OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 03.06.2008 - 9 A 2762/06
Fundstelle
openJur 2011, 60889
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 13 K 3671/05
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 763,60 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg. Der Kläger hat keinen Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt.

1. Die Zulassungsbegründung weckt keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

Das Verwaltungsgericht hat angenommen, dass die Bescheide, durch die zuvor die bereits vom Kläger erhobenen Straßenreinigungsgebühren für die Jahre 2001 bis 2003 auf Null festgesetzt worden seien, einer erneuten Heranziehung nach rückwirkender Korrektur des Satzungsrechts nicht entgegen stünden. Eines Widerrufs der Bescheide habe es nicht bedurft, weil sie nicht die Regelung enthalten hätten, dass endgültig für die Jahre 2001 bis 2003 keine Straßenreinigungsgebühren mehr verlangt werden könnten.

Der zentrale Einwand des Klägers, die Gebührenfestsetzungen „auf Null" seien bestandskräftige begünstigende Verwaltungsakte, die nur auf der Grundlage des § 12 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3b KAG NRW i.V.m. § 131 Abs. 2 AO widerrufen werden könnten, greift nicht durch. Denn die konkreten Festsetzungen „auf Null" dienten unstreitig und insbesondere auch nach dem Vorbringen des Klägers lediglich dazu, die Konsequenzen daraus zu ziehen, dass seinerzeit keine Rechtsgrundlage für die Heranziehung des Klägers zu Straßenreinigungsgebühren bestand, also die als rechtswidrig erkannten Erstbescheide aufzuheben. Dies wird ganz klar zum Ausdruck gebracht durch den Zusatz: auf dem Bescheid vom 16. April 2003: „Absetzung aufgrund des VG-Vergleiches vom 28.03.2003". Es gilt wegen dieses vorangegangenen Bescheids und mit Blick auf den ergangenen gerichtlichen Hinweis aber letztlich in gleicher Weise für den Bescheid vom 27. August 2003, der nur den Hinweis enthält, mit ihm erledigten sich die Widersprüche des Klägers vom 8. Januar 2002 und vom 15. Januar 2003. Lediglich aus buchungstechnischen Gründen wurden die bereits festgesetzten Gebührenforderungen „abgesetzt" bzw. den Widersprüchen des Klägers abgeholfen. Rechtlich entspricht dies der Aufhebung der zuvor erfolgten Festsetzungen. Zutreffend hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass sich in Anbetracht dieser Sachlage den Aufhebungsbescheiden bei verständiger Würdigung keine Absicht entnehmen lässt, die Straßenreinigungsgebühren sollten für die Jahre 2001 bis 2003 endgültig auf Null festgesetzt werden. Insbesondere ist den Bescheiden nicht ansatzweise zu entnehmen, der Beklagte habe über die seinerzeit aktuell gebotene schlichte Aufhebung der Festsetzung hinaus eine endgültige Regelung schaffen und damit die Möglichkeit aus der Hand geben wollen, nach rückwirkendem Inkrafttreten wirksamen Satzungsrechts die Gebührenerhebung nachzuholen.

Nach gefestigter verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung unterfällt eine Nacherhebung von Gebühren grundsätzlich nicht den für die Rücknahme oder den Widerruf begünstigender Verwaltungsakte bestehenden Einschränkungen. Denn nicht jeder im Zusammenhang mit dem Erlass eines Verwaltungsakts tatsächlich oder vermeintlich eintretende Vorteil begründet oder bestätigt „ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil" im Sinne von § 130 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3b) KAG NRW bzw. eine Begünstigung im Sinne von § 131 Abs. 2 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3b) KAG NRW. Grundsätzlich gilt, dass mit einer zu niedrigen Veranlagung nicht der erklärte Wille einhergeht, höhere Abgaben nicht mehr verlangen zu wollen. Ein solcher Wille kann allerdings im einzelnen Falle ausdrücklich oder schlüssig erklärt werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Februar 1982 - 2 A 1503/81 -, KStZ 1983, 172 f., m.w.N., Beschluss vom 22. November 1995 - 9 B 2023/94 -; zur Nacherhebung kommunaler Steuern: OVG NRW, Urteil vom 1. Oktober 1990 - 22 A 1393/90 -, NVwZ-RR 1992, 94, 99.

Dasselbe gilt für den hier vorliegenden Fall, in dem eine ursprüngliche Gebührenfestsetzung aufgehoben wird, weil eine wirksame Satzungsgrundlage nicht besteht. Auch der Regelungsinhalt eines derartigen Aufhebungsbescheids beschränkt sich wegen der vergleichbaren Interessenlage grundsätzlich auf die Beseitigung der früheren Festsetzung. Ein solcher Bescheid gewährt darüber hinaus regelmäßig keine Begünstigung des Inhalts, eine Gebühr solle dauerhaft nicht mehr geltend gemacht werden. Gerade wenn, wie im vorliegenden Fall, eine rückwirkende Korrektur des Satzungsrechts in Betracht kommt, soll der Regelungsinhalt eines Aufhebungsbescheids im Grundsatz nicht so weit reichen, dass er eine spätere Heranziehung des Gebührenpflichtigen zu den dann satzungsgemäßen Forderungen ausschließt.

Soweit in der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung darüber hinaus angenommen worden ist, bereits aus der Tatsache des Erlasses der ursprünglichen Abgabenbescheide, die durch ihre Aufhebung nicht ungeschehen gemacht werde, könne sich ein Vertrauensschutz ergeben, der zumindest der Erhebung einer höheren Gebühr entgegen stehe, muss dem in diesem Zusammenhang nicht weiter nachgegangen werden. Denn der Kläger kann sich schon deshalb nicht auf Vertrauensschutz berufen, weil er selbst die ursprünglichen Bescheide mit Rechtsmitteln angegriffen hat.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1983 - 8 C 170.81 -, BVerwG 67, 129, 133 f., unter Bezugnahme auf BVerwG, Urteil vom 12. Juli 1968 - VII C 48.66 -, BVerwGE 30, 132, 133 f., und Schröcker, NJW 1968, 2035, 2037.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ergeben sich auch dann nicht, wenn man der vom BFH angeführten hiervon abweichenden Auffassung im überwiegenden steuerrechtlichen Schrifttum folgte, ein Geldleistungsbescheid enthalte grundsätzlich eine Regelung, dass nicht mehr als festgesetzt gefordert werden solle, so dass eine Nachforderung für sich aus dem gleichen Lebenssachverhalt ergebende Steuerschulden nur im Wege der Aufhebung des ersten Bescheids durch Rücknahme, Teilrücknahme oder Widerruf und Erlass eines neuen Bescheids zulässig sei.

Vgl. Nachweise zum Streitstand bei BFH, Urteil vom 25. Mai 2004 - VII R 29/02 -, BStBl. II, 2005, 3, 4 f.

Selbst nach dieser Auffassung ergäbe sich im vorliegenden Fall kein Hindernis für die nachträgliche Veranlagung des Klägers zu den streitigen Straßenreinigungsgebühren. Denn hier sind die ersten Gebührenfestsetzungsbescheide aufgehoben worden und stehen der Neufestsetzung auch nach dieser Rechtsauffassung nicht mehr entgegen.

Dass die Aufhebungen der ursprünglichen Gebührenbescheide ihrerseits einer Neufestsetzung entgegenstehen könnten, lässt sich selbst dieser Rechtsauffassung nicht entnehmen. Wie bereits oben angeführt, handelt es sich im konkreten Fall lediglich um Bescheide, die frühere Geldleistungsbescheide aufheben, nicht aber selbst um Geldleistungsbescheide, auf die die angeführte steuerrechtliche Sichtweise nur bezogen ist. Den rechtlichen Bestand dieser Abhilfeverfügungen lässt der streitgegenständliche Gebührenbescheid im Übrigen unberührt; er führt insbesondere nicht zum Wiederaufleben der ursprünglichen Gebührenfestsetzungen. Auch unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der §§ 130 Abs. 2, 131 Abs. 2 AO besteht keine Veranlassung, die danach an sich nicht einschlägige Vorschriften aus Vertrauensschutzgesichtspunkten gleichwohl anzuwenden. Allerdings entspricht es der ständigen Rechtsprechung des BFH, dass Abhilfebescheide, die nach erneuter Prüfung der Sache im Einspruchsverfahren ergangen sind und deshalb wegen des durch sie begründeten Vertrauens des Steuerpflichtigen einer erhöhten Bestandsgarantie unterliegen, bei unverändertem Sachverhalt in der Regel nicht lediglich aufgrund geänderter Rechtsauffassung der Verwaltung abgeändert werden können.

Vgl. BFH, Urteil vom 22. Januar 1985 - VII R 112/81 -, BStBl. II 1985, 562, 564.

Selbst diese erweiternde Auslegung steht der Veranlagung des Klägers nicht entgegen. Denn hiernach sind Abhilfeentscheidungen nur unter Vertrauensschutzgesichtspunkten insbesondere bei unverändertem Sachverhalt gegenüber einer nachträglich geänderten Rechtsauffassung der Verwaltung geschützt. Eine vergleichbare Vertrauenslage, aus der sich das Erfordernis einer Bestandsgarantie ergeben könnte, die die Heranziehung der §§ 130 Abs. 2 oder 131 Abs. 2 AO rechtfertigen würde, besteht hier nicht. Denn Grund für die Neufestsetzung war keine geänderte Rechtsauffassung der Behörde, sondern der rückwirkende Erlass einer wirksamen Gebührensatzung, mit der die Gebührenschuldner, die sich gegen die ursprüngliche Veranlagung mit Rechtsmitteln gewehrt hatten, schon deshalb rechnen mussten, weil die gebührenpflichtige Leistung erbracht und rechtzeitig erst später als unwirksam erkanntes Satzungsrecht für die streitgegenständlichen Veranlagungszeiträume erlassen worden war; damit hat die Stadt den Willen zum Ausdruck gebracht, dass eine Gebühr erhoben werden sollte.

Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. April 1983 - 8 C 170.81 -, a.a.O., 131 f.; BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1961 - 2 BvL 6/59 -, BVerfGE 13, 261, 271 f.

2. Die Berufung ist auch nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage,

ob „bei rechts- und bestandskräftiger Festsetzung von Straßenreinigungsgebühren auf Null die Kommunen nicht mehr berechtigt sind, nachträglich neue Beitragsbescheide zu erlassen",

bedarf in ihrer Allgemeinheit keiner grundsätzlichen Klärung in einem Berufungsverfahren. Wie oben unter 1. ausgeführt, ist im Einzelfall zu ermitteln, ob mit einer Gebührenfestsetzung auf Null der erklärte Wille einhergeht, eine Gebühr auch später nicht mehr verlangen zu wollen. Sofern das - wie regelmäßig - nicht der Fall ist, zeigt der Kläger nicht auf, aus welchen Gründen der nachträgliche Erlass neuer Gebührenbescheide unzulässig sein sollte. Solche sind im Übrigen nach Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und Literatur, wie sie unter 1. vorgenommen worden ist, für den Senat auch nicht ersichtlich.

3. Soweit der Kläger Verfahrensmängel geltend macht, kommt eine Zulassung der Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO bereits deshalb nicht in Betracht, weil nicht aufgezeigt wird, gegen welche prozessualen Vorschriften das Verwaltungsgericht verstoßen haben soll. Mit dem Einwand, das Verwaltungsgericht habe entscheidungsrelevante Vorschriften nicht angewandt, rügt der Kläger - wie unter 1. dargelegt in der Sache zu Unrecht - lediglich eine Verletzung materiellen Rechts. Soweit der Kläger weiter anführt, sein Prozessbevollmächtigter habe im Erörterungstermin vor dem Verwaltungsgericht geglaubt, eine Verärgerung des Vorsitzungen wahrnehmen zu können, dass sein in dem vorangegangenen gerichtlichen Verfahren gegebener Hinweis vom Beklagten falsch umgesetzt worden sei, wird damit ebenfalls nicht dargelegt, inwieweit in diesem Zusammenhang eine Verletzung prozessrechtlicher Bestimmungen vorliegen sollte.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO; die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist gemäß § 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG unanfechtbar.