OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 08.05.2009 - 16 A 3373/07
Fundstelle
openJur 2011, 63150
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Minden vom 2. November 2007 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Der 1948 geborene Kläger war seit 1990 Inhaber einer Fahrerlaubnis für alle Fahrerlaubnisklassen. In der Nacht zum 14. August 2004 fiel er bei der Heimfahrt von der Jagd durch eine unsichere Fahrweise auf. Nach den polizeilichen Schilderungen vermittelte der Kläger einen stark alkoholisierten Eindruck; die Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,68 Promille. Bei der anschließenden ärztlichen Untersuchung wurden nur leichte Anzeichen von Trunkenheit festgestellt. Das AG M. verurteilte den Kläger mit Strafbefehl vom 25. Oktober 2004 unter anderem wegen Trunkenheit im Straßenverkehr zu einer Geldstrafe, entzog ihm die Fahrerlaubnis und ordnete für eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis eine einjährige Sperrzeit an. Am 25. Oktober 2005, einen Tag nach dem Ablauf der Sperrfrist, erwarb der Kläger in Stettin eine polnische Fahrerlaubnis der Klassen A und B, als Wohnsitz ist darin unter Ziff. 8 S. genannt.

Nachfolgend forderte der Beklagte den Kläger zu einer medizinischpsychologischen Untersuchung auf. Der Kläger kam dieser Aufforderung nach. Das Gutachten vom 11./25. April 2006 gelangte zu dem Ergebnis, dass der Kläger auch in Zukunft ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel führen werde. Aufgrund eines unkontrollierten Konsums berauschender Mittel lägen Beeinträchtigungen vor, die das sichere Führen eines Kraftfahrzeuges in Frage stellten. Mit der angefochtenen Ordnungsverfügung vom 6. Juni 2006 entzog der Beklagte dem Kläger die Fahrerlaubnis mit der Folge, dass sein Recht erlosch, von der polnischen Fahrerlaubnis in Deutschland Gebrauch zu machen. Den hiergegen vom Kläger erhobenen Widerspruch wies die Bezirksregierung D. mit Widerspruchsbescheid vom 15. Dezember 2006 zurück. Ein Antrag des Klägers auf Gewährung vorläufigen verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes blieb in beiden Instanzen ohne Erfolg (Az. VG Minden 3 L 410/06; OVG 16 B 1402/06); im Verlauf des Beschwerdeverfahrens legte der Beklagte einen Melderegisterauszug vor, aus dem hervorging, dass der Kläger seit 2002 ununterbrochen seinen Wohnsitz in M. hatte.

Bereits am 4. Dezember 2006 hatte der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Zur Begründung seines nach dessen Erlass auch auf den Widerspruchsbescheid bezogenen Anfechtungsbegehrens hat er vorgetragen, der Beklagte sei nicht berechtigt gewesen, Zweifel an seiner Fahreignung geltend zu machen. Vielmehr ergebe sich aus der einschlägigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass nach der Erteilung einer ausländischen Fahrerlaubnis die Prüfungs- und Verwerfungskompetenz ausschließlich beim Ausstellerstaat liege. Dabei löse die (Wieder-)Erteilung der Fahrerlaubnis eine Sperrwirkung dergestalt aus, dass der Aufenthaltsstaat Vorfälle aus der vorangegangenen Zeit allenfalls ergänzend, nicht aber allein tragend heranziehen dürfe, um die Fahreignung des Betroffenen in Frage zu stellen. Abgesehen davon liege keine ordnungsgemäße Ermessensausübung des Beklagten vor.

Der Kläger hat beantragt,

die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6. Juni 2006 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung D. vom 15. Dezember 2006 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er hat den angefochtenen Bescheid verteidigt und ausgeführt, es könne dahinstehen, ob er den Kläger zur Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens habe auffordern dürfen. Denn nachdem sich der Kläger untersuchen lassen und ein seine Fahreignung verneinendes Gutachten vorgelegt habe, sei er, der Beklagte, befugt gewesen, die ordnungsrechtlichen Konsequenzen aus diesem aktuellen Untersuchungsergebnis zu ziehen. Dem stehe die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs nicht entgegen.

Mit Urteil vom 26. Juli 2007 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, das vom Kläger in Auftrag gegebene und vorgelegte medizinischpsychologische Gutachten stelle eine neue Tatsache dar, auf die der Beklagte seine Entscheidung eigenständig habe stützen dürfen und die auch inhaltlich die Annahme mangelnder Fahreignung des Klägers trage. Der Heranziehung des Gutachtens ständen auch europarechtliche Vorgaben nicht entgegen. Der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs könne entnommen werden, dass die nationalen Behörden ihre innerstaatlichen Bestimmungen in Bezug auf eine ausländische Fahrerlaubnis nicht nur auf ein Verhalten des Inhabers nach der Ausstellung dieser Fahrerlaubnis stützen dürften. Es genüge vielmehr, wenn nach der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis wie vorliegend sonstige aussagekräftige Tatsachen zutagegetreten seien, auch wenn diese Tatsachen ihrerseits an ein Verhalten des Betroffenen vor der Erlangung der ausländischen Fahrerlaubnis anknüpften.

Mit seiner vom Senat zugelassenen Berufung trägt der Kläger vor, die Vorgehensweise des Beklagten verstoße gegen übergeordnetes Europarecht und insbesondere gegen die Anerkennungspflicht aus Art. 1 Abs. 2 der 2. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 91/439/EWG). Ausnahmen von dieser Verpflichtung seien nicht ersichtlich. Vielmehr ließen insbesondere die neueren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs vom 26. Juni 2008 mit hinlänglicher Deutlichkeit erkennen, dass der vormals herangezogene und zur Abwehr des sogenannten "Führerscheintourismus" konzipierte Missbrauchsgedanke nicht tragfähig sei. Diese Erkenntnis setze sich auch in der deutschen Rechtsprechung zunehmend durch.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

das angefochtene Urteil zu ändern und nach seinem erstinstanzlich gestellten Antrag zu erkennen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird ergänzend auf die Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie des Eilverfahrens gleichen Rubrums und auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Gründe

Die Berufung, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 125 Abs. 1 und 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig, aber nicht begründet. Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 6. Juni 2006 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung des Beklagten - oder schon die Zulässigkeit der erhobenen Anfechtungsklage - ist zunächst nicht deshalb in Frage gestellt, weil es ihr gleichsam an einem Bezugsobjekt, das heißt einer im Inland gültigen ausländischen Fahrerlaubnis, mangelte. Die Bestimmung des § 28 Abs. 4 Fahrerlaubnisverordnung in der bei Erlass des angefochtenen Bescheids geltenden Fassung (FeV), nach der die Berechtigung für Inhaber einer gültigen EU- oder EWR-Fahrerlaubnis zum Führen von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik Deutschland unter anderem dann nicht galt, wenn der Inhaber zum Zeitpunkt der Erteilung der ausländischen Fahrerlaubnis seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hatte (Nr. 2) oder wenn ihm zuvor im Inland eine Fahrerlaubnis von einem Gericht oder einer Verwaltungsbehörde entzogen worden war (Nr. 3), stand einem förmlichen Aberkennungsverfahren nicht entgegen.

BVerwG, Urteile vom 11. Dezember 2008 - 3 C 26.07 -, DAR 2009, 212, und 3 C 38.07, Juris; OVG NRW, Beschluss vom 12. Januar 2009 - 16 B 1610/08 -, DAR 2009, 159 = Blutalkohol 46 (2009), 109; anderer Ansicht Bay. VGH, Beschluss vom 7. August 2008 - 11 ZB 07.1259 -, DAR 2008, 662, sowie VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 17. Juli 2008 - 10 S 1688/08 -, NJW 2008, 3512 = VRS 115 (2008), 237 = DAR 2008, 599, und Urteil vom 9. September 2008 - 10 S 994/07 -, DAR 2008, 660.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass § 28 Abs. 4 Satz 2 FeV in der am 19. Januar 2009 in Kraft getretenen Fassung vom 7. Januar 2009 (BGBl. I S. 29) nunmehr ausdrücklich die Möglichkeit des Erlasses eines feststellenden Verwaltungsakts vorsieht. Denn diese Regelung steht in engem Zusammenhang mit dem Inkrafttreten des Art. 11 Abs. 4 der 3. Europäischen Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG) am 19. Januar 2009 (Art. 18 Satz 2 Richtlinie 2006/126/EG) und vermag für die vor diesem Datum erteilten ausländischen Fahrerlaubnisse keine kraft Gesetzes eintretende und nur noch deklaratorisch festzustellende Unwirksamkeit herbeizuführen. Für die bis zum 19. Januar 2009 erworbenen EU-/EWR-Fahrerlaubnisse verbleibt es vielmehr dabei, dass sie dem vom Europäischen Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung geforderten Anerkennungsautomatismus unterfallen

vgl. EuGH, Urteile vom 29. April 2004 - C-476/01 (Kapper) -, NJW 2004, 1725 = DAR 2004, 333 = NZV 2004, 373, und vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (W. u.a.) -, NJW 2008, 2403 = DÖV 2008, 723 = NZV 2008, 641, sowie C-334/06 bis C-336/06 (Z. u.a.), DAR 2008, 459

und die Nichtanerkennung durch den Aufenthaltsstaat - bei Vorliegen entsprechender Voraussetzungen - der Umsetzung in Gestalt einer konstitutiven Einzelfallentscheidung bedarf.

Ermächtigungsgrundlage für eine derartige Einzelfallentscheidung, d.h. für die Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis des Klägers, sind § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVG sowie § 46 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 FeV. Nach diesen Vorschriften hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Bei einer ausländischen Fahrerlaubnis hat die Entziehung zur Folge, dass das Recht erlischt, von der ausländischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Dass die Voraussetzungen des nationalen Rechts für die Entziehung der Fahrerlaubnis im Fall des Klägers vorliegen, unterliegt keinen Zweifeln und wird auch mit der Berufung nicht in Frage gestellt. Ermessen hat die Fahrerlaubnisbehörde nicht auszuüben.

Vgl. BverwG, Urteile vom 11. Dezember 2008

- 3 C 26.07 und 3 C 38.07 -, aaO.

Der Anwendung von § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVG sowie § 46 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 FeV auf den Fall des Klägers steht auch Europäisches Gemeinschaftsrecht, namentlich die vorliegend noch anzuwendende Richtlinie 91/439/EWG, nicht entgegen.

Das folgt zum einen aus Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG. Nach dieser Bestimmung kann ein Mitgliedstaat des ordentlichen Wohnsitzes vorbehaltlich der Einhaltung des straf- und polizeirechtlichen Territorialitätsprinzips auf den Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins seine innerstaatlichen Vorschriften über Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis anwenden. Der Anwendung dieser Bestimmung steht nicht entgegen, dass der Europäische Gerichtshof diese Befugnis des Aufenthaltsstaates ablehnt, wenn die Zweifel an der Fahreignung auf Umständen beruhen, die sich vor der (Neu-)Erteilung der in Rede stehenden ausländischen Fahrerlaubnis ereignet haben.

Vgl. in diesem Sinne zuletzt EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C 329/06 und C-343/06 (W. u.a.) -, Rn. 59 und 66, sowie C-334/06 bis C-336/06 (Z. u.a.), Rn. 56 und 63, jeweils aaO.

Vorliegend sind nämlich nach der Erteilung der polnischen Fahrerlaubnis neue Umstände eingetreten. Der Kläger hat sich auf Anordnung durch den Beklagten am 11. April 2006 einer medizinischpsychologischen Untersuchung unterzogen. Hierbei sind sachverständige Feststellungen getroffen worden, die sich nicht auf die Fortschreibung der bei der Trunkenheitsfahrt vom 14. August 2004 deutlich gewordenen Alkoholproblematik beschränken, sondern als aktuelle Befunde mit eigenständigem Gehalt zu bewerten sind. Gegen die Heranziehung solcher neuen und eigenständigen Tatsachen - auch wenn sie denselben Fahreignungsmangel betreffen, der vormals zur Entziehung der Fahrerlaubnis geführt hatte - spricht auch nicht, dass der Europäische Gerichtshof in den zuletzt genannten Entscheidungen vom 26. Juni 2008 lediglich auf ein "Verhalten" des jeweiligen Fahrerlaubnisinhabers abgestellt hat, was eher auf ein aktuelles Tun denn auf einen fortbestehenden Zustand hindeuten könnte. Andererseits hat aber der EuGH in vorangegangenen Entscheidungen in diesem Zusammenhang an anderer Stelle auch allgemeiner von bloßen "Umständen …, die nach der Erteilung der … Fahrerlaubnis eingetreten" sind, gesprochen.

Vgl. EuGH, Beschlüsse vom 6. April 2006 - C-227/05 (H.) -, NJW 2006, 2173 = DAR 2006, 375 = NZV 2006, 498 (Rn. 38), und vom 28. September 2006 - C-340/05 (K.) -, NJW 2007, 1863 = DAR 2007, 77 = NZV 2007, 537 (Rn. 33, 35 und 36).

Ein enges Begriffsverständnis, das lediglich neues Verhalten - also inbesondere erneute Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr - nach der Erlangung einer ausländischen Fahrerlaubnis erfassen soll, verbietet sich nach Überzeugung des Senats. Denn viele Eignungsmängel, insbesondere gesundheitlich bedingte Minderungen der Fahrtauglichkeit, sind typischerweise nicht verhaltensbezogen oder weisen - wie etwa eine Alkoholproblematik - sowohl Verhaltenselemente (häufiger übermäßiger Konsum, Neigung zu Trunkenheitsfahrten) als auch Zustandselemente (Abhängigkeit, dauerhafte alkoholtoxische Leistungseinbußen) auf, die nicht isoliert betrachtet werden können. Vorliegend ergibt sich aus dem medizinischpsychologischen Gutachten vom 11./25. April 2006 nicht allein, dass der Kläger früher Alkoholmissbrauch betrieben hat und nicht in ausreichendem Maße Anhaltspunkte für eine verlässliche Abkehr davon hervorgetreten sind. Vielmehr sprechen die Feststellungen in dem Gutachten dafür, dass der Kläger noch immer Verhaltensweisen und Einstellungen pflegt, die einer positiven Fahreignungsbeurteilung entgegenstehen. Unter anderem ergeben sich aus dem Gutachten schwankende, insgesamt bagatellisierende Angaben des Klägers zu seinem Trinkverhalten, was weiterhin auf eine fehlende Problemeinsicht schließen lässt, ein deutlich über dem Normbereich liegender Gamma-GT-Wert, der einen weiterhin hohen Alkoholkonsum wahrscheinlich macht, sowie weitere körperliche Merkmale, die auf einen erheblichen Alkoholkonsum hinweisen.

Dass die Fahrerlaubnisbehörde in derartigen Fällen auf der Grundlage der Recht- sprechung des Europäischen Gerichtshofs unter Umständen eine Aufforderung zur Vorlage eines medizinischpsychologischen Gutachtens nicht hätte treffen dürfen, ist ohne Belang, wenn das betreffende Gutachten tatsächlich erstellt und der Fahrerlaubnisbehörde vorgelegt worden ist.

Vgl. BVerwG, Urteile vom 18. März 1982 - 7 C 69.81 -, BVerwGE 65, 157 = NJW 1992, 2885 = VRS 63 (1982), 223, und vom 5. Juli 2001 - 3 C 13.01 -, NJW 2002, 78 = DAR 2001, 522 = VRS 101 (2001), 229, sowie Beschluss vom 19. März 1996 - 11 B 14.96 -, NZV 1996, 332 = DAR 1996, 329 = VRS 92 (1997), 157; vgl. weiter Bay. VGH, Urteil vom 29. Juli 1996 - 11 B 96.285 -, NJW 1997, 1457 = NZV 1996, 509 = VRS 92 (1997), 294, und VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 30. Mai 2003 - 10 S 1907/02 -, NZV 2004, 213 = DAR 2003, 481 = VRS 105 (2003), 317.

Abgesehen davon war der Beklagte auch unabhängig vom Ergebnis des medizinisch- psychologischen Gutachtens nicht gehindert, dem Kläger auf der Grundlage des Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie 91/439/EWG die Befugnis abzuerkennen, von seiner polnischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Nach der genannten Bestimmung kann es die Bundesrepublik Deutschland als Mitgliedstaat, in dem eine Person ihren ständigen Wohnsitz hat, ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat dieser Person ausgestellt wurde, gegen die zuvor in Deutschland eine Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG ("Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis") angewandt wurde; zugleich rechtfertigte es diese Bestimmung, den Kläger im Vorfeld der aberkennenden Entscheidung zur Vorlage einer medizinischpsychologischen Begutachtung aufzufordern.

Die Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG für eine solche Ablehnung liegen vor, da dem Kläger durch den rechtskräftigen Strafbefehl des AG M. vom 25. Oktober 2004 die Fahrerlaubnis entzogen worden war.

Die Entziehung der polnischen Fahrerlaubnis nach Art. 8 Abs. 4 Richtlinie 91/439/EWG ist nicht aufgrund der vom EuGH in ständiger Rechtsprechung vorgegebenen engen Auslegung dieser Bestimmung in der Gegenüberstellung mit dem Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG unzulässig. Der EuGH hat insoweit nach Jahren der Rechtsunsicherheit und in teilweiser Abkehr von seiner vormaligen Rechtsprechung klargestellt, dass das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG (auch) die Funktion hat, den verbreiteten sog. Führerscheintourismus zu bekämpfen, und dass die Sicherheit des Straßenverkehrs gefährdet werden könnte, wenn die Wohnsitzvoraussetzung in Bezug auf eine Person, auf die vormals eine Maßnahme nach Art. 8 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG angewandt worden ist, nicht beachtet würde.

Vgl. EuGH, Urteile vom 26. Juni 2008 - C-329/06 und C-343/06 (W. u.a.) -, aaO. (Rn. 69 und 71) sowie C-334/06 bis C-336/06 (Z. u.a.), aaO. (Rn. 66 und 68); enger noch Urteil vom 29. April 2004 - C-476/01 (K.) -, NJW 2004, 1725 = DAR 2004, 333 = NZV 2004, 373.

Die oben genannten Vorabentscheidungsverfahren betrafen jeweils tschechische Fahrerlaubnisse und waren jedenfalls in der Mehrzahl dadurch geprägt, dass dieser Ausstellerstaat zumindest bis zum Sommer 2006 das Wohnsitzerfordernis nicht geprüft und in die Kartenführerscheine den deutschen Wohnsitz der Führerscheinerwerber eingetragen hat. Der EuGH hat nunmehr - unter nochmaliger Betonung der grundsätzlichen Anerkennungspflicht für EU-/EWR-Fahrerlaubnisse - entschieden, dass die Bestimmungen der Richtlinie 91/439/EWG einen Mitgliedstaat nicht zur Anerkennung einer ausländischen Fahrerlaubnis verpflichten, wenn auf der Grundlage von Angaben im Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins dessen Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaates eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaates hatte.

Das gleiche gilt zur Überzeugung des Senats jedenfalls auch dann, wenn aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgrund von ihm als eigene Verlautbarung zurechenbarer und trotz Kenntnis der Problemlage nicht substanziiert bestrittener Angaben mit derselben Sicherheit wie in den vom EuGH jüngst entschiedenen Fällen auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG geschlossen werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 12. Januar 2009 - 16 B 1610/08 -, aaO., und vom 5. Februar 2009 - 16 B 991/08 -, Juris.

Diese Überzeugung wird durch die jüngsten Entscheidungen des EuGH getragen, die erstmals das seit Jahren verbreitet anzutreffende Phänomen des sog. Führerscheintourismus aufgreifen und - wie dargestellt - dem Wohnsitzerfordernis des Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG eine entscheidende Funktion bei der Bekämpfung dieses Phänomens zuweisen. Wenn überhaupt, können Zweifel an der Absicht des EuGH, den Führerscheintourismus umfassend und wirkungsvoll einzudämmen, allenfalls aus einer - nicht in den abschließenden Tenor übernommenen - Formulierung in den Gründen der Urteile vom 26. Juni 2008 (Rn. 72 der Rechtssache W. u.a. bzw. Rn. 69 der Rechtssache Z. u.a.) aufkommen. Dort hat der EuGH ausgeführt, der sog. Aufnahmemitgliedstaat sei zu fahrerlaubnisrechtlichen Maßnahmen berechtigt, wenn ein Verstoß gegen die Wohnsitzvoraussetzung "zwar nicht anhand von vom Aufnahmemitgliedstaat stammenden Informationen, aber auf der Grundlage von Angaben im Führerschein selbst oder anderen vom Ausstellerstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen" festzustellen sei. Dieser "Zwar-Nebensatz" könnte so verstanden werden, dass Grundlage einer die Geltung der Fahrerlaubnis verneinenden Entscheidung des Aufnahmemitgliedstaates ausschließlich vom Ausstellerstaat herrührende Informationen sein dürfen, nicht aber sonstige Informationen, auch wenn sie zu demselben klaren Schluss auf einen Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis führen. Ein derart enges Verständnis der Entscheidungsgründe würde aber nur dem Umstand Rechnung tragen, dass der EuGH die von ihm entschiedenen Verfahren als Ausschnitt einer Gruppe von Verfahren ansieht, in denen sich die Verletzung des Wohnsitzprinzips auf der Grundlage von vom Ausstellerstaat herrührenden Informationen ergibt. Als weiteres Kriterium hat der EuGH jedoch die "Unbestreitbarkeit" der Informationen als maßgeblich erachtet. Er hat dieses Kriterium nicht etwa als nachrangig im Verhältnis zur Herkunft der Informationen aus dem Ausstellerstaat angesehen. In Konsequenz daraus müssen aber auch bzw. erst Recht bestimmte "unbestrittene" Informationen verwertet werden dürfen, um einen Wohnsitzverstoß festzustellen. Denn es fehlt an jeglicher Notwendigkeit, unbestreitbare Hinweise auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG zu ermitteln, wenn der Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis freimütig das Fehlen eines den Anforderungen des Art. 7 Abs. 1 iVm Art. 9 der Richtlinie 91/439/EWG genügenden Wohnsitzes ausdrücklich oder auch durch beredtes Schweigen eingesteht. Daher sind jedenfalls vom Inhaber der ausländischen Fahrerlaubnis zugestandene oder ihm als eigene Verlautbarung zurechenbare und trotz Kenntnis der Problemlage von ihm nicht substanziiert bestrittene Angaben einem Nachweis aus schriftlichen Verlautbarungen des Ausstellerstaates gleichzuerachten.

Ähnlich VGH Bad.-Württ., Beschluss vom 16. September 2008 - 10 S 2925/06 -, VRS 115 (2008), 392, für den Fall, dass auch dem Ausstellerstaat die vom Betroffenen angegebenen, gegen die Einhaltung des Wohnsitzerfordernisses sprechenden Erkenntnisse vorgelegen haben bzw. ihm bekannt waren oder bei ordnungsgemäßer Prüfung hätten bekannt sein müssen; vgl. auch den Vorlagebeschluss des VGH Bad.-Württ. vom 23. September 2008 - 10 S 1037/07 -, DAR 2008, 718; VG Kassel, Urteil vom 3. November 2008 - 2 K 991/08.KS -, veröffentlicht unter www.fahrerlaubnisrecht.de; in erster Linie auf die Einlassungen des Fahrerlaubnisinhabers stellt auch der BGH im Urteil vom 11. September 2008 - III ZR 212/07 -, BGHZ 178, 51 = NJW 2008, 3558 = DAR 2008, 694, ab; anderer Ansicht OVG Rheinl.-Pf., Urteil vom 31. Oktober 2008 - 10 A 10851/08 -, DAR 2009, 50.

Es gibt keinen Grund, in Fällen offenkundiger Verstöße gegen die Wohnsitzvoraussetzung danach zu differenzieren, ob sich die Offenkundigkeit aus einem Dokument des Ausstellerstaates oder aus Verlautbarungen oder Verhaltensweisen des Fahrerlaubnisinhabers ergibt. Das Wohnsitzerfordernis und seine strikte Beachtung tragen mangels einer vollständigen Harmonisierung der materiellen Bestimmungen über die Fahrerlaubniserteilung zur Bekämpfung des auch vom EuGH als Missstand wahrgenommenen Führerscheintourismus bei. Der EuGH weist in diesem Zusammenhang unter Bezugnahme auf die Ausführungen des Generalanwalts in dessen Schlussanträgen ausdrücklich auf die Bedeutung des Wohnsitzerfordernisses für die Einhaltung der materiellen Standards bei der Führerscheinausstellung und damit für die Sicherheit des Straßenverkehrs hin. Dem ist einschränkungslos beizupflichten. Die in Rede stehenden Rechtsgüter - nicht nur das Abstraktum "Sicherheit des Straßenverkehrs", sondern Leib, Leben und Gesundheit einer nicht eingrenzbaren Vielzahl anderer Verkehrsteilnehmer - sind so gewichtig, dass in derartigen Fällen der Anerkennungsgrundsatz nach Art. 1 Abs. 2 Richtlinie 91/439/EWG zurücktritt. Der unabdingbare Schutz dieser Rechtsgüter schließt es aber auch aus, bei jeweils übereinstimmendem Gefährdungspotenzial Zufälligkeiten wie der Herkunft der Informationen, aus denen zweifelsfrei die Europarechtswidrigkeit der ausländischen Fahrerlaubnis folgt, entscheidenden Raum zu geben. Die individuelle Schutzwürdigkeit von "Führerscheintouristen", die einen Scheinwohnsitz angeben und insoweit die ausländischen Fahrerlaubnisbehörden täuschen, ist nicht höher, sondern im Gegenteil geringer als die derjenigen Fahrerlaubnisbewerber, die wie die Kläger der Ausgangsverfahren zu den EuGH-Urteilen vom 26. Juni 2008 im Hinblick auf den Wohnsitz ehrlich gegenüber den ausländischen Behörden waren und deshalb (nur) einen Führerschein mit deutscher Wohnsitzangabe erhalten haben. Belange des Schutzes der Freizügigkeit von Unionsbürgern stehen ohnehin nicht zur Diskussion, wenn sich die Beziehungen des Betroffenen zum Ausstellerstaat auf die Schaffung eines Scheinwohnsitzes und die Erlangung einer europarechtswidrigen Fahrerlaubnis beschränkt haben. Schließlich vermag auch der dem Anerkennungsgrundsatz des Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 91/439/EWG innewohnende Aspekt der gegenseitigen Respektierung von Rechtsakten anderer Mitgliedstaaten keine Differenzierung nach den für den unbestreitbaren Nachweis des Verstoßes gegen das Wohnsitzerfordernis heranzuziehenden Beweistatsachen oder Beweismitteln zu rechtfertigen. Denn der EuGH hat in den Urteilen vom 26. Juni 2008 zugelassen, dass die jeweiligen Fahrerlaubnisse wegen ihres rechtsfehlerhaften Zustandekommens aberkannt werden können; mit anderen Worten durfte die räumliche Geltung ausländischer Fahrerlaubnisse beschränkt werden, weil die betreffenden ausländischen Behörden das europäische Führerscheinrecht unrichtig angewandt hatten. Im Vergleich zu einem solchen Verdikt der flagranten Missachtung des Europarechts greift eine nachträgliche Geltungsbeschränkung von Fahrerlaubnissen weniger empfindlich in die Befugnisse und Verantwortlichkeiten des Ausstellerstaates ein, wenn dessen Fahrerlaubnisbehörde vom betreffenden Fahrerlaubnisbewerber über seine Aufenthaltsverhältnisse getäuscht worden ist und davon ausgegangen werden kann, dass die Behörde ohne diese Täuschung selbst von der Fahrerlaubniserteilung Abstand genommen hätte.

Im Falle des Klägers tritt der Verstoß gegen das gemeinschaftsrechtliche Wohnsitzerfordernis unbeschadet des Umstands, dass in seinem polnischen Führerschein eine Adresse in S. (S.) eingetragen ist, aufgrund seiner Einlassungen bzw. seines Verhaltens deutlich zutage. Er hat insbesondere trotz anwaltlicher Vertretung und trotz der erkennbaren Bedeutung dieser Umstände für die Anerkennung seiner Fahrerlaubnis in keiner Weise konkretisiert, während welchen Zeitraums und wegen welcher beruflichen oder persönlichen Bindungen er (zeitweilig) seinen ordentlichen Wohnsitz in Polen gehabt haben will. Auch der Umstand, dass der Kläger bei der Bundeswehr beschäftigt ist und seit 2002 ununterbrochen mit einem Wohnsitz in M. gemeldet war, spricht nachdrücklich gegen das Bestehen eines den Anforderungen des europäischen Fahrerlaubnisrechts genügenden Wohnsitzes in Polen. Insbesondere die vorliegenden melderechtlichen Erkenntnisse beruhen ganz wesentlich auf den Angaben des Klägers gegenüber den Meldebehörden und sind ihm daher als eigene Verlautbarungen zuzurechnen.

Die Gebührenfestsetzung findet ihre Rechtsgrundlage in § 6a StVG iVm Geb.-Nr. 206 der Anlage zu § 1 des Gebührentarifs für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über deren vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 711, § 713 ZPO.

Die Revision ist zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Die entscheidungserheblichen Fragen, ob

- § 3 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 StVG sowie § 46 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 2 FeV unter Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben anwendbar sind, wenn lediglich an eine ärztliche oder medizinischpsychologische Untersuchung angeknüpft werden kann, die aufgrund neu gewonnener Erkenntnisse (weiterhin) Fahreignungsmängel feststellt

bzw.

- die genannten Bestimmungen auf Fälle angewandt werden können, in denen ein Verstoß gegen das Wohnsitzerfordernis nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 91/439/EWG nicht aufgrund der Angaben in dem von einem anderen Mitgliedstaat der EG ausgestellten Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, aber aufgrund eines Eingeständnisses des Fahrerlaubnisinhabers oder aufgrund von ihm als eigene Verlautbarung zurechenbarer und trotz Kenntnis der Problemlage nicht substanziiert bestrittener Angaben mit derselben Sicherheit festgestellt werden kann,

sind höchstrichterlich nicht geklärt und für eine Vielzahl ähnlich gelagerter Fälle von Bedeutung.