VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 04.09.2008 - 9 L 895/08
Fundstelle
openJur 2011, 60964
  • Rkr:

Im Rahmen des § 11 Abs. 7 FeV kommt es nur darauf an, dass

die Nichteignung des Betroffenen objektiv feststeht. Der Wortlaut der

Vorschrift ist dementsprechend einschränkend auszulegen.

Tenor

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.

Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.

Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, da die Rechtsverfolgung nicht die erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§166 Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - i.V.m. §§ 114 ff. Zivilprozessordnung - ZPO -), wie sich aus den nachstehenden Erwägungen ergibt.

Der sinngemäß gestellte Antrag,

die aufschiebende Wirkung der Klage 9 K 3954/08 gegen die Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 25. Juni 2008 hinsichtlich der Entziehung der Fahrerlaubnis wiederherzustellen und im Übrigen anzuordnen,

ist nicht begründet.

Die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis ist nicht aus formellen Gründen zu beanstanden. Sie entspricht mit der Begründung, der Antragsteller biete durch den Konsum berauschender Mittel keine Gewähr mehr, den hohen Anforderungen zu genügen, die an Kraftfahrer zu stellen seien, den Voraussetzungen des § 80 Abs. 3 VwGO.

Die im Rahmen des § 80 Abs. 5 VwGO vorzunehmende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer sofortigen Vollziehung der Entziehung der Fahrerlaubnis des Antragstellers mit dessen privatem Interesse an der vorläufigen weiteren Erhaltung seiner Fahrerlaubnis fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Bei dieser Abwägung kommt den Erfolgsaussichten des eingelegten Rechtsbehelfs in der Hauptsache besondere Bedeutung zu.

Die erhobene Klage hat voraussichtlich keinen Erfolg, weil die angefochtene Ordnungsverfügung, mit der dem Antragsteller die Fahrerlaubnis entzogen worden ist, sich nach der im Eilverfahren allein gebotenen summarischen Prüfung nach dem derzeitigen Erkenntnisstand als voraussichtlich rechtmäßig darstellt.

Die Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn der Inhaber einer Fahrerlaubnis sich als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Ungeeignet ist u.a. derjenige, der die notwendigen körperlichen oder geistigen Anforderungen nicht erfüllt (vgl. § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG). Der Antragsgegner ist vorliegend im Ergebnis zu Recht von der Ungeeignetheit des Antragstellers ausgegangen.

Der Antragsgegner hat allerdings offensichtlich angenommen, dass er auf die Nichteignung des Antragstellers nach § 46 Abs. 3 i.V.m. § 11 Abs. 8 Fahrerlaubnis-Verordnung (FeV) schließen durfte, weil dieser das unter dem 7. April 2008 angeforderte medizinischpsychologische Gutachten nicht fristgerecht beigebracht hat. Dies ist jedoch so nicht richtig. Vorliegend hat es weder der bereits früher angeordneten Blutuntersuchung noch eines medizinischpsychologischen Gutachtens bedurft. Vielmehr hätte der Antragsgegner nach § 11 Abs. 7 FeV hier ohne weitere Begutachtung von der Nichteignung des Antragstellers ausgehen können.

Nach § 11 Abs. 7 FeV unterbleibt die Anordnung zur Beibringung eines Gutachtens, wenn die Nichteignung des Betroffenen zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde feststeht. Der Wortlaut der Vorschrift deutet zwar darauf hin, dass es hinsichtlich der Nichteignung eines subjektiven Elements im Sinne eines Überzeugtseins auf Seiten der Behörde bedarf. Hieran dürfte es vorliegend fehlen, da der Beklagte ja gerade eine Begutachtung für erforderlich gehalten hat. Seinem Sinn und Zweck nach stellt § 11 Abs. 7 FeV aber lediglich klar, dass die Begutachtung unterbleibt, wenn die mangelnde Eignung bereits feststeht und ohne Hinzuziehung eines Gutachters über sie entschieden werden kann (BR-Drs. 443/98, S. 254). Danach kommt es also allein darauf an, dass die Nichteignung des Betroffenen objektiv feststeht. Dies ist im Übrigen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zwingend, denn die Anforderung eines objektiv nicht erforderlichen Gutachtens zum Zwecke der Sachverhaltsaufklärung wäre ein unnötiger und damit unverhältnismäßiger Eingriff in die Persönlichkeitsrechte (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG) des Betroffenen. Der Wortlaut des § 11 Abs. 7 FeV steht einer solchen Auslegung nicht entgegen. Er lässt sich entsprechend dem Sinn und Zweck der Vorschrift einschränkend dahingehend interpretieren, dass die Wörter „zur Überzeugung der Fahrerlaubnisbehörde" außer Betracht bleiben.

Vgl. zur einschränkenden Auslegung des Wortlauts einer Vorschrift, wenn er deren Sinn und Zweck überschreitet, BVerfG, Beschluss vom 29. Juli 2007 - 1 BvR 737/00 -.

Vorliegend steht die Nichteignung des Antragstellers in diesem Sinne objektiv fest. Von der Nichteignung des Betroffenen ist nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV insbesondere auszugehen, wenn eine Erkrankung oder ein Mangel nach der Anlage 4 zur FeV vorliegt. Gemäß Nr. 9.2.2 der Anlage 4 zur FeV ist die Eignung oder bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen zu verneinen, wenn der Fahrerlaubnisinhaber gelegentlich Cannabis konsumiert und zwischen dem Konsum von Cannabis und dem Fahren mit einem Kraftfahrzeug nicht trennen kann.

Nach Auswertung des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Antragsgegners ist der Antragsteller danach als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen. Er führte am 17. November 2007 gegen 00.25 Uhr in C. ein Kraftfahrzeug unter dem Einfluss berauschender Mittel. Die Analyse der ihm am selben Tag um 1.00 Uhr entnommenen Blutprobe ergab nach dem toxikologischen Befundbericht des Klinikums C. -Mitte vom 30. November 2007 folgende Befunde:

Tetrahydrocannabinol (THC): 6 ng/ml

11-OH-THC (THC-Metabolit): 3 ng/ml

THC-COOH (THC-Metabolit): 30 ng/ml.

Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob schon die einmalige Einnahme von Cannabis als gelegentlicher Konsum im Sinne der FeV angesehen werden kann,

so zu § 14 Abs. 1 Satz 4 FeV OVG Hamburg, Beschluss vom 23. Juni 2005 - 3 Bs 87/05 -, mit dem Hinweis, dass gelegentliche Einnahme jede sei, die hinter regelmäßiger zurückbleibe,

oder ob dies zumindest die zweimalige Einnahme von Cannabis voraussetzt,

so BayVGH, Beschluss vom 25. Januar 2006 - 11 CS 05.1453 - m.w.N. aus der obergerichtlichen Rechtsprechung.

Denn der Antragsteller hat im Verlauf der Polizeikontrolle am 17. November 2007 gegenüber den kontrollierenden Polizeibeamten ausdrücklich angegeben, regelmäßig Cannabis zu konsumieren (BA Heft 1, Bl. 3). Von daher kann davon ausgegangen werden, dass es sich schon bei dem der Kontrolle vorangehenden Konsum nicht bloß um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat. Im Übrigen hat der Antragsteller bereits vor Erlass der angefochtenen Verfügung und damit vor dem Zeitpunkt des für die Entscheidung in der Hauptsache maßgeblichen Sachstands erneut, nämlich am 1. Mai 2008 unter Cannabiseinfluss ein Kraftfahrzeug geführt. Auf diesen Vorfall hat sich der Antragsgegner in der Antragserwiderung ausdrücklich berufen. Die Analyse der dem Antragsteller an diesem Tag entnommenen Blutprobe ergab nach dem rechtsmedizinischen Gutachten des Prof. Dr. N. , Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinikums C1. , vom 27. Juni 2008 folgende, den o.g. Grenzwert überschreitende Befunde:

Tetrahydrocannabinol (THC): 7,7 ng/ml

11-OH-THC (THC-Metabolit): 4,3 ng/ml

THC-COOH (THC-Metabolit): 63,3 ng/ml.

Damit ist ein gelegentlicher Cannabis-Konsum belegt, bei dem der Antragsteller nicht zwischen dem Konsum von Cannabisprodukten und dem Fahren eines Kraftfahrzeuges getrennt hat. Die nach den vorgenannten Gutachten festgestellten THC-Werte von 6 bzw. 7,7 ng/ml übersteigen den zu § 24 a Abs. 2 StVG durch die Grenzwertkommission festgesetzten Wert von 1 ng/ml und rechtfertigen die Annahme einer Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit. Das Erreichen dieses Grenzwerts ist für die Annahme relevanten Cannabiseinflusses erforderlich, aber auch ausreichend.

Vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 21. Dezember 2004 - 1 BvR 2652/03 -, dem sich die Kammer in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des OVG NRW angeschlossen hat.

Darüber hinaus hat der Antragsteller am 1. Mai 2008 gegenüber den kontrollierenden Polizeibeamten sogar angegeben, (zuletzt) „vor Monaten" auch Kokain konsumiert zu haben, was nach Nr. 9.1 der Anlage 4 zur FeV auch unabhängig von einer Teilnahme am Kraftfahrzeugverkehr ebenfalls zum Wegfall seiner Kraftfahreignung führt.

Der Antragsteller hat auch keine atypischen Umstände dargelegt, die nach Nr. 3 der Vorbemerkung zur Anlage 4 der Fahrerlaubnisverordnung eine vom Regelfall abweichende Bewertung der Fahreignung zuließen. Eine Kompensation durch besondere menschliche Veranlagung, Gewöhnung, besondere Einstellung oder durch besondere Verhaltenssteuerungen und - umstellungen ist nicht ansatzweise dargetan, geschweige denn nachgewiesen.

Danach lagen beim Antragsteller die Voraussetzungen zum Führen eines Kraftfahrzeugs nicht vor. Diese können nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn eine Änderung des Konsumverhaltens nachgewiesen wird. Nach Nr. 3.12.1 der Begutachtungsleitlinien zur Kraftfahreignung des Gemeinsamen Beirats für Verkehrsmedizin beim Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen und beim Bundesministerium für Gesundheit (Stand: Februar 2000) können die Voraussetzungen zum Führen von Kraftfahrzeugen nur dann wieder als gegeben angesehen werden, wenn der Nachweis geführt wird, dass kein Konsum mehr besteht. Dieser Nachweis erfolgt in der Regel durch die Vorlage von mindestens vier, über den Zeitraum von einem Jahr in unregelmäßigen Abständen durchgeführten Laboruntersuchungen.

Schließlich rechtfertigen auch die Angaben des Antragstellers keine ihm günstige Entscheidung im Rahmen einer Interessenabwägung. In Verfahren der vorliegenden Art ist in erster Linie das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Straßenverkehr betroffen. Dies umfasst insbesondere den Schutz der wichtigen Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit der Straßenverkehrsteilnehmer vor unkalkulierbaren Risiken, die von Kraftfahrern ausgehen, die zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet sind. Das private Interesse des Antragstellers an dem vorläufigen Erhalt seiner Fahrerlaubnis muss demnach gegenüber dem Interesse der Allgemeinheit an einer sicheren Teilnahme am Straßenverkehr zurücktreten. Insoweit vermag auch der Verweis des Antragstellers darauf, dass ihm der Verlust seines Arbeitsplatzes drohe, keine andere Entscheidung zu rechtfertigen.

Die in dem angefochtenen Bescheid enthaltene Zwangsgeldandrohung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 53 Abs. 3 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG. Dabei setzt die Kammer in Rechtsstreitigkeiten, in denen es um die Entziehung einer Fahrerlaubnis der Klasse B geht, in Hauptsacheverfahren den Auffangwert und in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes die Hälfte dieses Betrags an.