SG Düsseldorf, Beschluss vom 17.03.2008 - S 43 AS 397/07 ER
Fundstelle
openJur 2011, 61938
  • Rkr:
Tenor

Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2007, durch den der dem Antragsteller zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2008 monatlich um 20 % der Regelleistung abgesenkt wird, wird angeordnet. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2007, durch den der dem Antragsteller zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2008 monatlich um 30 % der Regelleistung abgesenkt wird, wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt. Die Antragsgegnerin hat dem Antragsteller 5/6 der Kosten des Verfahrens zu erstatten.

Gründe

Das Gericht legt den "Antrag auf einstweilige Anordnung" des Antragstellers vom 30.12.2007 aus als Antrag, die aufschiebende Wirkung des gegen die drei Bescheide der Antragsgegnerin vom 18.12.2007 erhobenen Widerspruchs anzuordnen,

weil eine derartige Antragsauslegung dem erkennbaren Rechtsschutzziel des Antragstellers entspricht.

Es ist für das Gericht offensichtlich, dass der Antragsteller sich mit seinem Antrag, in dem er sich auf einen am 22.12.2007 zugestellten Bescheid bezieht, nicht nur gegen einen der drei Bescheide der Antragsgegnerin vom 18.12.2007, zugestellt am 22.12.2007, sondern gegen sämtliche drei Bescheide wendet, weil sämtliche drei Bescheide in seine bestehende Rechtsposition eingreifen. Durch den ersten der drei Bescheide vom 18.12.2007 hat die Antragsgegnerin den dem Antragsteller zustehenden Anteil des Arbeitslosengeldes II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2008 monatlich um 10 % der Regelleistung abgesenkt. Durch den zweiten der drei Bescheide hat sie den entsprechenden Anteil für denselben Zeitraum um 20 % und durch den dritten Bescheid um 30 % abgesenkt. Nachdem die Antragsgegnerin dem Antragsteller zuvor durch Bescheid vom 26.10.2007 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) für den Zeitraum 01.12.2007 - 31.05.2008 in monatlicher Höhe von 347,00 EUR bewilligt hatte, kann der Antragsteller sein erkennbares Rechtsschutzziel, zu erreichen, dass eine Leistungsabsenkung im durch die angegriffenen Bescheide geregelten Umfang - jedenfalls bis zu einer Entscheidung über seinen Widerspruch - nicht erfolgt, in zulässiger Weise nicht mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), sondern allein mit einem Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erreichen. Nach letzterer Vorschrift kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Durch eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs wären die Bescheide vom 18.12.2007 mit den in ihnen ausgesprochenen Leistungssenkungen vorläufig nicht durchsetzbar, wodurch dem Antragsteller vorläufig die durch Bescheid vom 26.10.2007 bewilligten Leistungen in voller Höhe zustünden; des zusätzlichen Erlasses einer einstweiligen Anordnung bedürfte es nicht.

Der so verstandene Antrag hat im tenorierten Umfang Erfolg.

Er ist nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG statthaft. Der Widerspruch des Antragstellers hat gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 4 SGG i. V. m. § 39 Nr. 1 SGB II keine aufschiebende Wirkung, weil die angegriffenen Bescheide Verwaltungsakte darstellen, die über Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende entscheiden.

Das Gericht entscheidet über den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach Ermessen aufgrund einer Interessenabwägung, wobei das private Interesse des belasteten Bescheidadressaten an der Aufhebung der Vollziehung gegen das öffentliche Interesse einer sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes abzuwägen ist. In einem - hier vorliegenden - Fall der gesetzlich angeordneten sofortigen Vollziehbarkeit eines belastenden Verwaltungsakts besteht Anlass zur Abweichung von dieser gesetzlichen Anordnung nur, wenn ein überwiegendes Interesse des durch den Verwaltungsakt Belasteten feststellbar ist. Maßstab sind einerseits die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens und andererseits die wirtschaftliche Bedeutung der fraglichen Leistung für den Empfänger (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer a.a.O., § 86b Randnr. 12 ff.). Ein überwiegendes Interesse des Bescheidadressaten an der Aufhebung der Vollziehung besteht jedenfalls dann, wenn sich bei summarischer Überprüfung im Falle eines zulässigen Widerspruchs der angegriffene Verwaltungsakt als offenbar rechtswidrig erweist, denn an der sofortigen Vollziehung eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes kann niemals ein öffentliches Interesse bestehen. Umgekehrt besteht kein überwiegendes Interesse des Bescheidadressaten an der Aufhebung der Vollziehung, wenn sich bei summarischer Überprüfung der angegriffene Verwaltungsakt als offenbar rechtmäßig erweist, denn im Falle der offenbaren Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes kommt dem Aspekt der wirtschaftlichen Bedeutung der fraglichen Leistung für den Bescheidadressaten keinerlei Gewicht mehr zu.

Im vorliegenden Fall fällt die nach den vorgenannten Maßstäben vorzunehmende Interessenabwägung zulasten des Antragstellers aus, soweit sie sich auf den Bescheid der Antragsgegnerin bezieht, durch den der dem Antragsteller zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2008 monatlich um 10 % der Regelleistung abgesenkt wurde, denn bei summarischer Überprüfung erweist sich dieser Bescheid als offenbar rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von der Antragsgegnerin durch diesen Bescheid vorgenommene Leistungsabsenkung liegen offensichtlich vor, wie sich aus dem Verwaltungsvorgang der Antragsgegnerin ergibt.

Nach § 31 Abs. 2 SGB II wird das Arbeitslosengeld II unter Wegfall des Zuschlags nach § 24 in einer ersten Stufe um 10 vom Hundert der für den erwerbsfähigen Hilfebedürftigen nach § 20 maßgebenden Regelleistung abgesenkt, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihr zu melden oder bei einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommt und keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachweist. Nach Abs. 6 Satz 1 Halbsatz 1 der Norm treten Absenkung und Wegfall mit Wirkung des Kalendermonats ein, der auf das Wirksamwerden des Verwaltungsaktes, der die Absenkung oder den Wegfall der Leistung feststellt, folgt; nach Abs. 6 Satz 2 dauern Absenkung und Wegfall drei Monate.

Durch Schreiben vom 21.09.2007 forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, am 04.10.2007 um 8:00 Uhr einen Termin im Gebäude Ostraße 00, Zimmer 000, in W wahrzunehmen, um mit ihr über sein Bewerberangebot bzw. seine berufliche Situation zu sprechen. Das Schreiben enthielt eine den gesetzlichen Anforderungen vollends genügende Rechtsfolgenbelehrung, benannte nämlich zum einen konkret die dem Antragsteller drohende Konsequenz für den Fall der Nichtwahrnehmung des Termins ohne wichtigen Grund in Form der Absenkung des Arbeitslosengeldes II um 35,00 EUR monatlich für drei Monate und zum anderen weitere Einzelheiten im Zusammenhang mit dieser Absenkung in Form eines allgemeinen Merkblatts.

Sofern dem Vorbringen des Antragstellers der Einwand zu entnehmen sein sollte, das Schreiben der Antragsgegnerin vom 21.09.2007 sei ihm nicht zugegangen, sieht das Gericht diesen Einwand durch den Inhalt des Verwaltungsvorgangs der Antragsgegnerin als widerlegt an. Gemäß Aktenvermerk der Antragsgegnerin vom 08.01.2008 wurde das Schreiben vom 21.09.2007 am 25.09.2007 "durch das mobile FM" in den Briefkasten des Antragstellers eingelegt. Dass dieses Schreiben dem Antragsteller auch tatsächlich rechtzeitig, nämlich vor dem 04.10.2007, zugegangen ist, sieht das Gericht durch einen am 02.10.2007 von der Deutschen Post AG abgestempelten und bei der Antragsgegnerin am 09.10.2007 eingegangenen Briefumschlag, welcher das Schreiben im Original enthielt und welcher entsprechend eines Bleistiftvermerks eines Mitarbeiters der Antragsgegnerin nicht von ihr selbst stammt, als belegt an. Weil das Gericht keinen Anlass sieht, an den Angaben der Antragsgegnerin, dass das Schreiben durch eigene Mitarbeiter in den Briefkasten des Antragstellers eingelegt wurde und dass der Rücksendeumschlag nicht von ihr stammt und verwendet wurde, zu zweifeln, folgt aus der erfolgten Rücksendung des Schreibens mittels eines frankierten und von der Deutschen Post abgestempelten Briefes an die Antragsgegnerin, dass der Antragsteller dieses Schreiben zuvor in seinen Händen gehalten und damit Gelegenheit zur Kenntnisnahme seines Inhalts gehabt haben muss, bevor er es mittels des von ihm verwendeten Briefumschlags an die Antragsgegnerin zurücksandte und dabei durch den auf den Briefumschlag geklebten Aufkleber der Deutschen Post AG mit dem Vermerk "Zurück an den Absender, weil an dem zu entrichteten Entgelt 55 Ct fehlen." offenbar den Eindruck zu erwecken versuchte, das Schreiben der Antragsgegnerin sei ihm erst gar nicht zugegangen.

Der Aufforderung der Antragsgegnerin, den Termin am 04.10.2007 wahrzunehmen, ist der Antragsteller unstreitig nicht nachgekommen und er hat auch keinen wichtigen Grund für sein Fernbleiben nachgewiesen, so dass die durch den Bescheid der Antragsgegnerin vom 18.12.2007, zugestellt am 22.12.2007, ausgesprochene Leistungsabsenkung um monatlich 10 % der Regelleistung, nämlich um 35,00 EUR ausgehend von einer durch Bescheid vom 26.10.2007 bewilligten monatlichen Regelleistung von 347,00 EUR, für die dem Bescheid folgenden drei Monate Januar, Februar und März 2008 der Rechtsfolge des § 31 Abs. 2, Abs. 6 Sätze 1 und 2 SGB II entspricht.

Soweit der Antragsteller seinen Antrag im Übrigen auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 20.12.2007 stützt, in dem das Gericht ausgesprochen hat, dass die in § 44b SGB II geregelte Pflicht der Kreise zur Aufgabenübertragung der Leistungen nach dem SGB II auf die Arbeitsgemeinschaften und die einheitliche Aufgabenwahrnehmung von kommunalen Trägern und der Bundesagentur für Arbeit in den Arbeitsgemeinschaften die Gemeindeverbände in ihrem Anspruch auf eigenverantwortliche Aufgabenerledigung verletzt und gegen die Kompetenzordnung des Grundgesetzes verstößt, vermag er hieraus jedenfalls keine für das vorliegende Verfahren relevanten subjektiven Rechte herzuleiten, weil das Bundesverfassungsgericht zugleich ausgesprochen hat, dass die Norm bis zu einer gesetzlichen Neuregelung, längstens bis zum 31.12.2010, anwendbar bleibt, weil dem Gesetzgeber für eine Neuregelung, die das Ziel einer Bündelung des Vollzugs der Grundsicherung für Arbeitsuchende verfolgt, ein der Größe der Umstrukturierungsaufgabe angemessener Zeitraum belassen werden muss (vgl. Pressemeldung des BVerfG Nr. 118/2007 zum Urteil vom 20.12.2007, Az. 2 BvR 2433/04 und 2 BvR 2434/04).

Soweit sich die nach den oben genannten Maßstäben vorzunehmende Interessenabwägung hingegen auf die beiden Bescheide der Antragsgegnerin bezieht, durch den der dem Antragsteller zustehende Anteil des Arbeitslosengeldes II unter Wegfall des eventuell zustehenden Zuschlags nach § 24 SGB II für die Zeit vom 01.01. bis 31.03.2008 monatlich um 20 % und 30 % der Regelleistung abgesenkt wurde, fällt sie zugunsten des Antragstellers aus, denn bei summarischer Überprüfung erweisen sich diese beiden Bescheide als offenbar rechtswidrig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen für die von der Antragsgegnerin insoweit vorgenommenen Leistungsabsenkungen liegen offensichtlich nicht vor.

Nach § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II wird bei wiederholter Pflichtverletzung nach Absatz 2 das Arbeitslosengeld II um den Vomhundertsatz gemindert, der sich aus der Summe des in Absatz 2 genannten Vomhundertsatzes und dem der jeweils vorangegangenen Absenkung nach Absatz 2 zugrunde liegenden Vomhundertsatz ergibt. Nach Satz 4 der Norm liegt eine wiederholte Pflichtverletzung nicht vor, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt.

Es kann dahinstehen, ob der Antragsteller - wovon die Antragsgegnerin ausgeht - auf eine Folgeeinladung vom 04.10.2007 zu einem Beratungsgespräch am 16.10.2007 und auf eine weitere Folgeeinladung vom 16.10.2007 zu einem Beratungsgespräch am 26.10.2007, jeweils trotz Belehrung über die Rechtsfolgen, nicht reagierte. Denn selbst wenn dies der Fall sein sollte, der Antragsteller also durch Nichterscheinen zu den Beratungsgesprächen am 16. und am 26.10.2007 weitere zwei Male i.S.d. § 31 Abs. 2 SGB II trotz schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen einer Aufforderung des zuständigen Trägers, sich bei ihr zu melden, nicht nachgekommen und keinen wichtigen Grund für sein Verhalten nachgewiesen haben sollte, liegen hierin keine wiederholten Pflichtverletzungen i.S.d. § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II.

Nach - soweit für das Gericht ersichtlich - einhelliger Auffassung in der Rechtslehre setzt eine "wiederholte" Pflichtverletzung i.S.d. § 31 Abs. 3 SGB II voraus, dass eine erstmalige Pflichtverletzung bereits durch Verwaltungsakt festgestellt ist (vgl. Berlit in LPK SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Randnr. 82; Schumacher in Oestreicher, SGB XII/SGB II, Ergänzungslieferung 50 - September 2006, § 31 SGB II Randnr. 62; Valgolio in Hauck/Noftz, SGB II, 13. Ergänzungslieferung - VII/07, § 31 Randnr. 99; Fasselt in Fichtner/Wenzel, Kommentar zur Grundsicherung, 3.Auflage 2005, § 31 SGB II Randnr. 16; Sonnhoff in jurisPK-SGB II, 2. Auflage 2007, § 31 Randnr. 193; ebenso Hinweise der Bundesagentur für Arbeit zu § 31 SGB II, Randnr. 31.25; offenlassend Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24.09.2007, Az. L 20 B 169/07 AS ER, und LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 12.04.2006, Az. L 7 AS 1196/06 ER-B).

Diese Auffassung hält das Gericht für zutreffend, wie eine Auslegung des § 31 Abs. 3 SGB II nach den hergebrachten Auslegungsmethoden ergibt. Zwar ergibt sich allein aus dem Wortlaut "wiederholte Pflichtverletzung" nicht zwingend, dass eine erstmalige Pflichtverletzung bereits durch Verwaltungsakt festgestellt sein muss, jedoch lassen Sinn und Zweck der Vorschrift, aus dem Übermaßverbot resultierende verfassungsrechtliche Anforderungen, erkennbarer historischer Wille des Gesetzgebers und auch der systematische Zusammenhang der einzelnen Sätze des § 31 Abs. 3 SGB II eine andere Auslegung nicht zu.

Erkennbarer Sinn und Zweck einer Sanktion gemäß § 31 Abs. 2 SGB II ist es generell, den Leistungsempfänger, welcher einer von der Norm erfassten Mitwirkungsaufforderung nicht nachkommt, zu einer Verhaltensänderung zu bewegen. Um dieses Ziel zu erreichen, soll nach § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II im Wiederholungsfall die Sanktion stufenweise erhöht werden, wenn eine vorangegangene Sanktion nicht gefruchtet hat. Eine erhöhte Sanktion nach § 31 Abs. 3 Satz 3 SGB II macht demnach nur dann Sinn, wenn die Sanktion der jeweils vorangegangenen Stufe - mindestens also die Sanktion der 1. Stufe - bereits in Kraft ist, denn es entspricht der Intention eines Stufensystems, zunächst abzuwarten, ob die Sanktion der in Kraft befindlichen Sanktion die bezweckte Verhaltensänderung bewirkt, bevor eine zweite Sanktionsstufe in Form einer verschärften Sanktion in Kraft gesetzt wird. Ein Sanktions-Stufensystem, bei dem - wie im Falle der drei streitgegenständlichen gleichzeitigen Bescheide der Antragsgegnerin, deren Rechtmäßigkeit unterstellt - mehrere Stufen auf einmal in Kraft treten könnten und beim gleichzeitigen Inkarattreten einer zehnprozentigen, einer zwanzigprozentigen und einer dreißigprozentigen Leistungssenkung eine faktische sechzigprozentige Leistungssenkung bereits in der ersten Stufe bewirkt würde, im Falle eines denkbaren gleichzeitigen Hinzutretens einer weiteren vierzigprozentigen Leistungssenkung sogar eine faktische hundertprozentige Leistungssenkung bereits in der ersten Stufe, wäre kein wirkliches Stufensystem. Es würde seinen eigenen Sinn verfehlen und wäre auch unverhältnismäßig, da sich die Anwendung einer höheren Sanktionsstufe erst als erforderlich erweisen kann, wenn sich die Anwendung einer niedrigeren Sanktionsstufe im Sinne eines milderen Mittels als ungeeignet herausgestellt hat. Die Eignung einer niedrigeren Sanktionsstufe kann jedoch erst beurteilt werden, nachdem diese ihre Wirkung entfaltet hat.

Auch der Gesetzgeber selbst ging davon aus, dass eine erstmalige Pflichtverletzung bereits durch Verwaltungsakt festgestellt sein muss, bevor eine wiederholte Pflichtverletzung im Sinne des Gesetzes vorliegt. Dies ergibt sich aus der Gesetzesbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende (BT-Drucks. 16/1410, S. 25 f.). Dort wird ausgeführt, die bisherige Regelung lasse eine verstärkte Sanktionierung wegen einer wiederholten Pflichtverletzung nur zu, wenn die zweite Pflichtverletzung und die daraus resultierende Absenkung des Arbeitslosengeldes II "innerhalb des bestehenden Sanktionszeitraums von drei Monaten" liege, und mit der Gesetzesänderung sei beabsichtigt, das Arbeitslosengeld II künftig nicht nur dann in erhöhtem Umfang zu mindern, "wenn die erneute Pflichtverletzung während eines laufenden Sanktionszeitraums begangen wird, sondern auch dann, wenn die Pflichtverletzung nach dem Ablauf eines Sanktionszeitraums begangen wird." Geht der Gesetzgeber also für die Rechtslage sowohl vor als auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende von einem bestehenden bzw. laufenden Sanktionszeitraum und für die Rechtslage nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitsuchende alternativ von einem abgelaufenen Sanktionszeitraum als Voraussetzung für eine verstärkte Sanktionierung wegen einer wiederholten Pflichtverletzung aus, bedingt dies die vorherige Feststellung einer Pflichtverletzung durch Verwaltungsakt, denn dies ist Voraussetzung für das Anlaufen eines Sanktionszeitraums. Gleiches ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang zwischen den Sätzen 3 und 4 von § 31 Abs. 3 SGB II. Daraus, dass Satz 4 ausspricht, dass eine wiederholte Pflichtverletzung nicht vorliegt, wenn der Beginn des vorangegangenen Sanktionszeitraums länger als ein Jahr zurückliegt und damit ebenfalls von einem Sanktionszeitraum als Anknüpfungspunkt für eine wiederholte Pflichtverletzung spricht, folgt, dass der Anknüpfungspunkt des Satzes 3 für eine wiederholte Pflichtverletzung kein anderer sein kann, auch hier also ein - nur durch Verwaltungsakt möglicher - festgestellter Sanktionszeitraum vorausgesetzt wird.

Eine "Stufenkumulation", wie sie die Antragsgegnerin durch die drei gleichzeitigen Bescheide vom 18.12.2007 bewirken wollte, ist also mit der geltenden Gesetzeslage nicht vereinbar.

Auf eine ihm im Rahmen seines Ermessens mögliche Entscheidung nach § 86b Abs. 1 Satz 2 SGG, die Aufhebung der Vollziehung anzuordnen, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt der Entscheidung schon vollzogen ist, verzichtet das Gericht einstweilen, weil es davon ausgeht, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller nach Zustellung dieses Beschlusses unverzüglich die aufgrund der "20%- und 30%-Senkungsbescheide" gegebenenfalls bislang vorenthaltenen Leistungen nachzahlen wird. Sollte die Antragsgegnerin dieser Erwartung des Gerichts nicht entsprechen, hat der Antragsteller die Möglichkeit, insoweit umgehend einen neuen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes zu stellen.

Die Kostenentscheidung folgt aus einer analogen Anwendung der §§ 183, 193 SGG und berücksichtigt den nur teilweisen Erfolg des Antrags.

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