OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.04.2009 - 4 A 830/07
Fundstelle
openJur 2011, 64594
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag wird auf Kosten des Klägers abgelehnt.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 5.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf § 124 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.

1. Die Darlegungen des Klägers begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 1).

Der Kläger meint, das Verwaltungsgericht sei von einem unvollständigen Sachverhalt ausgegangen. Das erstinstanzliche Vorbringen sei dahin zu ergänzen, dass ihm die Geschäftsführung der J. -GmbH Einzelprokura erteilt habe. Die Eintragung im Handelsregister sei am 29. März 2005 und damit noch vor Einleitung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Die angefochtene Verfügung nehme ihm die Möglichkeit, einen Teil seines Verdienstes als Prokurist an die Masse abzuführen, und betreffe deshalb die Insolvenzmasse.

Dieser Einwand greift nicht durch.

Das erstinstanzliche Urteil ist nicht deshalb unrichtig, weil der Kläger nach Erlass des Widerspruchsbescheides vom 15. November 2004 eine Tätigkeit als Prokurist der J. -GmbH aufgenommen hat.

Die Gerichte haben bei der Beurteilung der gewerberechtlichen Zuverlässigkeit im Rahmen der Gewerbeuntersagung nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sachlage bei Erlass der letzten Verwaltungsentscheidung abzustellen. Davon ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies aus der im materiellen Recht (§ 35 GewO) angelegten Trennung zwischen Untersagungs- und Wiedergestattungsverfahren hergeleitet.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 1990

- 1 B 155.90 -, GewArch 1991, 110 = NVwZ 1991. 372.

Allerdings wird in der Literatur erörtert, ob eine Verschiebung des Beurteilungszeitpunkts dann geboten ist, wenn - wie hier - während des gerichtlichen Verfahrens die Voraussetzungen des § 12 GewO eintreten.

Vgl. die - vom Kläger wörtlich wiedergegebenen - Ausführungen von Hahn, GewArch 2000, 361, 365/366; ferner VGH Kassel, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 -, NVwZ 2003, 626.

Hierauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, weil der Kläger nicht dargelegt hat, dass die Frage seiner Zuverlässigkeit zu einem späteren Zeitpunkt anders zu beurteilen wäre als bei Erlass des Widerspruchsbescheides. Zur Begründung verweist der Senat auf seine Ausführungen zu § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO. Abgesehen davon hat das Bundesverwaltungsgericht mehrfach entschieden, dass eine Untersagungsverfügung nicht die Insolvenzmasse betrifft. Sie wendet sich gegen den Gewerbetreibenden wegen eines in seiner Person gegebenen Unzuverlässigkeitsgrundes und unterbindet seine berufliche Betätigung. Deshalb ist das Verwaltungsstreitverfahren auch nicht vom Insolvenzverwalter, sondern vom Gewerbetreibenden selbst zu führen.

vgl. Beschluss vom 18. Januar 2006 - 6 C 21.05 -, GewArch 2006, 387 = NVwZ 2006, 599 unter Hinweis auf VGH Kassel, Urteil vom 21. November 2002 - 8 UE 3195/01 -, NVwZ 2003, 626, und Urteil vom 13. Dezember 2006 - 6 C 17.06 -, GewArch 2007, 247; Friauf in: Friauf/Heß, GewO, § 12 Rdnr. 14 (Stand: März 2009).

Auch der Senat vertritt in ständiger Rechtsprechung diese Auffassung.

Ferner meint der Kläger, das Verwaltungsgericht hätte das Verfahren mit Blick auf § 12 GewO aussetzen müssen.

Dem ist nicht zu folgen, wobei der Senat zu Gunsten des Klägers unterstellt, dass der damit behauptete Verfahrensmangel im Rahmen des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO geltend gemacht werden kann. § 12 GewO lautet:

„Vorschriften, welche die Untersagung eines Gewerbes oder die Rücknahme oder den Widerruf einer Zulassung wegen Unzuverlässigkeit eines Gewerbetreibenden, die auf ungeordnete Vermögensverhältnisse zurückzuführen ist, ermöglichen, finden während eines Insolvenzverfahrens, während der Zeit, in der Sicherungsmaßnahmen nach § 21 der Insolvenzordnung angeordnet sind, und während der Überwachung der Erfüllung eines Insolvenzplans (§ 260 der Insolvenzordnung) keine Anwendung in bezug auf das Gewerbe, das zur Zeit des Antrags auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeübt wurde."

Diese Vorschrift ist nach - soweit ersichtlich - einhelliger Auffassung dem materiellen Recht zuzurechnen. Sie regelt selbst nicht, welche verfahrensrechtlichen Konsequenzen zu ziehen sind, wenn - wie vorliegend durch Beschluss des Amtsgerichts F. vom 20. November 2006 - nach Erlass des Widerspruchsbescheides im Laufe des gerichtlichen Verfahrens Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO angeordnet werden. Während überwiegend eine Aussetzung bzw. Unterbrechung des gerichtlichen Verfahrens abgelehnt wird,

vgl. im Einzelnen die Nachweise bei Friauf in: Friauf/Heß, GewO, § 12 Rdnr 14 (Stand: März 2009),

meint Marcks,

in: Landmann/Rohmer, § 12 GewO Rdnr 15 (Stand: Mai 2008),

mit Eintritt der Voraussetzungen des § 12 GewO müsse „das Untersagungsverfahren usw., in welchem Stadium auch immer es sich befindet", ausgesetzt werden. Für das gerichtliche Verfahren sehe § 240 ZPO dies ausdrücklich vor.

Die unmittelbare Anwendung der §§ 173 VwGO, 240 ZPO scheitert aber bereits daran, dass - wie dargelegt - die Gewerbeuntersagung nicht die Insolvenzmasse betrifft. Eine Aussetzung des Verfahrens in unmittelbarer Anwendung des § 94 VwGO ist ebenfalls nicht möglich, weil es an der erforderlichen Vorgreiflichkeit des Insolvenzverfahrens fehlt.

Zu erwägen ist deshalb allenfalls, ob die genannten Vorschriften unter Berücksichtigung des von § 12 GewO verfolgten Zwecks in der hier vorliegenden Fallkonstellation entsprechend angewendet werden können. Das ist zu verneinen. § 12 GewO verfolgt das Ziel, während der dort näher bezeichneten Zeitabschnitte die Möglichkeit einer Sanierung des insolventen Unternehmens offen zu halten. Dem Zweck des Insolvenzverfahrens zuwider laufende Entscheidungen im gewerberechtlichen Verfahren sollen vermieden werden.

Vgl. Heß, a.a.O., § 12 GewO Rdnrn. 2 und 9 (Stand: März 2009).

Vorliegend besteht kein Bedürfnis für eine Unterbrechung bzw. Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens. Der Kläger hat nämlich bereits zum 31. Oktober 2006 aus persönlichen Gründen die ihm untersagte Gewerbeausübung eingestellt. Damit ist der im Rahmen des Insolvenzverfahrens verfolgte Zweck, das Unternehmen, soweit möglich, zu sanieren und zu erhalten, nicht mehr zu erreichen. Einer Fortführung des Verwaltungsstreitverfahrens steht in diesem Falle nichts entgegen.

Der Kläger meint, dem Beklagten seien bei der erweiterten Gewerbeuntersagung gemäß § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO Ermessensfehler unterlaufen. Es hätten nämlich keine Anhaltspunkte dafür bestanden, dass er in andere selbstständige Gewerbe bzw. leitende Tätigkeiten oder Vertretungstätigkeiten ausweichen werde.

Dieser Einwand greift nicht durch. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist eine erweiterte Untersagung grundsätzlich dann gerechtfertigt, wenn davon auszugehen ist, dass der Gewerbetreibende auch für die Ausübung der anderen selbstständigen Gewerbe bzw. leitenden Tätigkeiten und Vertretungstätigkeiten als unzuverlässig anzusehen ist. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass ein Ausweichen in diese Gewerbe bzw. Tätigkeiten zu erwarten ist, müssen aber nicht bestehen. Nur dann, wenn besondere Umstände vorliegen, die es ausschließen, dass der Gewerbetreibende in andere Gewerbe, Vertretungstätigkeiten oder leitende gewerbliche Tätigkeiten ausweichen wird, ist die erweiterte Gewerbeuntersagung nicht zulässig.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 11. September 1992

- 1 B 131.92 -, GewArch 1995, 116.

Solche Anhaltspunkte bestanden zum Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung nicht. Die Gründung der J. -GmbH kurz nach Erlass des Widerspruchsbescheides spricht im Gegenteil dafür, dass der Kläger ein solches Ausweichen geplant hatte.

Weiter führt der Kläger aus: Der Umstand, dass im seinerzeit ausgeübten Gewerbe Steuerrückstände aufgelaufen seien, reiche nicht aus, um eine Tätigkeit als Vertretungsberechtigter zu untersagen. Bei der erforderlichen Zuverlässigkeitsprognose sei zu berücksichtigen, dass er zwar Prokurist der J. - GmbH sei, ihm dort im wesentlichen aber nur die Leitung der technischen Produktion obliege und er außerdem bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe von der Geschäftsführung der GmbH beaufsichtigt werde.

Dem kann nicht gefolgt werden. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts, das auf die Gründe der angefochtenen Bescheide Bezug genommen hat, folgte die gewerberechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers auch aus dessen wirtschaftlicher Leistungsunfähigkeit.

Wirtschaftliche Leistungsunfähigkeit hat aber nicht nur Bezug zu einer bestimmten gewerblichen Tätigkeit, sondern ist auch bei Personen von Bedeutung, die einen Gewerbetreibenden vertreten oder mit der Leitung eines Gewerbebetriebes beauftragt sind.

Vgl. Senatsurteil vom 29. Oktober 1991

- 4 A 935/91 -, GewArch 1992, 143; ähnlich BVerwG, Urteil vom 19. Dezember 1995 - 1 C 3.93 -, NVwZ 1997, 278, 281 a.E.

Der Kläger war deshalb auch für Vertretungs- und Leitungstätigkeiten als unzuverlässig anzusehen. Dies gilt übrigens auch für eine Tätigkeit als fachlich- technischer Leiter.

Vgl. Senatsbeschluss vom 31. Oktober 1996

- 4 A 1819/95 -, GewArch 1997, 209 zum fachlichtechnischen Leiter eines Handwerksbetriebes.

Welche Funktionen der Kläger im Einzelnen bei der J. -GmbH inne hatte und wie seine Beziehungen zur Geschäftsführung ausgestaltet waren, war bei der Prognoseentscheidung nicht zu berücksichtigen. Bei Erlass des Widerspruchsbescheides bestanden für eine spätere Tätigkeit bei der J. -GmbH keine Anhaltspunkte. Dafür, dass die die Unzuverlässigkeit begründenden Tatsachen in der Folgezeit weggefallen sind, gibt der Zulassungsantrag nichts her. Davon abgesehen ändern die rechtlichen Beziehungen, die im Innenverhältnis zur Geschäftsführung bestehen, nichts an der im Außenverhältnis bestehenden und in § 35 Abs. 1 Satz 2 GewO vorausgesetzten Vertretungsberechtigung.

2. Die Rechtssache weist auch nicht die ihr vom Kläger beigemessenen besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).

Für besondere tatsächliche Schwierigkeiten gibt das Vorbringen des Klägers nichts her. Es kann ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass er zum Zeitpunkt der Anordnung von Sicherungsmaßnahmen gemäß § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO durch Beschluss des Amtsgerichts F. vom 20. November 2006 bereits als Prokurist für die J. -GmbH tätig war.

Besondere rechtliche Schwierigkeiten bestehen ebenfalls nicht. Bereits oben (1.) wurde ausgeführt, dass § 12 GewO im vorliegenden Fall eine Aussetzung bzw. Unterbrechung des Verwaltungsstreitsverfahrens nicht rechtfertigt.

3. Eine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO kommt der Rechtssache ebenfalls nicht zu.

In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt und deshalb nicht mehr klärungsbedürftig, dass das Gewerbeuntersagungsverfahren nicht die Insolvenzmasse betrifft und deshalb § 240 ZPO nicht einschlägig ist (s. o. 1.). Ob § 240 ZPO auch auf solche Verfahren zugeschnitten ist, die Fälle aktiver und passiver Leistungsklagen zivilrechtlicher Art betreffen, ist für den Ausgang des vorliegenden Verfahrens unerheblich und bedarf deshalb keiner Klärung.

Weiter möchte der Kläger geklärt wissen, ob das in § 12 GewO geregelte Anwendungsverbot auch dann eingreift, wenn die die Untersagung des Gewerbes betreffende Vorschrift bereits vor einem der in § 12 GewO erwähnten Zeitabschnitte „angewendet" worden ist. In dieser allgemeinen Form würde sich die Frage aber nicht stellen. Vorliegend ist nur von Bedeutung, ob eine Aussetzung oder Unterbrechung des auf die Gewerbeuntersagung bezogenen Verwaltungsstreitverfahrens zu erfolgen hat, wenn der Gewerbetreibende die Gewerbeausübung vor Eintritt der Voraussetzungen des § 12 GewO bereits eingestellt hat. Dies ist aus den unter 1. dargelegten Gründen ohne Weiteres zu verneinen; der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es dafür nicht.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 51 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.