LG Köln, Urteil vom 09.07.2008 - 23 O 137/07
Fundstelle
openJur 2011, 58840
  • Rkr:
Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, die Kosten der medizinisch notwendigen privatärztlichen Behandlung im Zusammenhang mit dem Verkehrsunfall des Klägers vom 24.01.2003 gegen 16:45 Uhr auf der BAB x bei L in Fahrtrichtung P im tariflichen Umfang unter Berücksichtigung der allgemeinen Versicherungsbedingungen an den Kläger zu erstatten, soweit die Berufsgenossenschaft diese nicht trägt.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Kosten in Höhe von 256,62 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.06.2007 zu zahlen.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung einer Leistungsverpflichtung der Beklagten im Hinblick auf Behandlungskosten anlässlich eines vorhergegangenen Unfallgeschehens.

Der Kläger unterhält bei der Beklagten unter der Versicherungsnummer ......# eine private Krankenversicherung u.a. nach den Tarifen ST2/100 für stationäre Heilbehandlung und Krankenhaus und nach Tarif A155 für ambulante Heilbehandlung. Die MB/KK sind Bestandteil des Versicherungsvertrages.

Am 24.01.2003 erlitt der Kläger auf dem Heimweg von seiner Arbeitsstelle einen nicht verschuldeten Verkehrsunfall. Er erlitt dabei eine HWS-Distorsion, eine BWS-Prellung und eine Schienbeinprellung. Die im Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen stehenden Behandlungskosten wurden zunächst von der zuständigen Berufsgenossenschaft des Klägers übernommen. Soweit keine Erstattung durch diese erfolgte, leistete die Beklagte. Die von ihr gezahlten Erstattungen machte die Beklagte dann bei der Haftpflichtversicherung des Unfallverursachers, der W AG, geltend. Dies war zunächst unproblematisch. Im Jahr 2004 verweigerte der Haftpflichtversicherer des Unfallgegners die Erstattung mit der Begründung, dass ein Wegeunfall vorliege und deswegen die Berufsgenossenschaft für das gesamte Heilverfahren zuständig sei, das allein zu ihren Lasten gehe. Es folgte ein umfangreicher Schriftverkehr mit dem Haftpflichtversicherer. Am 12.06.2006 erhielt die Beklagte ein Schreiben der Berufsgenossenschaft vom 08.06.2006, mit dem letztere die ihr übersandten ärztlichen Liquidationen an die Beklagte zurückschickte und eine Erstattung ablehnte. Am 20.06.2006 erhielt die Beklagte ein weiteres Schreiben der Berufsgenossenschaft vom 16.06.2006. Mit diesem Schreiben teilte die Berufsgenossenschaft mit, dass die Verordnung von Heilmitteln, für die die Berufsgenossenschaft als Kostenträger benannt werde, grds. besonderen formellen Anforderungen genügen müssten, um eine Erstattungsfähigkeit zu begründen. Diese Anforderungen würden die vom Kläger eingereichten Rechnungen usw. nicht erfüllen. Daraufhin wies die Beklagte den Kläger unter dem 23.08.2006 darauf hin, dass es sich bei dem Unfall um einen Wegeunfall handele, so dass für die Heilbehandlung die Berufsgenossenschaft zuständig sei. Die Beklagte sei gem. § 5 Abs. 3 der AVB lediglich bezüglich solcher Kosten zuständig, die die Berufsgenossenschaft von vornherein nicht erstatten würde. Die Behandlung müsse im übrigen nach den Richtlinien der Berufsgenossenschaft erfolgen. Eine Behandlung als Privatpatient sei nicht möglich. Sie kündigte an, in Zukunft eine Regulierung nicht mehr vorzunehmen und forderte den Kläger auf, wieder einen Durchgangsarzt der Berufsgenossenschaft aufzusuchen. Gleichzeitig setzte sie eine Frist gem. § 12 Abs. 2 VVG, die im nachfolgenden Schriftverkehr um zwei Monate verlängert wurde. Gegen die Einschätzung der Beklagten wandte sich der Kläger und teilte gleichzeitig mit, dass er bei der aktuellen Behandlung durch Dr. T einen privatschriftlichen Vertrag unterschrieben habe.

Mit Leistungsabrechnung vom 08.09.2006 nahm die Beklagte eine Erstattung auf freiwilliger Basis im Hinblick auf vom Kläger Anfang des Jahres eingereichte und im Zusammenhang mit dem Unfall stehenden Rechnungen vor und wies den Kläger ausdrücklich auf die Freiwilligkeit sowie - hinsichtlich zukünftig anfallender Behandlungskosten - auf ihr Schreiben vom 23.08.2006 hin.

Der Kläger ist der Ansicht, dass die Beklagte die Klausel § 5 Abs. 2 AVB falsch auslege. Diese sei im übrigen überraschend. Zum Zeitpunkt der Klauselfassung hätten die Berufsgenossenschaften sich noch an Privatrechnungen beteiligt, was heute nicht mehr der Fall sei. Damit stelle die Klausel eine unangemessene Benachteiligung dar. Letztlich müsse die Beklagte zumindest aus Vertrauensgesichtspunkten leisten. Ein Rechtsschutzinteresse des Klägers gebe es insbesondere, da die Beklagte die Klagefrist gesetzt habe. Die Beklagte habe zudem die Privatbehandlung des Klägers genehmigt.

Der Kläger beantragt zuletzt,

wie erkannt.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie rügt insbesondere die Unzulässigkeit der Klage, da es bereits an einem feststellungswürdigen Rechtsverhältnis fehle. Die Klage sei im übrigen unbegründet, da der geltend gemachte Anspruch nicht bestehe, soweit er über die Regelung des § 5 Abs. 3 AVB hinausgehe.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens der Parteien sowie des Sach- und Streitstandes wird im übrigen auf die gewechselten Schriftsätze sowie den Akteninhalt verwiesen.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, die Kosten für die Heilbehandlung des Klägers im tariflichen Umfange und soweit sie medizinisch notwendig ist, zu erstatten.

Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht ein Feststellungsinteresse des Klägers. Zwar sind die noch anstehenden Behandlungen des Klägers nicht in einer Weise konkretisiert, wie dies beispielsweise bei einem zahnärztlichen Heil- und Kostenplan der Fall ist. Der Kläger hat allerdings schriftsätzlich und auch anlässlich seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass und welche weiteren Behandlung (insbesondere eine Operation) noch erforderlich sind. An der Glaubwürdigkeit seiner Angaben bestehen keine Zweifel. Die Beklagte hat darüber hinaus selbst die Gefahr einer Feststellungsklage gesetzt, indem sie dem Kläger in ihrem Ablehnungsschreiben vom 23.08.2006 eine Frist gem. § 12 Abs. 3 VVG gesetzt hat. Damit hat sie ihm zu verstehen gegeben, dass er Ansprüche aufgrund des Unfalls innerhalb einer Frist von sechs Monaten gerichtlich geltend machen müsse. An dieser Fristsetzung - dies wird durch die von der Beklagten gewährten Verlängerung der Frist durch Schreiben vom Dezember 2006 deutlich - wurde auch im weiteren vorgerichtlichen Verfahren festgehalten. Es ist daher jedenfalls fraglich, ob sie sich hinsichtlich der daraufhin erfolgten Feststellungsklage auf ein mangelndes Feststellungsinteresse berufen darf. Dieses Feststellungsinteresse ist jedoch im vorliegenden Fall aufgrund des fest umrissenen Versicherungsfalles - der streitgegenständliche Verkehrsunfall - sowie den unstreitig bei diesem Unfall davongetragenen Verletzungen des Klägers - hier unabhängig von dieser Frage zu bejahen. Der Antrag in seiner beschiedenen Form ist darüber hinaus auf die tariflichen Ansprüche begrenzt, so dass der Beklagten Einwände inhaltlicher Art gegen zukünftig vom Kläger eingereichte Rechnungen durch die Feststellung nicht abgeschnitten werden.

Die Klage ist auch begründet. Die Beklagte ist verpflichtet, ihr Leistungsversprechen aus dem zwischen ihr und dem Kläger bestehenden Versicherungsvertrag auch im Hinblick auf den streitgegenständlichen Unfall einzuhalten. Es kann dem Kläger nicht verwehrt sein, sich im Rahmen einer medizinisch notwendigen Heilbehandlung als Privatpatient behandeln zu lassen. Denn es besteht zu seinen Gunsten eine private Krankenversicherung, deren Leistungen er im Rahmen der vereinbarten Tarife bei Vorliegen eines Versicherungsfalles einfordern darf. Dies gilt im Grundsatz auch dann, wenn es sich bei dem Versicherungsfall um einen sogenannten Wege- oder Arbeitsunfall handelt, für den die gesetzliche Unfallversicherung einstandspflichtig ist.

Der Verpflichtung der Beklagten steht im vorliegenden Fall § 5 Abs. 3 der MB/KK nicht entgegen. Nach dieser Vorschrift ist die Beklagte dann, wenn bei einem Versicherungsfall auch ein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung besteht, der Versicherer nur für die Aufwendungen leistungspflichtig, welche trotz der gesetzlichen Leistungen notwendig bleiben. Diese Klausel ist entgegen der Ansicht des Klägers nicht unwirksam, weil sich die tatsächlichen Verhältnisse (Abrechnungspraxis der gesetzlichen Unfallversicherung) geändert haben. Eine Unwirksamkeit wegen Änderung der tatsächlichen Verhältnisse käme nur dann in Betracht, wenn die Kriterien für eine Störung oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage vorlägen, oder wenn die Ausübung rechtsmissbräuchlich wäre (vgl. Palandt/ Grünewald, 68. Auflage 2008, § 307 Rn.3). Weder ein Rechtsmissbrauch noch ein im Lager der Beklagten vorliegende Änderung der Geschäftsgrundlage sind hier ersichtlich.

Bei Berücksichtigung ihres Sinnes und Zweckes war allerdings im vorliegenden Fall dennoch von einer umfassenden Leistungsverpflichtung der Beklagten auszugehen. Bei § 5 Abs. 3 MB/KK handelt es sich um eine Subsidiaritätsklausel. Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, Doppelleistungen zu verhindern (vgl. nur BGH VersR 1971, 1138ff.). Dies ist Ausdruck des im Bereich der Schadensversicherung generell geltenden allgemeinen versicherungsrechtlichen Bereicherungsverbots. Hiernach ist der Versicherer, ungeachtet der vertraglichen Vereinbarungen in Bedingungen und Tarifen, nur bis zur Höhe des dem Versicherungsnehmer tatsächlich entstandenen versicherten Schadens zur Deckung verpflichtet. Wenn und soweit es an einem Schaden fehlt, entbehrt der Versicherungsanspruch der causa (vgl. Schoenfeldt/ Kalis in Bach/ Moser, 3. Auflage 2002, § 5 MB/KK Rn.69 m.w.N.). Es ist hier unstreitig, dass der Kläger bisher für die streitgegenständliche avisierte privatärztliche Behandlung keine Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung erhalten hat bzw. diese - ausgehend von dem Ablehnungsschreiben der Berufsgenossenschaft der Feinmechanik und Elektrotechnik vom 08.06.2006 - keinerlei Erstattung von ärztlichen Privatbehandlungen vornehmen würde. Eine Doppelleistung zugunsten oder eine unangemessene Bereicherung des Klägers steht somit nicht zu befürchten. Die Beklagte ist mithin, würde der Kläger die streitgegenständliche Behandlung durchführen lassen und die entsprechenden Rechnungen bei ihr einreichen, zur vollumfänglichen Erstattung im tariflichen Umfange verpflichtet. Denn die volle Erstattung wäre notwendig, da keine Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung erfolgen. Die Tatsache, dass die gesetzliche Unfallversicherung möglicherweise zu Unrecht keinen "Berufsgenossenschaftsanteil” mehr auf Privatrechnungen zahlt, kann nicht zu lasten des zu 100% privat krankenversicherten Klägers gehen. Er hat Anspruch auf Erstattung der Kosten für die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Unfalls.

Der Kläger ist jedoch gem. § 9 Abs. 2 MB/KK der Beklagten zur Auskunft verpflichtet, sollte er doch Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung in Anspruch nehmen, da in diesem Falle möglicherweise Rückforderungsansprüche der Beklagten bestünden (vgl. hierzu Schoenfeldt/ Kalis a.a.O.). Möglicherweise ergibt sich weiter aus den Nebenpflichten des zwischen den Parteien bestehenden Vertragsverhältnisses als Auswuchs der Schadensminderungspflicht auch die Pflicht des Klägers, Ansprüche gegenüber dem gesetzlichen Unfallversicherer notfalls gerichtlich geltend zu machen. Nach Ansicht der Kammer hat der Kläger diese Pflicht erfüllt, indem er schriftsätzlich sowie in der mündlichen Verhandlung vom 18.06.2008 jedwede Ansprüche, die er aufgrund der durchgeführten (oder noch durchzuführenden) Behandlungen gegenüber der gesetzlichen Unfallversicherung hat, an die Beklagte abgetreten hat. Damit ist die Gefahr der Doppelbereicherung des Klägers, die § 5 Abs. 3 MB/KK verhindern will, gebannt. Die Beklagte ist zur Leistung im tariflichen Umfange verpflichtet.

Der Anspruch des Klägers auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist unter Verzugsgesichtspunkten ebenfalls begründet. Trotz vorgerichtlicher Mahnung war die Beklagte nicht bereit, die geforderte Kostenzusage abzugeben.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.

Streitwert: 5.500,- €