LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 14.02.2008 - L 5 KR 25/06
Fundstelle
openJur 2011, 61684
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 17 KR 109/05
Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 19.01.2006 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger begehrt Kostenübernahme für den Wirkstoff Dronabinol zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels, hilfsweise die Kostenübernahme für das Importarzneimittel Marinol. Dronabinol ist Hauptinhaltsstoff von Cannabis sativa, seit 1998 in Deutschland verkehrs- und verschreibungsfähig (Anlage III zu § 1 Abs. 1 Betäubungsmittelgesetz (BtMG)) und kann als Rezeptursubstanz verwendet werden. Das Fertigarzneimittel Marinol kann individuell über eine Apotheke aus dem Ausland beschafft werden.

Der im Jahr 1971 geborene Kläger ist bei der beklagten Ersatzkasse versichert und leidet unter einem Morbus Hirschsprung, einem Zustand nach Dickdarmresektion und Dünndarmteilresektion, chronischen Neuralgien des Nervus podendus, einem chronischen Schmerzsyndrom, einer anhaltenden Somatisierungsstörung, mittelgradigen depressiven Episoden sowie unter einer Morphinunverträglichkeit. Er ist seit Juli 2004 in schmerztherapeutischer Behandlung in der Q-Klinik N bei Prof. Dr. I.

Mit Schreiben vom 15.03.2005 beantragte Prof. Dr. I für den Kläger bei der Beklagten die Übernahme der Kosten für den Wirkstoff Dronabinol. Er teilte mit, dass er das Medikament in einer 2,5 %-igen Lösung verordnen wollI, nachdem mit herkömmlichen Analgetika Schmerzfreiheit nicht zu erzielen sei. Hierdurch erwarte er, dass der Kläger eine akzeptable Lebensqualität erreiche.

Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK). Dr. M vom MDK führte unter dem 08.04.2005 aus, dass das Arzneimittel Marinol in den USA für die Indikationen "Anorexie mit Gleichgewichtsverlust bei AIDS" sowie "Übelkeit und Erbrechen bei Chemotherapien bei Patienten, die nicht auf eine adäquate Therapie mit konventionellen Anti-Emetika ansprechen", zugelassen sei. Der Kläger begehre nicht nur einen Auslandsimport, sondern auch eine Verordnung außerhalb der Zulassung. Die Verordnung könne nicht befürwortet werden, da valide klinische Untersuchungen im Vergleich mit den etablierten Schmerzbehandlungsschemata fehlten.

Nach Übersendung des Gutachtens an den Kläger teilte dieser mit, dass er bereits erfolglos mit verschiedenen Morphinpräparaten und Codein behandelt worden sei. Er bat die Beklagte, erneut in die Prüfung der Verordnungsfähigkeit einzutreten.

In einer Stellungnahme vom 03.05.2005 hielt Dr. M an seiner zuvor geäußerten Beurteilung fest. Die Beklagte lehnte daraufhin die Kostenübernahme ab (Bescheid vom 12.05.2005). Bei dem Präparat Dronabinol (Marinol) handele es sich nicht nur um einen Auslandsimport, sondern auch um eine Verordnung außerhalb der Zulassung.

Auf die Einwände des Klägers hörte die Beklagte den MDK erneut an. Dr. M erläuterte hier die Wirkungsweise der geltend gemachten Arzneimittel und hielt daran fest, dass es hinreichend valide Studien, die geeignet seien, einen Therapieerfolg darzustellen, nicht gebe (Gutachten vom 09.06.2005).

Prof. Dr. I führte hierzu mit Schreiben vom 13.06.2005 aus, die Einnahme von Opiaten sei für den Kläger aufgrund seiner Grunderkrankung nur in begrenzter Menge und Stärke möglich. Der Kläger habe einen neuropathischen opiatpflichtigen Schmerz, die Opiateinnahme sei aber mit nicht tolerierbaren Nebenwirkungen behaftet. Eine Co-Medikation sei bereits verordnet, könne nach medizinischem Standard jedoch nicht mehr ausgeweitet werden. Mit Rezept vom 10.07.2005 verordnete Prof. Dr. I dem Kläger sodann das Fertigarzneimittel Marinol. Dieses Rezept legte der Bevollmächtigte des Klägers der Beklagten durch Schreiben vom 03.08.2005 mit einem erneuten Antrag auf Kostenübernahme vor.

Die Beklagte wertete dieses Schreiben als Widerspruch, den der Widerspruchsausschuss zurückwies. Prof. Dr. I sei nicht zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassen. Bereits deshalb scheide die Übernahme der Kosten für die von diesem Arzt im Rahmen der Schmerztherapie verordneten Medikamente aus. Es handele sich bei der Schmerztherapie mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol um eine sog. neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, zu der sich der Gemeinsame Bundesausschuss bisher nicht geäußert habe. Dies sei jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) Voraussetzung einer Leistungsgewährung. Die Verordnung des Arzneimittels Marinol zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei ausgeschlossen, weil Arzneimittel, die zwar im Ausland, nicht aber in Deutschland arzneimittelrechtlich zugelassen seien und über keine zentrale europaweite Zulassung verfügten, nicht in den Leistungsbereich der gesetzlichen Krankenversicherung fielen. Schließlich sei der MDK in seinen Stellungnahmen zu dem Ergebnis gekommen, dass die medizinischen Voraussetzungen für eine Leistungsgewährung nicht gegeben seien (Widerspruchsbescheid vom 20.09.2005).

Mit der am 10.10.2005 bei dem Sozialgericht eingegangenen Klage hat der Kläger sein Begehren weiter verfolgt. Er hat vorgetragen, dass er finanziell nicht in der Lage sei, die vorgeschlagenen Medikamente aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Eine erfolgreiche Schmerztherapie sei nach den eindeutigen Ausführungen des Prof. I nur mit den geltend gemachten Präparaten möglich. Aufgrund der chronischen Schmerzen bzw. der bei den bereits ausprobierten Arzneimitteln auftretenden Nebenwirkungen sei er in seiner Lebensqualität außerordentlich stark eingeschränkt, so dass er auf die Einnahme von Dronabinol bzw. Marinol angewiesen sei. Prof. Dr. I habe ihm erklärt, dass er über eine kassenärztliche Zulassung bzw. Ermächtigung verfüge. Schließlich bestehe auch unter Zugrundelegung der Ausführungen in einem Arztbrief der Deutschen Klinik für Diagnostik (DKD) in Wiesbaden vom 20.12.2005 eine Morphinunverträglichkeit.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 12.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2005 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, zur Behandlung des Klägers die Kosten für den Wirkstoff Dronabinol zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels, hilfsweise die Kosten für das Importarzneimittel Marinol zu übernehmen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 19.01.2006 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat im Wesentlichen ausgeführt, dass nach der von der Beklagten zitierten Rechtsprechung des BSG die Kosten für den Wirkstoff Dronabinol zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels mangels Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht übernommen werden dürften. Von der erforderlichen Prüfung und Empfehlung könne auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 06.12.2005 (Az.: 1 BvR 347/98) abgesehen werden, da die vom BVerfG genannten besonderen Voraussetzungen bei dem Kläger nicht vorlägen. Es bestehe bei ihm keine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung, für die schulmedizinische Behandlungsmethoden nicht existierten. Zwar möge die Behandlung mit den in Deutschland zugelassenen Arzneimitteln nicht unproblematisch sein, sie sei jedoch nach den Ausführungen des MDK weiterhin möglich. Eine Übernahme der Kosten für das Importarzneimittel Marinol scheide mangels entsprechender Zulassung in Deutschland aus. Dies entspreche der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung. Soweit das BSG in einem Ausnahmefall die Arzneimittelqualität mit Rücksicht auf ausländische Zulassungen als ausreichend angesehen und ausnahmsweise die Leistungspflicht der Krankenkasse festgestellt habe, lägen die Voraussetzungen dieser Entscheidung (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - B 1 KR 27/02 R Visodyne) nicht vor. Denn selbst in den USA sei Marinol für die bei dem Kläger vorliegende Indikation nicht zugelassen. Es sei insoweit auch weder vorgetragen noch ersichtlich, dass hier die Voraussetzungen des sog. "Offlabel-Use" i.S.d. Rechtsprechung des BSG vorlägen. Außerdem sei nicht nachgewiesen, dass keine andere Therapie zur Verfügung stehe und über die Qualität und Wirksamkeit des Arzneimittels in dem neuen Anwendungsgebiet zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen vorlägen, aufgrund derer in einschlägigen Fachkreisen Konsens über einen voraussichtlichen Nutzen im Rahmen der beim Kläger notwendigen Schmerztherapie bestehe.

Gegen das ihm am 01.02.2006 zugestellte Urteil hat der Kläger am 20.02.2006 Berufung erhoben. Er trägt vor, dass er zuletzt Anfang Februar 2006 in der DKD mehrfache Operationen zur Korrektur von Verwachsungen des Darms über sich habe ergehen lassen müssen. Eine Nahrungsaufnahme könne nur unter größten Schwierigkeiten mit Erbrechen sowie erheblichen Schmerzen erfolgen. Er drohe abzumagern und zu verhungern, sofern er seine Schmerzen mit den beantragten Medikamenten nicht mildern könne. Angesichts dessen seien die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use i.S.d. Rechtsprechung des BSG erfüllt, da eine andere Therapie für seine - lebensbedrohende - Erkrankung nicht verfügbar sei.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 16.01.2006 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 12.05.2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.09.2005 zu verurteilen, zur Behandlung des Klägers die Kosten für den Wirkstoff Dronabinol zur Herstellung eines Rezepturarzneimittels, hilfsweise die Kosten für das Importarzneimittel Marinol zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Die Beklagte hat eine Stellungnahme des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 16.08.2006 zur Bewertung von dronabinolhaltiger Arzneimittel nach § 135 Abs. 1 SGB V übersandt. Dort wird ausgeführt, dass nach Recherche im öffentlichen Teil der AMIS-Datenbank des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte eine Zulassung für ein entsprechendes Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Dronabinol nicht bestehe. Es liege bisher kein Antrag auf Überprüfung einer Behandlung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol nach § 135 Abs. 1 SGB V vor. Die Therapie müsse aber in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein. Dem zuständigen Unterausschuss seien keine Studien bekannt, aus denen sich wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen zum Nutzen und Risiko des Einsatzes von Cannabinoiden zur Schmerztherapie bei Tumorpatienten ableiten ließen.

Die DKD hat den Kläger u.a. in der Zeit vom 02.02.2006 bis 22.02.2006 und vom 18.05.2006 bis 23.05.2006 behandelt. Es ist eine Stoma-Neuimplantation aufgrund der bekannten Schmerzproblematik mit konsiliarischen Vorstellungen in der Abteilung für Schmerztherapie erfolgt. Im Rahmen der Behandlungen wurde dem Kläger auch Dronabinol verabreicht.

In einem vom Senat eingeholten Befund- und Behandlungsbericht vom 18.07.2006 hat Prof. Dr. I ausgeführt, er habe den Kläger in der Zeit vom 14.12.2004 bis 08.12.2005 wegen brennender Schmerzen im Bereich des Beckens und der unteren LWS behandelt. Es bestehe ein chronisches Schmerzsyndrom, eine Beckenbodendysfunktion mit myofaszialem Syndrom, eine Darmmortilitätsstörung sowie eine Somatisierung. Es könne nur eine mäßige Linderung der Schmerzen durch Infusionsbehandlungen, paravertebrale Triggerpunktinfiltrationen und eine medikamentöse Dauertherapie erfolgen. Eine Behandlung ohne Dronabinol sei nur sehr eingeschränkt möglich, da die klassischen Schmerzmittel bisher nur wenig hülfen und ein stark wirksames Schmerzmittel vom Morphintyp die Darmmotilität sehr negativ beeinflusse.

Die DKD hat in einem vom Senat veranlassten Befundbericht vom 01.11.2006 unter anderem mitgeteilt, dass es nicht beurteilbar sei, ob eine Behandlungsmöglichkeit ohne Verordnung eines Medikaments mit dem Wirkstoff Dronabinol bestehe.

In einem Befundbericht vom 20.06.2007 hat die praktische Ärztin E ausgeführt, dass bei dem Kläger ein Dauerschmerz im Bereich des Bauchraumes bestehe und er unter heftigen Schmerzattacken insbesondere bei der Miktion leide. Außerdem lägen Speiseunverträglichkeiten, Blähungen und Aufstoßen vor. Nach dem Essen träten starke krampfartige Oberbauchbeschwerden mit starkem Übelkeitsgefühl und Erbrechen ein. Der Kläger befinde sich sicher nicht in einem lebensbedrohlichen Zustand. Er wiege 85 kg bei einer Größe von 1,84 m. Bei seit Jahren bestehenden chronischen Schmerzen, die immer höhere Dosierungen von Analgetika erforderten, sei eine effektive schmerztherapeutische Behandlung dringend notwendig. Es bestehe eine Morphinunverträglichkeit, die sich in krampfartigen Schmerzen im Bauchraum mit Übelkeit, anhaltendem Erbrechen und Kreislaufbeschwerden äußere. Durch die Morphinunverträglichkeit finde eine negative Beeinflussung der Darmperistaltik in Form einer Obstipation statt. Das Stoma fördere dann keinen Stuhl mehr, was mit starken Oberbauchschmerzen und Erbrechen einhergehe.

Prof. Dr. I hat in einem zu den Akten gereichten Attest vom 08.11.2007 ausgeführt, dass der Kläger in den letzten Monaten mit zunehmender Tendenz über Übelkeit sowie Erbrechen geklagt und an Gewicht abgenommen habe. Da die Behandlungsmöglichkeiten der medikamentösen Therapie ausgeschöpft seien, bestehe die einzige Möglichkeit einer adäquaten Therapie mit dem Medikament Dronabinol. Ohne dieses Medikament bestehe aus seiner Sicht die Gefahr, dass sich für den Kläger ein lebensbedrohlicher Zustand entwickeln werde.

Weiterer Einzelheiten wegen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakte der Beklagten.

Gründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht abgewiesen. Der Kläger kann den Wirkstoff Dronabinol weder als Rezepturarzneimittel noch als cannabinoidhaltiges Fertigarzneimittel beanspruchen.

Ein Anspruch auf Versorgung mit dem Rezepturarzneimittel Dronabinol besteht nicht. Dronabinol wird in der Bundesrepublik Deutschland als Rezeptursubstanz hergestellt und an Apotheken geliefert. Die Verordnung ist - wie der Einzelimport nach § 73 Abs. 3 AMG - unter Beachtung der Vorgaben des Betäubungsmittelrechts zulässig. Nach der Rechtsprechung des BSG dürfen die Krankenkassen jedoch ihren Versicherten eine neuartige Therapie mit einem Rezepturarzneimittel, die vom Gemeinsamen Bundesausschusses bisher nicht empfohlen ist, grundsätzlich nicht gewähren, weil sie an das Verbot des § 135 Abs. 1 Satz 1 SGB V und die das Verbot konkretisierenden Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses gebunden sind. Für die neuartige, vom Kläger begehrte Schmerztherapie fehlt es aber an der erforderlichen Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (BSG, Urteil vom 27.03.2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R, Juris).

Ein Ausnahmefall, in dem trotz fehlender Empfehlung eine neuartige Therapie nach gesetzlicher Konzeption beansprucht werden kann, liegt nicht vor. Denn die Voraussetzungen des sog. Systemversagens werden nicht erfüllt. Ungeachtet des in § 135 Abs 1 SGB V aufgestellten Verbots mit Erlaubnisvorbehalt kann eine Leistungspflicht der Krankenkasse ausnahmsweise dann bestehen, wenn die fehlende Anerkennung einer neuen Untersuchungs- oder Behandlungsmethode darauf zurückzuführen ist, dass das Verfahren vor dem Gemeinsamen Bundesausschuss trotz Erfüllung der für eine Überprüfung notwendigen formalen und inhaltlichen Voraussetzungen nicht oder nicht zeitgerecht durchgeführt wurde. In solchen Fällen ist die in § 135 Abs 1 SGB V vorausgesetzte Aktualisierung der Richtlinien rechtswidrig unterblieben. Deshalb muss die Möglichkeit bestehen, das Anwendungsverbot erforderlichenfalls auf andere Weise zu überwinden (BSG, Urteil vom 27.03.2007 - B 1 KR 30/06 R, Juris).

Ein - vom Gesetz vorgesehener - Prüfantrag für das Rezepturarzneimittel Dronabinol oder für andere cannabinoidhaltige Rezepturarzneimittel ist an den Gemeinsamen Bundesausschuss bislang nicht gestellt worden. Anhaltspunkte dafür, dass sich die antragsberechtigten Stellen oder der Gemeinsame Bundesausschuss aus sachfremden oder willkürlichen Erwägungen mit der Materie nicht oder zögerlich befasst haben, hat der Kläger nicht vorgetragen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich. Auch unter Berücksichtigung der von Dr. M in den für den MDK erstatteten Stellungnahmen vom 08.04.2005, 03.05.2005 und vom 09.06.2005 ist davon auszugehen, dass sich der Einsatz cannabinoidhaltiger Arzneimittel zur Schmerztherapie noch im Stadium der Erprobung befindet, da kontrollierte Studien zur Wirksamkeit und Unbedenklichkeit des Arzneimittels noch nicht vorliegen. Fehlt einer solchen Methode aber die allgemeine wissenschaftliche Anerkennung, ist in Würdigung der gesetzlichen Anforderungen an Qualität und Wirksamkeit der Leistungen (§ 2 Abs 1 Satz 3 SGB V) kein Raum für die Annahme, es liege ein Systemversagen vor (vgl. BSG, Urteil vom 26.9.2006 - B 1 KR 3/06 R, Juris - Neuropsychologische Therapie).

Der Kläger hat ferner keinen Anspruch gegen die Beklagte mit dem hilfsweise geltend gemachten Fertigarzneimittel Marinol. Marinol ist als Fertigarzneimittel in Deutschland nicht zugelassen (§ 21 Abs. 1 AMG). Die Zulassung in anderen Ländern betrifft andere Indikationen als die beim Kläger vorliegenden. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 1, § 12 Abs 1 SGB V) nicht von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 1 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung fehlt (BSG, Urteil vom 27.03.2007 - Az.: B 1 KR 30/06 R, m.w.N.). Der isolierte Hauptwirkstoff von Cannabis - Dronabinol - ist zwar u.a. in den USA unter dem Handelsnamen Marinol als Fertigarzneimittel für die Behandlung chemotherapiebedingter Übelkeit sowie zur Therapie der Anorexie von Aidspatienten zugelassen. Weder in Deutschland noch in der EU existiert jedoch für cannabinoidhaltige Fertigarzneimittel wie Marinol eine Zulassung. Die - im Übrigen nicht für die Schmerztherapie - bestehende Arzneimittelzulassung im Ausland entfaltet nicht zugleich auch entsprechende Rechtswirkungen für Deutschland. Weder das deutsche Recht noch das Europarecht sehen eine solche Erweiterung der Rechtswirkungen der nur von nationalen Behörden erteilten Zulassungen ohne ein entsprechendes vom Hersteller eingeleitetes und positiv beschiedenes Antragsverfahren vor. Angesichts dessen scheidet mangels Zulassung von Marinol die zulassungsüberschreitende Anwendung ebenfalls von vornherein aus (BSG, Urteil vom 27.03.2007, a.a.O.).

Eine Verordnungsfähigkeit von Marinol zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung kommt auch nicht unter dem Gesichtspunkt des sog. "Seltenheitsfalls" in Betracht. Maßnahmen zur Behandlung einer Krankheit, die so selten auftritt, dass ihre systematische Erforschung praktisch ausscheidet, sind vom Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung nicht allein deshalb ausgeschlossen weil der Gemeinsame Bundesausschuss dafür keine Empfehlung abgegeben hat oder weil das dabei verwendete Arzneimittel nicht in Deutschland oder EU-weit zugelassen ist und daher im Einzelfall eine Beschaffung aus dem Ausland erforderlich ist (BSG, Urteil vom 19.10.2004 - Az.: B 1 KR 27/02 KR, BSGE 93, 236 ff. - Visudyne).

Aus den vorhandenen medizinischen Unterlagen ergeben sich keine durchgreifenden Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem beim Kläger vorliegenden Schmerzsyndrom um eine seltene Erkrankung handelt. Bereits in dem Bericht des DKD vom 27.08.2002 wurde die Genese des Schmerzsyndroms ausführlich und differenziert beschrieben. In diesem und auch in anderen Berichten wurden Therapiemöglichkeiten aufgezeigt, die sich nicht ausschließlich auf die Verordnung cannabinoidhaltiger Arzneimittel beschränkten. Entgegen der Auffassung des Klägers handelt es sich auch nicht bei der bei ihm vorliegenden Morphinunverträglichkeit um eine einzigartige Erkrankung. Behandlungsalternativen bei Morphinunverträglichkeit werden - allgemein bekannt - seit Längerem diskutiert.

Ein für den Kläger günstiges Ergebnis ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Ausführungen des BVerfG in dem Beschluss vom 06.12.2005 (a.a.O.). Danach besteht die Möglichkeit, unter verfassungskonformer Auslegung derjenigen Regelungen des SGB V, die einem verfassungsrechtlich begründetem Anspruch auf Arzneimittelversorgung entgegenstehen, zu einer Verordnungsfähigkeit zu gelangen. Voraussetzung hierfür ist jedoch unter anderem, dass eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende oder eine zumindest wertungsmäßig damit vergleichbare Erkrankung vorliegt. Dabei ist nicht erforderlich, dass bereits das Stadium einer akuten Lebensgefahr erreicht ist. Eine Krankheit ist vielmehr auch dann als regelmäßig tödlich zu qualifizieren, wenn sie "erst" in einigen Jahren zum Tod des Betroffenen führt (BVerfG, Beschluss vom 06.02.2007 - Az.: 1 BvR 3101/06, Juris). Ausreichend für die Beanspruchung von Leistungen außerhalb des Leistungskatalogs der gesetzlichen Krankenversicherung ist jedoch nicht, dass sich die Gefahr eines tödlichen Krankheitsverlaufs erst in ganz ferner, noch nicht genau absehbarer Zeit zu realisieren droht (BSG, Urteil vom 27.03.2007, a.a.O.).

Durchgreifende Anhaltspunkte dafür, dass die Schmerzerkrankung in absehbarer Zeit für den Kläger einen tödlichen Verlauf nimmt, sind nicht erkennbar. Zwar hat Prof. Dr. I in seinem Bericht vom 09.11.2007 ausgeführt, dass die Gefahr bestehe, dass sich bei dem Kläger ohne das geltend gemachte Arzneimittel ein lebensbedrohender Zustand entwickeln werde. Abgesehen davon, dass er hierfür keine nachvollziehbare Begründung abgegeben hat, ist zu berücksichtigen, dass die den Kläger behandelnde Hausärztin E in ihrem Bericht vom 20.06.2007 noch ausgeführt hat, dass ein körperlich lebensbedrohender Zustand zur Zeit sicher nicht bestehe. Auch unter Einbeziehung der Ausführungen von Prof. Dr. I ist der Senat der Überzeugung, dass sich allenfalls bei einem Hinzutreten weiterer Umstände – z.B. der von Frau E diskutierten Ausdehnung des Krankheitsbildes der Hypogangliose auf die verbleibenden Dünndarmabschnitte - eine Lebensgefahr für den Kläger entwickeln kann. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass trotz der aus dem Schmerzsyndrom resultierenden gravierenden Beeinträchtigungen ein zur Lebenserhaltung erforderlicher Behandlungsbedarf gegenwärtig nicht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).