OLG Hamm, Beschluss vom 08.12.2008 - 2 Ss OWi 245/08
Fundstelle
openJur 2011, 64169
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 70 OWi 877 Js 1267/07 (281/07)
Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundeliegenden Feststellungen

aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über

die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Hagen zurück-

verwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Hagen hat den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zu einer Geldbuße von 300,00 € verurteilt; von der Anordnung eines Fahrverbotes hat es abgesehen. Zur Begründung hat das Amtsgericht folgendes ausgeführt:

"Der Betroffene befuhr am 28.06.2007 um 15:17 Uhr mit dem Fahrzeug Fiat amtl. Kennzeichen ............ die BAB 45 in Fahrtrichtung Dortmund. Bei km 38,8 betrug ihre Geschwindigkeit abzüglich Toleranz 129 km/h. Zulässig waren in diesem Bereich 100 km/h.

Der Betroffene stellt weder die Richtigkeit des Messvorgangs, noch seine Fahrereigenschaft in Abrede. Er bittet lediglich darum, von der Verhängung eines Fahrverbotes unter Erhöhung der Geldbuße abzusehen.

Die Geldbuße wurde von der Ordnungsbehörde deshalb verhängt, weil der Betroffene binnen eines Jahres bereits zum zweiten Male die zulässige Geschwindigkeit mehr als 26 km/h überschritten hat.

Das Gericht hält es in dem vorliegenden Fall für vertretbar, von der Verhängung eines Fahrverbotes abzusehen und die Geldbuße von bisher 100,00 auf 300,00 € zu erhöhen.

Der Betroffene ist bislang lediglich zu belanglosen Geldbußen verurteilt worden. Die Geschwindigkeitsüberschreitung ist im übrigen noch relativ maßvoll.

Wesentlich war auch werten, dass der Betroffene sich vollumfänglich einsichtig zeigte.

Zusätzlich hat der Betroffene glaubhaft dargelegt, dass die Verhängung des Fahrverbotes für ihn wirtschaftlich existenzbedrohend wäre.

Der Betroffene ist als Elektroniker in der Blitzschutztechnik tätig. Die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit besteht nahezu ausschließlich dahin, beim Kunden vor Ort, Montageleistungen zu erbringen. Dazu fährt er ca. 200 km am Tag.

Er sieht seinen Arbeitsplatz bedroht, da gerade in den letzten Monaten die Belegschaft seiner Firma von vormals 16 auf 8 Mitarbeiter reduziert wurde und ein weiterer Personalabbau nicht ausgeschlossen sei.

Unter diesen Umständen hält es das Gericht es für ausreichend, das Fehlverhalten des Betroffenen durch Verhängung einer nicht unerheblichen Geldbuße zu ahnden. Der Verhängung eines Fahrverbotes bedurfte es vorliegend nicht."

Gegen dieses der Staatsanwaltschaft Hagen am 18. März 2008 zugestellte Urteil hat die Staatsanwaltschaft Hagen mit Telefax vom 25. März 2008, eingegangen beim Amtsgericht Hagen am selben Tag, Rechtsbeschwerde eingelegt und diese mit der Verletzung materiellen Rechts begründet. In der weiteren Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft Hagen vom 22. April 2008 wird das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes gerügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Hagen beigetreten und hat wie erkannt beantragt.

II.

Die gem. § 79 Abs. 1 Nr. 1 OWiG statthafte und im Übrigen auch zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte, Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Die Generalstaatsanwaltschaft hat ihren Antrag wie folgt begründet:

"Die in dem Antrag der Staatsanwaltschaft Hagen zu sehende Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch ist unwirksam. Voraussetzung für eine Beschränkung ist, dass in dem angefochtenen Urteil hinreichende Feststellungen für die vom Beschwerdegericht zu treffende Entscheidung über die Rechtsfolgen getroffen worden sind (zu vgl. Senatsbeschluss vom 13.08.2001, NZV 2002, 101; Göhler, OWiG, 14. Aufl., Rdnr. 32 zu § 79 m. w. N.). Die Beschränkung ist daher nicht wirksam, wenn das Urteil keine Gründe enthält oder die Feststellungen zur Tat so knapp, unvollständig, unklar oder widersprüchlich sind, dass sie keine hinreichende Grundlage für die Prüfung der Rechtsfolgenentscheidung bilden (zu vgl. Meyer-Goßner, StPO, 51. Aufl., Rdnr. 16 zu § 318; Göhler a.a.O., Rdnr. 9 zu § 79, jeweils m. w. N.). Dementsprechend wäre die Beschränkung der Rechtsbeschwerde auf den Rechtsfolgenausspruch nur wirksam, wenn die in dem angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen eine Verurteilung des Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit trügen.

Um die rechtliche Nachprüfung der Zulässigkeit der einem Verkehrsverstoß zugrundegelegten Geschwindigkeitsmessung zu ermöglichen, muss der Tatrichter in den Urteilsgründen zumindest die angewandte Messmethode und den berücksichtigten Toleranzwert mitteilen und ggfls. darlegen, dass mögliche Fehlerquellen ausreichend berücksichtigt worden sind (zu vgl. Senatsbeschluss, a.a.O., m. w. N.).

Da das angefochtene Urteil die angewandte Messmethode nicht mitteilt und auch unklar bleibt, welchen Toleranzwert das Amtsgericht bei der Festsetzung der Geschwindigkeit in Abzug gebracht hat (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 17.03.2005 - 1 SsOWi 164/05 -) hält es einer materiellrechtlichen Überprüfung nicht Stand. Etwas anderes gilt auch nicht deshalb, weil der Betroffene ausweislich der Urteilsgründe die Richtigkeit des Messvorgangs nicht in Abrede gestellt hat. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (zu vgl. BGH NJW 1993, 3081) kann eine Verurteilung wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit zwar grundsätzlich auch auf ein Geständnis des Betroffenen gestützt werden. Erforderlich ist allerdings ein uneingeschränktes und glaubhaftes Geständnis, wobei in den Urteilsgründen nicht nur die Einlassung des Betroffenen mitzuteilen ist, sondern auch Ausführungen dazu erforderlich sind, aus welchen Gründen der Amtsrichter von der Richtigkeit der Einlassung des Betroffenen überzeugt ist (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 06.04.2004 - 3 SsOWi 749/03 - m. w. N.).

Im vorliegenden Verfahren ist bereits zweifelhaft, ob der Betroffene uneingeschränkt eine Geschwindigkeitsüberschreitung von 29 km/h gestanden hat. Das bloße Nichtbestreiten einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch den Betroffenen ist regelmäßig keine ausreichende Grundlage der Überzeugungsbildung; inwieweit der Betroffene die Geschwindigkeitsüberschreitung eingeräumt hat, ist den Urteilsgründen ebenso wenig zu entnehmen wie die Begründung, warum der Amtsrichter der Einlassung des Betroffenen gefolgt ist.

Die Ausführungen zum Rechtsfolgenausspruch halten einer rechtlichen Nachprüfung ebenfalls nicht Stand. Zwar unterliegt die Entscheidung, ob trotz Vorliegend eines Regelfalls der konkrete Sachverhalt Ausnahmecharakter hat und demgemäss von der Verhängung eines Fahrverbotes abgesehen werden kann, in erster Linie der Beurteilung durch den Tatrichter (zu vgl. BGH NZV 1992, 286). Diesem ist jedoch insoweit kein rechtlich ungebundenes freies Ermessen eingeräumt, das nur auf das Vorliegen von Ermessensfehlern hin vom Rechtsbeschwerdegericht überprüfbar ist. Der dem Tatrichter verbleibende Entscheidungsspielraum ist vielmehr durch gesetzlich niedergelegte und von der Rechtsprechung herausgearbeitete Zumessungskriterien eingeengt und unterliegt insoweit hinsichtlich der Angemessenheit der verhängten Rechtsfolge in gewissen Grenzen der Kontrolle durch das Rechtsbeschwerdegericht, und zwar insbesondere hinsichtlich der Annahme der Voraussetzungen eines Durchschnittsfalles oder Regelfalles, zu der auch die Frage der Verhängung bzw. des Absehens von der Verhängung des Regelfahrverbotes nach der Bußgeldkatalogverordnung zu zählen ist (zu vgl. Senatsbeschluss vom 20.05.2005 - 2 SsOWi 108/05 - m. w. N.).

Von der Anordnung eines Fahrverbotes kann - worauf die Staatsanwaltschaft Hagen in der Rechtsbeschwerdebegründung zu Recht hingewiesen hat - gemäß § 4 Abs. 4 BKatV in Einzelfällen abgesehen werden, in denen der Sachverhalt zugunsten des Betroffenen so erhebliche Abweichungen vom Normfall aufweist, dass die Annahme eines Ausnahmefalles gerechtfertigt ist und die Verhängung des Fahrverbotes trotz der groben bzw. beharrlichen Pflichtverletzung unangemessen wäre, wobei das Vorliegen erheblicher Härten oder eine Vielzahl für sich genommen gewöhnlicher und durchschnittlicher Umstände ausreicht (zu vgl. OLG Hamm VRS 92, 369).

Derartige Umstände sind der angefochtenen Entscheidung jedoch nicht zu entnehmen.

Der Umstand, dass der Betroffene die ihm zur Last gelegte Verkehrsordnungswidrigkeit nicht in Abrede stellt (zu vgl. OLG Düsseldorf VRS 89, 229), rechtfertigt weder allein noch in der Gesamtheit mit den übrigen Umständen das Absehen von der Verhängung des Fahrverbotes.

Nach der obergerichtlichen Rechtsprechung hat ein Betroffener auch berufliche und wirtschaftliche Nachteile als Folgen eines angeordneten Fahrverbotes regelmäßig hinzunehmen. Derartige Nachteile rechtfertigen daher nicht ein Absehen von der Verhängung eines Regelfahrverbotes, sondern grundsätzlich nur Härten ganz außergewöhnlicher Art, wie z. B. ein drohender Verlust des Arbeitsplatzes oder Verlust einer sonstigen wirtschaftlichen Existenzgrundlage (zu vgl. Senatsbeschluss vom 02.11.2006 - 2 SsOWi 712/06 - m. w. N.).

Die Entscheidung über das Absehen von dem Regelfahrverbot ist außerdem eingehend zu begründen und mit ausreichenden Tatsachen zu belegen. Ob gravierende berufliche Nachteile ausnahmsweise ein Absehen vom Fahrverbot rechtfertigen können, bedarf der positiven Feststellung durch den Tatrichter, der die entsprechenden Tatsachen in den Urteilsgründen darlegen muss. Er hat die Angaben des Betroffenen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen und im Urteil darzulegen, aus welchen Gründen er diese für glaubhaft erachtet (zu vgl. Senatsbeschluss, a.a.O.).

Diesen Anforderungen genügt das angefochtene Urteil nicht. Die Angaben in den Urteilsgründen, der Betroffene sei als Elektroniker in der Blitzschutztechnik tätig und die Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit bestehe nahezu ausschließlich darin, beim Kunden vor Ort Montageleistungen zu erbringen, sind nicht ausreichend. Es fehlt an Feststellungen dazu, wie sich die Außendienstmitarbeitertätigkeit im Einzelnen darstellt und ob nicht bei überregionalen Terminen die Inanspruchnahme öffentlicher Verkehrsmittel - wenn auch unter Inkaufnahme erheblicher Zeitverluste - möglich ist. Ferner sind die Möglichkeiten einer zumindest teilweisen Überbrückung der Dauer des Fahrverbotes durch die Inanspruchnahme von Urlaub sowie Benutzung von Taxen oder die Beschäftigung eines Aushilfsfahrers während unabdingbarer Maßnahmen weder erörtert noch erwogen worden.

Schließlich lassen sich dem Urteil konkrete Angaben, inwieweit tatsächlich eine existentielle Gefährdung des Betroffenen durch die Verhängung eines Fahrverbotes gegeben ist, nicht entnehmen. In diesem Zusammenhang ist auch zu berücksichtigen, dass dem Betroffenen nach dem Regelfall des § 25 Abs. 2 a StVG eine Frist von vier Monaten eingeräumt werden kann, binnen derer das Fahrverbot wirksam wird. Um berufliche und wirtschaftliche Härten zu mildern, hat der Betroffene durch diese gesetzliche Regelung die Möglichkeit, das Fahrverbot beispielsweise in seine Urlaubszeit zu legen oder aber in einen Zeitraum, in dem er beruflich weniger dringend auf seine Fahrerlaubnis angewiesen ist.

Da nach alledem das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbotes auf einer nicht tragfähigen Begründung beruht, kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben. Eine eigene Sachentscheidung des Senats gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt nicht in Betracht, da noch weitere tatsächliche Feststellungen getroffen werden müssen."

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat an und macht sie zum Gegenstand seiner Entscheidung.

Ergänzend bemerkt der Senat, dass das angefochtene Urteil darüber hinaus auch deshalb keinen Bestand haben kann, da die Eintragungen im Verkehrszentralregister nicht vollständig mitgeteilt worden sind und daher für den Senat nicht überprüfbar war, ob diese überhaupt verwertbar waren. Bei der Verwertung von verkehrsrechtlichen Voreintragungen sind grundsätzlich das Datum des Erlasses des Bußgeldbescheides und das seiner Rechtskraft anzugeben. Nur bei Mitteilung dieser Tatsachen kann der Senat überprüfen, ob die Voreintragungen noch verwertet werden durften oder eventuell schon tilgungsreif waren, ob innerhalb der Jahresfrist zum zweiten Mal eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als 26 km/h vorliegt, und welche Art die verkehrsrechtlichen Vorbelastungen waren, um die Rechtsfolgenentscheidung überprüfen zu können.

Nach alledem war das angefochtene Urteil daher insgesamt mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Hagen zurückzuverweisen.

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