VG Köln, Beschluss vom 26.09.2008 - 10 L 1240/08
Fundstelle
openJur 2011, 57216
  • Rkr:
Tenor

1. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten es in der Hauptsache für erledigt erklärt haben. Der Antrag im Óbrigen wird abgelehnt. Die Kosten des Verfahrens tragen der Antragsteller zu drei Vierteln und die Antragsgegnerin zu einem Viertel.

2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Der weiterverfolgte Antrag,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller für den Besuch der Sekundarstufe II Notenschutz in Form der Nichtbeachtung von Verstößen gegen die sprachliche Richtigkeit in der deutschen Sprache bei der Bewertung schriftlicher Arbeiten zu gewähren,

bleibt ohne Erfolg.

Einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes i.S.d. § 123 Abs.1 VwGO setzen voraus, dass deren Erlass zur Abwendung wesentlicher Nachteile notwendig ist (Anordnungsgrund), und dass ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich ist (Anordnungsanspruch).

Der Antragsteller hat jedenfalls einen Anordnungsanspruch nicht glaubhaft gemacht, wie § 123 Abs.3 VwGO i.V.m. § 920 ZPO es verlangt.

Gegenüber der Antragsgegnerin scheidet ein Anspruch auf Gewährung sogenannten „Notenschutzes" von vornherein aus. Die Bewertung schulischer Leistungen eines Schülers obliegt allein dem unterrichtenden Lehrer, der sein höchstpersönliches Fachurteil auf der Grundlage eigener Erfahrungen und Einschätzungen nach pädagogischen und fachlichen Kriterien im Rahmen des geltenden Rechts trifft. Für eine Einwirkung der oberen Schulaufsichtsbehörde auf die Leistungsbewertung im Einzelfall sieht die Kammer keine rechtliche Grundlage.

Unabhängig von der fehlenden Passivlegitimation der Antragsgegnerin vermag die Kammer auch keine rechtliche Grundlage für einen Anspruch des Antragstellers darauf zu erkennen, dass bei der Bewertung seiner schriftlichen Arbeiten in den Jahrgangsstufen 12 und 13 anders als bei seinen Mitschülern Verstöße gegen die sprachliche Richtigkeit keine Beachtung finden.

Das nordrheinwestfälische Schulrecht sieht eine solche Möglichkeit nicht vor. Die Leistungsbewertung bezieht sich auf die im Unterricht vermittelten Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten (§ 48 Abs.2 SchulG); hierzu gehört grundlegend auch die Beherrschung der Schriftsprache einschließlich der Rechtschreibung. § 13 Abs.2 Sätze 2 und 3 der Verordnung über den Bildungsgang und die Abiturprüfung in der gymnasialen Oberstufe - APO-GOSt - verpflichtet den Lehrer, bei der Leistungsbewertung schriftlicher Arbeiten Verstöße gegen die Richtigkeit der deutschen Sprache angemessen zu berücksichtigen und bei gehäuften Verstößen in den Jahrgangsstufen 12 und 13 die Leistungsbewertung um bis zu zwei Punkte abzusenken. Die im Runderlass „Förderung von Schülerinnen und Schülern bei besonderen Schwierigkeiten im Erlernen des Lesens und Rechtschreibens (LRS)" des früheren Kultusministeriums vom 19.07.1991 (BASS 14-01 Nr.1) eingeräumte Möglichkeit, bei der Leistungsbewertung zwischen legasthenen und anderen Schülern im Einzelfall zu differenzieren, beschränkt sich auf Schüler der Primarstufe und der Sekundarstufe I.

Unmittelbar aus der Verfassung ergibt sich gleichfalls kein Anspruch des Antragstellers auf Nichtbeachtung von Rechtschreibdefiziten bei der Bewertung schriftlicher Leistungen. Soweit der aus Art.3 Abs.1 Grundgesetz - GG - abgeleitete prüfungsrechtliche Grundsatz der Chancengleichheit verschiedentlich

- vgl. OVG Schl.-H., Beschluss vom 19.08.2002 - 3 M 41/02 -; Hess. VGH, Beschluss vom 03.01.2006 - 8 TG 3292/05 -, NJW 2006, 1608; VG Kassel, Beschluss vom 23.03.2006 - 3 G 419/06 -

herangezogen wird, um legasthenen Schülern und Prüflingen durch Einräumung besonderer Prüfungsbedingungen - etwa dem Einsatz von technischen Hilfsmitteln oder der Gewährung eines Zeitzuschlages - die Möglichkeit zu bieten, die aus der Legasthenie resultierenden Schwierigkeiten bei der technischen Umsetzung der fachlichen Leistungsfähigkeit zu kompensieren und damit gleiche Ausgangsbedingungen zu schaffen, bietet der Grundsatz der Chancengleichheit keine Anspruchsgrundlage dafür, einen legasthenen Schüler von bestimmten, für die Mitschüler verbindlichen Prüfungsanforderungen zu befreien bzw. ihn bei der Leistungsbewertung zu privilegieren

- vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 10.07.2008 - 2 ME 309/08 - (juris); ebenso die vom Antragsteller vorgelegte rechtsgutachterliche Stellungnahme von Langenfeld.

Unmittelbar aus Art.3 Abs.3 Satz 2 GG ergibt sich für den Antragsteller ein Anspruch auf Gewährung des begehrten „Notenschutzes" auch dann nicht, wenn davon auszugehen sein sollte, dass er nach wie vor durch Legasthenie in einem Ausmaß in der Aufnahme, Verarbeitung sowie Wiedergabe von Schriftsprache und damit in seiner Lese- und Rechtschreibleistung beeinträchtigt ist, dass eine Behinderung im Sinne dieser Norm besteht. Nach Art.3 Abs.3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden. Art.3 Abs.3 Satz 2 GG begründet nach Wortlaut, Systematik und erklärtem Zweck in erster Linie ein grundrechtliches Abwehrrecht; ein originärer, subjektiver Leistungsanspruch lässt sich daraus nicht ableiten

- vgl. BVerwG, Beschluss vom 30.06.1997 - 6 B 36.97 - (juris) mit Verweis auf die Begründung der Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages; Beschluss vom 14.08.1997 - 6 B 34.97 -, NVwZ-RR 1999, 390; OVG NRW, Beschluss vom 16.11.2007 - 6 A 2171/05 -, NVwZ-RR 2008, 271; Nds. OVG, Beschluss vom 10.07.2008 - 2 ME 309/08 - (juris); Maunz/Dürig, GG Kommentar, Band I Stand Mai 2008, Art.3 Rdnr.175; Schmidt-Bleibtreu/Klein, GG Kommentar, 9. Aufl. 1999, Art.3 Rdnr.42; offen lassend BVerfG, Beschluss vom 08.10.1997 - 1 BvR 9/97 -,BVerfGE 96, 288; Beschluss vom 28.03.2000 - 1 BvR 1460/99 - (juris) -;

derartige Ansprüche können erst auf der Grundlage einer gesetzlichen Ausgestaltung durch den einfachen Gesetzgeber entstehen

- vgl. BVerwG, Beschluss vom 14.08.1997 - 6 B 34.97 - a.a.O.

Es ist daher Sache des Gesetzgebers, in dem durch die Verfassung vorgegebenen Rahmen zu regeln, unter welchen Voraussetzungen und auf welche Weise Beeinträchtigungen infolge einer Legasthenie im Bereich des Schul- und Prüfungswesens kompensiert werden können und dabei Gemeinschaftsbelange sowie die Rechte von Mitschülern bzw. anderen Prüflingen, wie sie sich aus dem prüfungsrechtlichen Grundsatz der Chancengleichheit ergeben

- vgl. zu diesem Aspekt bei der Gewährung sog. „Notenschutzes": Nds. OVG, Beschluss vom 10.07.2008 - 2 ME 309/08 - (juris)

zu berücksichtigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs.1, 161 Abs.2 VwGO. Hinsichtlich des für erledigt erklärten Begehrens entspricht es billigem Ermessen im Sinne des § 161 Abs.2 VwGO, die Antragsgegnerin an der Kostentragung zu beteiligen, obwohl ihr gegenüber ein Anspruch auf Gewährung einer Schreibzeitverlängerung ebenfalls mangels Passivlegitimation ausscheiden dürfte. Das Gericht berücksichtigt dabei, dass die Antragsgegnerin in ihrem an den Antragsteller gerichteten Schreiben vom 08.07.2008 - ebenso wie zuvor das Ministerium für Schule und Weiterbildung - den Eindruck erweckt hat, die Antragsgegnerin sei für die Genehmigung von Schreibzeitverlängerungen zuständig.

Die Festsetzung des Streitwertes beruht auf §§ 53 Abs.3 Nr.1, 52 Abs.1 Gerichtskostengesetz. Die Kammer hat wegen des vorläufigen Charakters des Verfahrens die Hälfte des Auffangstreitwertes zugrundegelegt. Die angestrebte Verpflichtung, einstweilen Rechtschreibfehler bei der Bewertung schriftlicher Arbeiten unberücksichtigt zu lassen, hätte nicht zu einer endgültigen Vorwegnahme der Hauptsache geführt; eine Rückgängigmachung durch Neubewertung der Arbeiten wäre möglich gewesen.