LG Bielefeld, Urteil vom 27.08.2008 - 22 S 49/08
Fundstelle
openJur 2011, 58810
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 C 789/07
Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen das am 22.01.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bielefeld abgeändert.

Der Beklagte bleibt verurteilt, der Klägerin Fotokopien der Pflegedokumentation der bei der Klägerin versicherten Frau C., geb. am xxx, Zug um Zug gegen Zahlung angemessener Kopierkosten herauszugeben, jedoch beschränkt auf die Zeit vom 01.03.2005 bis 31.08.2005.

Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Klägerin zu 20 %, der Beklagte zu 80 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Dem Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 2.600.-- € abzuwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 500.-- € abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt aus übergegangenem Recht Schadensersatz wegen des Unfalls einer Heimbewohnerin.

Die Klägerin ist der gesetzliche Krankenversicherer der am xxx geborenen, seit dem xxx unter Betreuung stehenden Frau C. (wegen des Wirkungskreises wird auf Bl. 44 d.a. verwiesen). Diese lebte ab dem 27.02.2002 bis zum 31.05.2006 in dem von dem Beklagten betriebenen Alten/Pflegeheim in N.. Am 30.08.2005 zog sich Frau C. infolge eines Sturzes in dem Pflegeheim erhebliche Verletzungen zu. Sie wurde von dem Pflegepersonal in der Wohnküche auf dem Boden liegend gefunden. Wegen ihrer Verletzungen musste sie ärztlich behandelt werden. Die Kosten in Höhe von 7.883,14 € wurden von der Klägerin getragen.

Diese wandte sich, um die Berechtigung der auf sie gemäß § 116 SGB X übergegangenen Schadensersatzansprüche prüfen zu können, mit Schreiben vom 31.05.2006 an den Beklagten zwecks Einsichtnahme in die Pflegedokumentation. Dem Schreiben war eine Schweigepflichtsentbindungserklärung und Herausgabegenehmigung des Betreuers der Geschädigten - ihrem Sohn - vom 28.04.2006 beigefügt. Der Beklagte lehnte das Verlangen der Klägerin mit Schreiben vom 21.06.2006 ab unter Hinweis darauf, dass es sich bei der Pflegedokumentation um hochsensible persönliche Daten handle, die strengen Datenschutzvorschriften unterlägen. Außerdem vertrat er die Auffassung, dass auch die Schweigepflichtsentbindungserklärung ihn nicht zur Übersendung der Pflegedokumentation berechtige. Es kam dann zu einem weiteren Schriftwechsel zwischen der Klägerin und der hinter dem Beklagten stehenden B.- Versicherung, die letztendlich mit Schreiben vom 21.08.2007 die Einsichtnahme durch die Klägerin bzw. die Herausgabe an die Klägerin ablehnte. Dabei vertrat sie die Auffassung, dass ein entsprechendes Recht allein der Geschädigten zustehe.

Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation Zug um Zug gegen Erstattung angemessener Kopierkosten erhoben. Der Beklagte hat die Einsichtnahme bzw. Herausgabe weiterhin abgelehnt, da der Klägerin kein diesbezügliches Recht zustehe und auch ein Anspruch auf Übersendung von Fotokopien nicht gegeben sei.

Zur Begründung ihrer gegensätzlichen Rechtsauffassungen haben sich beide Parteien auf Urteile der Instanzgerichte mit unterschiedlichem Ergebnis berufen.

Das Amtsgericht hat der Klage mit dem am 22. Januar 2008 verkündeten Urteil stattgegeben. In der Urteilsbegründung hat es ausgeführt, dass die Geschädigte, Frau C., auf Grund des Heimvertrages ein Einsichtsrecht in die Pflegedokumentation habe. Diese sei vergleichbar mit der ärztlichen Dokumentation einer Krankenbehandlung. Insoweit sei aber in der Rechtsprechung anerkannt, dass ein Einsichtsrecht des Patienten bestehe. Entsprechend habe auch Frau C. ein Einsichtsrecht und sei - vertreten durch ihren Betreuer - befugt gewesen, die Klägerin zu ermächtigen, Einsicht zu nehmen. Außerdem habe sie gegenüber dem Beklagten die Genehmigung zur Herausgabe erteilt. Das Einsichtsrecht stelle auch nicht nur ein höchstpersönliches Recht dar. Vielmehr habe es auch eine vermögensrechtliche Komponente, da es zur Prüfung einer Schadensersatzforderung diene. Ferner habe Frau C. ein berechtigtes Interesse daran, dass die Klägerin als ihre gesetzliche Krankenversicherung prüfe, ob ihre Verletzung auf einem Pflegefehler beruhe, der eine Schadensersatzverpflichtung auslöse. Berechtigte Interessen des Beklagten, die ein Einsichtsrecht ausschlössen, könnten nicht festgestellt werden.

Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Beklagte seinen erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiter. Er wiederholt seine Rechtsansicht,

dass § 294 a SGB V hinsichtlich des Akteneinsichtsrecht der Krankenkassen eine abschließende Regelung enthalte und sich daraus vorliegend kein eigenes Einsichtsrecht der Klägerin ergebe. Ein Anspruch der Klägerin lasse sich auch nicht aus der Schweigepflichtentbindungserklärung des Betreuers ableiten. Einmal regele § 301 IV SGB V abschließend, welche Daten zu übermitteln seien. Die Übermittlung der Pflegedokumentation werde von dieser abschließenden Regelung jedoch nicht umfasst. Zum anderen sei der Betreuer bei dem ihm übertragenen Wirkungskreis nicht berechtigt, eine Schweigepflichtentbindungserklärung zu unterzeichnen, da er damit den Umfang seiner Betreuervollmacht überschritten habe. Auch sei die Pflegedokumentation mit ärztlichen Unterlagen keineswegs vergleichbar. Bei letzteren gehe es um komplexe medizinische Zusammenhänge, die der Patient ohne Einsicht nicht nachvollziehen könne, wohingegen bei der Pflegedokumentation nur bestimmte Daten zu dem Umfang der Betreuung erfasst würden. Insoweit seien im Gegensatz zu der ärztlichen Dokumentation nicht alle Maßnahmen zu dokumentieren. Der geltend gemacht Anspruch ergebe sich auch nicht aus § 810 BGB, da ein durch diese Bestimmung geschütztes rechtliches Interesse der Klägerin nicht ersichtlich sei. Insbesondere sei ein solches nicht gegeben, wenn die Vorlegung ohne genügend konkrete Angaben allein dazu dienen solle, Unterlagen für die Rechtsverfolgung gegen den Besitzer der Urkunde oder Sache zu beschaffen. Schließlich sei der Anspruch auf Einsicht als höchstpersönliches Recht nicht abtretbar.

Der Beklagte beantragt,

das am 22.01.2008 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bielefeld aufzuheben und die

Klage abzuweisen,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt und vertieft ihre Auffassung, dass ihr ein Einsichtsrecht - und zwar ein zeitlich unbeschränktes - zustehe.

II.

Die zulässige Berufung hat in der Sache nur insoweit Erfolg, als das von Klägerin in Anspruch genommene Recht auf Herausgabe von Fotokopien der Pflegedokumentation betreffend die Heimbewohnerin Helmine C. auf den Zeitraum von 6 Monaten vor dem Unfall am 30.08.2005 bis zum Unfalltag zu beschränken war. Im übrigen war die Berufung des Beklagten zurückzuweisen. Der Klägerin steht das geltend gemachte Einsichtsrecht bzw. der Anspruch auf Herausgabe von Kopien der Pflegedokumentation dem Grunde nach zu.

1. Soweit der Beklagte der Auffassung ist, dass vorliegend kein eigenes Einsichtsrecht der Klägerin gemäß § 294 a SGB V bestehe, kann die Richtigkeit dieser Rechtsansicht dahin gestellt bleiben. Die Parteien streiten vorliegend nicht über ein eigenes Einsichtsrecht der Klägerin, das wohl vor dem Sozialgericht geltend zu machen wäre - auf die diesbezüglichen Gesetzesinitiativen wird verwiesen (vgl. dazu Smentkowski VersR 2008, 467) - , sondern um Ansprüche der Klägerin aus übergegangenem Recht. Für diese ist die in § 294 a SGB V enthaltene Regelung unerheblich.

2. Die Klägerin kann jedoch, wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, Einsicht bzw. Herausgabe von Kopien der für die verletzte Heimbewohnerin Helmine C. angelegten Pflegedokumentation aus übergegangenem Recht gemäß § 116 Abs.1 S. 1 SGB X i.V.m. §§ 412, 401 BGB verlangen.

Insoweit steht zunächst zwischen den Parteien außer Streit, dass der Geschädigten selbst ein Schadensersatzanspruch aus dem Heimvertrag zustehen würde, sofern ihr Sturz am 30.08.2005 durch eine Verletzung der Obhuts- und Betreuungspflichten des Pflegepersonals des Beklagten (mit -) verursacht worden wäre. Es ist ferner nicht streitig, dass von der geschädigten Heimbewohnerin Einsicht in die bzw. Herausgabe der Pflegedokumentation verlangt werden könnte, um zu prüfen, ob sie den Heimträger auf Schadensersatz wegen einer Verletzung des Heimvertrages in Anspruch nehmen kann (vgl. das Schreiben der hinter der Beklagten stehenden Versicherung B. vom 28.12.2006 Bl. 8 d.A.). Darüberhinaus ist nicht zweifelhaft, dass etwaige Schadensersatzansprüche der Geschädigten C. aus einer Verletzung des Heimvertrages gegen den Beklagten gemäß § 116 Abs.1 S. 1 SGB X auf die Klägerin übergegangen wären, nachdem diese für die nach dem Sturz erforderlichen Heilbehandlungsmaßnahmen erhebliche Kosten aufgewendet hat (vgl. die Kostenaufstellung gegenüber der B. - Versicherung vom 10.07.2008 über 7.883,14 €, Bl.184 f d.A.).

Streitig ist somit zwischen den Parteien lediglich die Frage, inwieweit auch das Einsichtsrecht der Geschädigten bzw. ihr Anspruch auf Herausgabe der Pflegedokumentation auf die Klägerin übergangen sind. Ein solcher Übergang des auf Grund des Pflegevertrages gemäß §§ 242, 611,810 BGB bestehenden Einsichtsrechts der Geschädigten entsprechend §§ 412, 401 BGB ist nach Auffassung der Kammer grundsätzlich zu bejahen. Dabei ist unerheblich, dass es vorliegend "nur" um die Einsicht in eine Pflegedokumentation und nicht um Einsicht in Krankenunterlagen geht, hinsichtlich derer das Einsichtsrecht des Patienten - und zwar unabhängig von einem besonderen Interesse (vgl. MüKo - Hüffer BGB, 4.aufl., § 810 Rn 16 m.w.N.) - von der höchstrichterlichen Rechtsprechung seit langem bejaht wird (so schon BGH NJW 1983, 328 und seitdem ständige Rechtsprechung; vgl. auch BVerfG NJW 2006, 1116 m.w.N.). Da der Heimbewohner in gleicher Weise wie ein Patient ein generell geschütztes Interesse daran hat, zu erfahren, wie mit seiner Gesundheit umgegangen wurde, welche Daten sich dabei ergeben haben und wie man die weiteren Betreuungsmaßnahmen einschätzt (vgl. BVerfG aaO), erscheint eine unterschiedliche Behandlung von Krankenunterlagen und Pflegedokumentation sachlich nicht (mehr) gerechtfertigt (vgl. dazu schon Harsdorf-Gebhardt PflR 1999, 252 f, zitiert nach juris.de).

Hinsichtlich des Einsichtsrechts in die Krankenpapiere hat der Bundesgerichtshof aber bereits in seinem Urteil vom 31.05.1983 - VI ZR 259/81 (abgedruckt in NJW 1983, 2627) entschieden, dass dieses den Angehörigen bzw. Erben eines Patienten zustehen kann, sofern von der ärztlichen Schweigepflicht her keine ernstlichen Bedenken gegen eine Einsicht durch diesen Personenkreis bestehen. Dazu hat der Bundesgerichtshof ausgeführt, dass das Einsichtsrecht nicht in vollem Umfang ein "höchstpersönlicher" Anspruch sei, der weder unter Lebenden noch von Todes wegen ganz oder teilweise auf andere übergehen könne. Vielmehr dürfe der vertragliche Nebenanspruch auch legitimen wirtschaftlichen Belangen - so der Klärung von Schadensersatzansprüchen - dienstbar gemacht werden, so dass er jedenfalls insoweit auch eine vermögensrechtliche Komponente habe. Im Hinblick darauf komme sein Übergang auf die Erben in Frage, soweit nicht das Wesen des Anspruchs aus besonderen Gründen einem Gläubigerwechsel entgegenstehe.

Entsprechend muss aber nach Auffassung der Kammer das Einsichtsrecht eines Patienten oder Heimbewohners als vertraglicher Nebenanspruch auch im Falle des gesetzlichen Übergangs nach § 116 Abs. 1 SGB X gemäß §§ 412, 401 BGB auf den Sozialversicherungsträger mit übergehen, soweit die Einsichtnahme zur Wahrnehmung legitimer wirtschaftlicher Belange durch diesen geboten ist und ein berechtigtes Interesse der Versicherungsnehmerin an der Geheimhaltung der Unterlagen nicht gegeben ist bzw. diese sogar mit der Einsichtnahme einverstanden ist.

Vorliegend sind die Voraussetzungen für die von der Klägerin begehrte Einsicht bzw. Herausgabe von Kopien der Unterlagen erfüllt. Legitime wirtschaftliche Belange der Klägerin erfordern ihre Einsicht in die Pflegedokumentation des Beklagten. Unstreitig hat sie die wirtschaftlichen Folgen des Sturzes am 30.08.2005, bei dem es zu erheblichen Verletzungen der Versicherten Helmine C. gekommen war, zu tragen. Da es sich bei dem Sturz nicht ausschließen lässt, dass er auf unzureichende Obhut, also auf eine Verletzung des Heimvertrages zurückzuführen ist, muss die Klägerin schon im Hinblick auf ihre Pflichten gegenüber der Gemeinschaft der Versicherten prüfen, ob dem Beklagten eine ihn zu Schadensersatz verpflichtende Verletzung des Heimvertrages vorzuwerfen ist, und ihn ggfs. auf Erstattung der verauslagten Kosten in Anspruch nehmen. Dies ist ihr aber nur nach vorheriger Einsicht in die Pflegedokumentation möglich. Insoweit kann die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Beweislast in einem Haftungsprozess nicht unberücksichtigt bleiben. Danach trägt grundsätzlich der Anspruchsteller die Beweislast für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals bei einem Unfall im Heim (vgl. dazu BGH VersR 2005, 984 m.w.N.). Da in solchen Fällen jedoch die Beweislastregel des § 280 I Satz 2 BGB für eine schuldhafte Pflichtverletzung des Pflegepersonals keine Anwendung findet, ist der Geschädigte bzw. hier der Krankenversicherer zwingend auf die Einsichtnahme in die Dokumentation angewiesen, bevor er darüber entscheidet, ob er einen Prozess führt, zumal die obergerichtliche Rechtsprechung den Anspruchsteller gerade auch auf diese Möglichkeit verweist. (vgl. dazu OLG Hamm, Urt. vom 18.10.2005 - 24 U 13/05; OLG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 31.01.2007 - 6 U 98/06 - sowie Urteil vom 18.10.2006 - 6 U 85/06; OLG Düsseldorf, Urteil vom 16.06.2005 - I-15 U 160/03). Es kann aber nicht angehen, dem Anspruchsteller die uneingeschränkte Beweislast für eine schuldhafte Verletzung des Heimvertrages aufzuerlegen und ihm Beweiserleichterungen im Hinblick darauf, dass er die Pflegedokumentation einsehen könne, zu versagen, ihm aber gleichwohl keinen Anspruch auf Einsichtnahme in diese Dokumentation zuzubilligen.

Dabei kann dahingestellt bleiben, ob im Einzelfall ein Einsichtsrecht entfällt, weil besondere Gründe die Geheimhaltung erfordern. Dies mag beispielsweise bei der Geltendmachung von Einsichtsrechten in psychiatrische Unterlagen der Fall sein (vgl. dazu BGH NJW 1983, 330). Vorliegend sind solche besonderen Gründe nicht ersichtlich. Sie werden von dem Beklagten auch nicht behauptet. Es geht hier allein um die Einsicht in die Pflegedokumentation bzgl. des Zeitraums, in dem sich der Sturz ereignete bzw. um die genaue Überprüfung möglicher Ursachen, wie es zu diesem Sturz gekommen ist. Das Einsichtsinteresse der Klägerin beschränkt sich daher auf die vermögensrechtlichen Gesichtspunkte, so dass mangels anderweitiger Anhaltspunkte eine Gefährdung des "höchstpersönlichen Teils" des Einsichtsanpruchs der Geschädigten durch die Einsichtnahme seitens der Klägerin ausgeschlossen erscheint.

Soweit sich ferner ein entgegenstehendes Interesse des Beklagten aus seiner Schweigepflicht ergeben könnte, liegen eine Entbindung von der Schweigepflicht sowie eine Genehmigung der Herausgabe der Unterlagen durch den Betreuer vor. Diese sind auch wirksam. Dass der dem Sohn der Geschädigten übertragene Wirkungskreis die Entbindung von der Schweigepflicht umfasst, kann nach Auffassung der Kammer nicht ernsthaft in Zweifel gezogen werden. Der Wirkungskreis ist nicht auf die Gesundheitsfürsorge beschränkt, sondern erstreckt sich auch auf Vermögensangelegenheiten einschließlich der Vertretung gegenüber Renten- und Versicherungsanstalten. Hier geht es um die Vertretung der Geschädigten gegenüber ihrer Krankenversicherung, so dass die Erklärungen des Betreuers gegenüber der Klägerin im Rahmen seiner Bestellung abgegeben worden sind.

Der Betreuer konnte vorliegend auch wirksam von der Schweigepflicht entbinden. Insoweit ist für die Wirksamkeit seiner Erklärung darauf abzustellen, ob er eine solche Erklärung auch abgeben würde, wenn er dies bei der Geltendmachung von Ansprüchen durch die Betreute selbst ebenfalls tun würde, weil sie nur dann ihre Interessen, auch Vermögensinteressen, weiter verfolgen könnte. Dies ist hier der Fall. Ob der Betreuer in bestimmten Fällen daran gehindert sein kann, von der Schweigepflicht zu entbinden, beispielsweise weil eine Entbindung dem Interesse des Betreuten entgegensteht, kann dahinstehen. Der Beklagte hat dafür nichts vorgetragen. Es sind auch sonst keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass sich bei Einsichtnahme in die Dokumentation Umstände ergeben könnten, deren Bekanntwerden bei der Krankenversicherung für die Betreute nachteilig sein könnte. Demgemäß ist von einer Wirksamkeit der Erklärung über die Entbindung von der Schweigepflicht auszugehen.

3. Allerdings kann der Klägerin kein unbeschränktes Einsichtsrecht zuerkannt werden. Zwar ist das Einsichtsrecht des Patienten bzw. Heimbewohners selbst grundsätzlich unbeschränkt. Doch ist dieses Einsichtsrecht gemäß §§ 412, 401 BGB auf die Klägerin nicht unbeschränkt, sondern nur in dem Umfang übergegangen, in dem sie es zur Wahrnehmung ihrer materiellen Interessen benötigt. Insoweit ist der Fall anderes gelagert als bei einer ausdrücklichen - unbeschränkten - Abtretung des Einsichtsrechts durch die Geschädigte selbst. Insoweit kann die Schweigepflichtsentbindungserklärung und Herausgabegenehmigung des Betreuers vom 28.04.2006 auch nicht als Abtretung ausgelegt werden. Sie ist inhaltlich eindeutig und insoweit nicht auslegungsfähig.

Ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Einsicht bzw. der Herausgabe der Unterlagen besteht aber nur bis zu dem Tag des Sturzes am 30.08.2005 sowie bezüglich eines angemessenen Zeitraumes davor, um feststellen zu können, ob der gesundheitliche Zustand der Geschädigten in der Zeit vor dem Sturz dergestalt war, dass besondere pflegerische Betreuung bzw. besondere Sicherheitsmaßnahmen erforderlich waren. Insoweit hält die Kammer für die Zeit davor einen Zeitraum von ca. 6 Monaten für ausreichend, so dass der Klageanspruch entsprechend zeitlich einzugrenzen, die unbeschränkte Klage teilweise abzuweisen war.

4. Schließlich folgt aus dem Einsichtsrecht schon aus praktischen Erwägungen ein Anspruch auf Überlassung von Fotokopien der einzusehenden Unterlagen. Die Kostenerstattung dafür hat die Klägerin bei Antragsstellung bereits berücksichtigt.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs.1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

IV.

Die Revision war zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts sowie die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordern (§ 543 Abs. 2 S. 1 ZPO). Die Problematik des Einsichtsrechts des Krankenversicherungsträgers gegenüber dem Heimträger ist höchstrichterlich nicht entschieden. Es besteht auch keine einheitliche Rechtsprechung der Instanzgerichte.