LAG Hamm, Urteil vom 21.01.2009 - 2 Sa 629/08
Fundstelle
openJur 2011, 64154
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 1 Ca 4241/07

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG unverhältnismäßig und daher sozialwidrig, wenn der Arbeitgeber das gebotene betriebliche Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX unterlässt und nicht vorträgt, warum die Kündigung auch bei dessen Durchführung unvermeidbar gewesen wäre.

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29.02.2008 -1 Ca 4241/07 -abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2007 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens unverändert als Mitarbeiter der Bewachungs- und Sicherheitsdienste weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die soziale Rechtfertigung der von der Beklagten am 23.07.2007 ausgesprochenen fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses wegen häufiger krankheitsbedingter Ausfallzeiten.

Der am 10.03.1964 geborene Kläger, der verheiratet und drei Personen gegenüber unterhaltsverpflichtet ist, war bei der Beklagten seit dem 10.09.2002 als Mitarbeiter im Bewachungs- und Sicherheitsdienst gegen eine monatliche Vergütung von 1.650,00 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 41 Stunden tätig.

Der Kläger hat folgende krankheitsbedingte Ausfallzeiten aufzuweisen:

2004 = 28 Kranktage mit Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 1.903,49 €

2005 = 76 Kranktage mit Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 4.955,27 €

2006 = 148 Kranktage mit Lohnfortzahlungskosten in Höhe von 7.974,49 €

2007 = 66 Kranktage mit Lohnfortzahlungskosten bis zum 30.06.2007 in Höhe von 9.341,06 €.

Die Beklagte unterrichtete deswegen den Betriebsrat am 12.07.2007 von ihrer Absicht, das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30.09.2007, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin zu kündigen. Zur Begründung ihrer Kündigungsabsicht gab sie an, dass die häufigen Erkrankungen und die daraus resultierenden Fehlzeiten für die Annahme sprächen, dass ähnliche Krankheitszeiten auch in Zukunft vorliegen würden. Die Krankheitszeiten hätten sich in den letzten Jahren kontinuierlich erhöht. Deshalb müsse auf eine negative Gesundheitsprognose geschlossen werden. Der Grund und der Grad der Erkrankung seien ihr nicht bekannt. Vorsorglich stütze sie die Kündigungsgründe auch auf eine eventuell bestehende Leistungsunmöglichkeit. Es sei zu befürchten, dass der Mitarbeiter nicht mehr für die Tätigkeit im Unternehmen geeignet sei. Die Kündigungsgründe würden ebenfalls rein vorsorglich auf den schlechten allgemeinen Gesundheitszustand des Mitarbeiters gestützt. Wegen deren Einzelheiten wird auf das Anhörungsschreiben (Bl. 28 – 30 d. A.) Bezug genommen.

Der Betriebsrat hat der Kündigung nicht widersprochen.

Der Kläger hat sich erstinstanzlich nicht in der Lage gesehen, einen vollständigen Verlauf seiner Arbeitsunfähigkeiten ab 2005 zur Verfügung zu stellen. Er hat aber einzelne Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus den Jahren 2005, 2006 und 2007 eingereicht, die Ärzte von der Verschwiegenheitspflicht entbunden und sich mit der Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens einverstanden erklärt.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sowie der im ersten Rechtszug gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage durch Urteil vom 29.02.2008 abgewiesen mit der Begründung, der Kläger habe die mit den vorgetragenen krankheitsbedingten Fehlzeiten verbundene Indizwirkung einer negativen Prognose nicht entkräftet. Aus den teilweise mitgeteilten Diagnosen sei keine Indizwirkung für eine positive Zukunftsprognose abzuleiten. Die Beklagte werde durch die umfänglichen Lohnfortzahlungskosten wirtschaftlich erheblich belastet, da sie den Zeitraum von sechs Wochen jährlich überstiegen. Deshalb überwiege das Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

Mit seiner Berufung will der Kläger die Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung vom 23.07.2007 und die Verpflichtung der Beklagten erreichen, ihn weiterzubeschäftigen. Zur Begründung seines Rechtsmittels trägt er vor, von April 2005 bis Juli 2006 sei er psychisch stark beeinträchtigt gewesen, weil anlässlich eines Vorfalls am 20.04.2005 ein von ihm kontrollierter Fahrgast wahrheitswidrig behauptet habe, das erhöhte Fahrgeld in Höhe von 40 € bezahlt zu haben. Deswegen wegen sei bei der Staatsanwaltschaft Köln das Ermittlungsverfahren 89 Js 899/06 A anhängig gewesen. Mit Schreiben vom 13.07.2006 sei ihm die Einstellung des Verfahrens mitgeteilt worden. Bis dahin habe er sich in einem psychisch labilen Zustand befunden und sei deswegen immer wieder arbeitsunfähig krank gewesen. Nach der Einstellung des Ermittlungsverfahrens seien keine psychischen Beeinträchtigungen mehr aufgetreten, so dass keine Wiederholungsgefahr bestehe. In der Folgezeit habe er an ausgeheilten und nur einmalig auftretenden Krankheiten gelitten. Die Erkrankungen vom 28.11.2006 bis 17.12.2006, vom 18.12.2006 bis 21.01.2007 (Rückenschmerzen) und vom 24.01.2007 bis 04.03.2007 (Herzerkrankung) seien ausgeheilt. Zuletzt sei er vom 08.03. bis 13.04.2007, vom 07.05. bis 17.06.2007 und vom 09.07. bis zum 22.07.2007 an einem Karpaltunnelsyndrom erkrankt gewesen. Seine behandelnden Ärzte hätten eine Operation nicht für erforderlich gehalten, so dass bezüglich dieser Erkrankung keine Wiederholungsgefahr bestehe. Am 19.06.2007 habe er einen Arbeitsunfall erlitten, als er auf einem Kontrollgang beim Überqueren der Gleise mit seinem linken Fuß umgeknickt sei. Er verweise insoweit auf den Bericht an die Eisenbahnunfallkasse. Dementsprechend sei das Arbeitsgericht zu Unrecht von einer negativen Prognose ausgegangen. Er bestreite eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten und rüge die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung. Im Übrigen sei die Beklagte ihrer Verpflichtung, ein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX durchzuführen, nicht nachgekommen. In diesem Verfahren hätte geklärt werden können, wie die Arbeitsunfähigkeit möglicherweise überwunden werde und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeiten vorgebeugt und sein Arbeitsplatz erhalten werden könne. Da das Arbeitsverhältnis durch die unwirksame Kündigung nicht aufgelöst worden sei, sei die Beklagte zur Weiterbeschäftigung verpflichtet.

Der Kläger beantragt,

das Urteil der des Arbeitsgerichts Dortmund vom 29.02.2008 – 1 Ca 4241/07 – abzuändern und

Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2007 nicht beendet wird.

Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. die Beklagten zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter der Bewachungs- und Sicherheitsdienste weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt dem Vorbringen des Klägers entgegen. Sie trägt ergänzend vor, der Kläger habe auch in der Berufungsinstanz die den Arbeitsunfähigkeitszeiten zugrundeliegenden Krankheiten nicht benannt und daher eine positive Gesundheitsaussicht zum Zeitpunkt der Kündigungsentscheidung nicht dargelegt. Unverändert sei der Kläger nicht in der Lage, aussagefähige Erklärungen zu seinen Arbeitsunfähigkeitszeiten vor dem 28.11.2006 vorzutragen. Sie bestreitet die angeblichen psychischen Beeinträchtigungen des Klägers in Folge des anhängigen Ermittlungsverfahrens. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass die psychische Beeinträchtigungen des Klägers nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens nicht mehr aufgetreten seien. Sie bestreite die behauptete Ausheilung der nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens aufgetretenen Erkrankungen. Für den behaupteten Arbeitsunfall am 19.06.2007 lägen ihr keine Unterlagen vor. Sie habe keine Unfallmeldung erhalten. Es bestünden Zweifel an dem behaupteten Arbeitsunfall, weil der Kläger zu dem fraglichen Zeitpunkt nicht gearbeitet habe. Der als Zeuge benannte Arbeitskollege Henseler habe auf Befragen erklärt, der Kläger habe keine Arbeitsunfall erlitten. Wegen des unzureichenden Vortrags des Klägers sei insgesamt von einer zugestandenen negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Vorsorglich berufe sie sich zum Beweis dafür auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens.

Das Berufungsgericht hat bei dem Arzt Dr. F1, der den Kläger in den Jahren 2005 bis 2007 behandelt hat, eine ärztliche Auskunft eingeholt und bei der Beklagten durch gerichtliches Schreiben vom 28.07.2008 angefragt, ob vor Ausspruch der Kündigung unter Einbeziehung des Betriebsrats und gegebenenfalls eines Betriebsarztes ein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX stattgefunden habe. Die Beklagte hat dazu nicht vorgetragen. Mit Schriftsatz vom 25.09.2008 hat der Kläger die Auffassung vertreten, ein betriebliches Eingliederungsmanagement sei nicht durchgeführt worden, weil die Beklagte auf das Schreiben des Gerichts vom 28.07.2008 nicht erwidert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze sowie auf die erteilt Auskunft des Arztes Dr. F1 vom 07.09.2008 (Bl. 199 d. A.) Bezug genommen.

In der Berufungsverhandlung wurde die Frage des betrieblichen Eingliederungsmanagements erörtert. Die Beklagte hat um Schriftsatznachlass gebeten, weil ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht zu einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers geführt habe. Sie rüge außerdem, dass das Gericht auf diesem rechtlichen Gesichtspunkt vorher nicht hingewiesen habe. Dem ist der Kläger entgegengetreten mit dem Hinweis auf die gerichtliche Anfrage vom 28.07.2008 und seinen Vortrag im Schriftsatz vom 25.09.2008.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet. Der Klage ist stattzugeben. Die von der Beklagten am 23.07.2007 ausgesprochene Kündigung ist gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozialwidrig. Sie hat nicht zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses geführt. Deshalb ist die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.

I.

Zu Gunsten der Beklagten kann von einer negativen Gesundheitsprognose des Klägers ausgegangen werden. Die Kündigung erweist sich aber deshalb als sozial nicht gerechtfertigt, weil die Beklagte den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt hat. Sie hat nämlich das gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX gebotene betriebliche Eingliederungsmanagement unterlassen und nicht vorgetragen, dass die Kündigung auch bei Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unvermeidbar gewesen wäre.

Es kann offen bleiben, ob von einer negativen Gesundheitsprognose ausgegangen und angenommen werden kann, dass bezogen auf den Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. des Zugangs der Kündigung vom 23.07.2007 mit weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten des Klägers im erheblichen Umfang gerechnet werden musste. Allerdings kann nicht der Auffassung der Beklagten gefolgt werden, der Vortrag es Klägers sei nicht geeignet, die von ihr dargelegte Indizwirkung einer negativen Gesundheitsprognose zu beseitigen. Die von der Beklagten dargelegten erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zumindest in dem Zeitraum 2005 bis 2007 können für ein entsprechendes Erscheinungsbild in der Zukunft sprechen. Will der Arbeitnehmer dieser Indizwirkung entgegentreten, muss er im Rahmen seiner prozessualen Mitwirkungspflicht gemäß § 138 Abs. 2 ZPO erläutern, weshalb die Besorgnis weiterer Erkrankungen unberechtigt sein sollen. Dieser Mitwirkungspflicht genügt der Arbeitnehmer aber schon dann, wenn er wie vorliegend die Behauptungen des Arbeitgebers bestreitet und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, wenn darin die Behauptung zur erblicken ist, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber positiv beurteilt (vgl. BAG, 13.06.1990 – 2 AZR 527/89 – und vom 06.09.1989 – 2 AZR 19/89 – DB 1990, 429). In diesem Sinne kann bereits der erstinstanzliche Vortrag des Klägers verstanden werden, der seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hat und sich mit der Einholung eines arbeitsmedizinischen Gutachtens einverstanden erklärt hat. Zweitinstanzlich hat der Kläger seinen Vortrag dahin ergänzt, dass aufgrund der Beendigung seiner psychischen Beeinträchtigungen mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens die Gefahr weiterer Erkrankungen in ähnlichen Umfang wie zuvor gebannt sei. Die danach zu verzeichnenden krankheitsbedingten Fehlzeiten rechtfertigten nicht die Annahme einer Wiederholungsgefahr. Der Kläger hat die entsprechenden Krankheitsursachen genannt und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Die bei Dr. F1 eingeholte ärztliche Auskunft stützt den Vortrag des Klägers, denn der Arzt berichtet von einer psychischen Überlagerung der Erkrankungen des Klägers und von einem im Jahr 2008 stabilisierten Gesundheitszustand. Selbst wenn der Vortrag des Klägers nicht ausreicht, um die Indizwirkung der von der Beklagten vorgetragenen Fehlzeiten zu entkräften, müsste bezüglich der negativen Prognose ein ärztliches Gutachten eingeholt werden. Dies ist vorliegend entbehrlich, denn die Kündigung ist wegen des unterbliebenen betrieblichen Eingliederungsmanagements sozial nicht gerechtfertigt.

Die Beklagte war gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX verpflichtet, vor Ausspruch der Kündigung ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen. Gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei einem Beschäftigten, der innerhalb eines Jahres länger als 6 Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig krank gewesen ist, mit der zuständigen Interessenvertretung und mit Zustimmung der betroffenen Person die Möglichkeit zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden und mit welchen Leistungen oder Hilfen erneute Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Diese Verpflichtung des Arbeitgebers besteht nicht nur bei behinderten Menschen, sondern gilt für alle Arbeitnehmer (BAG vom 12.07.2007 – 2 AZR 716/06 – DB 2008, 189).

Die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements ist nach der Rechtsprechung des BAG keine unbedingte Wirksamkeitsvoraussetzung für den Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung. Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hat aber im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Bedeutung. Eine Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere mildere Mittel vermieden werden kann und sie deshalb nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörungen geeignet oder erforderlich ist. § 84 Abs. 2 SGB IX beinhaltet eine Konkretisierung dieses Grundsatzes. Im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements können nämlich Möglichkeiten zur Erhaltung des Arbeitsplatzes erkannt und entwickelt werden. Es kann insbesondere geprüft werden, ob eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz und zu veränderten Bedingungen in Betracht kommt. Unterlässt der Arbeitgeber das an sich gebotene betriebliche Eingliederungsmanagement, ist ihm allerdings der Vortrag gestattet, die Kündigung sei auch bei Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements unvermeidbar gewesen (BAG vom 23.04.2008 – 2 AZR 1012/06 – DB 2008, 2091). Daran mangelt es im vorliegenden Fall. Die Beklagte hat nämlich trotz des gerichtlichen Hinweises vom 28.07.2008 zur Frage des betrieblichen Eingliederungsmanagements nichts vorgetragen. Zuvor hatte bereits der Kläger in seiner Berufungsbegründung vom 09.07.2008 auf dieses Defizit hingewiesen und geltend gemacht, die Beklagte sei verpflichtet gewesen, mit der zuständigen Interessenvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglicherweise überwunden werden können und mit welchen Leistungen oder Hilfen einer erneuten Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden könne. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen. Hätte sie ihrer Verpflichtung genüge getan, hätte geklärt werden können, ob und auf welche Weise einer erneuten Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgebeugt und eine Wiederholungsgefahr hätte beseitigt werden können. Da ein betriebliches Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt worden ist, und die Beklagte keinerlei Gründe vorgetragen hat, weshalb ein betriebliches Eingliederungsmanagement erfolglos geblieben und die Kündigung in jedem Fall unvermeidbar gewesen wäre, ist der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Die Beklagte hat nicht alles getan, um die aufgetretenen Vertragsstörungen und Beeinträchtigungen ihrer betrieblichen Interessen durch geeignete und erforderliche Maßnahmen zu beseitigen. Es bestehen keine Anhaltspunkte, dass die Kündigung auch bei Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements nicht zu verhindern gewesen wäre. Das betriebliche Eingliederungsmanagement eröffnet nicht nur die Prüfung einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu veränderten Bedingungen, sondern ist ein Prozess, in dem durch das Zusammenwirken der beteiligten Akteure Vorschläge und Anpassungsbemühungen entwickelt werden können (vgl. dazu Gagel jurisPR-ArbR 46/2008 Anm. 3).

Eine Schriftsatznachlassfrist war der Beklagten nicht zugewähren, denn das Berufungsgericht hatte auf diesen rechtlichen Gesichtspunkt bereits mit Schreiben vom 28.07.2008 hingewiesen. Der Kläger hat seinen in der Berufungsbegründung enthaltenen diesbezüglichen Hinweis erneut mit Schriftsatz vom 25.09.2008 aufgegriffen und vorgetragen, dass vor Ausspruch der Kündigung kein betriebliches Eingliederungsmanagement gemäß § 84 Abs. 2 SGB IX unter Beiziehung des Betriebsrats und gegebenenfalls eines Betriebsarztes stattgefunden habe. Deshalb war der Beklagten die Erheblichkeit dieses rechtlichen Gesichtspunktes bekannt, ohne dass dazu Vortrag erfolgt ist. Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs ist gewahrt.

II.

Da das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 23.07.2007 nicht zum 30.09.2007 aufgelöst worden ist, ist die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet. Überwiegende Interessen, die einer Weiterbeschäftigung entgegenstehen könnten, hat die Beklagte nicht vorgetragen.

III.

Die Beklagte hat gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

IV.

Die Kammer hat für die Zulassung der Revision keine Veranlassung gesehen, weil die Entscheidung der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten höchstrichterlichen Rechtsprechung folgt.

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