LAG Düsseldorf, Urteil vom 13.06.2008 - 10 Sa 449/08
Fundstelle
openJur 2011, 57249
  • Rkr:
Verfahrensgang

Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gemäß § 3 Abs. 1 EFZG besteht auch für Arbeitsunfähigkeit, die durch eine künstliche Befruchtung bedingt ist. Das gilt jedenfalls für Behandlungen, die aufgrund eines von der Krankenkasse genehmigten Behandlungsplans im Sinne des § 27 a SGB V erfolgt sind.

Tenor

1.

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 17.01.2008 - Az.: 1 Ca 1805/07 - wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob die Beklagte verpflichtet ist, Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit infolge einer künstlichen Befruchtung zu leisten.

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse, bei der eine Arbeitnehmerin der Beklagten versichert ist. Mit Bescheid vom 04.08.2006 bewilligte die Klägerin der Arbeitnehmerin Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27 a SGB V für maximal drei Zyklen (Bl. 27 d. A.). Hieraufhin wurde die Arbeitnehmerin im Zeitraum vom 29.06. bis 18.10.2006 erfolglos und in der Zeit vom 07.03. bis 22.04.2007 mit Erfolg im Rahmen einer artifiziellen Insemination behandelt. Der Beklagten legte die Arbeitnehmerin jeweils Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor. Nachdem die Beklagte für den erstgenannten Zeitraum Entgeltfortzahlung geleistet hatte, verweigerte sie diese für den zweitgenannten Zeitraum, weil sie zwischenzeitlich von den Hintergründen der Arbeitsunfähigkeit erfahren hatte. Hieraufhin zahlte die Klägerin der Arbeitnehmerin für den genannten Zeitraum Krankengeld in Höhe von € 722,19.

Mit der am 23.05.2007 beim Arbeitsgericht Essen erhobenen Klage fordert die Klägerin Erstattung dieses Betrages.

Sie hat die Auffassung vertreten, aus übergegangenem Recht (§ 115 Abs. 1 SGB X) Anspruch auf Zahlung zu haben, weil die Beklagte ihrer Arbeitnehmerin aus § 3 Abs. 1 EFZG zur Zahlung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet sei. Unfruchtbarkeit sei eine Krankheit. Die Behandlung dagegen führe zu einer unverschuldeten Arbeitsunfähigkeit.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie € 722,19 nebst 5 v. H. über jeweiligem Basiszinssatz seit Zustellung der Klage zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Ansicht vertreten, Sterilität sei nur ein vermeintlich unnormaler körperlicher Zustand, der zudem die Arbeitsfähigkeit der Arbeitnehmerin nicht tangiere. Die Behandlung durch künstliche Befruchtung sei auch nicht geeignet, die vermeintliche Krankheit zu beseitigen. Die Entscheidung zu einer künstlichen Befruchtung beruhe auf einer freien Willensentscheidung der Arbeitnehmerin und sei nicht mit dem Schutzzweck des § 3 EFZG vereinbar. Die Arbeitnehmerin könne ihre persönlichen Lebensziele nicht auf Kosten des Arbeitgebers realisieren. Weder trage dieser Verantwortung für die affektive Ausrichtung der Arbeitnehmerin noch sei es gerechtfertigt, ihn für das gesellschaftspolitische Ziel in Anspruch zu nehmen, auch unfruchtbaren Menschen Kinder zu ermöglichen.

Mit Urteil vom 17.01.2008 hat das Arbeitsgericht Essen der Klage stattgegeben und seine Entscheidung wie folgt begründet:

Der der Höhe nach unstrittige und gemäß § 115 Abs. 1 SGB X wegen der Zahlung von Krankengeld auf die Klägerin übergegangene Anspruch der Arbeitnehmerin folge aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG, weil sämtliche Voraussetzungen dieser Norm auch im Falle der künstlichen Befruchtung erfüllt seien. Die Arbeitnehmerin sei unstrittig unfruchtbar. Bei Unfruchtbarkeit handele es sich um eine Krankheit im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Die Arbeitnehmerin sei infolge dieser Krankheit arbeitsunfähig gewesen, weil die Unfruchtbarkeit die alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Entgegen der Argumentation der Beklagten könne ein anderer Grund jedenfalls nicht darin gesehen werden, dass nicht die Unfruchtbarkeit selbst, sondern erst der Wunsch der Arbeitnehmerin, diese zu überbrücken, Grund für die Arbeitsunfähigkeit gewesen sei. Der Wunsch, eine Krankheit zu behandeln, trete immer hinzu. Richtig sei zwar, dass die Unfruchtbarkeit nicht die direkte Ursache für die Arbeitsunfähigkeit gewesen sei, weil die Arbeitnehmerin auch mit ihrer Krankheit ohne Beeinträchtigungen weiter hätte arbeiten können. Der Arbeitgeber müsse aber auch für solche Zeiträume Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG leisten, für die erst die Behandlung gegen eine Krankheit zur Arbeitsunfähigkeit geführt habe. Schließlich könne eine Leistung, die die Krankenversicherung als Krankenbehandlung nicht nur anerkenne, sondern für die sie sogar die Kosten übernehme, kein Verschulden des Arbeitnehmers im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG begründen. Ein solches sei nur bei einem groben Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen gegeben. Hiervon könne im Falle einer künstlichen Befruchtung solange keine Rede sein, wie die von § 27 a SGB V vorausgesetzte positive ärztliche Prognose vorliege und die hieraufhin durchgeführten Maßnahmen nicht allesamt gescheitert seien.

Gegen das ihr am 18.02.2008 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Berufungsschrift vom 13.03.2008 am 17.03.2008 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 11.04.2008 - eingegangen am selben Tag - begründet.

Die Beklagte hält das erstinstanzliche Urteil für fehlerhaft, weil das Arbeitsgericht ohne gebotene nähere Darlegung davon ausgegangen sei, dass es sich bei Unfruchtbarkeit um eine Krankheit handele. Das Arbeitsgericht gehe fehl in seiner Aussage, die Einheitlichkeit der Rechtsordnung gebiete es, den Begriff der Krankheit in § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ebenso auszulegen, wie in anderen Gesetzen. Darüber hinaus habe das erstinstanzliche Gericht nicht berücksichtigt, dass die bei der Arbeitnehmerin vorhandene Sterilität nicht die Arbeitsfähigkeit tangiert und deshalb auch nicht zur Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 3 EFZG geführt habe. Die der Arbeitnehmerin attestierte Arbeitsunfähigkeit beruhe nicht auf der Unfruchtbarkeit selbst, sondern anscheinend auf der Therapie zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Welche Folgen die Therapie gehabt habe, sei unbekannt. Es werde bestritten, dass die vermeintlichen Folgen Krankheitswert gehabt hätten. Darüber hinaus meint die Beklagte, dass die Vornahme einer künstlichen Befruchtung zwar kein Verschulden gegen sich selbst im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG darstellen dürfte. Gleichwohl sei aber zu bedenken, dass die durch die künstliche Insemination hervorgerufenen und die Arbeitsunfähigkeit erst auslösenden gesundheitlichen Folgen auf einer freien Willensentscheidung beruht hätten. Eine auf diese Weise verursachte Arbeitsunfähigkeit sei mit dem sozialen Schutzzweck des § 3 EFZG nicht zu vereinbaren.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Essen vom 17.01.2008 - 1 Ca 1805/07 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Wegen ihres Vorbringens wird Bezug genommen auf den Berufungserwiderungsschriftsatz vom 28.04.2008 (Bl. 78 ff d. A.).

Im Übrigen wird wegen der weiteren Einzelheiten des zugrundeliegenden Sachverhalts sowie des widerstreitenden Sachvortrags und der unterschiedlichen Rechtsauffassungen der Parteien ergänzend Bezug genommen auf den Akteninhalt, insbesondere die wechselseitigen Schriftsätze der Parteien aus beiden Rechtszügen nebst ihren jeweiligen Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlungen.

Gründe

I.

Die Berufung ist zulässig.

Sie ist nach Maßgabe der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden. Sie ist auch statthaft im Sinne des § 64 Abs. 1, 2 ArbGG. Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt € 600,--.

II.

In der Sache hingegen führt die Berufung nicht zu einer Abänderung des angegriffenen Urteils.

Das Arbeitsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben.

Die Klägerin hat Anspruch auf Zahlung von € 722,19 aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG i. V. m. § 115 Abs. 1 SGB X.

1) Die Beklagte ist zur Entgeltfortzahlung verpflichtet, weil sämtliche Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG gegeben sind und dem Anspruch keinerlei Einwendungen entgegenstehen.

a) Dass es sich bei Unfruchtbarkeit um eine Krankheit handelt, kann kaum ernsthaft in Abrede gestellt werden. Unzweifelhaft ist die Fortpflanzungsfähigkeit für (Ehe-) Partner, die sich in Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes gemeinsam für ein eigenes Kind entscheiden, eine biologisch notwendige Körperfunktion (vgl. BGH vom 12.11.1997 - IV ZR 58/97 = NJW 1998, 824 unter 2. b der Entscheidungsgründe sowie die umfänglichen Nachweise des erstinstanzlichen Urteils zu Rspr. und Lit.). Ob das Arbeitsgericht - wie die Beklagte meint - mit seiner Aussage fehlgeht, dass die Einheitlichkeit der Rechtsordnung es gebiete, den Begriff der Krankheit in § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ebenso auszulegen wie in anderen Gesetzen, kann dahinstehen. Für den hier zu entscheidenden Rechtsstreit kommt es darauf nicht an. Die Beklagte weist mit ihrer Berufungsbegründungsschrift zutreffend darauf hin, dass die hier attestierte Arbeitsunfähigkeit nicht auf der Unfruchtbarkeit selbst beruht, sondern auf der zum Zwecke der Überwindung dieser körperlichen Unzulänglichkeit durchgeführten künstlichen Befruchtung. Die Arbeitnehmerin war für den hier umstrittenen Zeitraum arbeitsunfähig erkrankt, weil sie sich einer künstlichen Befruchtung unterzogen hat. Angesichts der unstrittigen Tatsache, dass die dem hier umstrittenen Entgeltfortzahlungsanspruch zugrundeliegende Maßnahme auch erfolgreich war, ist nicht recht verständlich, was die Beklagte meint, wenn sie mit ihrer Berufungsbegründung mitteilt, es sei nicht bekannt, welche Folgen die Therapie gehabt habe. Unzureichend und für die Entscheidung des Falles unbeachtlich ist zudem der Hinweis, es werde bestritten, dass die vermeintlichen Folgen der Therapie Krankheitswert gehabt hätten. Falls damit von Arbeitgeberseite - erstmalig mit der Berufungsbegründung - in Abrede gestellt werden soll, dass die Arbeitnehmerin für den umstrittenen Zeitraum tatsächlich arbeitsunfähig war, greift dieses Vorbringen schon deshalb zu kurz, weil ihm die unstrittig vorliegende ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit ihrem hohen Beweiswert entgegensteht. Für die Entscheidung des Rechtsstreits ist mithin allein maßgeblich, dass die Arbeitnehmerin - ärztlich attestiert - infolge Krankheit an der Erbringung ihrer Arbeitsleistung gehindert war. Dass diese Erkrankung Folge oder genauer Begleiterscheinung einer künstlichen Befruchtung war, ändert an dem arbeitsmedizinischen Befund der Arbeitsunfähigkeit nichts.

b) Aufgeworfen ist damit allerdings die Frage, ob sich die Arbeitnehmerin Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorwerfen lassen muss.

aa) Unzweifelhaft hat sich die Arbeitnehmerin zur Durchführung der die Arbeitsunfähigkeit auslösenden künstlichen Befruchtung aus freiem Willen entschlossen. Das Arbeitsgericht hat in seiner Entscheidung aber zutreffend darauf abgestellt, dass nach allgemein anerkannter Definition ein Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nur bei einem Verhalten angenommen werden kann, das sich als grober Verstoß gegen das eigene Interesse eines verständigen Menschen erweist (vgl. zu dieser Definition statt vieler: ErfK/Dörner § 3 EFZG Rn 42 m.w.N. auch zur Rspr. des BAG). Gegen die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass von einem solchen Verschulden im Falle einer künstlichen Befruchtung solange nicht gesprochen werden könne, wie die von § 27 a SGB V vorausgesetzte positive ärztliche Prognose vorliege und die hieraufhin durchgeführten Maßnahmen nicht allesamt gescheitert seien, wendet sich die Berufung nicht. Denn in ihrer Berufungsbegründung gelangt die Beklagte zu der zutreffenden Einschätzung, dass die Vornahme einer künstlichen Befruchtung jedenfalls solange nicht als Verschulden im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG zu werten sein dürfe, wie es nicht offensichtlich sei, dass keine Erfolgsaussichten (mehr) bestünden, wovon regelmäßig erst ausgegangen werden könne, wenn die durch § 27 a Abs. 1 Nr. 2 SGB V vorgesehenen Versuche gescheitert seien.

Die Berufungskammer teilt diese übereinstimmende Beurteilung und insbesondere auch die nicht nur vom Arbeitsgericht, sondern auch von verschiedenen Stimmen in der Literatur (Schmidt, EFZG, 6. Aufl., § 3 Rn. 77; Feichtinger/Malkmuss, EFZG, § 3 Rn. 188) gezogene Parallele zu § 27 a SGB V. Denn sie vermeidet nicht nur Wertungswidersprüche zwischen Entgeltfortzahlungsrecht und Sozialversicherungsrecht, sondern transferiert sogleich auch die in der Praxis etablierten und handhabbaren Beurteilungskriterien des Sozialversicherungsrechts auf eine für Rechtssicherheit und Rechtsklarheit sorgende Weise in das Recht der Entgeltfortzahlung.

bb) In Anwendung vorstehender Rechtsgrundsätze kann für die Entscheidung des gegebenen Falls ein Verschulden der Arbeitnehmerin im Sinne des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG zweifelsfrei verneint werden. Die Behandlungen der Arbeitnehmerin erfolgten auf Basis des genehmigten Behandlungsplans für Maßnahmen zur künstlichen Befruchtung gemäß § 27 a SGB V und lagen damit innerhalb der durch diese Vorschrift gezogenen Grenzen.

c) Das damit gewonnene, eine Entgeltfortzahlungsverpflichtung der Beklagten bejahende Ergebnis erfährt auch keine Einschränkung infolge der Berücksichtigung ungeschriebener, der vorgeblichen Gewährleistung des Gesetzeszweckes dienender Tatbestandsmerkmale oder eines einschränkenden Rückgriffs auf den Schutzzweck der Normen des Entgeltfortzahlungsrechts. Selbst der von Beklagtenseite wiederholt als Protagonist ihrer ablehnenden Auffassung zitierte Müller-Roden gelangt in seinem Aufsatz zu dem Ergebnis, dass sich ein Verschulden gegen sich selbst nur schwerlich konstruieren lasse, wenn das Ziel eigener Nachkommenschaft verfolgt werde (Müller-Roden, Entgeltfortzahlung bei künstlicher Befruchtung, NZA 1989, 128, 131). Allerdings vertritt er die Auffassung, die Verwirklichung etwaiger Kindeswünsche spiele sich als ein Akt der Ausübung des Selbstbestimmungsrechts in der Privatsphäre jedes Einzelnen ab, von dem nicht ersichtlich sei, weshalb der Arbeitgeber hierbei finanzielle Hilfestellung leisten müsse. Um seiner Auffassung trotz fehlendem Verschuldensvorwurf Geltung verschaffen zu können, meint Müller-Roden unter Berufung auf eine zum Thema der entgeltfortzahlungsrechtlichen Behandlung von Organspenden ergangene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG vom 06.08.1986 - 5 AZR 607/85 - = NJW 1987, 1508) auf den sozialen Schutzzweck der Vorschrift zurückgreifen zu können (Müller-Roden, a. a. O., S. 131). Mit der von Müller-Roden herangezogenen Entscheidung hat das Bundesarbeitsgericht darauf erkannt, dass ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung (seinerzeit noch Lohnfortzahlung nach dem Lohnfortzahlungsgesetz) nicht besteht, wenn die Arbeitsunfähigkeit Folge eines ärztlichen Eingriffs zur Knochen-, Gewebe- oder Organtransplantation ist. Eine auf diese Weise verursachte Arbeitsunfähigkeit werde nicht mehr von dem sozialen Schutzzweck der die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall regelnden Grundnorm des § 1 Abs. 1 Satz 1 LohnFG erfasst.

Die Auffassung Müller-Rodens, mit dieser Entscheidung habe das Bundesarbeitsgericht eine auch für die hier interessierende Frage der Entgeltfortzahlung für Arbeitsunfähigkeit infolge einer künstlichen Befruchtung wegweisende Entscheidung getroffen, vermag die Berufungskammer nicht zu teilen. Die Fälle liegen völlig verschieden.

Ein ärztlicher Eingriff zur Knochen-, Gewebe- oder Organtransplantation resultiert nicht aus der gesundheitlichen Verfassung des Arbeitnehmers. Er dient auch nicht der Beseitigung oder Überwindung einer ihn unmittelbar betreffenden körperlichen Beeinträchtigung. Es geht nicht um seine Gesundheit, sondern um die des Spendenempfängers. Dem gemäß stellt das Bundesarbeitsgericht in der genannten Entscheidung darauf ab, dass der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit bewusst als unvermeidbare Begleiterscheinung hinnehme, um mit der Organspende eine Hilfeleistung für einen anderen zu erbringen. Eine auf diese Weise verursachte Arbeitsunfähigkeit sei nicht mehr von dem sozialen Schutzzweck der die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall regelnden Grundnorm des § 1 Abs.1 Satz 1 LohnFG erfasst. Das gelte jedenfalls dann, wenn dem Arbeitnehmer wegen des Lohnausfalls ein Anspruch gegen den Versicherungsträger zustehe, der für die Heilbehandlung des Organempfängers aufzukommen habe (BAG vom 06.08.1986 - 5 AZR 607/85 = EzA § 1 LohnFG Nr. 81 = NJW 1987, 1508 unter I der Entscheidungsgründe). Der letzte Satz lässt deutlich erkennen, dass das Bundesarbeitsgericht selbst in der Situation der Organspende die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitgebers nicht schlechterdings für ausgeschlossen gehalten hat, sondern lediglich den Vorrang des sachnäheren sozialen Schutzsystems des Spendenempfängers vor Augen hatte. Dieser Betrachtung kann die Berufungskammer nur zustimmen. In der Tat liegt es im Falle der Organspende weit näher, für die finanziellen Folgen der Maßnahme das soziale Schutzsystem des Spendenempfängers und nicht das des Spenders eintreten zu lassen. Außerhalb des Schutzzwecks der die Entgeltfortzahlung regelnden Norm liegt die Maßnahme bei dieser Betrachtung dann aber nicht etwa deshalb, weil ihr eine Eigenschaft anhaftet, die sie per se entgeltfortzahlungsrechtlich neutralisiert, sondern allein deswegen, weil sie dem Schutzzweck einer anderen, nämlich der die soziale Absicherung des Spendenempfängers regelnden Norm weit näher steht.

Gänzlich anders liegt der Fall der künstlichen Befruchtung. Hier ist die Arbeitnehmerin sehr wohl unmittelbar selbst betroffen. Wie der Erfolg zeigt, dient der Eingriff, wenn auch nicht der Beseitigung, so doch der Überwindung einer sie unmittelbar betreffenden körperlichen Beeinträchtigung. Weder ist die Maßnahme fremdnützig noch drängt sich das soziale Schutzsystem einer anderen Person als das sachnähere auf.

Freilich kann der Beklagten die Frage nicht verwehrt werden, weshalb der Arbeitgeber und nicht etwa die Solidargemeinschaft für die Realisierung des gesellschaftspolitischen Ziels aufkommen soll, auch unfruchtbaren Paaren Kinder zu ermöglichen. Die gleiche Frage ließe sich für vielfältige Konstellationen des Entgeltfortzahlungsrechts aufwerfen. Die Antwort auf all diese Fragen gibt die von Müller-Roden zitierte Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts: "Wenn das Gesetz dem Arbeitgeber auferlegt, im Krankheitsfall den Lohn fortzuzahlen, so bedeutet dies, dass der Arbeitgeber das allgemeine Krankheitsrisiko seiner Arbeitnehmer tragen soll" (BAG vom 06.08.1986 - 5 AZR 607/85 a.a.O.) Zweifellos belastet schon diese gesetzgeberische Grundentscheidung den Arbeitgeber mit Kosten, die prinzipiell auch von der Solidargemeinschaft getragen werden könnten. Weder arbeitsrechtlich noch gesellschaftspolitisch ist die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Leistung von Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zwingend. Gleichwohl ist sie ein gewachsener und weitgehend akzeptierter Beitrag des Arbeitgebers zum gesamtgesellschaftlich gewollten System des Sozialschutzes. Ausgehend von dem durch das Bundesarbeitsgericht treffend formulierten Grundsatz, wer - innerhalb der zeitlichen und sachlichen Grenzen des Entgeltfortzahlungsrechtes - das allgemeine Krankheitsrisiko des Arbeitnehmers zu tragen hat, lässt sich ein triftiger Grund dafür, warum von diesem allgemeinen Krankheitsrisiko ausgerechnet Maßnahmen zur Überwindung einer Unfruchtbarkeit ausgeschlossen sein sollten, nicht finden. Hätte der Gesetzgeber solcherart Grenzen für diesen oder andere Fälle ziehen wollen, so hätte er sie im Gesetz zum Ausdruck bringen können und müssen. Die einzige Grenze, die er - mit guten Gründen - dem Schutzzweck des § 3 Abs. 1 EFZG gezogen hat, bildet der bereits erörterte Ausschluss der durch eigenes Verschulden verursachten Krankheit. Bei dieser Gesetzeslage lassen sich durch einen Rückgriff auf den konturlosen Begriff des "Schutzzwecks der Norm" nicht beliebig weitere Einschränkungen etablieren. Ob von dieser Aussage für den Fall der Organspende aus den dargestellten Gründen eine Ausnahme gemacht werden muss oder ob auch diese Situation sich in Wahrheit als ein Anwendungsfall des Verschuldens i.S.d. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG erweist, kann offen bleiben.

2) Dass die Voraussetzungen des Anspruchsübergangs gemäß § 115 Abs. 1 SGB X gegeben sind, ist ebenso unstrittig wie die Höhe des von der Klägerin an die Arbeitnehmerin gezahlten Betrages.

Demgemäß war die Berufung zurückzuweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.

Die Revision an das Bundesarbeitsgericht war zuzulassen, weil dem Rechtsstreit im Hinblick auf die Frage, ob für Arbeitsunfähigkeit infolge künstlicher Befruchtung Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Nr. 1 ArbGG zukommt.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G

Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten

REVISION

eingelegt werden.

Für die Klägerin ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss

innerhalb einer Notfrist von einem Monat

nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht,

Hugo-Preuß-Platz 1,

99084 Erfurt,

Fax: (0361) 2636 - 2000

eingelegt werden.

Die Revision ist gleichzeitig oder

innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils

schriftlich zu begründen.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

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