.

Nach § 2 Abs. 1 der Gebührensatzung sind gebührenpflichtig die "Eigentümer der an die städtische Abfallentsorgung angeschlossenen Grundstücke und die ihnen Gleichgestellten gemäß § 23 der Satzung über die Abfallentsorgung". Bei diesen Gleichgestellten handelt es sich wiederum um "Erbbauberechtigte, Wohnungseigentümer und sonstige Nutzungsberechtigte im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes, Nießbraucher sowie alle sonstigen zum Besitz eines Grundstücks dinglich Berechtigten". Hiernach sind aber ausschließlich Grundstückseigentümer, die Inhaber grundstücksgleicher Rechte gemäß § 870 ZPO (Erbbaurecht, Wohnungseigentum) und dinglich Berechtigte (insbesondere Nießbraucher, §§ 1030 f. BGB) Gebührenschuldner. Demgegenüber interessiert nach dem Inhalt der Satzung nicht, wer die Abfallentsorgungseinrichtung - etwa als Mieter oder Pächter oder Betreiber von Unternehmen u.a. - tatsächlich nutzt und die Dienstleistung der öffentlichen Hand in Anspruch nimmt. Der Anknüpfungspunkt für die Haftung für die Abfallentsorgungsgebühren ist mithin ausschließlich grundstücksbezogen, weil eine sich aus dem Grundstück ergebende Berechtigung Voraussetzung für das Entstehen der Gebührenschuld ist.

Dass demgegenüber die §§ 7 f. der Satzung über die Abfallentsorgung der Beteiligten zu 1. vom 14. Dezember 1999 Ausnahmen von dem nach § 6 der Ortssatzung vorgesehenen Anschluss- und Benutzungszwang der kommunalen Abfallentsorgungseinrichtung vorsehen und die Höhe der Abfallentsorgungsgebühr gemäß § 3 der Gebührensatzung zu der vorgenannten Ortssatzung von der Anzahl und der Größe der für das angeschlossene Grundstück bereitgestellten Gefäße (vgl. § 12 der Satzung über die Abfallentsorgung) und dem Gewicht der von dem angeschlossenen Grundstück abgefahrenen Restmüllmengen (§§ 11 u. 16 der Satzung über die Abfallentsorgung) abhängig ist, führt zu keiner anderen Bewertung. Denn dass einzelne Grundstückseigentümer oder die Inhaber grundstücksgleicher Rechte oder sonstige dinglich Berechtigte mangels eines für sie bestehenden Anschluss- und Benutzungszwanges gänzlich als Gebührenschuldner von Benutzungsgebühren für die Abfallentsorgung ausscheiden, läßt die Frage völlig unberührt, ob die verbleibenden Gebührenpflichtigen nach der rechtlichen Ausgestaltung der Zahlungspflicht insoweit einer persönlichen oder einer dinglichen Haftung als Abgabenschuldner unterliegen. Ob bei einer - wie ausgeführt - ausschließlich dinglich ausgestalteten Abgabenschuld die Höhe der Gebühr vom Umfang der tatsächlichen Nutzung der kommunalen Einrichtung abhängig gemacht wird, hat weiter ebenfalls mit der Frage der persönlichen oder der dinglichen Haftung nichts zu tun. Andernfalls müssten mit der entsprechenden Begründung auch die Gebühren etwa nach der Straßenreinigungssatzung der Beteiligten zu 1. als öffentliche Grundstückslasten abgelehnt werden, weil auch die Benutzungsgebühren für die Reinigung der öffentlichen Straßen etwa von der Frontlänge des jeweiligen Grundstücks und damit vom Umfang der Benutzung der öffentlichen Einrichtung abhängig sind.

Durch die Neuregelung des § 6 Abs. 5 KAG zum 17. Oktober 2007 werden weiter auch die zum Zeitpunkt der Gesetzesänderung rückständigen Benutzungsgebühren der Beteiligten zu 1. erfasst.

Nach dem Wortlaut des neu geregelten § 6 Abs. 5 KAG sind grundstücksbezogene Benutzungsgebühren unabhängig davon öffentliche Last auf dem Grundstück, ob es sich um die Gebühren für die Benutzung kommunaler Einrichtungen aus der Zeit vor oder nach Inkrafttreten des Kommunalabgabengesetzes handelt. Auch die weiteren Bestimmungen des KAG und die Gesetzesmaterialien enthalten zu der Frage der zeitlichen Geltung keine Differenzierung. Nach dem Wortlaut der gesetzlichen Regelung werden damit Benutzungsgebühren auch aus der Zeit vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung von der Einstufung als öffentliche Last miterfasst.

Die Anwendbarkeit der Bestimmung auf Benutzungsgebühren für den in Rede stehenden Zeitraum führt auch nicht zu einer verfassungsrechtlich unzulässigen echten Rückwirkung.

Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Wegen des unterschiedlichen Vertrauensschutzes verlaufen dabei die Grenzen der Zulässigkeit einer unechten Rückwirkung anders als diejenigen einer echten Rückwirkung. Eine echte Rückwirkung ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unzulässig. Sie liegt vor, wenn ein Gesetz nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift. Auch für diesen Fall können sich allerdings Ausnahmen ergeben. Das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, tritt zurück, wenn sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechtes bilden konnte. Ferner kommt ein Vertrauensschutz nicht in Betracht, wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung von Normen erfordern. Demgegenüber ist eine unechte Rückwirkung verfassungsrechtlich grundsätzlich zulässig. Sie liegt vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet. Allerdings können sich auch insoweit aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Grenzen der Zulässigkeit ergeben. Diese sind erst überschritten, wenn die vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszweckes nicht geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen des Betroffenen die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BGH NJW 2005, 1428 f. m.w.N.).

Entscheidend für die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Geltung des § 6 Abs. 5 KAG auf schon vor Inkrafttreten der Gesetzesänderung entstandene Benutzungsgebühren ist mithin, ob durch die Anwendung der gesetzlichen Bestimmung auf die genannten Gebühren nachträglich ändernd in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingegriffen wird oder ob hierdurch nicht abgeschlossene Sachverhalte oder Rechtsbeziehungen für die Zukunft verändert werden und damit lediglich zugleich die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet wird. Letzteres ist hier der Fall.

Die Pflicht zur Entrichtung von Gebühren für die Inanspruchnahme der kommunalen Abfallentsorgung besteht fortlaufend für den Zeitraum, für den der Gebührenschuldner Eigentümer des an die städtische Abfallentsorgung angeschlossenen Grundstückes ist oder für den er zu den Gleichgestellten gemäß § 23 der Satzung über die Abfallentsorgung der Beteiligten zu 1. zählt. Ergeht ein Gebührenbescheid und zahlt der Schuldner nicht, ist es zunächst auch völlig offen, ob es zur Durchsetzung der Forderung überhaupt der Immobiliarvollstreckung bedarf. Dementsprechend handelt es sich hinsichtlich der Entstehung dieser Gebühren und der Frage, ob diese Gebühren mit dem Rang des § 10 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 5 ZVG geltend gemacht werden können, nicht um einen abgeschlossenen Rechtszustand, in den nur unter den Voraussetzungen einer echten Rückwirkung eingegriffen werden könnte. Tatsächlich ist bezüglich der Rangklasse der Benutzungsgebühren vielmehr für die an der Zwangsversteigerung zu beteiligenden Gläubiger und den Schuldner jedenfalls so lange ein Vertrauensschutz nicht entstanden, wie die Zwangsversteigerung und damit die Rangfolge der Gläubiger hinsichtlich ihrer Rechte auf Befriedigung aus dem Grundstück (§§ 10 f. ZVG) noch nicht angeordnet war.

Die aus der fehlenden Übergangsregelung des § 6 Abs. 5 KAG n.F. hiernach folgende bloße unechte Rückwirkung für Benutzungsgebühren aus der Zeit vor Inkrafttreten der gesetzlichen Neuregelung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Denn die vom Gesetzgeber angeordnete sofortige Geltung war für die Erreichung des Gesetzeszweckes geeignet und erforderlich. Auch dient die Neuregelung Belangen des Gemeinwohls, weil mit der rangbesseren Berücksichtigung die Kommune die größere Aussicht erhält, für die Inanspruchnahme ihrer öffentlichen Einrichtungen auch tatsächlich die geschuldeten Benutzungsgebühren zu erhalten. Diesen öffentlichen Zwecken gegenüber haben die privaten Bestandsinteressen der weiteren beteiligten Gläubiger und des Schuldners zurückzutreten.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1 ZPO.

Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren: bis 5.500,00 €.