ArbG Düsseldorf, Urteil vom 02.09.2008 - 7 Ca 1837/08
Fundstelle
openJur 2011, 60465
  • Rkr:

Nicht jede verbale sexuelle Belästigung rechtfertigt eine außerordentliche Kündigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses. Die Äußerung gegenüber einer Assistentin, sie bekomme alles von dem Geschäftsführer mit dem Vornamen Heinz-Dieter, insbesondere die gewünschte Gehaltserhöhung und den gewünschten Urlaub, wenn sie "dem kleinen Dieter was Gutes tue, weil sich dann der große Heinz freue", stellt an sich einen Grund zur außerordentlichen Kündigung dar. Eine als Scherz beabsichtigte, verbale Entgleisung hat nicht denselben Unwertgehalt wie eine ernstgemeinte Beleidigung.

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.03.2008 aufgelöst ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger zu den bisherigen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Geschäftsleiter in der Niederlassung der Beklagten, E., L., weiter zu beschäftigen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Der Streitwert beträgt 43.850,00 Euro.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen verhaltensbedingten Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 53-jährige, verheiratete Kläger ist bei der Beklagten, die bundesweit Baumärkte betreibt, seit dem 01.04.1981 tätig, zunächst im Rahmen eines Ausbildungsverhältnisses (vgl. Bl. 4 ff. der Akte) und zuletzt als Niederlassungsleiter der Niederlassung E. mit über 100 Mitarbeitern auf Grundlage des Arbeitsvertrages vom 01.04.1982 (Bl. 8 ff. der Akte). Die durchschnittliche Bruttovergütung beträgt 8.770,00 €.

Mit Schreiben vom 20.03.2008 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger fristlos, hilfsweise ordentlich (Bl. 11 der Akte). Unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung gab es ein Gespräch mit dem Kläger, in dem ihm die überwiegende Anzahl der Vorwürfe, die zur Kündigung geführt haben, vorgehalten worden sind. Der genaue Ablauf der Anhörung ist zwischen den Parteien streitig.

Der Kläger ist der Auffassung, die Kündigung sei unwirksam. Es fehle bereits an einer erforderlichen Abmahnung. Es handele sich um den Vorwurf verbaler sexueller Belästigung. Eine Kündigung, insbesondere eine fristlose Kündigung sei nicht verhältnismäßig. Die Beklagte hätte ihn etwa in eine andere Filiale versetzen können. Der Kläger behauptet, er habe in der Anhörung auf die Vorwürfe nicht detailliert eingehen dürfen. Das Gespräch habe lediglich 15 Minuten gedauert. Der Kläger bestreitet zudem die Einhaltung der Frist nach § 626 Abs. 2 BGB. Er behauptet, er sei das Opfer einer Intrige.

Der Kläger beantragt,

1.festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 20.03.2008 aufgelöst ist,

2.ihn zu den bisherigen Bedingungen bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als Geschäftsleiter in der Niederlassung der Beklagten, E., L. weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, der Geschäftsführer habe erst im Rahmen einer Besprechung mit seinen Assistenten E. und N. am 12.03.2008 Kenntnis von den nachfolgend dargestellten Vorgängen erhalten, die zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses geführt hätten. Frau N. habe den Geschäftsführer erst in dieser Besprechung informiert, nachdem diese von der Zeugin T. nach einem Meeting am 27.02.2008 in einem Vier-Augen-Gespräch hiervon in Kenntnis gesetzt worden sei.

Die Beklagte behauptet, im Rahmen einer Besprechung im April 2007 mit dem Kläger und seinen beiden Stellvertretern, der Zeugin T. sowie Herrn G., habe die Zeugin T. erzählt, dass sie im Urlaub eventuell einen Tauchkurs machen werde. Der Kläger habe daraufhin gefragt, ob sie denn Schnorcheln könne, was die Zeugin bestätigt habe. Daraufhin habe der Kläger erklärt: "Dann können Sie ja schon einmal bei mir unter dem Tisch anfangen zu schnorcheln." Die Aussage habe unmissverständlich einen sexuellen Charakter gehabt.

Im September 2007 habe der Kläger im Rahmen einer Besprechung mit Frau G. und der Zeugin T. über die Personalsituation gesagt: "Ich muss mal mit Herrn L. (dem Geschäftsführer) sprechen, damit er ihnen mal ein paar knackige Geschäftsleiter oder stellvertretende Geschäftsleiter einstellt." Auch diese Aussage habe einen sexuellen Charakter gehabt.

Der Kläger behauptet hierzu, er habe eine Bewerbungsmappe für eine Aushilfskassiererin gesichtet. Die Zeugin T. habe daraufhin gesagt: "Die sieht aber gut aus. So was können Sie mir auch mal einstellen."

Die Beklagte behauptet, Ende Januar 2008 sei in der Niederlassung das Ostersortiment im Kassenbereich aufgebaut worden, was unstreitig ist. Frau T. habe veranlasst, dass an der ersten Kasse ein Aufbau mit ca. 40 cm großen Ostereiern und Osterhasen zum Verkauf erfolgte, was unstreitig ist. Auf die Anmerkung der Zeugin T. gegenüber dem Kläger, die Ostersachen würden gut laufen, habe der Kläger geäußert: "Ja, Frau T., ich weiß ja, dass Sie auf Eier stehen" bzw. "Ich weiß ja, Sie stehen auf dicke Eier". Diese Aussage habe ebenfalls einen sexuellen Charakter gehabt.

Der Kläger behauptet hierzu, der Aufbau sei nicht gut gestaltet gewesen. Hierüber habe er mit der Zeugin T. gesprochen.

Die Beklagte behauptet, am 04.02.2008 habe die Zeugin T. den Kläger darauf angesprochen, wie sie den Geschäftsführer L., der am 05.02.2008 in die Niederlassung kommen sollte, am besten auf eine Gehaltserhöhung anspreche, was unstreitig ist. Der Kläger habe die Klägerin darauf hingewiesen, sie solle den Geschäftsführer am besten persönlich ansprechen, wenn dieser in der Niederlassung sei, was ebenfalls unstreitig ist. Am Nachmittag habe es dann ein weiteres Gespräch mit dem Kläger in dessen Büro gegeben, zu dem der Zeuge L. hinzugestoßen sei. Der Kläger habe dann zu der Zeugin T. gesagt, sie könne sich ja mit dem Geschäftsführer L. oben im Schulungsraum unter vier Augen unterhalten. "Wenn Sie dem kleinen Dieter was Gutes tun, freut sich der große Heinz und dann bekommen Sie alles von ihm, was Sie möchten, Ihre Gehaltserhöhung und Ihren Urlaub."

Der Kläger behauptet hierzu, die Zeugin habe ihm nach dessen Urlaub nochmals am 03.03.2008 auf das Vorgehen bei einer Gehaltserhöhung angesprochen, was unstreitig ist. Dies sei nicht nachvollziehbar, wenn er sie wie behauptet beleidigt hätte.

Die Beklagte behauptet, Ende Juli 2007 habe die Mitarbeiterin w. um ein Gespräch wegen der Verlängerung ihres befristeten Vertrages gebeten. Der Kläger habe ihr mitgeteilt, sie solle sich keine Sorgen machen. Sie soll aber darauf achten, dass sie nicht noch breiter werde. Die Mitarbeiterin habe später die Zeugin T. darauf angesprochen. Diese habe angeregt, nochmals das Gespräch mit dem Kläger zu suchen, nachdem sie zuvor dem Kläger darüber berichtet habe, dass die Mitarbeiterin wegen der Aussage tief betroffen sei. Der Kläger habe der Zeugin T. mitgeteilt, er werde mit der Mitarbeiterin reden, er werde aber, wenn diese herein käme, äußern: "Na Pummelchen, kommen Sie rein." Auch die Mitarbeiterin T., stellvertretende Kassenaufsicht, habe den Kläger deswegen angesprochen. Dieser habe mitgeteilt: "Ich werde den Vertrag verlängern und ihr sagen, dass sie aufpassen soll, nicht noch dicker zu werden." Dies habe der Kläger dann auch getan.

Der Kläger behauptet hierzu, er habe die Mitarbeiterin w. floskelhaft und sinngemäß darauf angesprochen, ob sie zugenommen habe. Er habe lediglich nach dem allgemeinen Befinden fragen wollen. Eine halbe Stunde später sei dann die ehemalige Kassenaufsicht Frau F. hereingekommen und ihm erklärt, dass Frau w. weinen würde. Daraufhin habe er die Mitarbeiterin ins Büro der Kassenaufsicht gebeten und sich ausdrücklich entschuldigt. Er habe diese Mitarbeiterin eingestellt und ihr ihren Vertrag zweimal verlängert, was unstreitig ist.

Die Beklagte behauptet, Ende Januar/Anfang Februar 2008 hätten sich die Mitarbeiterinnen M. und T. im Kassenbüro befunden und der Kläger sei hereingekommen und habe sich breitbeinig auf die Arbeitsplatte des Schreibtisches gesetzt. Die Zeugin T. sei in die Hocke gegangen, um nach Unterlagen unterhalb der Schreibtischplatte zu sehen. Der Kläger habe gefragt, was sie da mache. Die Mitarbeiterin T. habe geäußert: "Ich muss da mal ran." Der Kläger habe dann zu der Mitarbeiterin T. gesagt: "Ich kann mir schon vorstellen, wo sie hinschauen wollen."

Der Kläger behauptet hierzu, es sei richtig, dass er am Rande des Arbeitsplatzes gesessen habe. Die Mitarbeiterin T. habe, ohne entsprechendes zu äußern, versucht, an gelagerte Kartons heran zu kommen. Sie sei mit ihrer Hand an die Wade des Klägers geraten. Er habe daraufhin gefragt, was sie da mache.

Die Beklagte behauptet desweiteren, während der Kläger sich im Urlaub befunden habe, sei eine korpulente Bewerberin, Frau S., befristet für einen Monat als Aushilfskassiererin eingestellt worden, was unstreitig ist. Nach der Rückkehr aus seinem Urlaub habe der Kläger dann die Mitarbeiterin M. gefragt, was sie da eingestellt habe. Er habe sie angewiesen, der Mitarbeiterin S. mitzuteilen, dass sie aus betriebsbedingten Gründen keinen neuen Vertrag erhalten werde. Desweiteren habe er der Mitarbeiterin M. aufgegeben, ein Vorstellungsgespräch mit der Bewerberin N. zu vereinbaren. Als diese dann erschienen sei, habe der Kläger gegenüber Frau M. geäußert, ohne mit der Bewerberin ein Gespräch geführt zu haben: "Die stellen wir ein."

Der Kläger behauptet hierzu, er habe die Mitarbeiterin M. angewiesen, Frau S. für den Monat März einzustellen. Die Befristung sei erfolgt, weil das Personalkostenbudget ausgeschöpft gewesen sei. Anschließend sei jemand für die zweite Kassenzone im Stadtgarten gesucht worden. Dort müssten aber auch Pflanzen versorgt werden. Hierfür sei die Mitarbeiterin S. nicht geeignet gewesen. Er habe gegenüber Frau M. sinngemäß bezogen auf die Bewerberin N. geäußert: "Die könnten wir einstellen, aber sprechen Sie erst mal mit der Bewerberin." Er sei dann auch zum Gespräch zwischen der Bewerberin und Frau M. hinzugekommen. Nach dem Gespräch habe er Frau M. gefragt, ob etwas gegen die Einstellung spreche, was verneint worden sei. Er habe eine Vielzahl von Mitarbeiterinnen eingestellt, die nicht rank und schlank seien, so etwa Frau w. oder Frau X., was unstreitig ist.

Die Beklagte behauptet, die Aussagen des Klägers seien alle nicht scherzhaft, sondern absolut ernsthaft getätigt worden. Der Kläger habe sich in der Anhörung uneinsichtig gezeigt und jede Entschuldigung abgelehnt. Zum Zeitpunkt der Anhörung seien nicht alle Vorwürfe bekannt gewesen.

Die Beklagte ist der Auffassung, der Kläger habe mit seinen Bemerkungen sowohl den Geschäftsführer als auch die Zeugin T. grob beleidigt. Es handele sich um sexuelle Belästigungen. Bereits aus der Fürsorgepflicht gegenüber den anderen Mitarbeitern habe es keine milderen Maßnahmen als die Kündigung gegeben. Der Kläger sei Vorgesetzter. Eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz, insbesondere in einer anderen Filiale komme nicht in Betracht. Aufgrund der groben Beleidigung sei es ihrem Geschäftsführer nicht zuzumuten, weiter mit dem Kläger zusammen zu arbeiten.

Aufgrund des Beschlusses der Kammer vom 02.09.2008 ist Beweis erhoben worden durch Vernehmung der Zeugen T. und L..

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Parteienschriftsätze sowie den gesamten weiteren Akteninhalt Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.

I.

Der Klageantrag zu 1) ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 20.03.2008 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden. Die Kündigung ist unwirksam. Es liegt weder ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, noch ist die ordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 KSchG sozial gerechtfertigt.

1.

Die fristlose Kündigung ist unwirksam. Ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB, der der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht, ist nicht gegeben.

a) Für die Prüfung eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB gelten folgende Grundsätze:

aa) Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, hat nach der ständigen Rechtsprechung des BAGs (vgl. etwa BAG 11.03.1999 - 2 AZR 507/98; LAG Düsseldorf 11.10.2007 - 11 Sa 1079/07) in zwei systematisch zu trennenden Abständen zu erfolgen. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei genügt allerdings noch nicht die abstrakte Erheblichkeit eines Kündigungssachverhaltes zur Begründung der Unzumutbarkeit. Vielmehr muss bereits auf der ersten Stufe festgestellt werden, ob der an sich zur außerordentlich Kündigung geeignete Sachverhalt im Streitfall zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat. Erst dann ist auf einer zweiten Stufe zu untersuchen, ob nach Abwägung aller in Betracht kommender Interessen der Arbeitsvertragsparteien die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist.

bb) Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn alle anderen, nach den jeweiligen Umständen möglichen und angemessenen milderen Mittel erschöpft sind, um das mit dem bisherigen Inhalt nicht mehr haltbare Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Die außerordentliche Kündigung ist nur zulässig, wenn sie die unausweichlich letzte Maßnahme (ultima ratio) für den Kündigungsberechtigten ist. Darüberhinaus gilt im Kündigungsschutzrecht allgemein der Grundsatz, dass eine Beendigungskündigung, gleichgültig, ob sie auf betriebs-, personen-, oder verhaltensbedingten Gründen gestützt ist, und gleichgültig, ob sie als ordentliche oder außerordentliche Kündigung ausgesprochen wird, als äußerstes Mittel erst in Betracht kommt, wenn keine Möglichkeit zu einer anderweitigen Beschäftigung, unter Umständen auch zur schlechteren Arbeitsbedingungen, besteht (vgl. BAG 19.04.2007 - 2 AZR 180/06; LAG Düsseldorf 11.10.2007 a.a.O). Gegenüber der außerordentlichen, fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel z. B. auch eine Abmahnung, Versetzung oder Umsetzung in Betracht. Eine vorherige Abmahnung ist unter Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann ausnahmsweise entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht erwartet werden kann oder es sich um eine schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der die Hinnahme des Verhaltens zwischen Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen ist (vgl. BAG 19.04.2007 - 2 AZR 180/06; LAG Düsseldorf 11.10.2007 a.a.O.).

cc) Nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung kann einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer darstellen (vgl. etwa BAG 18.01.1999 - 2 AZR 743/98). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts liegt eine Verdachtskündigung dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar, der in dem Tatvorwurf nicht enthalten ist. Bei der Tatkündigung ist für den Kündigungsentschluss maßgebend, dass der Arbeitnehmer nach der Überzeugung des Arbeitgebers die strafbare Handlung bzw. die Pflichtverletzung tatsächlich begangen hat und dem Arbeitgeber aus diesem Grund die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist. § 626 Abs. 1 BGB lässt eine Verdachtskündigung dann zu, wenn starke Verdachtsmomente auch objektive Tatsachen gründen, wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat.

dd) Sexuelle Belästigungen einer Arbeitnehmerin bzw. eines Arbeitnehmers an ihrem bzw. seinem Arbeitsplatz durch einen Vorgesetzten kann an sich ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses sein (vgl. BAG 25.03.2004 - 2 AZR 341/03). Eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz stellt eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Ob eine sexuelle Belästigung zur außerordentlichen Kündigung berechtigt, hängt von ihrem Umfang und ihrer Intensität ab. Der Arbeitgeber hat die im Einzelfall geeigneten, erforderlichen und angemessenen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten zu ergreifen, § 12 Abs. 4 AGG (vgl. früher § 4 Abs. 1 BSchG). Die gesetzliche Regelung kodifiziert den allgemein arbeitsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine Abmahnung kann etwa dann entbehrlich sein, wenn es sich nicht nur um einen einmaligen Vorfall gehandelt hat, sondern sich um immer wiederholende sexuelle Belästigungen nicht nur verbaler, sondern auch tatsächlicher Art gehandelt hat (vgl. LAG Hessen 27.01.2004 - 13 TaBV 113/03).

b)

Die außerordentliche Kündigung ist nicht als Tatkündigung gerechtfertigt.

aa)

Zunächst ist nach Auffassung der Kammer darauf hinzuweisen, dass sämtliche Vorwürfe ausgenommen der vom 04.02.2008 nicht geeignet sind, eine außerordentlichen Kündigung zu rechtfertigen, selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt. Bei sämtlichen Pflichtverletzungen würde es sich allenfalls um eine verbale sexuelle Belästigung handeln.

Dies gilt nicht für die Einstellung der Mitarbeiterin N.. Insofern ist eine sexuelle Belästigung nicht ersichtlich. Es handelt sich vielmehr um den Vorwurf, dass der Kläger aus sachfremden Gründen eine Einstellung vorgenommen hat. Die Beklagte hat allerdings nicht vorgetragen, dass es sich bei der Mitarbeiterin N. um eine unqualifizierte Mitarbeiterin handelt und dass sie aufgrund der Einstellung einen Schaden erlitten hat. Insoweit ist nicht ersichtlich, warum diesbezüglich eine Abmahnung entbehrlich sein könnte. Die Beklagte hätte dem Kläger nochmals vor Augen führen können, welche Kriterien bei einer Einstellung zu berücksichtigen sind und welche außer Betracht zu haben bleiben.

Wegen der weiteren Vorwürfe der sexuellen Belästigung ist nochmals darauf hinzuweisen, dass es sich durchweg um verbale sexuelle Belästigung handeln könnte. Nach Auffassung der Kammer ist die Intensität dieser möglichen sexuellen Belästigungen allerdings nicht als besonders hoch einzustufen. Es handelt sich in keinem Fall um eine Aufforderung zu einer sexuellen Handlung. Dies gilt auch für den Vorfall im April 2007. Für die Kammer scheint es ausgeschlossen zu sein, dass der Kläger ernsthaft die Zeugin T. mit seiner Aussage zur einer sexuellen Handlung aufgefordert haben soll. Es ist, den Vortrag der Beklagten als zutreffend unterstellt, vielmehr auffällig, dass der Kläger sämtliche Aussagen im Beisein von Dritten getroffen hat. Diese Einschätzung ist im Übrigen von der Zeugin T. in ihrer Aussage bestätig worden. Es ging dem Kläger also nicht um eine ernsthafte Aufforderung zu sexueller Handlung, vielmehr ging es ihm anscheinend um eine bestimmte Art des Auftretens.

Zwar kann auch eine verbale sexuelle Belästigung an sich ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein. Es gilt aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Vor dem Hintergrund, dass das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bereits seit 27 Jahren und davon insgesamt 26 Jahre beanstandungslos bestand, ist eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig. Die Beklagte hätte vielmehr an mildere geeignete Maßnahmen denken müssen. Für die Kammer ist auch nicht ersichtlich, warum vorliegend eine Abmahnung ohne Erfolg hätte bleiben müssen. Der Kläger ist erst seit Ende 2006 Niederlassungsleiter in der Niederlassung E.. Es erscheint nicht ausgeschlossen, dass noch eine nochmalige Unterrichtung des Klägers im Bereich der Mitarbeiterführung erfolg

nochmalige Unterrichtung des Klägers im Bereich der Mitarbeiterführung Erfolg hätte versprechen können.

bb)

Die Kündigung ist auch nicht wegen des Vorfalls am 04.02.2008 gerechtfertigt. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAGs sind Beleidigungen durch den Arbeitnehmer, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den betroffenen Arbeitgeber bedeuten, als Verstoß des Arbeitnehmers gegen seine Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis an sich zur Rechtfertigung einer außerordentlichen Kündigung geeignet (vgl. etwa BAG 17.02.2000 - 2 AZR 927/98). Kündigungsrechtlich ausschlaggebend ist dabei nicht die strafrechtliche Beurteilung (BAG 17.02.2000 a. a. O). Eine einmalige Ehrverletzung ist kündigungsrechtlich umso schwerwiegender, je unverhältnismäßiger und je überlegter sie ausgeführt wurde. Kennzeichnendes Element einer Beleidigung ist der rechtswidrige Angriff des Arbeitnehmers auf die Ehre eines Dritten durch die Kundgabe der Missachtung oder Nichtbeachtung (LAG Düsseldorf 11.10.2007 a. a. O.).

Nach Auffassung der Kammer stellt die behauptete Erklärung einen wichtigen Grund an sich dar. Eine solche ernst gemeinte Aufforderung hätte den Aussagewert, dass die Zeugin T. bereit ist, sich zu prostituieren, und der Geschäftsführer bei seinen Entscheidungen durch sexuelle Handlungen käuflich ist.

Aufgrund der Beweisaufnahme im Termin am 02.09.2008 steht aber nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass der Kläger die Zeugin T. ernsthaft aufgefordert hat, sexuelle Handlungen am Geschäftsführer vorzunehmen, um eine Gehaltserhöhung durchzusetzen.

Es kann letztlich dahin gestellt sein, ob der Kläger am 04.02.2008 überhaupt eine solche Bemerkung gegenüber der Zeugin T. in Anwesenheit des Zeugen L. gemacht hat. Die Zeugin hat in der Vernehmung erklärt, dass der Kläger nach seinem Spruch ein Lächeln aufgesetzt und sie selbst dieses Lächeln so interpretiert habe, dass der Kläger gedacht habe, da habe er wieder einen klasse Spruch abgelassen. Vor diesem Hintergrund steht jedenfalls nicht zur vollen Überzeugung fest, dass der Kläger hier ernsthaft zu einer sexuellen Handlung aufgefordert hat. Vielmehr scheint es dem Kläger nach Darstellung der Zeugin T. darum gegangen zu sein, in Gegenwart von Dritten "Sprüche" zu machen. Der Kläger hat damit einen Witz versucht, allerdings auf Kosten der Zeugin T. und des Geschäftsführers L..

Die Aussage des Zeugen L. ist hingegen wenig ergiebig. Dies gilt für die gesamte Aussage des Zeugen L.. Sie ist insgesamt wenig detailreich und vermittelt nicht den Eindruck, dass der Zeuge das Geschilderte selbst erlebt hat. Die Aussage ist insgesamt arm an sogenannten Realkennzeichen. Dies gilt auch hinsichtlich der Aussage des Zeugen bezogen auf die Frage, warum er davon ausgehe, dass die Erklärung des Klägers ernst gemeint gewesen sei.

Da zur Überzeugung der Kammer nicht feststeht, dass der Kläger die Zeugin T. ernsthaft zu einer sexuellen Handlung mit dem Geschäftsführer L. aufgefordert hat, ist nicht ausgeschlossen, dass der Kläger lediglich einen "Scherz" versucht hat. Eine solche verbale Entgleisung hat nicht denselben Unwertgehalt wie eine ernsthafte Aufforderung, eine sexuelle Handlung am Geschäftsführer vorzunehmen, um eigene Gehaltsvorstellungen durchzubringen. Dieser mehr als verunglückte Scherz rechtfertigt aber jedenfalls nach Durchführung einer Interessenabwägung keine außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses.

cc)

Die Kündigung ist auch nicht als Verdachtskündigung gerechtfertigt. Dabei kann dahinstehen, ob die Anhörung ordnungsgemäß erfolgt ist. Aus den oben genannten Gründen sind die Vorwürfe bereits nicht geeignet, eine Kündigung wegen des Verdachts sexueller Belästigung zu rechtfertigen. Die Beklagte hat nicht hinreichend vorgetragen, was sie konkret unternommen hat, um auszuschließen, dass der Kläger seine Äußerungen nicht scherzhaft gemeint hat.

2.

Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ist nicht aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 KSchG. Auf die obigen Ausführungen wird Bezug genommen.

II.

Der Klageantrag zu 2) ist ebenfalls begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Weiterbeschäftigung auf seinen bisherigen Arbeitsplatz zu.

Anspruchsgrundlage ist der allgemeine Weiterbeschäftigungsanspruch. Der Kläger ist mit seiner Kündigungsschutzklage in erster Instanz erfolgreich. Anhaltspunkte, die das Interesse der Beklagten einer Nichtbeschäftigung des Klägers überwiegen lassen, sind nicht ersichtlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO, 46 Abs. 2 ArbGG.

IV.

Der Streitwertfestsetzung (zugleich Entscheidung nach § 63 Abs. 2 GKG) liegen insgesamt 5 Gehälter des Klägers zugrunde.

Rechtsmittelbelehrung

Gegen dieses Urteil kann von der beklagten Partei

B e r u f u n g

eingelegt werden.

Für die klagende Partei ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Berufung muss

innerhalb einer N o t f r i s t* von einem Monat

beim Landesarbeitsgericht Düsseldorf, Ludwig-Erhard-Allee 21, 40227 Düsseldorf, Fax: 0211 7770 2199 eingegangen sein.

Die Notfrist beginnt mit der Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach dessen Verkündung.

Die Berufungsschrift muss von einem Bevollmächtigten unterzeichnet sein. Als Bevollmächtigte sind nur zugelassen:

1. Rechtsanwälte,

2. Gewerkschaften und Vereinigungen von Arbeitgebern sowie Zusammenschlüsse solcher Verbände für ihre Mitglieder oder für andere Verbände oder Zusammenschlüsse mit vergleichbarer Ausrichtung und deren Mitglieder,

3. Juristische Personen, deren Anteile sämtlich im wirtschaftlichen Eigentum einer der in Nr. 2 bezeichneten Organisationen stehen, wenn die juristische Person ausschließlich die Rechtsberatung und Prozessvertretung der Mitglieder dieser Organisation oder eines anderen Verbandes oder Zusammenschlusses mit vergleichbarer Ausrichtung entsprechend deren Satzung durchführt und wenn die Organisation für die Tätigkeit der Bevollmächtigten haftet.

Eine Partei, die als Bevollmächtigter zugelassen ist, kann sich selbst vertreten.

* Eine Notfrist ist unabänderlich und kann nicht verlängert werden.

gez. E.