VG Düsseldorf, Urteil vom 04.03.2009 - 11 K 4716/07.A
Fundstelle
openJur 2011, 62344
  • Rkr:

Es ist beachtlich wahrscheinlich, dass Personen, die die tunesischen Behörden in qualifizierter Weise in Zusammenhang mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten bringen, bei ihrer Rückkehr nach Tunesien verhört und dabei zur Erzwingung von Geständnissen oder Gewinnung weitergehenderer Erkenntnisse gefoltert oder unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden.

Zu grundsätzlichen Bedenken gegen diplomatische Zusicherungen in diesem Bereich.

Die mündliche Versicherung eines Mitglieds der tunesischen Regierung, dass die in Tunesien geltenden Menschenrechte auch in einem solchen Fall beachtet würden, vermag die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung nicht erheblich zu reduzieren.

Tenor

Hinsichtlich der Zuerkennung der Asylberechtigung und der Flücht-lingseigenschaft wird das Verfahren eingestellt. Des weiteren wird die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 27. September 2007 verpflichtet festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 des Gesetzes über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet (Aufenthaltsgesetz - AufenthG) vorliegen. Die Nr. 4 des genannten Bescheides wird inso-weit aufgehoben, als darin Tunesien als Zielstaat der Abschiebung genannt wird.

Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger und die Beklagte je zur Hälfte.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheits-leistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Gründe

Das Verfahren ist gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen, soweit der Kläger die Klage hinsichtlich der Zuerkennung der Asylberechtigung und der Flüchtlingseigenschaft in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat.

Im Übrigen bedarf der in der mündlichen Verhandlung gestellte Antrag der Auslegung. Er bezieht sich - offensichtlich infolge der Teilrücknahme - seinem Wortlaut nach nur noch auf die Feststellung von Abschiebungsverboten, obwohl ursprünglich auch insoweit eine Verpflichtungsklage kombiniert mit einer teilweisen Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 erhoben worden ist. Der Antrag ist daher entsprechend § 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuches dahingehend auszulegen, dass er darauf gerichtet ist,

die Beklagte unter teilweiser Aufhebung der Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 27. September 2007 zu verpflichten festzustellen, dass in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG vorliegen, sowie die Nr. 4 des genannten Bescheides insoweit aufzuheben, als darin Tunesien als Zielstaat der Abschiebung genannt wird.

Die so verstandene, zulässige Klage ist begründet.

Die Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG hinsichtlich Tunesiens in Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Denn der Kläger hat einen Anspruch auf diese Feststellung.

Nach § 60 Abs. 2 AufenthG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden. Diese Voraussetzungen sind in Bezug auf den Kläger hinsichtlich Tunesiens erfüllt.

Dabei kann dahinstehen, ob die Annahme eines solchen Abschiebungsverbotes entsprechend der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu den früheren Vorschriften des § 53 Abs. 1 und 4 AuslG voraussetzt, dass eine Folterung bzw. menschenrechtswidrige Behandlung des Ausländers im Falle seiner Rückkehr überwiegend bzw. beachtlich wahrscheinlich ist,

- vgl. BVerwG, Urteil vom 18. April 1996 - 9 C 77.95 -, NVwZ-Beilage 1996, 58 (59); BVerwG, Urteil vom 5. Juli 1994 - 9 C 1.94 -, InfAuslR 1995, 24 (26) -

oder ob es ausreicht, dass stichhaltige Gründe ("substantial grounds") für die Annahme vorgebracht werden, dass für den Betroffenen im Falle seiner Abschiebung das tatsächliche Risiko ("real risk") besteht, dort einer entsprechenden Behandlung unterworfen zu werden. Letzteres entspräche der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR),

- vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989, Application no. 14038/88, Soering v. United Kingdom, zitiert nach ECHR Document Collections unter http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/search.asp?skin=hudocen (im folgenden: EGMR-Rechtsprechungsdatenbank), Rz. 91 -

die durch Art. 15 lit. b) der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (Qualifikationsrichtlinie - QualRL) übernommen werden sollte,

- vgl. Vorschlag der Kommission der Europäischen Gemeinschaften für eine QualRL, KOM(2001) 510 endgültig, S. 29 f. -

zu dessen Umsetzung § 60 Abs. 2 AufenthG wiederum durch das Gesetz vom 19. August 2007 zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union (BGBl. I S. 1970 - Richtlinienumsetzungsgesetz) geändert worden ist.

Vgl. Begründung des Regierungsentwurfs eines Richtlinienumsetzungsgesetzes, BT-Drs. 16/5065, S. 186.

Es ist bereits fraglich, ob die dargelegte begriffliche Divergenz auch zu erheblichen Abweichungen beim Ergebnis der Gefahrenprognose führt.

Vgl. Hofmann/Hoffmann, Ausländerrecht - Kommentar, 1. Aufl., § 60 AufenthG Rn. 36; Hailbronner, Ausländerrecht - Kommentar, Stand: Dezember 2008, § 60 AufenthG Rn. 126 ff.

Darauf kommt es hier jedoch nicht an, da es sogar beachtlich wahrscheinlich ist, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Tunesien Folter oder sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unterworfen wird.

Nach aktueller Erkenntnislage werden aus Deutschland zurückgeführte tunesische Staatsangehörige bei der Ankunft in Tunesien von den Behörden intensiv verhört. Sollte sich herausstellen, dass sie "regimefeindlich" tätig gewesen sind, werden auf sie die einschlägigen Normen des tunesischen Strafgesetzbuches (Code pénal - im Folgenden tunStGB) angewandt, das den Angriff auf die Integrität des tunesischen Staatsgebiets (Art. 61bis tunStGB) sowie die Bildung und Unterstützung krimineller Vereinigungen (Art. 131 f. tunStGB) unter Strafe stellt. Allein die bloße Mitgliedschaft in der verbotenen islamistischen Partei Al-Nahda (Wiedergeburt), die allenfalls einen Flügel besitzt, der Gewalt zur Durchsetzung ihrer Ziele befürwortet,

- vgl. hierzu Deutsches Orient-Institut, gutachterliche Stellungnahme an das VG Gießen vom 27. September 2003, S. 6 -

reicht aus, um nach Rückkehr Strafverfolgungsmaßnahmen ausgesetzt zu werden.

Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Tunesischen Republik (Stand: November 2007), S. 15.

Außerdem sind seit Mitte der 90-er Jahre Hunderte von rückkehrenden Tunesiern unter dem Vorwurf der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten im Ausland aggressiv verfolgt worden.

Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings - A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 15; amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 2.

Im Jahre 2003 ist insoweit ein spezielles Anti-Terror-Gesetz (Loi no 2003-75 du 10 décembre 2003, relative au soutien des efforts internationaux de lutte contre le terrorisme et à la répression du blanchiment d’argent - im Folgenden tunATG) erlassen worden.

Dabei ist die Definition des Terrorbegriffs im tunesischen Recht sehr weit. Art. 52bis tunStGB sieht jede gegen Personen oder Sachen gerichtete Tat bereits dann als terroristisch an, wenn sie durch Einschüchterung ("intimidation") oder Schrecken ("terreur") begangen wird und erfasst auch die Aufstachelung zum Rassenhass oder zum religiösen Fanatismus ("haine ou fanatisme racial ou religieux").

Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 6 und 12; Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, Procès jugés en vertu de la loi antiterroriste en Tunisie - Justice préventive et instrumentalisation politique - Tunis : juin 2005 - mars 2007, abrufbar unter : http://www.cnltunisie.org/Telechargement/Rapport_loi_terrorisme%20avril%202007.pdf, S. 9, Fn. 6.

Durch Art. 4 tunATG ist diese Definition noch deutlich erweitert worden und erfasst auch Taten, die als unzulässige Einflussnahme auf die staatliche Politik ("dans le dessein d’influencer la politique de l’Ètat") angesehen werden oder die öffentliche Ordnung stören ("troubler l’ordre public").

Vgl. amnesty international, In the Name of Security - Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 8; Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 41.

Zwar sieht Art. 305 der tunesischen Strafprozessordnung (Code de procédure pénale) grundsätzlich vor, dass tunesische Staatsangehörige für Handlungen im Ausland nur dann von tunesischen Behörden verfolgt werden können, wenn das entsprechende Delikt auch im Ausland strafbar war. Absatz 3 dieser Vorschrift nimmt hiervon jedoch terroristische Straftaten im Sinne des Art. 52bis tunStGB ausdrücklich aus.

Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12.

Klargestellt worden ist dies auch noch einmal durch Art. 55 tunATG, demzufolge die tunesische Gerichtsbarkeit unter anderem auch dann zuständig ist, über terroristische Straftaten außerhalb des tunesischen Hoheitsgebietes zu urteilen, wenn sie durch tunesische Staatsangehörige begangen worden sind.

Vgl. Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 47.

Dementsprechend wird gemäß Art. 13 tunATG insbesondere jeder Tunesier, der im Ausland einer terroristischen Vereinigung beitritt oder eine militärische Ausbildung im Ausland erhält, um eine terroristische Straftat im In- oder Ausland zu begehen, mit einer Freiheitsstrafe zwischen fünf und zwölf Jahren sowie einer Geldstrafe zwischen 5.000 und 50.000 Dinar bestraft.

Vgl. Wortlaut angeführt in: Conseil National pour les Libertés en Tunisie, a.a.O., S. 42.

Der Umstand, dass die dem Kläger vorgehaltenen Taten weder auf tunesischem Hoheitsgebiet begangen worden sind, noch sich unmittelbar gegen den tunesischen Staat bzw. seine Regierung richten, berührt daher - entgegen der Einschätzung des Bundesamtes - die Frage ihrer Strafbarkeit und daran anknüpfend der Behandlung des Klägers durch die tunesischen Behörden nicht.

Nach Einschätzung des Auswärtigen Amtes muss bei den Verhören, die im Rahmen der Kontrolle von Rückkehrern hinsichtlich regimefeindlicher Straftaten durchgeführt werden, mit Misshandlungen gerechnet werden. Gegen den Grundsatz der körperlichen Unversehrtheit werde dabei verstoßen. Zu den am häufigsten angewandten Methoden bei Polizeiverhören, aber auch in Gefängnissen zählten neben Schlaf- und Essensentzug auch körperliche Übergriffe wie Schläge auf die Fußsohlen, Anwendung von Elektroschocks sowie sexuelle Misshandlung. Solche Maßnahmen richteten sich insbesondere gegen mutmaßliche Islamisten, vor allem wenn sich die Polizei in diesen Fällen wichtige Erkenntnisse verspreche oder ein Geständnis erwirkt werden solle.

Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 13 und 15.

Sie erfolgen offensichtlich vor dem Hintergrund der vom tunesischen Staat unter Hinweis auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 sowie auf der Insel E2 vom 11. April 2002 verfolgten kompromisslosen Eindämmung des Islamismus unter Rückgriff auf den allgegenwärtigen Sicherheitsapparat.

Vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 6.

Auch amnesty international berichtet, dass im Jahre 2007 erneut Meldungen über Folterungen und Misshandlungen durch die tunesischen Sicherheitskräfte, vor allem den Staatssicherheitsdienst, eingegangen seien. Die Sicherheitskräfte überschritten oft die Frist von maximal sechs Tagen für Polizeigewahrsam vor der Anklageerhebung ("garde-à-vue") und hielten die Angeklagten mehrere Wochen ohne Kontakt zur Außenwelt in Haft. Viele der Festgehaltenen hätten angegeben, während ihrer Haftzeit gefoltert worden zu sein. Dazu gehörten Schläge, Aufhängen in gekrümmter Körperhaltung, Elektroschocks, Schlafentzug, Vergewaltigung und Drohung mit der Vergewaltigung weiblicher Verwandter. In nahezu keinem Fall leiteten die Behörden Untersuchungen ein oder zögen die mutmaßlichen Täter zur Verantwortung.

Vgl. amnesty international, Jahresbericht 2008 - Tunesien.

In einem weiteren aktuellen Bericht stellt amnesty international fest, dass die tunesischen Sicherheitskräfte Personen, die der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten verdächtigt würden, über das gesetzliche Höchstmaß hinaus in Isolationshaft halten und die Inhaftierten in dieser Zeit systematisch gefoltert und anderweitig misshandelt würden. Foltervorwürfe von Anwälten oder Verwandten seien von der Staatsanwaltschaft oft ignoriert und bestenfalls unzureichend untersucht worden.

Vgl. amnesty international, In the Name of Security - Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 33; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 2 ff.

Insbesondere tunesische Staatsangehörige, die der Beteiligung an terroristischen Aktivitäten oder Verbindungen verdächtigt würden und gegen ihren Willen nach Tunesien zurückgebracht worden seien, seien weitreichenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt gewesen, einschließlich verlängerter Isolationshaft, Folter und anderer Misshandlung. Die meisten Häftlinge, die zwangsweise aus dem Ausland zurückkehrten, seien bereits bei ihrer Ankunft in Tunesien verhaftet und anschließend für Wochen oder Monate in Isolationshaft gehalten worden. Sie berichteten ihren Familien und Anwälten später, dass sie gefoltert und anderweitig misshandelt worden seien, ohne dass bekannt geworden sei, dass ihre Beschwerden durch die tunesischen Behörden untersucht worden seien. Im weiteren Verlauf führt amnesty international eine Vielzahl entsprechender Einzelfälle von Rückführungen aus Luxemburg, Irland, Bosnien und Herzegowina, Italien, Ägypten, Frankreich und den USA auf. So sei etwa T, der die tunesische wie auch die bosnische Staatsangehörigkeit besitze und aus Luxemburg ausgewiesen worden sei, nachdem ihn die dortigen Behörden der Planung von Terrorakten verdächtigt hätten, bei der Ankunft auf dem Flughafen in U2 verhaftet und mehr als einen Monat in Isolationshaft gehalten worden. Dabei sei er an sechs aufeinander folgenden Tagen von morgens bis abends gefoltert worden. Nach eigenen Angaben sei er überall auf den Körper geschlagen und in einer Stellung aufgehängt worden, in der Hände und Füße an einer horizontalen Stange befestigt würden ("poulet rôti"), bis zur Ohnmacht in den Genitalbereich geschlagen, mit seiner Vergewaltigung und derjenigen von Familienangehörigen bedroht worden. Auch G (alias N), dem zunächst die bosnische Staatsangehörigkeit entzogen, dessen Asylantrag sodann abgelehnt und der schließlich am 1. September 2006 von Bosnien und Herzegowina nach Tunesien abgeschoben worden sei, sei bei seiner Ankunft in Tunesien verhaftet und für sechs Tage in Isolationshaft gehalten worden, während derer er - wie er behauptet - geschlagen und verkehrt herum sowie in der "poulet rôti"-Position aufgehängt worden sei, um ihn zu zwingen, Informationen darüber preiszugeben, ob er an terroristischen Aktivitäten beteiligt gewesen sei oder Verbindungen zu terroristischen Gruppen im Ausland besitze. Ähnliches wird von B2 berichtet, der zusammen mit einem weiteren Tunesier im Juni 2007 von den USA aus Guantanamo nach Tunesien abgeschoben worden sei. Nach eigenem Bekunden habe man ihm den Schlaf entzogen, ins Gesicht geschlagen und mit der Vergewaltigung seiner Frau und Töchter gedroht, um ihn zu einem Geständnis zu bewegen. Später sei er wegen Zugehörigkeit zu einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu sieben Jahren Haft verurteilt worden.

Vgl. amnesty international, In the Name of Security - Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 28 ff.; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 4.

Auch Human Rights Watch berichtet, dass die tunesischen Behörden wie verlautet routinemäßig die Isolationshaft in polizeilichem Gewahrsam vor Anklageerhebung missbrauchten, indem sie die Häftlinge länger als das gesetzliche Höchstmaß von sechs Tagen festhielten und verschiedenen Formen der Folter und anderer Misshandlung unterwerfen würden. Tunesien sei zwar der internationalen Anti-Folterkonvention beigetreten und habe im tunStGB auch eine klare Definition der Folter und einen Tatbestand der Folterung im Amt mit der Androhung einer Freiheitsstrafe von acht Jahren aufgenommen. In der Praxis aber berichteten Personen, die unter dem Verdacht der Verwicklung in islamistische und andere oppositionelle Aktivitäten verhaftet worden seien, regelmäßig, dass die Polizei sie während ihrer Befragung gefoltert habe, um belastende Aussagen zu erhalten. Die tunesische Justiz sei Mittäter bei der Folterpraxis, indem sie Straflosigkeit für die Täter sicher stelle. Tunesische Menschenrechtsanwälte und -organisationen berichteten, dass die Gerichte mit wenigen Ausnahmen Aussagen als Beweismittel zuließen, die erzwungen worden seien, und es versäumten auf eindeutige Beweise dafür zu reagieren, dass die Polizei Häftlinge gefoltert und gegen zahlreiche Vorschriften des tunesischen Rechts verstoßen habe, die zum Schutz der Rechte von in Gewahrsam genommenen Personen eingeführt worden seien. Human Rights Watch kennt keinen Fall eines tunesischen Beamten oder Agenten, der verantwortlich gemacht worden sei für die Folterung von Personen, die wegen politisch motivierter Straftaten festgehalten worden seien. Häftlinge berichteten über eine Reihe von Methoden zur körperlichen oder seelischen Folterung und Misshandlung. Laut Menschenrechtsanwälten und -organisationen am meisten verbreitet seien Schlafentzug, Bedrohung mit Vergewaltigung des Häftlings oder weiblicher Familienmitglieder, Schläge insbesondere auf die Fußsohlen, unter Verwendung von Fäusten, Tritten, manchmal auch Knüppeln und Stromkabeln sowie das Binden und Aufhängen der Häftlinge an der Decke oder - entweder vollständig oder fast nackt - in der Brathähnchen-("poulet rôti-")Position an einer Stange, die auf jeder Seite auf einem Tisch aufliege. Während der Zeit des polizeilichen Gewahrsams vor Anklageerhebung ("garde-à-vue") habe der Häftling nicht das Recht, einen Anwalt oder jemand anderes zu sehen. Obwohl das tunesische Recht diesen Zeitraum auf sechs Tage begrenze, berichteten viele Häftlinge, wesentlich länger festgehalten worden zu sein. Diese unzulässige Verlängerung des garde-à-vue Gewahrsams erlaube der Polizei, den Häftling länger zu vernehmen und sichtbare Beweise für Misshandlungen verschwinden zu lassen, bevor sein Anwalt oder der Ermittlungsrichter ihn sehe.

Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings - A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 16 ff; Human Rights Watch, Country Summary - Tunisia, Januar 2009, S. 2 f.

Human Rights Watch stellt im Übrigen detailliert die Rückführung der beiden oben bereits erwähnten Tunesier aus Guantanamo durch die USA sowie ihre Behandlung durch die tunesischen Behörden dar. Sie seien unmittelbar am Flughafen empfangen und in das Innenministerium gebracht worden, wo sie für zwei bzw. drei Tage befragt und dabei gefoltert (Schläge, Drohung mit Vergewaltigung und Schlafentzug) bzw. entsprechend bedroht worden seien. Anschließend habe in einen Fall ein Militär-, im anderen ein Zivilgericht entschieden, dass sie in Polizeigewahrsam bleiben müssten. Ihnen sei die Zugehörigkeit zu einer islamistischen bzw. terroristischen Organisation vorgeworfen worden. Sie seien in ein Gefängnis außerhalb von U2 gebracht worden, wo sie für mehrere Wochen in Einzelhaft gehalten worden seien. Während der eine Tunesier dazu gebracht worden sei, eine Erklärung zu unterschreiben, die er mangels entsprechender Brille nicht habe lesen können, habe man dem anderen insgesamt sieben Wochen die Kontaktaufnahme mit einem Anwalt verwehrt.

Vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings - A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 3 ff.

Allgemein sei festzustellen, dass die tunesische Regierung die Furcht vor dem Terrorismus und religiösem Extremismus als Vorwand nutze, um friedlichen Protest niederzuschlagen. Es gebe laufende und glaubhafte Berichte von Folter und Misshandlung, die dazu eingesetzt würden, von in Gewahrsam genommenen Verdächtigen Aussagen zu erhalten. Seit Inkrafttreten des tunATG hätten die Behörden Hunderte von jungen Leuten im ganzen Lande zusammengetrieben und nach den Bestimmungen dieses Gesetzes angeklagt. Die Regierung habe der Mehrheit von ihnen nicht die Planung oder Begehung konkreter Gewaltakte vorgeworfen, sondern vielmehr, dass sie geplant hätten, ausländischen jihadistischen Bewegungen beizutreten, oder andere dazu angestiftet hätten. Auch in diesem Zusammenhang hätten die Behörden sodann routinemäßig den Verdächtigen ihre Rechte vorenthalten. Viele seien vor Anklageerhebung in überlanger polizeilicher Isolationshaft gehalten, gefoltert oder anderweitig misshandelt worden.

Vgl. Human Rights Watch, Country Summary - Tunisia, Januar 2009, S. 1 und 4.

Zusammenfassend ergibt sich aus den vorliegenden, insoweit übereinstimmenden Erkenntnissen, dass Personen, die die tunesischen Behörden in qualifizierter Weise in Zusammenhang mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten bringen, bei ihrer Rückkehr nach Tunesien damit rechnen müssen, sofort bei Ankunft festgehalten, verhört und dabei zur Erzwingung von Geständnissen oder Gewinnung weitergehender Erkenntnisse gefoltert oder anderweitig misshandelt zu werden, insbesondere in Form von Schlägen, Elektroschocks, Aufhängen in grausamen Positionen, Bedrohung mit Vergewaltigung der eigenen Person oder von Familienangehörigen sowie Schlafentzug. Eine derartige Praxis in der Anwendung der Folter und sonstiger Misshandlung gegenüber Personen, die in Tunesien einer Straftat nach dem tunATG beschuldigt werden, hat auch der EGMR festgestellt.

Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 143.

Angesichts der von der tunesischen Regierung verfolgten Linie einer kompromisslosen Eindämmung des Islamismus und Terrorismus, der zahlreichen Berichte über konkrete Einzelfälle und des festgestellten routinemäßigen Vorgehens, ist unter diesen Umständen die Anwendung von Folter oder eine sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung derart häufig, dass sie sozusagen zur Tagesordnung gehört, und damit beachtlich wahrscheinlich.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 - 9 C 62.87 -, zitiert nach Juris (Rn. 7).

Vor diesem Hintergrund droht auch dem Kläger im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter oder sonstige unmenschliche oder erniedrigende Behandlung durch tunesische Behörden. Während er bei seiner Ausreise aus Tunesien im September 1997 offensichtlich lediglich insoweit mit islamistischen Bewegungen in Verbindung gebracht wurde, als sein Vater nach seinen Angaben Mitglied der in Tunesien verbotenen Al-Nahda war und deshalb unter anderem in den 80-er Jahren für ein halbes Jahr inhaftiert worden war, hat der Kläger hier in Deutschland nicht nur seinen Angaben zufolge persönliche Kontakte zu zahlreichen Mitgliedern dieser islamistischen Bewegung unterhalten und 1999 auch an einem ihrer Treffen in G1 teilgenommen, sondern ist vor allem infolge der Aussage des Kronzeugen im "Al-Tahwid"-Prozess vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf und zuvor beim Bundeskriminalamt mit der islamistischterroristischen Szene unmittelbar in Verbindung gebracht worden. Nach dieser Aussage ist er Ende 1999/Anfang 2000 in Afghanistan gewesen, hat in einem von Bin Laden betriebenen Ausbildungslager der Al-Qaida an einem militärischen Grundlehrgang teilgenommen, kennt mit C1 und H Personen, die der Beteiligung an den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in New York bzw. 11. April 2002 auf der Insel E2/Tunesien verdächtigt werden bzw. deswegen bereits verurteilt worden sind, und hat schließlich sogar während seines Afghanistan-Aufenthaltes eine Funktion in der Leibwache Bin Ladens wahrgenommen. Aufgrund dieser Aussage ist es in Deutschland zu einem - ohne Ausräumung des Verdachts mittlerweile eingestellten - Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwaltes wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, einem nicht rechtskräftigen Strafbefehl der Amtsgerichts Düsseldorf wegen uneidlicher Falschaussage, einer Ausweisung durch die Ausländerbehörde sowie der Ablehnung seines Asylantrags unter anderem wegen Gefährdung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland gekommen. Es kann dahingestellt bleiben, wie viele dieser - insbesondere im Hinblick auf den angeblichen Aufenthalt in einem Ausbildungslager der Al-Qaida in Afghanistan (vgl. Art. 13 tunATG) und der mutmaßlichen Bekanntschaft mit dem wegen des Anschlags von E2/Tunesien verurteilten H aus tunesischer Sicht beachtlichen - Einzelheiten den dortigen Behörden bis heute bereits bekannt geworden sind. Für eine entsprechende Kenntnis könnte sprechen, dass es nach Medienberichten in ähnlichen Fällen zu einem Austausch von Informationen zwischen dem deutschen und dem tunesischen Geheimdienst gekommen ist

- vgl. report-München, "Islamist im Visier deutscher Geheimdienste", Bericht vom 27. September 2004, in Auszügen wiedergegeben in: http://forum.politik.de/forum/showthread.php?threadid=79217 -

und die tunesischen Sicherheits- und Nachrichtendienste nach Einschätzung von amnesty international tunesische Staatsangehörige überwachen, die im Ausland terroristischer Straftaten verdächtigt werden.

Vgl. amnesty international, In the Name of Security - Routine Abuses in Tunisia, Juni 2008, S. 6.

Jedenfalls ist davon auszugehen, dass die tunesischen Behörden den Kläger spätestens dadurch in besonderer Weise in Verbindung mit terroristischen, insbesondere islamistischen Organisationen oder Aktivitäten gebracht haben, dass der deutsche Staatssekretär - wie im Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 16. Juli 2007 dargelegt - den tunesischen Innenminister auf seiner Dienstreise nach Tunesien am 11. Juli 2007 um Zusage der Rückübernahme des Klägers ersucht und dabei betont hat, dass es für Deutschland vor dem Hintergrund der nationalen Rechtslage wichtig sei, dass Tunesien verbindlich zusichere, dass der Kläger im Falle seiner Rückkehr ordnungsgemäß behandelt werde und keine Menschenrechtsverletzungen stattfänden. Dieser Anfrage konnte die tunesische Seite ohne weiteres entnehmen, dass der Kläger zu einer Personengruppe gehört, bei der die deutschen Behörden eine Gefahr von Menschenrechtsverletzungen in Tunesien sehen. Angesichts der veröffentlichten Berichte von Menschenrechtsorganisationen zur Menschenrechtslage in Tunesien, in denen die Behandlung von Personen im Vordergrund steht, die der Zugehörigkeit oder der Unterstützung terroristischer, insbesondere militanter islamistischer Organisationen verdächtigt werden, muss sich auf tunesischer Seite der Verdacht geradezu aufdrängen, dass auch der Kläger zu dieser Personengruppe zählt. Diese Einschätzung wird dadurch untermauert, dass sich die Anfrage des deutschen Staatssekretärs neben dem Kläger auch auf einen D1 bezog, der in öffentlich zugänglichen Quellen - wie dem Bayerischen Verfassungsschutzbericht 2004

- S. 177, abrufbar unter: http://www.verfassungsschutz.bayern.de/imperia/md/content/lfv_internet/service/verfassungsschutzbericht2004.pdf -

sowie dem oben zitierten Bericht von report München vom 27. September 2004 - in Verbindung mit dem Netzwerk des islamistischen Terrorismus bzw. gleich mehreren radikalislamistischen Organisationen gebracht wird.

Der Annahme der beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Folterung oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung des Klägers durch die tunesischen Behörden im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien steht schließlich nicht entgegen, dass der tunesische Innenminister - nach dem genannten Vermerk des Bundesministeriums des Innern am 11. Juli 2007 - gegenüber dem deutschen Innen-Staatssekretär betont hat, dass in Tunesien die Menschenrechte gelten, und versichert hat, dass diese auch im Fall der Rückführung des Klägers streng respektiert würden, und der Leiter der Delegation des tunesischen Innenministeriums bei einem deutschtunesischen Expertentreffen vom 17. bis 19. November 2008 - nach einem weiteren Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2008 - diese mündlich abgegebene Zusicherung bekräftigt hat.

Es bestehen bereits grundsätzliche Zweifel, ob entsprechende diplomatische Zusicherungen überhaupt geeignet sind, eine allgemein für Angehörige einer bestimmten Personengruppe bestehende Gefahr der Folterung oder sonstigen Misshandlung entscheidungserheblich zu reduzieren.

Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 16. Januar 2009 - 21 K 3263/07.A -, S. 24 des Entscheidungsabdrucks.

Auch das deutsche Recht sieht zwar unter bestimmten Umständen ausdrücklich die Möglichkeit vor, durch Zusicherungen des Zielstaates bestimmte Hindernisse einer Auslieferung oder Abschiebung zu überwinden. So regelt etwa § 8 des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (BGBl. 1994 I S. 1537 - IRG), dass die Auslieferung, wenn die Tat nach dem Recht des ersuchenden Staates mit der Todesstrafe bedroht ist, nur zulässig ist, wenn der ersuchende Staat zusichert, dass die Todesstrafe nicht verhängt oder nicht vollstreckt werden wird. Die entsprechende Anwendung dieser Vorschrift ist auch in § 60 Abs. 3 Satz 2 AufenthG für das Abschiebungsverbot wegen der Gefahr der Verhängung oder Vollstreckung der Todesstrafe vorgesehen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich Zusicherungen im Fall der Todesstrafe nicht auf eine völkerrechtswidrige Behandlung beziehen und ihre Einhaltung von Natur aus leichter nachprüfbar ist.

Vgl. UNHCR, Anmerkungen zu diplomatischen Zusicherungen und internationalem Flüchtlingsschutz, abrufbar unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_redakteure/Newsletter_Anhaenge/ 123/Diplomatische_Zusicherungen.pdf, S. 11; Human Rights Watch, "Diplomatische Zusicherungen" gegen Folter - Fragen und Antworten, abrufbar unter: http://www.proasyl.de/fileadmin/proasyl/fm_ redakteure/Newsletter_Anhaenge/120/dipl_zusicherungen.pdf, S. 2.

Hinsichtlich der Gefahr der Folter oder sonstigen Misshandlung stellt sich die Situation grundlegend anders dar. Diesbezügliche diplomatische Zusicherungen betreffen das absolute Folterverbot des Art. 3 EMRK.

Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 127.

Außerdem sind solche Zusicherungen nicht nur typischerweise rechtlich nicht bindend und durchsetzbar,

- vgl. UNHCR, a.a.O., S. 3; Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, E/CN.4/2006.6, abrufbar unter: http://daccessdds.un.org/doc/UNDOC/GEN/G05/168/09/PDF/ G0516809.pdf?OpenElement, Ziffer 31; Human Rights Watch, a.a.O., S. 5 -

sondern vor allem von Natur aus kaum vertrauenswürdig und kontrollierbar. Das rechtlich nichtbindende Versprechen eines Staates, keine Folter anzuwenden, obwohl er dies unter Missachtung seiner völkerrechtlichen Verpflichtungen in der Vergangenheit getan hat, ohne es einzuräumen, erscheint nicht belastbar. Außerdem ist Folter häufig darauf angelegt, im Verborgenen angewendet zu werden und zwar gezielt unter Einsatz solcher Techniken, die schwer nachzuweisen sind. Schließlich sind bei realistischer Betrachtung beide Seiten einer solchen Vereinbarung nicht am Bekanntwerden einer Folterung entgegen dieser Zusicherung interessiert.

Vgl. Ward, Ein Feigenblatt für Folter: die Verwendung "diplomatischer Zusicherungen" im OSZE-Raum, OSZE-Jahrbuch 2005, abrufbar unter: http://www.corehamburg.de/CORE/pub_osce_inh_05. htm, S. 202 f.; Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, a.a.O.; Human Rights Watch, a.a.O., S. 3; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 6 f.

Trotzdem liegen sogar positive Anhaltspunkte dafür vor, dass derartige diplomatische Zusicherungen tatsächlich keinen wirksamen Schutz gegen Folter bieten. So liegen nach Einschätzung sachverständiger Stellen glaubhafte Belege dafür vor, dass etwa die von Schweden im Dezember 2001 nach Ägypten abgeschobenen B3 und A nach ihrer Rückkehr in ihr Heimatland im Gefängnis sowie der von den USA im September/Oktober 2002 nach Jordanien abgeschobene und von dort nach Syrien verbrachte B4 nicht nur in Jordanien, sondern auch in Syrien gefoltert worden sind, obwohl sowohl die ägyptischen als auch die syrischen Behörden zuvor gegenteilige Zusicherungen abgegeben hatten.

Vgl. Ward, a.a.O., S. 210 ff.; Human Rights Watch, a.a.O., S. 3 f.; vgl. auch amnesty international, Auskunft an den Kläger vom 2. März 2009, S. 7.

Auch der von der Beklagten angeführte Fall des als rechte Hand von Al-Qaida-Führer Bin Laden geltenden jordanischen Staatsangehörigen R taugt nicht als Beleg für die Eignung diplomatischer Vereinbarungen, dem Betroffenen bei einer Rückkehr drohende Gefahren auszuschließen. Dies ergibt sich bereits daraus, dass R bisher noch nicht in sein Heimatland zurückgeführt werden konnte. Denn nach Erschöpfung des nationalen Rechtswegs gegen seine geplante Rückführung hat er eine Beschwerde beim EGMR eingereicht, der auf entsprechenden Antrag hin am 19. Februar 2009 im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verfügt hat, ihn bis auf weiteres nicht abzuschieben.

Vgl. Pressemitteilung des EGMR, abrufbar unter: http://cmiskp.echr.coe.int/tkp197/view.asp?action=html&documentId=847512&portal=hbkm&source=externalbydocnumber&table=F69A27FD8FB86142BF01C1166DEA398649.

Vor diesem Hintergrund haben sich sowohl der amtierende Sonderberichterstatter des Menschenrechtsrates der Vereinten Nationen

- Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen, Menschenrechtskommission, Bericht des Sonderberichterstatters Manfred Nowak aus dem Jahre 2005 zur Frage der Folter, a.a.O. -

als auch der amtierende Menschenrechtskommissar des Europarates

- Memorandum von Thomas Hammarberg vom 18. September 2008 zu seinen Reisen in das Vereinigte Königreich vom 5.-8. Februar und vom 31. März bis zum 2. April 2008, CommDH(2008)23, abrufbar unter: https://wcd.coe.int/ViewDoc.jsp?id=1339037&Site=CommDH&BackColorInternet=FEC65B& BackColorIntranet=FEC65B&BackColorLogged=FFC679, Ziffern 92 f. -

gegen die Einholung entsprechender Zusicherungen bzw. die Rückführung von Ausländern auf der Grundlage solcher Zusicherungen gewandt.

Jedenfalls aber bieten die von tunesischer Seite im Fall des Klägers gegenüber dem Bundesministerium des Innern abgegebenen Erklärungen keine hinreichende Grundlage für die Annahme, eine Folterung oder sonstige Misshandlung seiner Person durch tunesische Behörden bei einer Rückkehr in sein Heimatland wäre entgegen der allgemeinen Erkenntnislage nicht beachtlich wahrscheinlich. Der Hinweis des tunesischen Innenministers auf die Geltung der Menschenrechte in Tunesien führt nicht weiter. Wie bereits der EGMR speziell zu derartigen Erklärungen der tunesischen Regierung dargelegt hat, sind die Existenz nationaler Gesetze und der Beitritt zu internationalen Verträgen, die die Achtung fundamentaler Rechte im Grundsatz garantieren, für sich allein nicht ausreichend, einen adäquaten Schutz vor der Gefahr einer Misshandlung zu gewährleisten, wenn - wie im Fall Tunesiens - zuverlässige Quellen über behördlicherseits angewandte oder tolerierte Praktiken berichten, die offensichtlich den Grundsätzen der EMRK widersprechen.

Vgl. EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008, Application no. 37201/06, Saadi v. Italy, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 147.

Diplomatische Zusicherungen bedürfen nach Ansicht des EGMR jedenfalls einer Überprüfung, ob sie in ihrer praktischer Anwendung für eine ausreichende Garantie sorgen, dass der Antragsteller vor dem Risiko einer menschenrechtswidrigen Behandlung geschützt ist. Die Bedeutung, die solchen Zusicherungen seitens des Empfängerstaates beigemessen werden dürfe, hänge im jedem Einzelfall von den jeweiligen Umständen ab.

Vgl. EGMR, a.a.O., Rz. 148.

Unter Anlegung dieses Maßstabs hat der EGMR in einem früheren Fall sogar eine schriftliche Zusicherung der indischen Behörden für unzureichend erklärt, mit der unter anderem bestätigt wurde, dass ein aus Grobrittannien abzuschiebender Inder keinen Grund habe, zu erwarten, dass er irgendeine Misshandlung durch die indischen Behörden erleiden werde.

Vgl. EGMR, Urteil vom 15. November 1996, Case no. 70/1995/576/662, Chahal v. United Kingdom, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 37 und 105.

Dementsprechend sind selbst die Anforderungen an die oben erwähnten, nicht in gleicher Weise grundlegend bedenklichen Zusicherungen gegen die Gefahr der Verhängung bzw. Vollstreckung der Todesstrafe (vgl. §§ 8 IRG, 60 Abs. 3 Satz 2 AufenthG) sehr hoch. Zu berücksichtigen sind dabei insbesondere konkrete Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Zusicherung nicht eingehalten wird. Bleiben begründete Zweifel, so ist eine Abschiebung ausgeschlossen.

Vgl. Hofmann/Hoffmann, a.a.O., § 60 AufenthG Rn. 41; Hailbronner, a.a.O., § 60 AufenthG Rn. 141

Zweifel an der Einhaltung derartiger Zusicherungen ergeben sich hinsichtlich Tunesiens bereits daraus, dass die USA nach eigenen Angaben auch im bereits erwähnten Fall des aus Guantanamo nach Tunesien abgeschobenen B2 entsprechende Zusicherungen von der tunesischen Regierung erhalten hatten

- vgl. Human Rights Watch, Ill-Fated Homecomings - A Tunisian Case Study of Guantanamo Repatriations, September 2007, S. 6 f. -

und B2 nach den oben dargelegten Erkenntnissen verschiedener Menschenrechtsorganisationen trotzdem nach seiner Rückkehr während seines Gewahrsams im tunesischen Innenministerium gefoltert und anderweitig misshandelt worden ist.

Speziell im vorliegenden Fall ist insoweit zu berücksichtigen, dass sich der tunesische Innenminister ausdrücklich geweigert hat, eine entsprechende Zusicherung im Rahmen eines Briefwechsels oder einer Verbalnote abzugeben. Es liegt mithin lediglich die in einem Vermerk des Bundesministeriums des Innern wiedergegebene mündliche Versicherung vor, dass die Menschenrechte auch im Fall der Rückführung des Klägers streng respektiert würden. Die fehlende Bereitschaft des tunesischen Innenministers, die Zusicherung in irgend einer schriftlichen Form zu dokumentieren, lässt gleichzeitig das Vertrauen darauf sinken, dass sich die tunesische Regierung und vor allem auch die ihr untergeordneten Behörden, die im Falle einer Abschiebung in Kontakt mit dem Kläger kämen, an die Erklärung halten. Dies gilt vor allem dann, wenn es - wie hier - an jeglichen Vorkehrungen zur Überprüfung der Einhaltung dieser Versicherung vor Ort fehlt. Vorgesehen ist nach dem Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 8. Dezember 2008 lediglich, bei weiteren deutschtunesischen Expertentreffen zu prüfen, wie die vereinbarten Maßnahmen umgesetzt wurden. Ein konkreter Kontrollmechanismus wurde nicht vereinbart. Insbesondere fehlt eine Regelung, mit der deutschen Behördenvertretern oder aber unabhängigen Dritten das Recht eingeräumt wird, ohne Ankündigung zu jeder Zeit mit dem Kläger nach seiner Rückführung sprechen zu können, um ihn nach seiner Behandlung zu befragen. Auch sind keine Strukturen vorgesehen, mit denen Missstände unverzüglich behoben werden, wenn sich herausstellen sollte, dass die erteilten Zusicherungen nicht beachtet werden.

Vgl. zu derartigen Anforderungen: Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung, 15. Allgemeiner Tätigkeitsbericht vom 22. September 2005, abrufbar unter: http://www.cpt.coe.int/en/annual/rep-15.htm, Ziffer 40.

Jedenfalls angesichts dieser Mängel in formeller und inhaltlicher Hinsicht ist diese Zusicherung Tunesiens, auch wenn sie gegenüber einem hochrangigen Vertreter des Bundesministeriums des Innern erklärt worden ist und - aus deutscher Sicht - für die weitere Zusammenarbeit mit Tunesien im Sicherheitsbereich von herausragender Bedeutung ist, nicht geeignet, die sich aus weitestgehend übereinstimmenden Erkenntnissen zu einer routinemäßigen Anwendung von Folter oder sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung ergebende beachtliche Wahrscheinlichkeit einer entsprechenden Behandlung des Klägers entscheidungserheblich zu reduzieren.

Bei dieser Sachlage ist auch ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG gegeben. Nach dieser Vorschrift darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der EMRK ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Gemäß Art. 3 EMRK darf niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden. Daraus folgt nach der Rechtsprechung des EGMR, dass nach Art. 3 EMRK eine Abschiebung unzulässig ist, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme vorgebracht werden, dass für den Betroffenen im Falle seiner Abschiebung das tatsächliche Risiko besteht, im Zielstaat der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden.

Vgl. EGMR, Urteil vom 7. Juli 1989, Application no. 14038/88, Soering v. United Kingdom, zitiert nach EGMR-Rechtsprechungsdatenbank, Rz. 91.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Vorgängervorschrift des § 51 Abs. 4 AuslG ist auch insoweit erforderlich, dass die betreffende Behandlung beachtlich wahrscheinlich ist und darüber hinaus vom Staat ausgeht.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15.95 -, NVwZ 1996, 476 (477 f.).

Diese Rechtsfragen können jedoch offen bleiben, da es im Fall des Klägers - wie oben ausgeführt - beachtlich wahrscheinlich ist, dass er im Falle seiner Rückkehr nach Tunesien durch die tunesisichen Behörden gefoltert bzw. unmenschlich oder erniedrigend behandelt wird.

Die Abschiebungsandrohung unter Nr. 4 des Bescheides des Bundesamtes vom 27. September 2007 ist insoweit rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), als darin Tunesien als Zielstaat seiner Abschiebung genannt wird. Denn insoweit ist die Abschiebung wie gesehen nach § 60 Abs. 2 und 5 AufenthG verboten. Die Androhung einer Abschiebung nach Tunesien ist daher rechtswidrig. Tunesien hätte vielmehr gemäß § 59 Abs. 3 Satz 2 AufenthG in der Androhung als Staat bezeichnen werden müssen, in den der Kläger nicht abgeschoben werden darf.

Vgl. zur - soweit hier interessierend - gleichlautenden Vorgängervorschrift des § 50 Abs. 3 Sätze 2 und 3 AuslG: BVerwG, Urteil vom 19. November 1996 - 1 C 6.95 -, BVerwGE 102, 249 (257); zur aktuellen Rechtslage: Hailbronner, a.a.O., § 59 AufenthG Rn. 26.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 155 Abs. 2, § 154 Abs. 1 VwGO und § 83b AsylVfG.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 Satz 1 der Zivilprozessordnung.

Der Gegenstandswert folgt aus § 30 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes.

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