OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 19.09.2008 - 13 B 1070/08
Fundstelle
openJur 2011, 57682
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 12. Juni 2008 wird auf Kosten des Antragstellers zurückgewiesen.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,-- EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Durch für sofort vollziehbar erklärten Bescheid vom 22. April 2008 verpflichtete die Antragsgegnerin den Antragsteller, einer Vermittlung von Patientenanrufen zu seiner Praxis durch den "AZN e. V." (Allgemeiner Zahnärztlicher Notdienst) entgegen zu wirken, solange für die Vermittlung in allgemein zugänglichen Verzeichnissen (Telefonbuch, "Google") ohne die Klarstellung geworben wird, dass es sich um einen privat organisierten Notdienst handelt. Im Bereich E. wirkt der Antragsteller als einziger Zahnarzt mit dem AZN zusammen,

II.

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 12. Juni 2008, über die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO im Rahmen der vom Antragsteller fristgerecht dargelegten Gründe befindet, hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. April 2008 zu Recht abgelehnt. Die Entscheidung nach § 80 Abs. 5 VwGO fällt auch aus der Sicht des Senats zum Nachteil des Antragstellers aus. Das Beschwerdevorbringen des Antragstellers ist nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen.

Der Senat schließt sich der Wertung des Verwaltungsgerichts an, dass bei der diesem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes eigenen summarischen Prüfung keine Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit der Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. April 2008 bestehen.

Nach § 6 Abs. 1 Nr. 6 HeilBerG NRW kann die Heilberufskammer zur Beseitigung berufsrechtswidriger Zustände Verwaltungsakte erlassen. Nach § 21 Abs. 1 Satz 4 der Berufsordnung - BO - der Antragsgegnerin vom 19. November 2005 (MBl. NRW 2006, 42; MBl. NRW 2008, 82) darf der Zahnarzt eine berufswidrige Werbung durch Dritte weder veranlassen noch dulden und hat dem entgegen zu wirken. Als berufswidrig ist insbesondere eine anpreisende, irreführende, herabsetzende oder vergleichende Werbung anzusehen (§ 21 Abs. 1 Satz 3 BO). Für interessengerechte und sachangemessene Informationen, die keinen Irrtum erregen, bleibt demgegenüber im rechtlichen und geschäftlichen Verkehr Raum.

Die in Telefonbüchern, in den Gelben Seiten und im Internet erfolgende Werbung des Allgemeinen Zahnärztlichen Notdienstes e.V.- AZN -, auf die - weil der Antragsteller selbst nicht unmittelbar als Werbender in Erscheinung tritt - im Rahmen des § 21 Abs. 1 Satz 4 BO als hinter dem Antragsteller stehende Organisation abzustellen ist, ist irreführend und daher berufswidrig in dem vorgenannten Sinne. Sie begründet nämlich eine Verwechslungsgefahr mit dem zahnärztlichen Notfalldienst, der gesetzlich der Antragsgegnerin als Aufgabe zugeschrieben ist (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 3 HeilBerG). Dies gilt sowohl im Hinblick auf die Werbe-Formulierungen des AZN, die der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22. April 2008 zu Grunde liegen ("Zahnärztlicher Notdienst ZPN", "Zahnärztlicher Notdienst (alle Kassen)", "Allgemeiner Zahnärztlicher Notdienst (alle Kassen)"), als auch hinsichtlich der Werbe-Anzeigen ("Allg. Zahnärztlicher Notdienst e.V. (alle Kassen)", "Allg. Zahnärztlicher Notdienst e.V. (alle Kassen, kammerunabhängig"), die der AZN im Verlauf des Verfahrens zur Diskussion gestellt hat und die wegen möglicher Änderung der Beurteilungsgrundlage der angefochtenen Verfügung bei der gerichtlichen Entscheidung zu berücksichtigen sind.

Ob eine Werbung irreführend ist, ist aus der Sicht der durch sie angesprochenen Verkehrskreise und eines durchschnittlich informierten und verständigen Verbrauchers/Patienten zu bewerten. Ebenso wie das Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass dem durchschnittlich informierten Patienten bekannt ist, dass für Notfälle außerhalb der üblichen Sprechstundenzeiten ein ärztlicher und zahnärztlicher Notdienst zur Verfügung steht und dass für dessen Organisation regelmäßig die jeweilige Heilberufskammer zuständig ist. Dies zeigen in gewisser Weise insbesondere die Fälle, in denen der Notdienst nach Ansicht der einen solchen Dienst in Anspruch nehmenden Patienten nicht ordentlich durchgeführt wurde und entsprechende Beschwerden bei der jeweiligen (Zahn-)Ärztekammer geltend gemacht werden. Darin kommt die im Bewusstsein der meisten Patienten vorhandene Vorstellung eines "öffentlichen" (zahn-)ärztlichen Notdienstes zum Ausdruck ("klassischer Notdienst", so OLG Hamm, Urteil vom 09. August 2005 - 4 U 51/05 - , GRUR-RR 2006, 105), auch wenn es einem Patienten, der wegen starker Zahnschmerzen oder aus sonstigen Gründen den zahnärztlichen Notdienst in Anspruch nehmen muss, vordergründig gleichgültig sein wird, welcher Organisation der Notdienst-Zahnarzt angehört. Diesem "öffentlichen" Notdienst bringt die Masse der Patienten im Grundsatz ein besonderes Vertrauen entgegen, auch wenn in Einzelfällen Mängel bei der Durchführung des Notdienstes auftreten können. Der verständige Durchschnittspatient verbindet mit der Vorstellung eines "öffentlichen", von den Ärzte- oder Zahnärztekammern organisierten Notdienstes zudem nicht nur die Überlegung, dass dieser außerhalb der üblichen Sprechzeiten vorgehalten wird und somit "rund um die Uhr" eine zahnärztliche Versorgung gewährleistet ist, sondern auch die Erwartung, dass für den Fall der Notwendigkeit der Inanspruchnahme des Notdienstes dieser schnell und unter einem bekannten und gebräuchlichen Begriff in den einschlägigen Medien (Tageszeitung, Telefonbücher, Internet usw.) ausfindig gemacht werden kann. Er wird deshalb vorrangig unter dem weithin bekannten und langjährig eingeführten Stichwort "Zahnärztlicher Notdienst" oder "Ärztlicher Notdienst" suchen, so dass in gewisser Weise diesen Begriffen aus der Sicht des Patienten auch ein - wenn auch nicht formalisierter - Vertrauensschutz zugesprochen werden kann. Diese auch den "Zahnärztlichen Notdienst" als Begriff umfassende Vorstellung des durchschnittlich informierten Patienten mindert dementsprechend auch die Notwendigkeit für die Antragsgegnerin, sich durch eine andersartige Begriffsbildung von anderen auf dem selben Markt tätigen, privat organisierten Notdiensten abzugrenzen. Eine den klassischen Notdienst-Begriffen ähnlich klingende Begriffsangabe, die hier seitens des AZN mit den o. a. Hinweisen auf den von ihr betriebenen Notdienst gegeben ist, birgt aber für Patienten, die den zahnärztlichen Notdienst aufsuchen müssen, die Gefahr einer leichten Verwechslung mit dem "öffentlichen" (klassischen) Notdienst der Zahnärztekammer in sich. Das liegt nicht im Interesse des auf ein schnelles Auffinden einer Notdienst-Praxis angewiesenen Notfallpatienten. Dies gilt erst recht bei Berücksichtigung des Umstands, dass der vom AZN angebotene Notdienst - anders als der von der Zahnärztekammer organisierte Notdienst für die sprechstundenfreien Zeiten - nur bis 22.00 Uhr eines Tages erreichbar ist, diese zeitliche Begrenzung aus den Anzeigen in den verschiedenen Medien nicht erkennbar ist und deshalb ein Patient, wenn er einen zahnärztlichen Notdienst in den späten Abendstunden oder in den Nachstunden in Anspruch nehmen will/muss, erst durch Anwahl einer weiteren Notdienst-Nummer sein Ziel, schnell eine Notdienst-Praxis zu finden, erreichen kann. Angesichts der Vielzahl möglicher Angaben, bei denen die Gefahr einer Verwechslung mit den Notdiensten der Zahnärztekammern weniger groß ist, erwecken die vom AZN verwendeten Begriffe auch den Eindruck einer bewussten - und demnach vermeidbaren - Anlehnung an die eingeführten Begriffe für den öffentlichrechtlichen zahnärztlichen Notdienst, zumal der Verantwortliche für den AZN, Herr Dr. N. T. , Mitte 2006 bei der Antragsgegnerin den Entwurf einer Satzung für einen "Zentralen Privatärztlichen Notdienst e.V. (ZPN)", also mit einer anderen Bezeichnung als jetzt, zur Prüfung vorgelegt hat, offenbar seinerzeit also auch keine Vorbehalte des Vereins gegen die Bezeichnung "Privat" bestanden, während die Verwendung dieses Begriffs jetzt vom AZN abgelehnt wird. Das in diesem Zusammenhang stehende Vorbringen des Antragstellers, ein später in einen Markt eintretender privater Wettbewerber dürfe nicht von der Benutzung eines vorhandenen Begriffs ausgeschlossen und auf andere (Fantasie- )Bezeichnungen verwiesen werden, führt nicht zum Erfolg der Beschwerde. In dem insoweit vom Antragsteller genannten Urteil des BGH vom 05. Juni 2008 (- 1 ZR 108/05 -, WRP 2008,1206, zum formalen Schutz für die Bezeichnung "POST") wird nämlich ebenfalls ausgeführt, dass neu eintretende Wettbewerber sich durch Zusätze von einer geschützten Wortmarke abgrenzen müssen und nicht durch Anlehnung an weitere Kennzeichen die Verwechslungsgefahr erhöhen dürfen. Diese Erwägung gilt auch in Bezug auf eine im Wesentlichen durch eine bestimmte Bezeichnung bedingte Verwechslungsgefahr.

Das Vorbringen des Antragstellers unter Hinweis auf die Entscheidung des BGH vom 20. Mai 1999 - I ZR 40/97 -, ein privatrechtlicher Notdienst sei zulässig und dürfe nicht anders behandelt werden als der öffentlichrechtliche, bedingt - unabhängig davon, dass es in dem BGH-Verfahren anders als hier um einen Notfalldienst für Privatpatienten ging - keine andere Wertung. Insbesondere liegt in der bezeichneten Sichtweise keine Festschreibung eines vermeintlichen Monopols der Zahnärztekammern zur ausschließlichen Durchführung und Regelung des zahnärztlichen Notdienstes. Mit dem Erfordernis, sich auch in der Bezeichnung von dem von der öffentlichrechtlichen Körperschaft Zahnärztekammer angebotenen Notdienst zu unterscheiden und abzugrenzen, wird vielmehr lediglich einem Bedürfnis Rechnung getragen, das sich aus der Berücksichtigung der Interessen der angesprochenen Verkehrs-/Patientenkreise ergibt. Es steht auch nicht eine Verhinderung eines privaten Notdienstes in Frage, sondern es geht lediglich um die Frage seiner Bezeichnung in Abgrenzung zu den eingeführten Begriffsangaben für den durch die Zahnärztekammern organisierten Notdienst. Wegen der in der Namenswahl liegenden Irreführung durch die Werbung des AZN ist es auch unerheblich, ob der vom AZN angebotene Notdienst ein deutliches Leistungsplus gegenüber dem öffentlichrechtlichen Notdienst der Zahnärztekammer beinhaltet, zumal derartige behauptete Kriterien für den Patienten bei dessen Suche nach einer Notdienst-Praxis nicht offenkundig sind und ihm die entsprechenden Einzelheiten bei dem Bemühen um Linderung bzw. Beseitigung seiner Zahnbeschwerden auch - ebenso wie das angesprochene Organisationskonzept des Notdienst-Zahnarztes - weitgehend gleichgültig sein werden. Der Hinweis des Antragstellers auf einen in den Werbe- Medien nur begrenzt zur Verfügung stehenden Raum für Angaben zu Notdiensten, auf Grund dessen eine geforderte ausführlichere Beschreibung des AZN nicht umsetzbar sei, ist nicht überzeugend und deshalb ebenfalls nicht geeignet, die Einschätzung des Werbeverhaltens des AZN als berufswidrig in Frage zu stellen. Dass die bestehende Verwechslungsgefahr auch nicht durch den Zusatz "e.V." bei den Werbemaßnahmen des AZN vermieden wird, hat bereits das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt. Dem schließt sich der Senat mit der ergänzenden Erwägung an, dass sich angesichts der sonstigen Bezeichnung des Notdienstes und deren - optischer - Länge der auf eine privatrechtliche Vereinigung hindeutende - relativ kurze - Zusatz einem durchschnittlich informierten Patienten nicht zwingend die Erkenntnis eines privat organisierten Notdienstes aufdrängt.

In Bezug auf die angefochtene Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. April 2008 ist auch ein besonderes Vollzugsinteresse zu bejahen. Die berufswidrige Werbung des AZN mit der Vermittlung von Notfall-Patienten an den Antragsteller erfolgt(e) u.a., wenn nicht im Wesentlichen, in Telefonbüchern und in den Gelben Seiten. Von daher bestand zur Durchsetzung des Verbots berufswidriger Werbung, der ein Zahnarzt entgegenzuwirken hat, das Bedürfnis, entsprechende künftige Werbung durch die Veröffentlichung von Anzeigen in den Folgeauflagen dieser Medien zu verhindern, so dass die Anordnung der sofortigen Vollziehung an ein zutreffendes Kriterium, nämlich das der Vermeidung weiterer Berufsverstöße anknüpft. Der zeitnahe Vollzug der fraglichen Verfügung ist - insbesondere vor dem Hintergrund der Darlegung, der AZN habe sich um die Kooperation mit weiteren Zahnärzten im Bereich E. bemüht bzw. bemühe sich entsprechend - auch geeignet, Dritte von einer Zusammenarbeit mit dem AZN abzuhalten und eine weitere Irreführung von Patienten zu vermeiden. Diese generalpräventiven Ziele rechtfertigen ebenfalls die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Verfügung der Antragsgegnerin vom 22. April 2008.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 24. Juni 1999 - 13 B 96/99 -, NJW 2000, 891; Finkelnburg/Dombert/Külpmann, Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 5. Aufl., Rdn. 781.

Die Antragsgegnerin hat auch zeitgerecht mit der angefochtenen Verfügung und deren Anordnung der sofortigen Vollziehung reagiert. Das Vorbringen des Antragstellers, die Antragsgegnerin habe seit Mitte 2006 von dem AZN und dessen Tätigkeit im Bereich E. Kenntnis gehabt, und deshalb sei die Anordnung der sofortigen Vollziehung nicht (mehr) gerechtfertigt, verfängt demgegenüber nicht. Eine Verwirkung des Rechts zur Anordnung der sofortigen Vollziehung ist durch den Zeitraum bis zum Erlass der angefochtenen Verfügung nicht eingetreten. Dem öffentlichen Interesse an der umgehenden Durchsetzung der Verfügung vorgehende private Interessen des Antragstellers sind nicht ersichtlich. Das hat bereits das Verwaltungsgericht im Hinblick auf etwaige finanzielle Einbußen als Folge der Vorgabe, Vermittlungen von Notdienst-Patienten durch den AZN an ihn nicht nachkommen zu dürfen, festgestellt. Die Interessen des AZN, der nicht unmittelbarer Adressat derselben ist, werden von der Verfügung nur sekundär tangiert und können deshalb die öffentlichen Interessen an deren sofortiger Durchsetzung nicht beiseite drängen. Im Übrigen ist dem AZN eine Änderung der Bezeichnung des von ihm betriebenen Notdienstes möglich und zumutbar, um dem Vorwurf berufswidriger Werbung zu begegnen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.