LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 05.06.2008 - L 9 AL 157/06
Fundstelle
openJur 2011, 61782
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 31 AL 575/05
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.10.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Rückforderung von Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 03.07.2003 in Höhe von 1359,69 Euro.

Der 1950 geborene Kläger war bis 1997 als kaufmännischer Angestellter beschäftigt. Danach bezog Arbeitslosengeld und ab 2000 Arbeitslosenhilfe. Seit März 2002 erhielt die Ehefrau des Klägers für sich und zwei gemeinsame Kinder Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG) und mietete eine eigene Wohnung an. Die Beklagte hörte den Kläger zu einer Abzweigung von Leistungen an das Sozialamt an. Am 08.08.2002 trug der Kläger vor, dass er nicht von seiner Familie getrennt lebe. Am 03.09.2002 teilte der Kläger dann mit, dass seit ca. Mitte August 2002 seine Ehefrau von ihm getrennt lebe. Mit Bescheid vom 13.09.2002 entzog die Beklagte die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe wegen fehlender Mitwirkung ab dem 16.09.2002, weil der Kläger keinen Fortzahlungsantrag auf Arbeitslosenhilfe gestellt hatte. Am 19.09.2002 beantragte der Kläger die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe. Er gab an, er habe derzeit Steuerklasse 3 und werde Änderungen der Steuerklasse unverzüglich mitteilen. Er bestätigte den Erhalt des Merkblatts 1 für Arbeitslose. Ab dem 16.09.2002 wurde ihm unter Zugrundelegung der Leistungsgruppe C Arbeitslosenhilfe in Höhe von wöchentlich 300,72 Euro bis zum 03.07.2003 weiterbewilligt.

Am 18.01.2003 erließ die Beklagte einen Änderungsbescheid. Sie verwies darauf, dass der Leistungssatz durch die Leistungsentgeltverordnung 2003 geändert worden sei. Es ergab sich unter Berücksichtigung der Leistungsgruppe C ein wöchentlicher Zahlbetrag in Höhe von 298,13 Euro.

Am 03.07.2003 stellte der Kläger einen Fortzahlungsantrag. Er gab dabei an, dass seit Jahresbeginn auf seiner Lohnsteuerkarte Steuerklasse 1 eingetragen sei. Ab dem 03.07.2003 wurde die Arbeitslosenhilfe herabgesetzt unter Zugrundelegung von Leistungsgruppe A gezahlt. Mit Schreiben vom 19.08.2003 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass dieser nach ihren Erkenntnissen in der Zeit vom 01.01. bis 02.07.2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 1359,69 Euro zu Unrecht bezogen habe. Obwohl er bereits ab dem 01.01.2003 Steuerklasse 1 gehabt habe, habe er dies erst bei seinem Fortzahlungsantrag im Juli 2003 mitgeteilt. Die Beklagte setzte dem Kläger eine Frist zur Stellungnahme bis zum 12.09.2003. In der Verwaltungsakte befindet sich weder ein Abvermerk noch ein Nachweis des Zugangs des Anhörungsschreibens. Der Kläger äußerte sich zu diesem Schreiben in der Folgezeit nicht.

Mit Bescheid vom 12.08.2004 hob die Beklagte die Leistungsbewilligung für die Zeit vom 01.01.2003 bis 02.07.2003 teilweise in Höhe von wöchentlich 52,01 Euro auf. Dem Kläger sei Arbeitslosenhilfe unter Zugrundelegung der Steuerklasse 3 gezahlt worden, obwohl bereits ab dem 01.01.2003 die Steuerklasse 1 auf seiner Lohnsteuerkarte eingetragen gewesen sei. Der Kläger habe seine Verpflichtung, alle Änderungen in seinen Verhältnissen mitzuteilen, zumindest grob fahrlässig verletzt. Die Beklagte machte einen Erstattungsbetrag in Höhe von 1359,69 Euro geltend.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 13.09.04 Widerspruch ein und trug im Wesentlichen vor, dass er die Beklagte unverzüglich über die Änderung seiner persönlichen Verhältnisse informiert habe. Außerdem habe er die erhaltenen Zahlungen bereits verbraucht.

Mit Bescheid vom 15.11.2005 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Dem Kläger sei aus dem Merkblatt für Arbeitslose bekannt gewesen, dass er die Agentur für Arbeit sofort benachrichtigen müsse, wenn sich die Lohnsteuerklasse ändere. Das Merkblatt für Arbeitslose informiere ausführlich über die Bedeutung der Lohnsteuerklasse.

Hiergegen hat der Kläger am 15.12.2005 Klage beim Sozialgericht Dortmund erhoben. Zur Begründung hat er sich auf schutzwürdiges Vertrauen nach § 45 SGB X berufen. Er habe die Leistungen gutgläubig verbraucht. Er habe der Beklagten außerdem bereits im August 2002 mitgeteilt, dass er ab diesem Monat getrennt lebe. Er wisse nicht, ob er auch die Steuerklassenänderung mitgeteilt habe. Er sei aber davon ausgegangen, dass die Beklagte die notwendigerweise durch die Trennung vorzunehmende Steuerklassenänderung von sich aus berücksichtigten werde. Außerdem sei ihm das Anhörungsschreiben nicht zugegangen. Die Beklagte habe zudem die Jahresfrist für den Rückforderungsbescheid nicht eingehalten.

Mit Urteil vom 16.10.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Voraussetzungen für eine Aufhebung mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X lägen vor, weil der Kläger einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grobfahrlässig nicht nachgekommen sei. Er könne sich nicht darauf berufen, dass er die Beklagte schon 2002 über die Trennung informiert habe, weil maßgeblich nicht der Umstand der Trennung sei, die schließlich auch hätte wieder entfallen sein können, sondern die Änderung der Steuerklasse. Es sei für jeden Versicherten eine klar erkennbare und naheliegende Verpflichtung, die Änderung der Steuerklasse mitzuteilen. Die unterbliebene Anhörung sei nach § 41 SGB X durch das Widerspruchsverfahren geheilt. Auch eine Verletzung der Jahresfrist nach § 48 Abs. 4 i.V.m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X liege nicht vor, weil diese Frist erst zu laufen beginne, wenn die Behörde Kenntnis von allen für die Rücknahmeentscheidung maßgeblichen Tatsachen erhalten habe. Hierzu gehöre auch, dass die Beklagte sich ein Bild davon machen könne, ob der Betroffene zumindest grobfahrlässig seiner Verpflichtung, Änderungen mitzuteilen, nicht nachgekommen sei. Um diese Tatsachen zu ermitteln, habe die Beklagte zu Recht das Mittel der Anhörung gewählt. Da keine Stellungnahme des Klägers erfolgt sei, habe die Jahresfrist erst mit dem Ablauf der mit dem Anhörungsschreiben gesetzten Stellungnahmefrist geendet. Für die Einhaltung der Jahresfrist sei es unerheblich, dass hier davon auszugehen sei, dass den Kläger das Anhörungsschreiben nicht erreicht habe. Vielmehr sei für die Einhaltung der Jahresfrist auf die Sicht der Beklagten abzustellen.

Zur Begründung der gegen das am 28.10.2006 zugestellte Urteil am 28.11.2006 erhobenen Berufung trägt der Kläger ergänzend noch vor, er sei auch deswegen davon ausgegangen, dass die Änderungen bereits bei der Beklagten bekannt gewesen seien, weil er am 18.01.2003 einen Änderungsbescheid erhalten habe, in dem fast alle Bemessungsgrundlagen geändert worden seien. Es sei in diesem Bescheid jetzt bei ihm nur noch ein Kind berücksichtigt worden, wie dies auch seiner Lebenssituation entsprochen habe. Er habe deswegen davon ausgehen dürfen, dass die Änderung der Steuerklasse zu diesem Bescheid geführt habe. Zudem sei auch die Jahresfrist des § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X verstrichen. Das LSG Rheinland-Pfalz habe entschieden (Urt. v. 03.03.2006, Az. L 1 AL 197/05), dass die Jahresfrist bereits vor der Anhörung beginne, wenn die Behörde mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel sichere Kenntnis über die Bösgläubigkeit des Betroffenen habe. Hier habe die Beklagte Kenntnis der maßgeblichen Tatsachen bereits seit der Mitteilung der geänderten Steuerklasse im Juli 2003 gehabt.

Der Kläger und Berufungskläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 16.10.2006 zu ändern und den Bescheid vom 12.08.2004 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.11.2005 aufzuheben.

Die Beklagte und Berufungsbeklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass sich der Kläger nicht auf den Ablauf der Jahresfrist berufen könne, weil sich aus der Kenntnis vom Steuerklassenwechsel nicht zwingend ergeben habe, dass die Voraussetzungen einer Aufhebung oder Rücknahme vorgelegen hätten. Vielmehr habe sie dem Kläger Gelegenheit geben müssen, sich zur Sache zu äußern.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach - und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch die angefochtenen Bescheide nicht in seinen Rechten nach § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) beschwert. Die Bescheide sind rechtmäßig. Die Beklagte war berechtigt, die Bewilligung der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 02.07.2003 teilweise aufzuheben und die Erstattung der überzahlten Beträge zu verlangen.

Rechtsgrundlage für die Aufhebung der den Zeitraum vom 01.01.2003 bis 02.07.2003 regelnden Bewilligungsbescheide ist § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X i. V. m. § 330 Abs. 3 SGB III. Nach § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben eine wesentliche Änderung eintritt, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, wenn der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X).

§ 48 SGB X ist sowohl Rechtsgrundlage für die Aufhebung des Bewilligungsbescheides aus dem September 2002 als auch für die Aufhebung des Änderungsbescheides vom 18.01.2003, mit dem für die Zeit vom 01.01.2003 bis zum 02.07.2003 eine Anpassung des Leistungssatzes durch die Entgeltverordnung 2003 vorgenommen wurde. Zwar kommt in Abgrenzung zu § 48 SGB X nur eine Rücknahme nach § 45 SGB X in Betracht, wenn der durch den Verwaltungsakt eingeräumte Leistungsanspruch nicht besteht, weil der Verwaltungsakt von Anfang an einen mit der Rechtslage nicht in Übereinstimmung stehenden Verfügungssatz enthält. Jedoch ist angesichts des eingeschränkten Regelungsgehaltes von Anpassungs- bzw. Änderungsbescheiden, die die Leistung lediglich auf Grund einer neuen Leistungsverordnung festsetzen bzw. dynamisieren, im Rahmen der Beurteilung, ob nachträglich eine Änderung der Verhältnisse im Sinne von § 48 Abs. 1 SGB X eingetreten ist oder ein Fall anfänglicher Rechtswidrigkeit der Bewilligung vorliegt, nicht auf den Zeitpunkt des Ergehens der Anpassungs- oder Änderungsbescheide abzustellen. Vielmehr ist hier der Zeitpunkt des Erlasses des jeweiligen Ausgangsbescheides maßgeblich (BSG, Urt. v. 15.08.2002, Az. B 7 AL 38/01 R). Dies ist aber der Weiterbewilligungsbescheid mit dem die Arbeitslosenhilfe für die Zeit ab dem 16.09.2002 erstmals bewilligt wurde.

Bei diesem Bescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung. Eine wesentliche Änderung zum Zeitpunkt der Verhältnisse im September 2002 liegt darin, dass der Kläger auf Grund der am 22.09.2002 ausgestellten Lohnsteuerkarte ab dem 01.01.2003 der Lohnsteuerklasse 1 zugeordnet war. Gemäß § 195 und § 137 Abs. 1 bis 3 SGB III jeweils in der bis zum 31.12.2004 geltenden Fassung richtet sich die Höhe der Arbeitslosenhilfe u. a. nach der Leistungsgruppe, der der Arbeitslose zuzuordnen ist. Diese Zuordnung richtet sich nach der Lohnsteuerklasse, die zu Beginn des Jahres in dem der Anspruch entstanden ist, auf der Lohnsteuerkarte des Arbeitslosen eingetragen war. Gemäß § 137 Abs. 2 Nr. 1 SGB III war daher für die Höhe der Arbeitslosenhilfe des Klägers ab dem 01.01.2003 anstatt der sich aus der Lohnsteuerklasse 3 ergebenden Leistungsgruppe C die sich aus der Lohnsteuerklasse 1 ergebende Leistungsgruppe A maßgebend.

Der Kläger hat die Beklagte von der Änderung der Lohnsteuerklasse erst am 03.07.2003 in Kenntnis gesetzt. Er ist dadurch einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen.

Die Pflicht zur Mitteilung der Änderung der Lohnsteuerklasse ergibt sich schon aus der allgemeinen Mitwirkungsverpflichtung nach § 60 SGB I. Danach hat derjenige, der Sozialleistungen erhält, alle Tatsachen anzugeben, die für die Leistung erheblich sind. Insbesondere hat er Änderungen in den Verhältnissen, die für die Leistung erheblich sind, unverzüglich mitzuteilen (§ 60 Abs. 1 Nr. 2 SGB I). Ein solch maßgebliches Ereignis ist die Änderung der Lohnsteuerklasse, weil sie Auswirkungen auf die Höhe der Arbeitslosenhilfe hat und in ihren Auswirkungen auf die Höhe der Leistung zumindest einer Prüfung durch die Beklagte zugänglich gemacht werden muss (vgl. zum "Pflichtwidrigkeitszusammenhang" BSG, Urteil vom 09.02.2006, B 7a AL 58/05 R = SGB 2006, 307). Darüber hinaus ist diese Obliegenheit von der Beklagten auch dadurch konkretisiert worden, dass sie dem Kläger das Merkblatt für Arbeitslose ausgehändigt hat, dessen Erhalt und Kenntnis dieser in seinem Antrag mit seiner Unterschrift am 18.09.2002 bestätigt hat. Aus diesem Merkblatt geht die Verpflichtung des Leistungsbeziehers, Änderungen der Steuerklasse unverzüglich mitzuteilen, eindeutig hervor. Ein entsprechender Hinweis findet sich an verschiedenen Stellen des Merkblattes, so u. a. im Kapitel "Das wichtigste vorab" sowie im Kapitel "Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten". Dort wird auch ausdrücklich gesondert nach Änderungen des Familienstandes, etwa einer dauernden Trennung vom Ehegatten (unter Nr. 10) und Änderungen der Steuerklasse (unter Nr. 11) gefragt. Die Bedeutung der Lohnsteuerklasse für die Höhe der Arbeitslosenhilfe wird darüber hinaus in einem gesonderten Abschnitt des Kapitels "Die Höhe der Leistung" erläutert.

Der Kläger hat in Bezug auf die unterlassene Mitteilung des Lohnsteuerklassenwechsels auch grob fahrlässig gehandelt. Grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat (§ 45 Abs 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X). Dabei ist ein subjektiver Sorgfaltsmaßstab anzulegen (std. Rspr., vgl. BSG, Urt. v. 24.04.1997, Az. 11 RAr 89/96, Rn. 21; zuletzt wohl Urteil vom 28.08.2007, B7/7a AL 10/06 R = info also 2008, 29f.). Die Nichtbeachtung eines nachweislich ausgehändigten und zur Kenntnis genommenen Merkblattes zu einem konkreten Leistungstatbestand begründet im Allgemeinen grobe Fahrlässigkeit, wenn dieses so abgefasst war, dass der Begünstigte seinen Inhalt unter Berücksichtigung der Verhältnisse im Einzelfall ohne weiteres erkennen konnte (BSG, Urt. v. 24.04.1997, Az. 11 RAr 89/96, Rn. 23).

Dies ist vorliegend der Fall. Das dem Kläger ausgehändigten Merkblatt für Arbeitslose ist, wie dargelegt, so abgefasst, dass die Verpflichtung des Leistungsbeziehers, Änderungen der Steuerklasse unverzüglich mitzuteilen, ohne weiteres erkennbar ist. Soweit der Kläger meint, er habe trotz der ihm bekannten Hinweise im Merkblatt davon ausgehen dürfen, dass er die geänderte Steuerklasse nicht habe mitteilen müssen, weil er die Beklagte ja über die Trennung informiert habe, ändert dies am Vorwurf der groben Fahrlässigkeit nichts. Denn im Merkblatt wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass sowohl Änderungen der Steuerklasse, als auch Änderungen der Familiensitutation anzugeben sind. Es ist aus dem Merkblatt klar ersichtlich, dass es sich hierbei um zwei voneinander abzugrenzende Komplexe handelt. Im Kapitel "Mitwirkungs- und Mitteilungspflichten" des Merkblattes wird ausdrücklich gesondert nach Änderungen des Familienstandes, etwa dauernde Trennung vom Ehegatten, einerseits (unter Nr. 10) und Änderungen der Steuerklasse (unter Nr. 11) andererseits gefragt. Auch im Kapitel "Das wichtigste vorab" wird bereits ausdrücklich auf die Bedeutung eines Lohnsteuerklassenwechsels hingewiesen. Entsprechend bezieht sich auch die Frage im Fortzahlungsantrag gerade nicht auf eine Änderung der Familiensituation, sondern auf eine Änderung der Steuerklasse.

Die Beklagte hat überdies zu Recht darauf hingewiesen, dass es ihr weder möglich noch zumutbar ist, jeweils die familiären Entwicklungen der Leistungsbezieher zu verfolgen. Auch im Falle des Klägers waren dessen familiäre Verhältnisse zum Zeitpunkt der Leistungsbewilligung Mitte September 2002 für die Beklagte nicht abschließend zu überblicken. So hatte der Kläger etwa noch am 08.08.2002 gegenüber der Beklagten erklärt, er lebe nicht von seiner Familie getrennt, obwohl diese bereits im März 2002 eine eigene Wohnung angemietet und diese nach Aktenlage spätestens im Mai 2002 auch bezogen hatte. Auch wenn der Kläger dann Anfang September mitgeteilt hatte, ab Mitte August sei eine Trennung erfolgt, konnte und musste die Beklagte hieraus keinesfalls den Schluss ziehen, dass es sich um eine endgültige Trennung handelte. Erst recht musste sie nicht davon ausgehen, dass diese Trennung ab dem 01.01.2003 automatisch zu einem Wechsel der Lohnsteuerklasse führen würde. Es oblag daher dem Kläger, entsprechend seiner ihm aus dem Merkblatt bekannten Verpflichtungen mitzuteilen, ob sich seine Lohnsteuerklasse geändert hatte.

Am Vorliegen grober Fahrlässigkeit ändert auch das Vorbringen des Klägers nichts, er habe auf Grund des Bescheides vom 18.01.2003 davon ausgehen dürfen, dass die Änderung seiner Lebensumstände zu diesem Bescheid geführt habe und zumindest deswegen von einer Mitteilung an die Beklagte absehen dürfen. Denn in dem Bescheid sei nur noch ein Kind berücksichtigt worden, wie dies auch der geänderten Lebenssituation entsprochen habe. Aus dem Bescheid vom 18.01.2003 ergibt sich aber gerade keine Änderung hinsichtlich der Berücksichtigung von Kindern. Es fand sich dort lediglich der Hinweis, dass "ein Kind im Sinne von § 32 Abs. 1, 3 bis 5 EStG berücksichtigt" werde. Dieser Hinweis erfolgt jedoch gemäß § 129 Nr. 1 SGB III unabhängig von der Anzahl der berücksichtigten Kinder, was der Kläger aus einem Vergleich mit den vorherigen Bescheiden hätte erkennen können. Ebenso hätte er leicht feststellen können, dass eine Änderung hinsichtlich der Lohnsteuerklasse nicht erfolgt war. Es verblieb nämlich weiter bei der Leistungsgruppe C. Die fehlende Anpassung der Leistungen an die geänderte Lohnsteuerklasse konnte der Kläger darüber hinaus auch noch dem Umstand entnehmen, dass der Zahlbetrag im Wesentlichen unverändert geblieben war. Die Differenz zum vorhergehenden Bescheid betrug nur 2,59 Euro wöchentlich. Darüber hinaus dürfte ein Zusammenhang zwischen der nicht vorgenommenen Mitteilung und dem Bescheid vom 18.01.2003 aber auch schon deswegen ausscheiden, weil die Lohnsteuerkarte vom 22.09.2002 datiert und dem Kläger damit schon vor dem 18.01.2003 vorgelegen haben dürfte.

Es sind auch keine weiteren in der Person des Klägers liegenden Umstände ersichtlich, die es ihm unter Berücksichtigung seiner persönlichen Urteils- und Einsichtsfähigkeit unmöglich gemacht hätten, die ihm obliegenden Mitteilungspflichten zu erkennen und wahrzunehmen. Es liegt daher grobe Fahrlässigkeit vor.

Eine Ermessensausübung der Beklagten war nicht erforderlich, da nach § 330 Abs. 3 SGB III ein Verwaltungsakt stets mit Wirkung vom Zeitpunkt der Veränderung der Verhältnisse aufzuheben ist, wenn die in § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X genannten Voraussetzungen für die Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorliegen. Die Bewilligung war daher ab dem 01.01.2003 aufzuheben.

Dem steht auch nicht entgegen, dass die Beklagte den Kläger vor Erlass des Aufhebungs- und Erstattungsbescheides nicht ordnungsgemäß nach § 24 SGB X angehört hat bzw. die Durchführung des Anhörungsverfahrens von der Beklagten nicht nachzuweisen ist. Dieser Mangel ist im Widerspruchsverfahren nachgeholt worden und damit unbeachtlich (§ 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X).

Die Beklagte hat bei der Aufhebung des Bewilligungsbescheides auch die Jahresfrist aus § 48 Abs. 4 Satz 1 i. V. m. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X eingehalten. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X kann ein Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit nur innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der Tatsachen, welche die Rücknahme bzw. die Aufhebung rechtfertigen, zurückgenommen bzw. aufgehoben werden.

Stellte man hinsichtlich der erforderlichen Kenntnis der Tatsachen, wie dies der Kläger tut, allein auf die Mitteilung des Steuerklassenwechsels am 03.07.2003 ab, wäre die Einjahresfrist bei Erlass des Aufhebungsbescheides bereits abgelaufen, da dieser Bescheid vom 12.08.2004 datiert.

Das Sozialgericht hat allerdings bei der Feststellung, wann bei der Beklagten Kenntnis der für die Rücknahme maßgeblichen Tatsachen vorgelegen hat, zu Recht nicht auf die Mitteilung der höheren Steuerklasse an die Beklagte abgestellt, sondern auf den Ablauf der von der Beklagten gesetzten Anhörungsfrist.

Bei einer Aufhebungs- oder Rücknahmeentscheidung, die sich auf den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit bzw. der Kenntnis der Rechtswidrigkeit stützt, beginnt die Jahresfrist nämlich erst dann zu laufen, wenn die Beklagte Kenntnis davon hatte, dass der Kläger die (teilweise) Rechtswidrigkeit der Leistungsbewilligung kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte (vgl. BSG v. 27.07.2000, Az. B 7 AL 88/99 R). Maßgeblich ist damit der Zeitpunkt, zu dem die Behörde aufgrund des ermittelten Sachverhalts Kenntnis von der Bösgläubigkeit des Klägers hatte. Die Frage, wann dies der Fall ist, ist weder ausschließlich anhand der subjektiven Einschätzung der Behörde, noch anhand objektiver Kriterien zu beantworten. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes, dass die zeitliche Begrenzung der Rücknahmebefugnis für die Vergangenheit der Rechtssicherheit dient, ist vielmehr die den Beginn der Jahresfrist bestimmende Kenntnis dann anzunehmen, wenn mangels vernünftiger, objektiv gerechtfertigter Zweifel eine hinreichend sichere Informationsgrundlage bezüglich sämtlicher für die Rücknahmeentscheidung notwendiger Tatsachen besteht (BSG a.a.O.; Schütze in von Wulffen, SGB X, 6. Auflage 2008, § 45 Rn. 23). Hierbei ist hinsichtlich der erforderlichen Gewissheit über Art und Umfang der entscheidungserheblichen Tatsachen in erster Linie auf den Standpunkt der Behörde abzustellen, es sei denn, deren sichere Kenntnis liegt bei objektiver Betrachtung bereits zu einem früheren Zeitpunkt vor (BSG a.a.O, BSG, Urt. v. 08.02.1996, Az. 13 RJ 35/96).

Da grobe Fahrlässigkeit nur dann anzunehmen ist, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt im besonders schweren Maße verletzt hat, genügt es nicht, dass dieser mit der Rechtswidrigkeit rechnen musste (BSG, Urt. v. 27.07.2000, B 7 AL 88/89 R). Zu verlangen ist vielmehr eine Sorgfaltspflichtverletzung in einem besonders hohen Ausmaße, die dann zu bejahen ist, wenn schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt werden, wenn also nicht beachtet wird, was im gegebenen Fall jedem einleuchten musste. Dabei ist jedoch nicht ein objektiver Maßstab anzulegen, sondern auf die persönliche Urteils- und Kritikfähigkeit, das Einsichtsvermögen und Verhalten der Betroffenen sowie die besonderen Umstände des Falles abzustellen. Deswegen darf die Behörde regelmäßig nicht allein auf den Akteninhalt abstellen, sondern muss vielmehr eine Anhörung durchführen, um sich davon zu überzeugen, dass sie bei der Entscheidung keine, nur dem Betroffenen bekannten, Gesichtspunkte unberücksichtigt lässt. Die Jahresfrist des § 45 Abs 4 Satz 2 SGB X beginnt daher regelmäßig erst nach erfolgter Anhörung des Betroffenen (BSG a.a.O.).

Eine Anhörung ist vorliegend nicht erfolgt bzw. lässt sich von der Beklagten nicht nachweisen. Dennoch ist der Fristbeginn zu Grunde zu legen, wie er eingetreten wäre, wenn das Anhörungsverfahren mit dem von der Behörde bei ihrer Entscheidung angenommenen Verlauf abgeschlossen worden wäre. Denn aus der Sicht der Beklagten konnte von ausreichenden Erkenntnissen erst ausgegangen werden, nachdem die dem Kläger gesetzte Anhörungsfrist ungenutzt verstrichen war. Erst zu diesem Zeitpunkt konnte die Beklagte davon ausgehen, dass keine besonderen Umstände des Einzelfalles vorlagen, die ausnahmsweise Zweifel an der groben Fahrlässigkeit des Klägers hätten begründen können.

Anders als der Kläger unter Bezugnahme auf eine Entscheidung des LSG Rheinland-Pfalz (Urt. v. 03.03.2006, Az. L 1 AL 197/05) vorträgt, liegen auch keine besonderen Umstände vor, die es rechtfertigten, bei objektiver Betrachtung eine sichere Kenntnis bereits zu einem früheren Zeitpunkt anzunehmen. In dem vom LSG entschiedenen Fall lagen Vernehmungsmitschriften eines Hauptzollamtes vor in denen der dortige Kläger ausdrücklich eingeräumt hatte, er habe gewusst, dass die Nichtanzeige des gezahlten Lohnes gegenüber der Bundesagentur verboten gewesen sei. Diese Äußerungen ließen nach Einschätzung des Landessozialgerichts den sicheren Schluss auf sämtliche für die Rücknahmeentscheidung wesentlichen Tatsachen, d. h. vor allem auch der Kenntnis des Klägers vom Wegfall der Voraussetzungen der Arbeitslosenhilfe, zu. Vorliegend gab es entsprechend sichere Erkenntnisse aber nicht. Auch der Kläger hat solche Umstände nicht dargelegt. Im Gegenteil trägt er nach wie vor Umstände vor, die nach seiner Auffassung eine grobe Fahrlässigkeit ausschließen.

Da eine sichere Kenntnis damit aus Sicht der Behörde frühestens am ersten Tag nach Ablauf der Anhörungsfrist, d. h. am 13.09.2003, vorlag, war Fristbeginn der 14.09.2003 (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 187 Abs. 1 BGB) und Fristende damit der 13.09.2004 (§ 26 Abs. 1 SGB X i. V. m. § 188 Abs. 2 BGB). An diesem Tag war der Bescheid dem Kläger bekannt, da er an diesem Tag bereits seinen Widerspruch eingelegt hatte. Die Jahresfrist ist damit eingehalten.

Nach § 50 Abs. 1 hat der Kläger die überzahlten Beträge zu erstatten. Anhaltspunkte für eine rechnerische Unrichtigkeit der Bescheide sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG).