OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 31.03.2009 - 13 B 278/09
Fundstelle
openJur 2011, 62723
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln vom 24. Februar 2009 wird zurückgewiesen. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen. Der Streitwert wird auf 50.000,-- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der von der Antragstellerin dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,

die sofortige Vollziehung des Zulassungsbescheids vom 12. Februar 2008 für die Fertigarzneimittel F. CT 10 mg und F1. CT 20 mg anzuordnen,

zu Recht abgelehnt.

Der Antrag ist gemäß § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO statthaft. Insbesondere hat die Klage der Beigeladenen im Verfahren 24 K 7596/08 (VG Köln) aufschiebende Wirkung; ihr fehlt nicht von vornherein die Klagebefugnis. Denn eine Verletzung der Beigeladenen in subjektiv-öffentlichen Rechten aus § 24a AMG a. F. i. V. m. § 141 Abs. 5 AMG erscheint nicht von vornherein ausgeschlossen.

Der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ist aber nicht begründet.

Einen eigenständigen materiellrechtlichen Maßstab für die Entscheidung des Gerichts enthält § 80a Abs. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 1 VwGO nicht. Allerdings zeigt die Verweisung in § 80a Abs. 3 Satz 2 VwGO auf § 80 Abs. 5 VwGO, dass sich die Begründetheit eines Antrags auf Anordnung der sofortigen Vollziehung im Ansatz nach den gleichen Regeln bestimmt, die auch für die Bescheidung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO gelten. Daher ist auch im Rahmen des § 80a Abs. 3 VwGO eine Interessenabwägung erforderlich. Wie der Senat in Verfahren der hier vorliegenden Art bereits näher ausgeführt hat, ist Ausgangspunkt dieser Interessenabwägung der Verwaltungsakt mit drittbelastender Wirkung, der dem Adressaten des Bescheids eine Begünstigung zuteil werden lässt, einen Dritten dagegen belastet. Wesentlicher Anhaltspunkt ist daher die Frage, ob der Rechtsbehelf - hier die Klage der Beigeladenen - Erfolg haben wird, mithin Rechte des anfechtenden Dritten verletzt sind. Gegenstand der gerichtlichen Prüfung ist daher vornehmlich die Rechtmäßigkeit der Genehmigung, indessen nicht in vollem Umfang, sondern im Grundsatz nur in den Grenzen der Widerspruchs- und Klagebefugnis sowie der Rechtsverletzung des anfechtenden Dritten.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 5. September 2008 - 13 B 1013/08 -, juris, m. w. N., sowie vom 26. September 2008 - 13 B 1169/08 -, PharmR 2008, 607, - 13 B 1170/08 -, und - 13 B 1202/08 -, PharmR 2008, 603.

Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, in Verfahren mit Drittbeteiligung über den Prüfungsrahmen, wie er von dem anfechtenden Dritten nach Maßgabe des von ihm als verletzt gerügten Rechts bestimmt wird, hinauszugehen, denn die verfassungsprozessrechtliche Grundnorm des Art. 19 Abs. 4 GG vermittelt gerade keinen allgemeinen Gesetzesvollziehungsanspruch; auch aus den Grundrechten ergibt sich Derartiges nicht.

Vgl. hierzu BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 1 BvR 2466/08 -, NVwZ 2009, 240.

Danach bleibt der Antrag auf Anordnung der sofortigen Vollziehung ohne Erfolg. Das private Vollziehungsinteresse der Antragstellerin ist gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Beigeladenen nachrangig.

Die erteilten Zulassungen für die Arzneimittel F1. CT 10 mg und F1. CT 20 mg begegnen im Hinblick auf den zu beachtenden Unterlagenschutz zugunsten der Beigeladenen rechtlichen Bedenken. Ob diese letztlich durchgreifen, die arzneimittelrechtlichen Zulassungen wegen der Verletzung drittschützender Rechte der Beigeladenen rechtswidrig sind, kann in diesem Eilverfahren nicht abschließend geklärt werden.

Drittschützende Wirkung vermitteln § 24a AMG a. F. i. V. m. § 141 Abs. 5 AMG sowie nunmehr § 24b AMG insoweit, als bei einer sog. generischen Zulassung die Zulassungsunterlagen des Referenzarzneimittels unter den Unterlagenschutz dieser Norm gestellt sind.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 13 B 345/08 -, juris.

Eine derartige Zulassung ist hier nach Darstellung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) gemäß dem dezentralisierten Verfahren des § 25b Abs. 3 AMG und Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83/EG erfolgt. Mit Rücksicht auf die Schriftsätze der Antragstellerin vom 23. März 2009 und des BfArM vom 26. März 2009 geht der Senat zudem davon aus, dass dem Zulassungsantrag der Antragstellerin keine Unterlagen beigefügt waren, die von der US- amerikanischen Zulassungsbehörde FDA stammen. Der Senat muss deshalb den Fragen des Unterlagenschutzes gemäß § 22 Abs. 3 AMG hier nicht nachgehen. Deshalb braucht der Senat sich auch nicht damit zu beschäftigen, ob die Verwertung solcher Unterlagen durch das BfArM für die Erteilung der Zulassung vom 12. Februar 2008 ursächlich gewesen ist; ebenfalls bedarf es keiner Klärung, ob im Hinblick auf vorgelegte Unterlagen bestätigende Überprüfungen durch das BfArM - etwa im Wege der Einsicht in die Datenbank der FDA - den Unterlagenschutz des Ursprungsherstellers in jedem Fall beeinträchtigen.

Allerdings sind vorliegend - auch nach den Darlegungen der Antragstellerin - Bezugnahmen zur Charakterisierung des reproduktionstoxikologischen Potenzials des jeweiligen Arzneimittels in Modul 2.4 des Zulassungsantrags (sog. Non-Clinical Overview) auf die Fachinformation (SPC) des Arzneimittels D. ® der Beigeladenen erfolgt. Die Antragstellerin macht hierzu geltend, dies sei allein aus Gründen der Harmonisierung der SPC geschehen und die Bezugnahme sei weder mit einer Studie noch mit anderem wissenschaftlichen Informationsmaterial begründet worden. Diesen Ausführungen tritt die Antragsgegnerin in ihrem Schriftsatz vom 26. März 2009 entgegen und hebt hervor, dass die Charakterisierung des reproduktionstoxikologischen Potenzials des Arzneimittels in der Dokumentation des Zulassungsantrags notwendig sei: Die Übernahme der Texte für das Arzneimittel D. ® könne nicht von der Verpflichtung entbinden, entsprechende Unterlagen vorzulegen. Dies ist aber - unstreitig - nicht geschehen. Solche Studien hat die Antragstellerin auch gar nicht durchgeführt. Allerdings hat die Beigeladene selbst solche Studien im Zulassungsverfahren für D. ® vorgenommen und vorgelegt. Schließlich weist die Antragsgegnerin darauf hin, dass die fraglichen Studien nicht wie jene zur Kardiotoxizität entbehrlich seien. Nach alledem sieht sich der Senat aufgrund einer jedenfalls nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte der Beigeladenen aus § 24a AMG a. F. i. V. m. § 141 Abs. 5 AMG an der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Zulassungsbescheids vom 12. Februar 2008 für die Fertigarzneimittel F1. CT 10 mg und F1. CT 20 mg gehindert. Im Ergebnis und auch in großen Teilen der Begründung liegt der hier zu beurteilende Sachverhalt daher wie jener, der dem Beschluss des Senats vom 5. September 2008 in dem den Beteiligten bekannten Eilverfahren 13 B 1013/08 zugrunde lag. Auf die dort gemachten Ausführungen, die sich ebenfalls auf das Arzneimittel D. ® beziehen, kann im Weiteren verwiesen werden. Die aufgeworfenen Fragen sind daher im Hauptsacheverfahren, dem auch wegen seiner grundrechtlichen Relevanz gemäß Art. 12 Abs. 1 GG Dringlichkeit zukommt, zu beantworten.

Auch eine weitere Interessenabwägung gereicht der Antragstellerin nicht zum Vorteil. Für die Belange der Antragstellerin streitet zwar ein erhebliches öffentliches Interesse an einem (Preis-)Wettbewerb mit generischen Arzneimitteln.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juni 2008- 13 B 345/08 -, a. a. O.

Diesem Umstand kann in der Interessenabwägung aber kein entscheidendes zukommen, da auch insoweit die mögliche Verletzung von materiellen Rechten der Beigeladenen zu berücksichtigen ist. Gegen den Vorrang der Belange der Antragstellerin spricht außerdem, dass bei einem Unterbleiben der Anordnung der sofortigen Vollziehung der streitigen arzneimittelrechtlichen Zulassungen keine Folgen drohen, die nach Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht wieder rückgängig gemacht werden könnten. Bei einem für sie positivem Ausgang des Hauptsacheverfahrens erfolgte der Marktauftritt der Fertigarzneimittel F1. CT 10 mg und F1. CT 20 mg zu einem späteren Zeitpunkt, was bei summarischer Prüfung zumutbar erscheint. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang das Fehlen einer dem § 945 ZPO entsprechenden Vorschrift anführt, so dass im Falle ihres Obsiegens im Hauptsacheverfahren Schadensersatzansprüche gegen die Beigeladenen nicht entstünden, verfängt ihr Vorbringen nicht. Hieraus lässt sich kein eigenständiges besonderes Vollziehungsinteresse der Antragstellerin ableiten. Vielmehr ist im System des Eilrechtsschutzes nach § 80 VwGO der Regelfall der aufschiebenden Wirkung auch des Drittwiderspruchs vorrangig (§ 80 Abs. 1 Satz 2 VwGO), wenn nicht der Gesetzgeber im Wege einer Spezialregelung anderes angeordnet hat, was hier indessen nicht der Fall ist. Schließlich kann dem von der Antragstellerin geltend gemachten Umstand, bereits Fertigarzneimittel von erheblichem Warenwert konfektioniert zu haben, keine bei der Interessenabwägung maßgebliche Bedeutung zukommen. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht auf eine dem unternehmerischen Risikobereich zuzurechende Dispositionsentscheidung hin, die einen Vorrang des Vollziehungsinteresses nicht begründen kann.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1, § 52 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Entsprechend der ständigen Praxis des Senats ist bei Streitigkeiten um die Zulassung eines Arzneimittels typischerweise ein Betrag in Höhe von 50.000,-- Euro zugrunde zu legen, soweit der Jahresreingewinn nicht abweichend nachvollziehbar dargelegt worden ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juni 2008 - 13 B 345/08 - a. a. O.

Diese Grundsätze gelten auch in Verfahren, in denen es um die Zulassung eines Generikums geht, gegen die sich der Hersteller des Originalarzneimittels als Kläger oder Beigeladener wendet.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 5 September 2008 - 13 B 1013/08 -, a. a. O.

Ausgehend hiervon hält der Senat einen Streitwert in Höhe von 2 mal 50.000,-- Euro für das Verfahren für ausreichend und angemessen. Wegen des vorläufigen Charakters des vorliegenden Verfahrens ist der genannte Betrag zu halbieren.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.