LG Düsseldorf, Urteil vom 03.02.2009 - 16 S 54/08
Fundstelle
openJur 2011, 63188
  • Rkr:
Tenor

1.

Auf die Berufung der Klägerin vom 15. August 2008 wird das Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 29. Juli 2008, Az.: 76a C 24/08, abgeändert und der Beklagte - unter Klageabweisung im Übrigen - verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 1.390,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 130,00 seit dem 02. August 2007 sowie jeweils € 140,00 seit 03. September 2007, 02. Oktober 2007, 02. November 2007, 02. November 2007, 03. Dezember 2007, 02. Januar 2008, 03. März 2008, 02. April 2008 und 02. Mai 2008 zu zahlen.

2.

Die Kosten des Rechtsstreits (erster und zweiter Instanz) trägt der Be-klagte.

3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4.

Dem Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

5.

Den Parteien wird jeweils nachgelassen, die Sicherheit in Form einer schriftlichen, unwiderruflichen, unbedingten und unbefristeten Bürg-schaft eines zum Geschäftsbetrieb im Inland befugten Kreditinstituts zu erbringen.

6.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin ist die Wohnungseigentümergemeinschaft XXXXXXXX aus Duisburg. Sie begehrt als teilrechtsfähiger Verband vom Beklagten, der seit dem 11. Juli 2007 Zwangsverwalter über zwar vermietetes aber tatsächlich keine Einnahmen aus Miete einbringendes Wohnungseigentum ist, die Vorauszahlung von Wohngeld für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Mai 2008 aufgrund eines bestandskräftigen Wirtschaftsplans. Das Amtsgericht hat die Klage mit ausführlicher und sorgfältiger Begründung abgewiesen und insoweit im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte sei nach Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung von der Verpflichtung zur Vorwegzahlung laufender Hausgelder befreit, da diese nicht mehr von der Regelung des § 155 Abs. 1 ZVG erfasst seien; die Vorwegbefriedigung nach § 156 Abs.1 ZVG scheitere an der dortigen Gleichstellung mit den öffentlichen Lasten.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung. Zur Begründung der Berufung wiederholt und vertieft die Klägerin ihren erstinstanzlichen Sachvortrag und hält insbesondere an ihrer dort dargestellten Rechtsansicht fest, dass auch durch die Änderung des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung im Rahmen der Novellierung des WEG eine Rechtsänderung hinsichtlich der privilegierten Zahlungsverpflichtung des Zwangsverwalters für laufendes Hausgeld nichts geändert werden sollte.

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Amtsgerichts Duisburg vom 29. Juli 2008, Az.: 76a C 24/08, den Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von € 1.390,00 nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus € 130,00 seit dem 02. August 2007 sowie jeweils € 140,00 seit 02. September 2007, 02. Oktober 2007, 02. November 2007, 02. November 2007, 02. Dezember 2007, 02. Januar 2008, 03. März 2008, 02. April 2008 und 02. Mai 2008 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

Von der Darstellung tatsächlicher Feststellungen im Übrigen wird gemäß § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 S. 1 ZPO i.V.m. § 62 Abs. 2 WEG abgesehen.

II.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden. Auch in der Sache hat die Berufung Erfolg. Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen, denn die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Vorauszahlung des Wohngelds für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Mai 2008 in Höhe von € 1.390,00 aus §§ 16 Abs. 2, 28 Abs. 2 und 5 WEG i.V.m. § 156 Abs. 1 ZVG.

Der Anspruch ist dem Grunde und der Höhe nach berechtigt. Auf der Wohnungseigentümerversammlung vom 06. August 2007 beschlossen die Wohnungseigentümer mehrheitlich den Wirtschaftsplan für das Jahr 2007 mit der Maßgabe, dass dieser bis zur Beschlussfassung über einen neuen Wirtschaftsplan Gültigkeit haben solle. Nach dem Wirtschaftsplan entfallen auf den vom Beklagten zwangsverwalteten Miteigentumsanteil für August 2007 anteilige Hausgelder in Höhe von € 130,00, für den Zeitraum ab September 2007 anteilige Hausgelder in Höhe von monatlich € 140,00. Die laufenden Hausgelder sind mit dem Monatsersten fällig. Der Beschluss über den Wirtschaftsplan ist bestandskräftig. Unstreitig hat weder der Wohnungseigentümer noch der Beklagte die Hausgelder für den Zeitraum von August 2007 bis einschließlich Mai 2008 gezahlt.

Der Beklagte als Zwangsverwalter haftet der Klägerin hinsichtlich der in Rede stehenden Hausgeldzahlungen notfalls durch Vorschüsse der Gläubiger.

Dem Amtsgericht ist durchaus zuzustimmen, dass nach dem Inkrafttreten der Änderungen des Zwangsversteigerungsgesetzes durch das Gesetz zur Änderung des Wohnungseigentümergesetzes und anderer Gesetze vom 26. März 2007 (WEG-ÄndG, BGBl. I S. 370) am 01. Juli 2007 im Gegensatz zu der bis dahin herrschenden Meinung das auf den Schuldner für den Lasten- und Kostenbeitrag entfallende laufende Wohngeld nicht mehr unter den Anwendungsbereich des § 155 Abs. 1 ZVG zu fassen ist, der bestimmt, dass aus den Nutzungen des Grundstücks die Ausgaben der Verwaltung sowie die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme derjenigen, welche durch die Anordnung des Verfahrens oder den Beitritt eines Gläubigers entstehen, vorweg zu bestreiten sind. Auf die diesbezüglichen überzeugenden Ausführungen des Amtsgerichts, die sich die Kammer zu Eigen macht, wird zur Vermeidung unnötiger Schreibarbeit verwiesen. Die Kammer schließt sich darüber hinaus insbesondere der in der Literatur vertretenen Ansicht an, dass die bisherige Sichtweise wegen der Novellierung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG diese Sichtweise nicht mehr vertretbar ist, weil keine Forderung gleichzeitig unter § 155 Abs. 1 ZVG (Aufwand) und § 155 Abs. 2 Satz 1 ZVG (einer Rangklasse zugehörig) eingeordnet werden kann - soweit nicht ausnahmsweise § 155 Abs. 3 oder Abs. 4 ZVG einschlägig ist (vgl. hierzu Elzer, in: Riecke/Schmid, Fachanwaltskommentar WEG, 2. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 227 und Becker, in: Bärmann, WEG, 10. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 175).

Dies bedeutet indes nicht, dass der Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten auf Vorauszahlung des Wohngelds auch vor dem Hintergrund des § 156 Abs. 1 ZVG prinzipiell ausgeschlossen wäre. Es ist im Gegenteil in der Sache gerechtfertigt, die laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung nach wie vor in der Form privilegiert zu behandeln, als dass sie aus der gesamten Zwangsverwaltungsmasse einschließlich der Gläubigervorschüsse vorweg zu befriedigen sind, da allein dies der gesetzgeberischen Intention entspricht. Dies stimmt - jedenfalls im Ergebnis - mit einer breiten Ansicht in der Literatur überein (vgl. nur Elzer, in: Riecke/Schmid, Fachanwaltskommentar WEG, 2. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 227 und Becker, in: Bärmann, WEG, 10. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 175 f. m.w.N., Alff/Hintzen, Hausgelder in der Zwangsversteigerung und Zwangsverwaltung, Rpfleger, 2008, 165 ff.). Wie sich aus der zu Recht vom Amtsgericht zitierten Passage der Begründung zur Neufassung des § 156 Abs. 1 Sätze 2 und 3 ZVG im Entwurf des WEG-ÄndG vom 08. März 2006 (BT-Drucks. 16/887) ergibt, ging es dem Gesetzgeber ausdrücklich darum, eine Schlechterstellung der Wohnungseigentümergemeinschaft zur bisherigen Rechtslage zu vermeiden. Indes schon diesem Befund widerspricht die angegriffene Entscheidung. Die gesetzgeberische Intention beschränkte sich nämlich nicht darauf, eine Schlechterstellung der Wohnungseigentümergemeinschaft zu vermeiden, dem Gesetzgeber ging es vielmehr um eine Besserstellung der Wohnungseigentümergemeinschaft (vgl. hierzu auch den Beschluss des Landgerichts Frankenthal vom 17. April 2008, Az. 1 T 65/08, der zwar noch zum alten Recht ergangen ist, die hier relevante Rechtsfrage dennoch behandelt).

Dem Amtsgericht bei der Auslegung der Neufassung des § 156 Abs. 1 ZVG im Ausgangspunkt beizupflichten. Wird auf Betreiben eines Dritten die Zwangsverwaltung angeordnet, hat der Zwangsverwalter die nach der Beschlagnahme fälligen laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung gemäß § 156 Abs. 1 Satz 2 ZVG unabhängig vom Teilungsplan vorab zu begleichen. Die durch das Gesetz zur Änderung des WEG in das ZVG eingeführte Vorschrift stellt die Beträge zur Lasten- und Kostentragung den öffentlichen Lasten gleich. Die gesetzliche Regelung beruht auf der Neufassung des § 10 Abs. 1 Nr. 2 ZVG, wonach auch die laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung bei der Verteilung des Überschusses vorrangig in der Rangklasse 2 zu befriedigen sind. Da die laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung mit der Aufnahme in Rangklasse 2 nicht mehr als Ausgaben der Verwaltung im Sinne § 155 Abs. 1 ZVG angesehen werden können, die vorab aus der Zwangsverwaltungsmasse zu verteilen sind, soll § 156 Abs. 1 Satz 2 ZVG klarstellen, dass die laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung wie die öffentlichen Lasten vorab zu berichtigen sind. Für die gleichfalls bevorrechtigten Lasten (§§ 10 Abs. 1 Nr. 3, 156 Abs. 1 Satz 1 ZVG) ist jedoch weitgehend anerkannt, dass sie nicht aus einem angeforderten Gläubigervorschuss getilgt werden dürfe, um eine unzulässige vorrangige Befriedigung eines nachrangigen Gläubigers zu verhindern (vgl. auch Becker, in: Bärmann, WEG, 10. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 175).

Aus der Gleichstellung mit den öffentlichen Lasten darf jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass auch die laufenden Beiträge zur Lasten- und Kostentragung nicht aus dem Gläubigervorschuss, sondern nur aus den Einnahmen getilgt werden dürfen. Dadurch würde sich die Rechtsstellung der Gemeinschaft im Gegensatz zur alten Rechtslage - entgegen der Intention des Gesetzgebers - erheblich verschlechtern. Überdies ist zu berücksichtigen, dass der Zwangsverwalter auf Grund seiner Verwaltungsbefugnis (§ 152 Abs. 1 ZVG) im Interesse des Gläubigers im Verhältnis zur Gemeinschaft die Rechte des Wohnungseigentümers wahrnimmt, insbesondere das Stimmrecht in der Eigentümerversammlung ausübt. Auf diese Weise kann er im Interesse der Gläubiger auf Beschlüsse der zur Lasten- und Kostentragung einwirken und gegebenenfalls fehlerhafte Beschlüsse anfechten (vgl. auch Becker, in: Bärmann, WEG, 10. Auflage (2008), § 16 Rdnr. 175 f.).

Der Zinsanspruch folgt - soweit er zuerkannt wurde - aus §§ 286,288 BGB. Soweit die Klage hinsichtlich der Zinsforderung im Übrigen abgewiesen wurde, beruht dies darauf, dass der Monatszweite in den Monaten September 2007, Dezember 2007 und März 2008 ein Sonntag und mithin der Monatserste ein Sonnabend war und daher Verzug nicht eintreten konnte, § 193 BGB.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, da das Unterliegen sich lediglich auf drei Tage der Zinsforderung erstreckt. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711.

Für die Zulassung der Revision besteht ein gesetzlich begründeter Anlass, § 543 Abs. 2 ZPO, weil die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert. Soweit erkennbar ist die hier in Rede stehende Rechtsfrage der Vorweghaftung des Zwangsverwalters für laufende Wohngeldzahlungen nach neuem Recht durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes noch nicht geklärt. Der Beschluss des 5. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs vom 24. Januar 2008, Az.: V ZB 99/07 erging noch zum alten Recht und lässt keine sicheren Rückschlüsse auf die neue Rechtslage zu.

Der Streitwert der Berufung wird auf € 1.390,00 festgesetzt.