OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 17.12.2008 - 10 A 2999/07
Fundstelle
openJur 2011, 62127
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 K 3439/05
Tenor

Das angefochtene Urteil wird geändert.

Der Befreiungsbescheid vom 15. September

2003 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 11. Oktober 2005 werden aufgehoben.

Der Beklagte und die Beigeladene tragen die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen jeweils zur Hälfte. Ihre außergerichtlichen Kosten tragen der Beklagte und die Beigeladene selbst.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen den Bescheid des Beklagten vom 15. September 2003, mit dem dieser die Beigeladene von der Festsetzung Reines Wohngebiet im Bebauungsplan Nr. 23/73 (BauNVO 1977) zur "Errichtung einer Mobilfunksendestation" auf dem Flachdach des viergeschossigen Gebäudes Alte I.--- -straße 88/90 (Gemarkung C. , Flur 12, Flurstück 838) in F. befreit hat.

Der Kläger ist Eigentümer von zwei Eigentumswohnungen im ebenfalls viergeschossigen Gebäude Am L. 31 in F. (Gemarkung C. , Flur 12, Flurstück 839). Die beiden Grundstücke liegen in einem durch Bebauungsplan Nr. 23/73 "Alte I.----straße /N.-------straße " der Stadt F. festgesetzten reinen Wohngebiet. Dieser wurde am 27. Februar 1980 als Satzung beschlossen und am 25. Juli 1980 öffentlich bekannt gemacht.

Das Vorhabensgrundstück grenzt mit seiner Südseite an die Alte I.----straße . Das Gelände fällt zur nördlich verlaufenden Straße Am L. um mehrere Meter ab. Entlang der westlichen Grundstücksgrenze kann über eine Treppe die Straße Am L. fußläufig erreicht werden. Im dem festgesetzten reinen Wohngebiet ist ausschließlich Wohnnutzung vorhanden. Darüber hinaus befindet sich gegenüber von Haus Nr. 29 ein Kindergarten. Für den Bereich an der Alten I.----straße setzt der Bebauungsplan - mit Ausnahme des Vorhabensgrundstücks - ein Allgemeines Wohngebiet fest. In der unmittelbaren Umgebung des Vorhabensgrundstücks findet auf beiden Seiten der Alten I.----straße überwiegend Wohnnutzung statt. Im Gebäude Alte I.----straße 86 wird im Erdgeschoss ein Friseurgeschäft betrieben. Eine Goldschmiede und ein Schreibwarengeschäft sind im Gebäude Alte I.----straße 92 angesiedelt. Im weiteren Verlauf der Alten I.----straße befindet sich eine Ladenzeile mit einem F1. -Markt nebst zugehöriger Stellplatzanlage.

Auf dem Gebäude Alte I.----straße 90 sind derzeit fünf Mobilfunkmasten mit insgesamt 18 Funkanlagen installiert. Im Jahre 1999 wurde die erste Anlage von U. - N1. errichtet. Nach den Angaben des Klägers soll im Jahre 2001 eine Mobilfunkanlage von P., vormals W. J. , installiert worden sein. Bei einer Ortsbesichtigung am 27. September 2002 waren drei Mobilfunkmasten - zwei von P. und eine von U. -N1. - vorhanden.

Mit sofort vollziehbaren Ordnungsverfügungen vom 3. April 2003 wurden P. und U. -N1. die Nutzung der Anlagen wegen formeller Illegalität untersagt. Nachdem die Betreiber Bauanträge gestellt hatten, hob der Beklagte die Vollziehungsanordnungen dieser Ordnungsverfügungen auf. Am 28. November 2003 stellte der Beklagte eine vierte Antennenanlage fest, die von U. -N1. betrieben wird. Die fünfte Anlage von F2. - Q. wurde am 29. November 2004 aufgestellt.

Unter dem 17. April 2003 beantragte die Beigeladene - P. - die Erteilung einer Befreiung für die bereits vorhandene Mobilfunkstation. Nach der beigefügten Bau- und Betriebsbeschreibung bezieht sich der Antrag auf den Bau einer Basisstation sowie die Errichtung von zwei Antennenträgern. Ein Antennenträger soll mit einer Höhe von 6,92 auf dem Dach des Wohnhauses befestigt, der zweite mit einer Stahlunterkonstruktion an der Wand des Dachaufbaus errichtet werden. Die Höhe beider Funkanlagen beträgt nach der mit einem Zugehörigkeitsvermerk versehenen Grundrisszeichnung jeweils 17,98 m. Des weiteren sieht die Planung Technikschränke auf einer Stahlunterkonstruktion auf dem Dach des Hauses vor.

Die Standortbescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) - Außenstelle N2. - vom 26.Mai 2003 legt einen horizontalen Sicherheitsabstand von 14,98 m und einen vertikalen Sicherheitsabstand von 2,97 m für insgesamt 15 am Standort vorhandene bzw. neu installierte Funkanlagen fest. Die Bescheinigung berücksichtigt 3 neu installierte und 12 am Standort vorhandene Funkanlagen.

Mit Bescheid vom 15. September 2003 erteilte der Beklagte die beantragte Befreiung ohne weitere Begründung. In einem Vermerk wird zur Begründung ausgeführt, es sei ein Netzstrukturplan eingereicht worden, der den beantragten Standort als einzig in Frage kommenden darstelle. Eine Abstimmung mit der Abteilung Einzelplanung habe in gemeindlicher Hinsicht stattgefunden.

Gegen diesen Bescheid erhob der Kläger mit Schreiben vom 8. Juli 2004 Widerspruch. Er wies auf die massive Dichte der hochstrahlenden Sendeanlagen hin. Ein Zusammenhang mit Krebserkrankungen von 5 der 16 Bewohnern seines Hauses sei zu vermuten. Ein Kausalzusammenhang auch für zahlreiche weitere Erkrankungen in der Umgebung sei zwar noch nicht bewiesen, aber sehr wahrscheinlich.

Mit Widerspruchsbescheid vom 11.Oktober 2005 wies die Bezirksregierung E. den Widerspruch zurück und führte aus: Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der WR-Festsetzung des Bebauungsplans nach § 31 Abs. 2 BauGB seien erfüllt. Die Grundzüge der Planung seien nicht berührt. Die grundsätzliche Plankonzeption bleibe erhalten. Von Mobilfunkanlagen gingen grundsätzlich keine gebäudegleichen Wirkungen aus. Die Einhaltung der Bestimmungen der 26. BImschVO sei festgestellt worden. Eine Überprüfung, ob die Einschätzung des Verordnungsgebers dem aktuellen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis noch standhalte, könne nicht durch die Verwaltung oder die Gerichte erfolgen. Zudem sei der Staat nicht verpflichtet, Vorsorge gegen rein hypothetische Gesundheitsgefahren zu treffen.

Der Kläger hat am 25. Oktober 2005 Klage erhoben. Zur Begründung hat er auf erhebliche gesundheitsschädigende elektromagnetische Strahlung sowie eine optische Unzumutbarkeit der Anlagen hingewiesen. Mittlerweile habe er Aussicht auf fünf Mobilfunksendemasten mit 18 Antennen. Diese Häufung sei selbst in einem städtischen Ballungsgebiet selten. Er werde durch die rechtswidrige Baugenehmigung in seinen öffentlichen Nachbarrechten verletzt. Neuerdings würden auch wesentlich höhere Frequenzen - UMTS und GSM - genutzt. Die schädlichen Auswirkungen seien zwar noch nicht abschließend wissenschaftlich erforscht. Im Zweifel habe die Gesundheit der Bürger aber Vorrang. Der Charakter des reinen Wohngebiets werde durch die im Vormarsch befindlichen Sendemasten weiter zerstört. Zudem sei der Wert seiner Immobilie gesunken.

Der Kläger hat beantragt,

den Befreiungsbescheid des Beklagten vom 15. September 2003 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids der Bezirksregierung E. vom 11. Oktober 2005 aufzuheben.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er im Wesentlichen die Gründe des Widerspruchsbescheids wiederholt.

Die Beigeladene hat ebenfalls beantragt,

die Klage abzuweisen.

Nach Durchführung eines Ortstermins durch den Berichterstatter der Kammer hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 6. September 2007 die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt: Der Kläger habe keinen Gebietsgewährleistungsanspruch, weil sein Haus in einem anderen Wohngebiet als das Vorhabensgrundstück liege. Die Baugebiete würden in dem Plangebiet außer durch die Straßen durch die Perlschnurkennzeichnung voneinander getrennt, die zur Abgrenzung von Baugebieten mit unterschiedlicher Nutzung, insbesondere von Art und Maß der Nutzung diene. Diese Perlschnurkennzeichnung weise für das Gebiet, in dem das Haus Alte I.----straße 88/90, das Haus Am L. 31 sowie die Häuser Alte I.----straße 78a bis 86 lägen, jeweils eigene Baugebiete aus mit den Festsetzungen reines Wohngebiet mit offener Bauweise beziehungsweise reines Wohngebiet mit der ausschließlichen Zulässigkeit von Hausgruppen oder allgemeines Wohngebiet. Darüber hinaus spreche viel dafür, dass die angefochtene Befreiung auch im Zusammenhang mit den weiter genehmigten Anlagen nicht zu einer Störung des festgesetzten reinen Wohngebietes führe. Die Abweichung sei auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar. Hinsichtlich der Strahlenbelastung seien gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder - BEMFV - die in der 26. BImSchVO festgelegten Grenzwerte maßgebend, die der Schutzpflicht staatlicher Organe gegenüber Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder ausreichend Rechnung trügen. Die verfassungsrechtliche Schutzpflicht gebiete nicht, alle nur denkbaren Schutzmaßnahmen zu treffen. Nach der Standortbescheinigung würden die festgelegten Grenzwerte eingehalten. Die Annahme des Klägers, dass die Krebserkrankungen mehrerer Personen im häuslichen Umfeld auf die Mobilfunkanlagen zurückzuführen seien, sei Spekulation.

Der Kläger hat gegen das am 21. September 2007 zugestellte Urteil am 22. Oktober 2007, einem Montag, die Zulassung der Berufung beantragt. Zur Begründung der vom Senat zugelassenen Berufung vertieft er sein Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren.

Der Kläger beantragt,

das angefochtene Urteil zu ändern und den Befreiungsbescheid vom 15. September 2003 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. vom 11. Oktober 2005 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung führt er aus, die Befreiung sei rechtmäßig erteilt worden. Der Gebietsgewährleistungsanspruch des Klägers werde nicht verletzt. Der Anlage komme keine optische Dominanz zu. Bei dem Haus handele sich um einen viergeschossigen Kastenbau, auf dessen Dach sich bereits eine Satellitenschüssel und weitere Mobilfunkmasten befänden. Im näheren Umfeld seien weitere hochgeschossige, massig wirkende Gebäude, aber auch Gebäude niedriger Höhe vorhanden. Der Mobilfunkmast könne das mit Blick auf die Gebäudehöhe eher unruhige Gebiet nicht prägen. Es steche weder in seiner Höhe noch anderweitig derart heraus, dass hierdurch das Ortsbild beeinträchtigt werde. Die Häufung der Mobilfunkanlagen könne zu keiner anderen Beurteilung führen. Das Vorhandensein mehrerer Mobilfunkanlagen auf dem Gebäude gewährleiste gerade, dass sich die gewerbliche Nutzung in dem betroffenen Wohngebiet auf eine Örtlichkeit konzentriere und somit der Charakter einer Ausnahmeerscheinung gewahrt werde. Hierdurch entstehe auch nicht der Eindruck eines das Ortsbild verunstaltenden "Funkmastanlagenwaldes".

Die Beigeladene beantragt ebenfalls,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Berichterstatter des Senats hat am 10. Dezember 2008 eine Ortsbesichtigung durchgeführt. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungs- und Aufstellungsvorgänge Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO) ist zulässig und begründet.

Die der Beigeladenen erteilte Befreiung vom 15. September 2003 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. vom 11. Oktober 2005 verstoßen gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts und verletzen den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

1.

Die angefochtene Befreiungsentscheidung verletzt den Gebietsgewährleistungs- anspruch des Klägers.

Die Festsetzung von Baugebieten durch einen Bebauungsplan hat nachbarschützende Funktion zugunsten der Grundstückseigentümer im jeweiligen Baugebiet. Ein Nachbar im Baugebiet soll sich auch dann gegen die Zulassung einer gebietswidrigen Nutzung wenden können, wenn er durch sie selbst nicht unzumutbar beeinträchtigt wird. Dieser bauplanungsrechtliche Nachbarschutz beruht auf dem Gedanken des wechselseitigen Austauschverhältnisses. Weil und soweit der Eigentümer eines Grundstücks in dessen Ausnutzung öffentlichrechtlichen Beschränkungen unterworfen ist, kann er deren Beachtung grundsätzlich auch im Verhältnis zum Nachbarn durchsetzen Der Hauptanwendungsfall im Bauplanungsrecht für diesen Grundsatz sind die Festsetzungen eines Bebauungsplans über die Art der baulichen Nutzung. Durch sie werden die Planbetroffenen im Hinblick auf die Nutzung ihrer Grundstücke zu einer rechtlichen Schicksalsgemeinschaft verbunden. Die Beschränkung der Nutzungsmöglichkeiten des eigenen Grundstücks wird dadurch ausgeglichen, dass auch die anderen Grundeigentümer diesen Beschränkungen unterworfen sind. Im Rahmen dieses nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses soll daher jeder Planbetroffene im Baugebiet das Eindringen einer gebietsfremden Nutzung und damit die schleichende Umwandlung des Baugebiets unabhängig von einer konkreten Beeinträchtigung verhindern können.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Dezember 2007 - 4 B 55.07 -, BauR 2008, 719 mwN; BVerwG, Urteil vom 16. September 1993 - 4 C 28.91 -, BRS 55 Nr. 110 und Beschluss vom 2. Februar 2000 - 4 B 87.99 -, BRS 63 Nr. 190.

Beide Grundstücke liegen entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts in demselben reinen Wohngebiet. Die zwischen den beiden Grundstücken verlaufende Perlschnur trennt nicht zwei unterschiedliche Baugebiete. Die Perlschnur dient hier allein der Abgrenzung des unterschiedlichen Maßes der baulichen Nutzung innerhalb eines Baugebietes nach Nr. 15.14 der Anlage zur Planzeichenverordnung, nämlich der Festsetzung "nur Hausgruppen zulässig" für das Grundstück Am L. 31.

2.

Das Vorhaben ist planungsrechtlich in dem festgesetzten reinen Wohngebiet nicht zulässig.

a)

Die Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens der Beigeladenen richtet sich nach § 30 Abs. 1 BauGB, da es im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 23/73 der Stadt F. verwirklicht werden soll. Die Festsetzung WR für das Standortgrundstück ist wirksam. Zwar hat der Plangeber für die übrigen Grundstücke an der Alten I.----straße die Festsetzung WA getroffen. Anhaltspunkte für einen Abwägungsfehler ergeben sich daraus jedoch ebenso wenig wie Zweifel an der städtebaulichen Erforderlichkeit im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB. Mit der Aufstellung des Plans sollte insbesondere der Ausbau der N.-------straße und der Alten I.---- straße (L 925) ermöglicht werden (Seite 3 der Planbegründung). Im Übrigen wollte der Plangeber aber die vorhandene Bebauung entsprechend ihrer Nutzung bestätigen (S. 7 der Planbegründung).

Für die Einbeziehung der besagten Fläche in das an der Straße Am L. gelegene Baugebiet lassen sich danach gewichtige Gründe anführen, namentlich ihr besonderer Zuschnitt, die topographischen Verhältnisse, das von den Nachbargrundstücken an der Alten I.----straße abweichend festgesetzte Baufenster, das die vorhandene Bebauung im Wesentlichen umschreibt und erheblich weiter in den rückwärtigen Grundstücksbereich hineinreicht sowie die Erschließung (auch) von der Straße Am L. . Vor diesem Hintergrund war eine WA-Festsetzung für das Standortgrundstück nicht geboten. Dies gilt auch mit Blick auf die angeführten Verkehrslärmimmissionen an der Alten I.----straße . Vielmehr hätte sich aus den Aufstellungsvorgängen ein Anhalt dafür ergeben müssen, dass der Plangeber den Baugebietscharakter für das Standortgrundstück hätte ändern wollen, um durch die Festsetzung einer Baugebietsart mit einem geringeren Schutzanspruch den mit der bisherigen Baugebietsart verbundenen Schutzanspruch herabzusetzen. Der Plangeber wollte aber - wie ausgeführt - ausdrücklich die vorhandene Bebauung bestätigen. Ist in einem bebauten, aber unbeplanten Gebiet ausschließlich Wohnnutzung vorhanden, handelt es sich um ein faktisches reines Wohngebiet. Straßenverkehr und Straßenverkehrslärm wirken typischerweise in allen Gebieten der Baunutzungsverordnung auf die dort zulässige Nutzung ein, ohne dass dadurch der Gebietscharakter verändert würde.

Vgl. hierzu auch Urteile des Senats vom 28. No- vember 2005 - 10 D 76/03 -, juris und vom 14. März 2006 - 10 A 4924/05 -, BRS 70 Nr. 139 (S. 697)

Die verkehrliche Belastung durch die Alte I.----straße ist danach für die Gebietsqualifizierung ohne Belang.

Aber selbst wenn man davon ausginge, dass die Festsetzung WR an einem erheblichen Abwägungsmangel im Sinne von § 214 Abs. 3 Satz 2 BauGB leiden würde, führte dies nicht zur Unwirksamkeit des Bebauungsplans. Nach Maßgabe des § 233 Abs. 2 Satz 3 BauGB sind für vor dem Inkrafttreten einer Gesetzesänderung in Kraft getretene Bebauungspläne zwar die vor dem Inkrafttreten der Gesetzesänderung geltenden Vorschriften über die Geltendmachung u.a. von Mängeln der Abwägung einschließlich ihrer Fristen weiterhin anzuwenden. Für den im Jahre 1980 bekannt gemachten Bebauungsplan kommt daher die Überleitungsvorschrift des § 244 Abs. 2 BauGB (i.d.F vom 8. Dezember 1986) zur Anwendung. Nach dieser Vorschrift sind Mängel der Abwägung von Bebauungsplänen, die vor dem 1. Juli 1987 bekannt gemacht worden sind, aber unbeachtlich, wenn sie nicht innerhalb von sieben Jahren nach dem 1. Juli 1987 schriftlich gegenüber der Gemeinde geltend gemacht worden sind. Die Unbeachtlichkeit von Abwägungsmängeln tritt dabei unabhängig davon ein, ob in der Gemeinde ein Hinweis auf diese Änderung der Rechtslage erfolgt ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 4. September 2008 - 7 A 2358/07 -.

b)

Die Errichtung der Mobilfunkantennenanlage widerspricht den Festsetzungen des Bebauungsplans. Der Bebauungsplan setzt für den Anlagenstandort ein reines Wohngebiet fest. Welche Nutzungen auf der Grundlage dieser Festsetzung im Einzelnen zulässig sind, richtet sich nach der Baunutzungsverordnung (vgl. § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO). Deren Vorschriften zur Art der bauliche Nutzung werden mit der Festsetzung von Baugebieten Bestandteil des Bebauungsplans. Für den Bebauungsplan Nr. 23/73 der Stadt F. , der 1980 als Satzung beschlossen worden ist, ist dabei die Baunutzungsverordnung in der Fassung von 1977 maßgeblich. Die durch § 1 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bewirkte Verbindung zwischen einem Bebauungsplan und der Baunutzungsverordnung ist in dem Sinne "statisch", dass auf die Fassung der Baunutzungsverordnung abzuheben ist, die im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über den Bebauungsplan galt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. November 1999 - 4 B 3.99 -, BRS 62 Nr. 82; OVG NRW, Urteil vom 8. Oktober 2003 - 7 A 1397/02 -, BRS 66 Nr. 92.

Die von der Beigeladenen mit dem angegriffenen Vorhaben betriebenen Nutzung ist in einem reinen Wohngebiet weder regelhaft noch ausnahmsweise nach § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 zulässig. Zwar handelt es sich bei der Errichtung und dem Betrieb einer Mobilfunksendeanlage um eine nicht generell verbotene, selbständige, auf Dauer angelegte und auf Gewinnerzielung gerichtete Tätigkeit und damit um eine gewerbliche Nutzung.

Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 25. März 2003 - 10 B 2417/02 -, BRS 66 Nr. 89 und vom 9. Januar 2004 - 7 B 2482/03 -, BRS 67 Nr. 66; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. Dezember 2004 - 1 ME 256/04 -, BauR 2005, 975.

Diese Anlage unterfällt jedoch keiner der in § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 aufgeführten Nutzungsarten.

c)

Ebenso wenig ist die Anlage nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 zulässig. Danach sind außer den in den §§ 2 bis 13 genannten Anlagen auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und seiner Eigenart nicht widersprechen.

Bei der streitgegenständlichen Mobilfunkantennenanlage handelt es sich nicht um eine Nebenanlage, deren Funktion sich auf das konkrete Baugebiet beschränkt. Vielmehr stellt sie unabhängig vom jeweiligen Nutzungszweck des Baugebiets als Bestandteil eines Kommunikationssystems zum einen die lückenlose Erbringung von Kommunikationsdienstleistungen an diejenigen Personen sicher, die sich in dem Baugebiet ständig oder vorübergehend aufhalten, und dient zum anderen dazu, derartige Dienstleistungen für Personen zu erbringen, die keinerlei Verbindung zu dem Baugebiet haben, aber auf eine Durchleitung von Gesprächen und weiteren Kommunikationsinhalten angewiesen sind. Dem Nutzungszweck "Wohnen" (§ 3 Abs. 1 BauNVO 1977) zu- und untergeordnet sind Mobilfunksendeanlagen nur, soweit sie es den im Baugebiet Wohnenden ermöglichen, als Ausprägung ihrer Wohnnutzung an der mobilen drahtlosen Kommunikation teilzuhaben; diese Funktion einer Mobilfunkstation tritt jedoch gegenüber den weiteren genannten Funktionen - Versorgung der das Baugebiet durchquerenden Personen mit Kommunikationsdienstleistungen, Weiterleitung von Kommunikationsinhalten ohne jeden Bezug zum Baugebiet - so weit in den Hintergrund, dass sich - bezogen auf ein reines Wohngebiet - eine Einstufung als Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 1 Satz 1 BauNVO 1977 regelmäßig verbietet.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. November 1999 - 4 B 3.99 -, BRS 62 Nr. 82; OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 10 B 2622/04 -, BRS 69 Nr. 83 = BauR 2005, 1284.

Das Vorhaben der Beigeladenen ist auch keine Nebenanlage im Sinne von § 14 Abs. 2 BauNVO 1977, da Nebenanlagen für fernmeldetechnische Zwecke in dieser Vorschrift nicht genannt werden. Zudem zeigt die Ergänzung der genannten Vorschrift durch die Baunutzungsverordnung 1990 (§ 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990), dass eine erweiternde Auslegung auf fernmeldetechnische Nebenanlagen nicht möglich ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 1. November 1999 - 4 B 3.99 -, BRS 62 Nr. 82.

3.

Die von dem Beklagten der Beigeladenen für die Mobilfunksendeanlage erteilte Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB von der Festsetzung reines Wohngebiet ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten.

Nach dieser Vorschrift kann von den Festsetzungen des Bebauungsplans nur befreit werden, wenn - die Grundzüge der Planung nicht berührt werden und - die Gründe des Wohls der Allgemeinheit die Befreiung erfordern oder die Abweichung städtebaulich vertretbar ist oder die Durchführung des Bebauungsplans zu einer offenbar nicht beabsichtigten Härte führen würde - und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Mit dem Erfordernis der Wahrung der Grundzüge der Planung stellt der Gesetzgeber sicher, dass die Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht beliebig oder in einem allmählich fortschreitenden Prozess durch Verwaltungsakt außer Kraft gesetzt werden dürfen. Die Regelungen für die Änderung von Bebauungsplänen dürfen nicht durch eine großzügige Befreiungspraxis aus den Angeln gehoben werden. Denn die Änderung eines Bebauungsplans ist nach § 1 Abs. 8 BauGB nicht Sache der Bauaufsichtsbehörde, sondern der Gemeinde vorbehalten.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 5.99 -, BRS 62 Nr. 99.

Der Gesetzgeber stellt mit § 31 Abs. 2 BauGB ein Instrument zur Verfügung, das trotz der Bindung an die Festsetzungen des Bebauungsplans im Interesse der Einzelfallgerechtigkeit und der Wahrung der Verhältnismäßigkeit für Vorhaben, die den Festsetzungen zwar widersprechen, sich mit den planerischen Vorstellungen aber gleichwohl in Einklang bringen lassen, ein Mindestmaß an Flexibilität bei gleichzeitiger Wahrung der Grundzüge der Planung schafft.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 5. März 1999 - 4 B 5.99 -, a.a.P. ; OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 2004 - 10 A 4840/01 -, BRS 67 Nr. 84.

Ob die Grundzüge der Planung berührt werden, hängt entscheidend davon ab, ob die Abweichung dem planerischen Grundkonzept zuwiderläuft. Je tiefer die Befreiung in das Interessengeflecht der Planung eingreift, desto eher liegt der Schluss auf eine Änderung der Planungskonzeption nahe, die nur im Wege der (Um- )Planung möglich ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 20. Februar 2004 - 10 A 4840/01 -, a.a.P. .

Maßgebend ist die konkrete Planungssituation. Hierzu gehört alles, was das Ergebnis der Abwägung über die von der Planung berührten öffentlichen und privaten Belange und den mit den getroffenen Festsetzungen verfolgten Interessenausgleich trägt. Dabei sind die Grundzüge der Planung nicht erst dann berührt, wenn ein festgesetztes reines Wohngebiet bei Erteilung der Befreiung als Wohngebiet nicht mehr erhalten werden könnte.

Vgl. BayVGH, Urteil vom 9. August 2007 - 25 B 05.1337 -, juris.

Vielmehr ist in jedem Befreiungsfall eine Einzelfallentscheidung zu treffen, die die Besonderheiten der konkreten Planungssituation vollständig erfasst und die Auswirkungen des zur Befreiung gestellten Vorhabens umfassend bewertet.

Ob die Voraussetzungen für die Befreiung von einer nachbarschützenden Festsetzung eines Bebauungsplans vorliegen, ist auf den Rechtsbehelf des Nachbarn hin in vollem Umfang nachzuprüfen; die Prüfung beschränkt sich nicht auf die Frage, ob die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Juli 1998 - 4 B 64.98 -, BRS 60 Nr. 183; OVG NRW, Beschluss vom 23. Juli 1998 - 10 B 1319/98 -, BRS 60 Nr. 64.

Für die im vorliegenden Fall streitgegenständliche Erteilung einer Befreiung für die Errichtung von Mobilfunkanlagen in einem unter der Geltung der BauNVO 1977 festgesetzten reinen Wohngebiet folgt aus den vorgenannten Grundsätzen, dass die Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Befreiung wegen der Schwierigkeiten, insbesondere die optischen Auswirkungen von Mobilfunkanlagen in Wohngebieten zutreffend zu bewerten, in jedem Fall eine besonders sorgfältige Einzelfallprüfung voraussetzt; abstraktgeneralisierende Aussagen über die Zulässigkeit derartiger Anlagen verbieten sich.

Im Rahmen der gebotenen Einzelfallprüfung ist zunächst die Frage zu beantworten, ob der Plangeber das festgesetzte reine Wohngebiet "kompromisslos" von allen gewerblichen und sonstigen Nutzungen freihalten will. Dies liegt nahe, wenn er von der Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, gemäß § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauNVO sämtliche der in § 3 Abs. 3 BauNVO vorgesehenen ausnahmsweise zulässigen Nutzungen auszuschließen. In einem solchen Fall kann schon die Errichtung einer einzelnen Mobilfunkanlage unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die nähere Umgebung, insbesondere die Beeinträchtigung der "optischen Wohnruhe", die Grundzüge der Planung berühren.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2008 - 4 B 11.08 -, ZfBR 2008, 797 = BauR 2009, 78; BayVGH, Urteil vom 9. August 2007 - 25 B 05.3055-, BayVBl 2008, 307.

Auch wenn das planerische Grundkonzept nicht von § 3 Abs. 1 bis 4 BauNVO 1977 abweicht und dementsprechend kein "kompromisslos" reines Wohngebiet festgesetzt ist, kann die Zulassung einer einzelnen Mobilfunksendeanlage mit einem Antennenmast unter Berücksichtigung der jeweiligen örtlichen Verhältnisse den Gebietscharakter im Einzelfall in einer Weise beeinträchtigen, dass die Grundzüge der Planung durch die Erteilung einer Befreiung berührt werden; hier ist auch in den Blick zu nehmen, ob in anderen Teilen des Wohngebiets und ggf. in welcher Entfernung zu dem Vorhabenstandort weitere gewerbliche Anlagen existieren.

Allerdings kann die Zulassung einer Mobilfunksendeanlage mit einem Antennenmast je nach den Umständen des Einzelfalles auch noch als Randkorrektur von minderem Gewicht einzustufen sein,

vgl. hierzu Urteil des Senats vom 19. Dezember 2006 - 10 A 930/05 - zur BauNVO 1962,

die die Grundzüge der Planung nicht berührt. Denn gewerbliche Nutzungen müssen mit dem Charakter eines reines Wohngebiets nicht schlechthin unvereinbar sein. Bereits § 3 Abs. 3 BauNVO 1977 lässt bestimmte gewerbliche Nutzungen ausnahmsweise zu. Zudem geht der Verordnungsgeber durch die ausnahmsweise Zulassung fernmeldetechnischer Nebenanlagen in einem reinen Wohngebiet (vgl. § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990) inzwischen selbst von der Möglichkeit einer Gebietsverträglichkeit derartiger Anlagen aus, auch wenn die Vorschrift nichts daran ändert, dass der Gebietscharakter des reinen Wohngebiets auch bei Anwendung dieser Vorschrift selbstverständlich gewahrt bleiben muss.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 29. Juli 2008 - 4 B 11.08 -, a.a.P. .

In die Bewertung kann auch einbezogen werden, dass die Mehrzahl der Bevölkerung diese technischen Infrastruktureinrichtungen nutzt und daher ihr Vorhandensein auch in Wohngebieten erwarten muss. Sie können deshalb von einem aufgeschlossenen Betrachter nicht zwangsläufig als abträglich für das Ortsbild und den Wohngebietscharakter bewertet werden.

Auf der anderen Seite folgt aus der Festsetzung eines reines Wohngebiets ein gegenüber allgemeinen Wohngebieten typischerweise höherer Schutzanspruch, der das planerische Grundkonzept prägt. Die Wohnbedürfnisse sollen hier in besonderer Weise durch ein ruhiges Wohnumfeld gewährleistet werden. Der Anspruch auf Wohnruhe kann dabei nicht nur durch Immissionen im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes, wie z.B. durch die Anziehung von erheblichem Verkehr, sondern auch durch eine optisch gebietswidrig "laut" in Erscheinung tretende Anlage beeinträchtigt sein.

Vgl. Urteil des Senats vom 19. Dezember 2006 - 10 A 930/05 - und Beschluss vom 25. Februar 2003 - 10 B 2417/02 -, BRS 66 Nr. 89; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 6. Dezember 2004 - 1 ME 256/04 -, BauR 2005, 975.

Entscheidend sind mithin die konkreten Auswirkungen der Anlage im jeweiligen Einzelfall. Wo etwa eine geplante Anlage für sich genommen oder zusammen mit vorhandenen weiteren gleichartigen Anlagen im Verhältnis zur Bausubstanz, Bauhöhe und Baugestaltung in der näheren Umgebung eine prägende Wirkung entfaltet, die den Regelfall der Wohnnutzung hin zu einer gemischten Wohn- und Gewerbenutzung verschiebt, ist die planerische Grundentscheidung des Bebauungsplans berührt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Mai 2005 - 10 B 2622/04 - ,BRS 69 Nr. 83; zu den Anforderungen an die Erteilung einer Ausnahme gemäß § 14 Abs. 2 Satz 2 BauNVO 1990.

Geht es schließlich um die Befreiung für eine Mobilfunkesendestation mit mehr als einem Antennenmast, spricht im Regelfall - vorbehaltlich einer Überprüfung der jeweiligen konkreten örtlichen Verhältnisse - Überwiegendes dafür, dass eine solche Anlage der planerischen Grundkonzeption eines reinen Wohngebiets (BauNVO 1977) zuwiderläuft und den Gebietscharakter verfremdet. Zwei Mobilfunkmasten mit den zugehörigen Funkanlagen auf dem Dach eines Gebäudes haben in einem reinen Wohngebiet regelmäßig in Relation zu ihrer Umgebung ein beachtliches Gewicht und entfalten eine "Signalwirkung" im Hinblick auf den Gebietscharakter. Sie sind aufgrund ihrer Abmessungen und des gewählten Standorts typischerweise deutlich wahrnehmbar und führen bei der gebotenen Gesamtbetrachtung regelmäßig dazu, dass sie das Gebäude und die umliegenden Grundstücke im Sinne einer gewerblichen Überformung der umliegenden Wohnbebauung dominieren können. Eine solche städtebauliche Situation mit einer Mischnutzung von Wohnen und Gewerbe ist jedoch mit der planerischen Konzeption eines reinen Wohngebietes nicht zu vereinbaren.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die der Beigeladenen erteilte Befreiung von der Festsetzung des Bebauungsplans hinsichtlich der Art der Nutzung - WR - für die Errichtung der in Rede stehenden Mobilfunksendestation schon deshalb rechtswidrig, weil durch sie die Grundzüge der Planung berührt werden.

Es handelt sich zwar nicht um ein "kompromisslos" reines Wohngebiet in dem dargelegten Sinne. Weder die Festsetzungen des Bebauungsplans noch die Begründung des Bebauungsplans bieten hierfür Anhaltspunkte. Auch zieht das Vorhaben abgesehen von der erforderlichen Wartung der Anlage und der Beseitigung von Störfällen keinen beachtlichen Fahrzeugverkehr an. Insoweit unterscheiden sie sich nicht wesentlich von dem, was auch bei einer Wohnnutzung gelegentlich an Wartungs- und Reparaturarbeiten an technischen Einrichtungen anfällt.

Die Anlage führt hier jedoch in Würdigung der von dem Berichterstatter festgestellten und dem Senat vermittelten örtlichen Verhältnisse zu einer nachhaltig störenden Dominanz und gewerblichen Überformung des reinen Wohngebiets. Die im vorliegenden Verfahren zu beurteilende Anlage mit zwei Masten tritt deutlich als gewerbliche Anlage in Erscheinung. Die Masten stehen nach den Planunterlagen nur ca. 5 Meter auseinander und sind so in ihrer Gesamtheit als massive gewerbliche Anlage wahrnehmbar. Das Wohngebiet ist - abgesehen von den bereits errichteten Mobilfunkanlagen - vollständig intakt. Die Ortsbesichtigung hat bestätigt, dass in der näheren Umgebung des festgesetzten reinen Wohngebiets ausschließlich Nutzungen vorhanden sind, die dort allgemein zulässig sind. In der unmittelbaren Umgebung an der Straße Am L. ist eine weitgehend einheitliche Bebauung festzustellen. Der Vortrag des Beklagten, das Haus Alte I.----straße Nr. 88/90 sei ein viergeschossiger "Kastenbau" und im näheren Umfeld befänden sich weitere derart hochgeschossige, massig wirkende Gebäude, aber auch Gebäude niedriger Höhe, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Schutzanspruch für ein reines Wohngebiete besteht unabhängig von der Höhe, Geschossigkeit oder Massigkeit der Wohngebäude. Gegenüber den im weiteren Verlauf der Straße Am L. vorhandenen Wohngebäuden tritt die Mobilfunkstation wegen der dort geringeren Höhe der Gebäude und der topographischen Verhältnisse zudem deutlich in Erscheinung. Abgesehen davon lässt sich für diejenigen Eigentümer/Bewohner, die aus Wohnungen in den oberen Geschossen der Nachbarhäuser auf die Anlage blicken, ohnehin nicht anführen, die Mobilfunkanlage falle wegen der Wuchtigkeit der Wohngebäude weniger auf. Dies haben der Ortstermin und die vorliegenden Lichtbilder nachhaltig bestätigt. Die Auswirkungen einer "Satellitenschüssel" können demgegenüber nicht ansatzweise mit der optischen Dominanz einer Mobilfunkanlage mit zwei Masten verglichen werden.

Die städtebauliche Situation wird somit durch das Hinzutreten der im vorliegenden Verfahren streitigen Anlage zu Lasten des Wohngebietscharakters nicht unerheblich in Bewegung gebracht. Auch die in den Parallelverfahren streitgegenständlichen Mobilfunkanlagen rechtfertigen schon deshalb keine andere Beurteilung, weil die zugrunde liegenden Befreiungsentscheidungen mit Urteilen vom heutigen Tag aufgehoben worden sind. Die an der Alten I.----straße - in der unmittelbaren Umgebung zudem nur vereinzelt - vorhandenen gewerblichen Nutzungen, sind für die Bewertung im vorliegenden Verfahren schon deshalb unbeachtlich, weil sie in einem anderen Baugebiet stattfinden. Zudem sind sie unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse im Wesentlichen nur für Bewohner des Vorhabensgrundstücks, nicht aber im übrigen Baugebiet wahrnehmbar.

Nicht überzeugend ist die Argumentation des Beklagten, das Vorhandensein mehrerer Mobilfunkanlagen auf dem Gebäude gewährleiste, dass sich die gewerbliche Nutzung in dem betroffenen Wohngebiet auf eine Örtlichkeit konzentriere und somit der Charakter einer Ausnahmeerscheinung gewahrt bleibe. Derartige städtebaulichen Aspekte mag die Stadt F. in ein Standortkonzept und entsprechende verbindliche Bauleitplanung einfließen lassen. An der hier festgestellten unzulässigen gewerblichen Überformung des reinen Wohngebietes ändern diese Überlegungen nichts.

Die mit den Mobilfunkanlagen verbundenen optischen Auswirkungen auf den betroffenen Teil des Reinen Wohngebiets führen im Gegenteil sogar dazu, dass das Vorhabengrundstück durch sein auch gewerblich geprägtes Erscheinungsbild nunmehr entgegen seiner bauleitplanerischen Festsetzung Bestandteil des entlang der Alten I.----straße sich anschließenden Allgemeinen Wohngebiets zu sein scheint und nicht mehr den Abschluss des entlang der Straße Am L. gelegenen Reinen Wohngebiets bildet. Auch diese Folgewirkung der gewerblichen Überformung des Vorhabengrundstücks widerspricht einem Grundzug der rechtsgültigen Bauleitplanung, nämlich dem planerischen Konzept, das reine Wohngebiet entlang des gesamten Verlaufs der Straße Am L. bis zum Kreuzungsbereich dieser Straße mit der Alten I.----straße zu führen.

Sind somit bereits die Grundzüge der Planung berührt, kommt es im vorliegenden Verfahren nicht mehr darauf an, ob die Beigeladene sich auf einen Befreiungsgrund stützen kann und ob die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.

4.

Bezüglich der von dem Kläger geltend gemachten Strahlenbelastung weist der Senat darauf hin, dass gemäß § 3 Satz 1 Nr. 1 der Verordnung über das Nachweisverfahren zur Begrenzung elektromagnetischer Felder (BEMFV) die in der 26. BImSchVO festgelegten Grenzwerte maßgebend sind, die der Schutzpflicht staatlicher Organe gegenüber Gesundheitsgefährdungen durch elektromagnetische Felder auch nach Einschätzung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts ausreichend Rechnung tragen.

Vgl. EGMR, Entscheidung vom 3. Juli 2007 - 32015/02 -, NVwZ 2008, 125; BVerfG, Beschlüsse vom 17. Februar 1997 - 1 BvR 1658/96 -, BRS 59 Nr. 183 und vom 28. Februar 2002 - 1 BvR 1676/01 -, BRS 65 Nr. 178; BGH, Urteil vom 15. März 2006 - VIII ZR 74/05 -, NJW-RR 2006, 879.

Nach der letzten Standortbescheinigung der Bundesnetzagentur vom 12. Januar 2006 sind die einzuhaltenden Sicherheitsabstände zum Grundstück des Klägers ersichtlich gewahrt.

5.

Schließlich ist die Befreiung auch deshalb rechtswidrig, weil der angefochtene Verwaltungsakt in Gestalt des Widerspruchsbescheides an einem Ermessensfehler im Sinne des § 114 VwGO leidet. Denn der Beklagte bzw. die Bezirksregierung E. haben das ihnen eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unterscheidet die gesetzliche Regelung in § 31 Abs. 2 BauGB die tatbestandlichen Voraussetzungen - die Grundzüge der Planung werden nicht berührt und es liegen entweder Gründe des Gemeinwohls vor oder die Abweichung ist städtebaulich vertretbar - sowie die sich daran anschließende Ermessensbetätigung deutlich voneinander. Daher kann eine Ermessens- entscheidung auch dann ohne Rechtsfehler zu Ungunsten eines Bauherrn getroffen werden, wenn Grundzüge der Planung nicht berührt sind.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 28. April 2008 - 4 B 16.08 -, juris.

Zwar geht auch der Senat in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass für die Ausübung des Ermessens wenig Raum besteht, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung gegeben sind. Daraus folgt jedoch nicht, dass der zuständigen Behörde entgegen dem Wortlaut der Vorschrift stets kein Ermessensspielraum zusteht oder das Ermessen auf Null reduziert ist, wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung vorliegen. Falls gewichtige Interessen einer Befreiung entgegen stehen, kann die Bauaufsichtsbehörde ihr Ermessen zu Lasten des Bauherrn betätigen.

Vgl. BayVGH, Urteil vom 9. August 2007 - 25 B 05.3055 -, BayVBl 2008, 136.

Die Befreiung kann die Festsetzungen des Bebauungsplans in Sonderfällen, die vom Satzungsgeber nicht vorgesehen sind, überwinden und ermöglicht so Vorhaben, wenn nach den Umständen des Einzelfalles ein Festhalten am Plan ungerecht, insbesondere unverhältnismäßig oder gleichheitswidrig wäre. Die gesetzlichen Hürden des Befreiungstatbestandes können nur genommen werden, wenn gewichtige Gründe auf Seiten des Bauherrn vorliegen. Damit ist jedoch nicht entschieden, dass die für das Vorhaben sprechenden Gründe gegenüber den beeinträchtigten öffentlichen Belangen und privaten Interessen auch vorrangig sind. Insoweit steht der Bauaufsichtsbehörde der gesetzlich eingeräumte Ermessensspielraum zu. Der Bauherr hat nach dem Gesetz keinen Anspruch darauf, dass die Befreiung erteilt wird, wenn die sich gegenüber- stehenden Interessen und Belange in etwa gleich gewichtig sind. Die gemäß § 31 Abs. 2 BauGB vorgesehenen Ermessenserwägungen können auch öffentliche Belange und private Interessen betreffen, die im Befreiungstatbestand bei den Befreiungsgründen oder bei der Frage, ob die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist, zu prüfen sind.

Vgl. zum Ganzen BayVGH a.a.P. .

Der angefochtene Befreiungsbescheid enthält weder die erforderliche Begründung

Vgl. Boeddinghaus/Hahn/Schulte, BauO NRW, Loseblatt Kommentar, Stand Dezember 2008, § 74a Rn. 46

noch Ermessenserwägungen. Auch der interne Vermerk des Beklagten sowie der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E. lassen eine Ermessensbetätigung in dem dargelegten Sinne nicht erkennen. Hierzu hätte jedoch schon deshalb Veranlassung bestanden, weil zum Zeitpunkt der Befreiungsentscheidung im September 2003 jedenfalls drei Mobilfunkanlagen bereits errichten waren, so dass sich die Frage einer gewerblichen Überformung des reinen Wohngebiets durch drei Anlagen insgesamt stellte.

6.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 VwGO nicht gegeben sind.