VG Münster, Beschluss vom 14.04.2009 - 10 L 44/09
Fundstelle
openJur 2011, 62227
  • Rkr:
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen sind erstattungsfähig.

Der Streitwert wird auf 30.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihrer Klage gegen den dem Beigeladenen erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid der Antragsgegnerin vom 13. Oktober 2008 zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zum Halten von Mastgeflügel (Masthähnchen) auf dem Grundstück Gemarkung C. , Flur 36, Flurstück 12 in C1. wiederherzustellen, ist gemäß §§ 80 Abs. 5, 80 a Abs. 1 und 3 VwGO zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg. Die in diesem Verfahren vorzunehmende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weil einerseits ihre Klage gegen den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid voraussichtlich keinen Erfolg haben wird und andererseits der Beigeladene ein erhebliches wirtschaftliches Interesse an der zügigen Verwirklichung seines Vorhabens hat. Es spricht bei der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung vieles dafür, dass die angefochtene immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht zu Lasten der Antragstellerin gegen sie schützende Vorschriften verstößt.

Eine Verletzung der Planungshoheit der Antragstellerin dürfte sich nicht daraus ergeben, dass die Antragsgegnerin mit dem angefochtenen Genehmigungsbescheid das von der Antragstellerin versagte Einvernehmen nach § 36 BauGB ersetzt hat. Dabei ist zunächst von Bedeutung, dass das gesetzlich garantierte Recht der Antragstellerin - der betroffenen Gemeinde - auf Beteiligung im Genehmigungsverfahren gewahrt worden ist, indem ihr die Möglichkeit gegeben wurde, ihre Position zu dem Vorhaben des Beigeladenen darlegen und über die Erteilung des Einvernehmens zu entscheiden.

Die Antragstellerin kann eine Verletzung in eigenen Rechten nicht mit Erfolg mit dem Argument geltend machen, die Antragsgegnerin sei für die Ersetzung des Einvernehmens zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung am 13. Oktober 2008 nicht zuständig gewesen. Es spricht bereits vieles dafür, dass die Antragsgegnerin befugt war, das fehlende Einvernehmens zu ersetzen. Zum Zeitpunkt der Erteilung der Genehmigung galt die Regelung des § 2 Nr. 4 a Abs. 1 des Ersten Gesetzes zum Bürokratieabbau (Bürokratieabbaugesetz I) vom 13. März 2007. Diese Vorschrift ergänzt den 3. Abschnitt des Fünften Teils der BauO NRW - abweichend von § 80 Abs. 2 BauO NRW - um folgende Regelung: „Hat eine Gemeinde ihr nach § 36 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BauGB erforderliches Einvernehmen rechtswidrig versagt, so hat die zuständige Bauaufsichtsbehörde das fehlende Einvernehmen nach Maßgabe der Absätze 2 bis 4 zu ersetzen." Diese Regelung bezieht sich nicht nur auf die Fälle des § 80 Abs. 2 BauO NRW, der lediglich auf Bauvorhaben öffentlicher Bauherren Anwendung findet, sondern - wie durch die Formulierung „ergänzend zum dritten Abschnitt" deutlich wird - auf alle baurechtlichen Genehmigungsverfahren, bei denen das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 BauGB einzuholen ist. Die Vorschrift dürfte hinsichtlich anderer Genehmigungsverfahren, die das Baugenehmigungsverfahren einschließen, insbesondere auch hinsichtlich immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (vgl. § 13 BImSchG) in der Weise auszulegen sein, dass in diesen Verfahren anstelle der Bauaufsichtsbehörde die nach dem jeweiligen Fachrecht zuständige Genehmigungsbehörde - in diesem Fall die Antragsgegnerin als zuständige Immissionsschutzbehörde - die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens vorzunehmen hat.

Für eine derartige Auslegung der Vorschrift spricht der Zweck des Gesetzes. Das Bürokratieabbaugesetz I dient der Verfahrensvereinfachung und Verfahrensbeschleunigung, welche im Falle der hier in Rede stehenden Norm durch eine Bündelung der Zuständigkeiten erreicht werden sollen. Die für die Genehmigung zuständige Behörde, die auch über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhaben zu entscheiden hat, soll auch die Befugnis und zugleich die Verpflichtung haben, ein rechtswidrig versagtes Einvernehmen der Gemeinde zu ersetzen. Bei unterschiedlichen Zuständigkeiten für die Ersetzung des Einvernehmens einerseits und für die Entscheidung über die Erteilung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung andererseits würde der Gesetzeszweck konterkariert, denn in diesem Fall würde ein Behörde über die Ersetzung des Einvernehmens entscheiden, die im Genehmigungsverfahren zwar beteiligt wird, darüber hinaus in diesem Verfahren keine Entscheidungskompetenz besitzt, insbesondere für das immissionsschutzrechtliche Verfahren keine verbindliche Entscheidung über die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens trifft. Eine solche Verfahrenspraxis würde auch dem Willen des Gesetzgebers widersprechen. Der Wortlaut der Gesetzesfassung, der lediglich der Bauaufsichtsbehörde die Ersetzungsbefugnis einräumt, steht der hier vertretenen Auslegung nicht entgegen, denn der Gesetzgeber hat offenbar bei der Normsetzung lediglich Baugenehmigungsverfahren im Blick gehabt und nicht bedacht, dass die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens auch in anderen Verfahren in Betracht kommt. Dafür spricht die Begründung des Gesetzentwurfes der Landesregierung (vgl. Landtags-Drucksache 14/2242), in der lediglich die Ersetzung des Einvernehmens der Gemeinde zu Bauvorhaben thematisiert wird. Dass nach dem Willen des Gesetzgebers die für die Genehmigung zuständige Behörde auch das rechtswidrig versagte Einvernehmen der Gemeinde ersetzen soll, zeigt die nach Genehmigungserteilung in Kraft getretene Änderung des § 2 Nr. 4 a Abs. 1 Bürokratieabbaugesetz I vom 28. Oktober 2008, mit der in Satz 2 eine Regelung für andere Genehmigungsverfahren ausdrücklich in das Gesetz aufgenommen wurde („Wird in einem anderen Genehmigungsverfahren über die Zulässigkeit des Vorhabens entschieden, tritt die für dieses Verfahren zuständige Behörde an die Stelle der Bauaufsichtsbehörde"). Nach der Begründung der Landesregierung zu dem Entwurf der Gesetzesänderung (Landtags-Drucksache 14/6887) dient die Ergänzung lediglich der Klarstellung. Dadurch wird deutlich, dass eine materielle Rechtsänderung nicht vorgenommen werden sollte und schon nach der ursprünglichen Gesetzesfassung die Immissionsschutzbehörde das Einvernehmen ersetzen konnte.

Letztlich kann die Frage, ob die Regelung des § 2 Nr. 4 a Abs. 1 Bürokratieabbaugesetz I a. F. in der hier verstandenen Weise ausgelegt werden kann, offen bleiben. Die Antragstellerin wird durch eine eventuell fehlende Zuständigkeit der Antragsgegnerin für die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens nicht in ihren Rechten verletzt, weil die Antragsgegnerin nunmehr nach der Änderung des Bürokratieabbaugesetzes I unstreitig befugt ist, über die Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens zu entscheiden. Sie könnte somit - sofern ihre am 13. Oktober 2008 getroffene Entscheidung rechtswidrig gewesen sein sollte - gem. § 2 Nr. 4 a Abs. 1 Satz 2 Bürokratieabbaugesetz I in der Fassung vom 28. Oktober 2008 erneut das Einvernehmen des Antragstellerin ersetzen.

Eine Rechtsverletzung der Antragstellerin ergibt sich auch nicht aufgrund einer materiellen Rechtswidrigkeit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens. Vielmehr dürfte die Antragsgegnerin das Einvernehmen der Antragstellerin in der Sache zu Recht ersetzt haben, da nach der in diesem Verfahren gebotenen summarischen Prüfung vieles für eine bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 BauGB spricht und die Antragstellerin das Einvernehmen somit rechtswidrig versagt hat. Die von dem Beigeladenen geplante Masthähnchenanlage dürfte unter den Tatbestand des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB fallen, wonach ein Vorhaben im Außenbereich privilegiert ist, wenn es wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden soll. Das Gericht folgt dabei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,

vgl. Beschluss vom 27. Juni 1983 - 4 B 201/82 -, BRS 40 Nr. 74, wonach die gewerbliche Massentierhaltung, die nicht auf überwiegend eigener Futtergrundlage betrieben wird, gemäß § 35 Abs. 1 Nr. 5 BBauG (jetzt § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB) im Außenbereich bevorzugt zulässig ist. Auch die Antragstellerin selbst hat entgegen ihrer Argumentation in ihrer Antragsbegründung im Beteiligungsverfahren in ihrem Schriftsatz vom 17. September 2007 das Vorhaben des Beigeladenen als nach § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB privilegiert angesehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht hängt die Frage, ob ein Vorhaben nur im Außenbereich ausgeführt werden soll, davon ab, ob es nicht auch im Innenbereich ausgeführt werden kann. Dies aber entscheidet sich nicht nach der Beschaffenheit von Innenbereichen im Allgemeinen, sondern nach der Beschaffenheit des Innenbereichs der jeweiligen Gemeinde. Nach dem eigenen Vortrag der Antragstellerin gibt es in ihrem Gebiet keinen Innenbereich, in dem die Anlage des Beigeladenen zugelassen werden könnte. Das Vorhaben soll auch wegen seiner nachteiligen Wirkung auf die Umgebung nur im Außenbereich ausgeführt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluss vom 27. Juni 1983 die gewerbliche Massentierhaltung als eine der landwirtschaftlichen Produktion ähnliche wirtschaftliche Betätigung eingeordnet, indem es ausgeführt hat:

„Es (ein Vorhaben der Massentierhaltung) unterscheidet sich von anderen wirtschaftlichen Betätigungen gerade dadurch, dass es auch bei Einhaltung der nach dem Stand der Technik möglichen Begrenzung seiner nachteiligen Wirkungen auf die Umgebung kaum in Einklang mit städtebaulichen Grundsätzen in zusammenhängend bebauten Ortslagen oder in einem der nach der Baunutzungsverordnung geplanten allgemeinen Baugebiete unterzubringen ist; es kann insbesondere nicht mit anderen gewerblichen oder industriellen Vorhaben verglichen werden, die der Gesetzgeber gerade nicht in den Außenbereich, sondern in Gewerbe- und Industriegebiete des beplanten oder unbeplanten Innenbereichs verwiesen hat."

Dieser Argumentation folgt das Gericht. Dass die Haltung von Tieren, die auch im Rahmen eines landwirtschaftlichen Betriebs gehalten werden könnten, mit landwirtschaftlichen Produktion eher vergleichbar ist als andere gewerbliche Betätigungen, steht außer Frage. Ebenso wenig ist zweifelhaft, dass die von Betrieben der Massentierhaltung ausgehenden Geruchsimmissionen ebenso wie die von landwirtschaftlichen Betrieben ausgehenden Gerüche für den Außenbereich typisch sind und in der Regel - auch nach dem heutigen Stand der Technik - eine Ansiedlung dieser Betriebe im Innenbereich nicht zulassen.

Nach summarischer Prüfung kann sich die Antragstellerin auch nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. Juni 1994 (- 4 C 20/93 -, BVerwGE 96, 95) berufen, wonach Windenergieanlagen im Außenbereich nicht nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 a. F. (jetzt Nr. 4) BauGB zulässig sind, da sie im Außenbereich in größerer Zahl zu erwarten sind und folglich nach der im Tatbestandsmerkmal des § 35 Abs. 1 Nr. 4 BauGB („sollen") enthaltenen Wertung nicht im Außenbereich ausgeführt werden sollen. Auf Betriebe der Massentierhaltung dürfte diese Rechtsprechung nicht zu übertragen sein, da diese zwar in einigen Gegenden nicht nur ganz vereinzelt anzutreffen sind, aber in keiner Weise die Befürchtung gerechtfertigt erscheint, sie könnten wie Windenergieanlagen zu einem Massenphänomen im Außenbereich werden.

Das somit nach summarischer Prüfung privilegierte Vorhaben dürfte zulässig sein, da die ausreichende Erschließung gesichert ist und öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB nicht entgegenstehen dürften. Privilegierten Vorhaben kommt in der Regel ein gesteigertes Durchsetzungsvermögen gegenüber hindernden öffentlichen Belangen zu. Dies gilt auch für die von dem Beigeladenen geplante Anlage. Insbesondere dürfte das Orts- und Landschaftsbild auch unter besonderer Berücksichtigung des Erholungswertes durch das Vorhaben nicht verunstaltet werden. Die Kapelle Aulendorf liegt von dem geplanten Standort des Vorhabens mehr als 400 m und damit so weit entfernt, dass eine Beeinträchtigung des Dorfbildes schon deshalb ausgeschlossen erscheint. Der Hähnchenmastbetrieb des Beigeladenen führt auch bei summarischer Prüfung für die Bewohner des nächstgelegenen Wohnhauses nicht zu schädlichen Umwelteinwirkungen. Der nach der Geruchsimmissionsrichtlinie zulässige Immissionsrichtwert einer maximalen Geruchshäufigkeit von 25 % der Jahresstunden wird deutlich unterschritten. Ob hinsichtlich möglicher nächtlicher Geräuschimmissionen der Richtwert der TA-Lärm eingehalten wird, kann in diesem vorläufigen Rechtsschutzverfahren offen bleiben, da eine mögliche Überschreitung der Lärmrichtwerte zwar zusätzliche Regelungen in Form von Nebenbestimmungen erforderlich machen würde, das Vorhaben aber insgesamt nicht in Frage stellen würde und es deshalb nicht interessengerecht ist, den Baubeginn aus diesem Grund hinauszuschieben.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO.