OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 19.12.2007 - 9 A 1403/05
Fundstelle
openJur 2011, 55875
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 7 K 2120/01
Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Münster vom 15. März 2005 wird teilweise geändert.

Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als sie unter Aufhebung des Bescheids vom 12. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2004 auf Neubescheidung des Erlassantrags der Klägerin sowie auf Rückzahlung einer überzahlten Abwasserabgabe gerichtet ist.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens beider Instanzen.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin betreibt die Kläranlage N. und leitet aus dieser gereinigtes Abwasser in die N1. B. ein. Bei einer Überwachungsmessung am 4. Januar 1999 wurde für den Parameter CSB eine Konzentration von 380 mg/l gemessen. Der in der wasserrechtlichen Erlaubnis festgesetzte Überwachungswert für CSB lag bei 75 mg/l.

Mit Festsetzungsbescheid vom 23. Februar 2001 setzte das frühere Landesumweltamt NRW als Rechtsvorgänger der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) die Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 1999 gegenüber der Klägerin auf 330.326,50 DM (168.893,26 EUR) fest. Auf den Parameter CSB entfiel ein Betrag in Höhe von 286.646,50 DM (146.560,03 EUR). Der Berechnung zugrunde lag eine Erhöhung der für CSB ermittelten Schadeinheiten um 203,33 % als dem hälftigen Prozentsatz der Überschreitung des Überwachungswerts.

Mit Schreiben vom 13. Juli 2001 begründete die Klägerin ihren bereits zuvor erhobenen Widerspruch gegen die Abgabefestsetzung und beantragte zugleich einen Erlass der erhöhten Abwasserabgabe im Wege einer Härtefallregelung. Sie machte geltend, sie habe Anfang Juni 1998 die erweiterte Abwasserkläranlage in Betrieb genommen. Am 4. Januar 1999 sei die durch Schlammabtrieb belastete Probe etwa um 8.30 h behördlich festgestellt worden. Eine eigene zwischen 7.15 h und 7.30 h genommene Probe habe noch eine CSB-Konzentration von 30 mg/l ergeben. Die anschließend deutlich höhere Schlammbelastung sei Folge einer unsachgemäßen Verteilung des Abwassers auf die beiden Belebungsstraßen gewesen, die durch eine Holzplatte vor dem Zulaufrohr des alten Nachklärbeckens verursacht worden sei. Eine anschließende Überprüfung des Gesamtablaufs in der Zeit von 9.15 h bis 10.15 h habe einen CSB-Wert von 31 mg/l ergeben. Die Holzplatte habe vermutlich während der Bauzeit Verwendung gefunden und sei aus nicht mehr nachzuvollziehenden Gründen in den Verteiler gelangt. Später nahm die Klägerin ergänzend Bezug auf die Begründung der gegen die Festsetzung gerichteten Klage, mit der sie im Wesentlichen in Frage stellte, ob die Probe am 4. Januar 1999 an der richtigen Messstelle genommen und auch sonst ordnungsgemäß erfolgt sei.

Am 21. September 2001 hat die Klägerin nach erfolglosem Widerspruchsverfahren Klage gegen die Abgabefestsetzung erhoben.

Am 17. Februar 2004 hat die Klägerin die Klage erweitert und auch die Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der festgesetzten Abwasserabgabe für 1999 in Höhe von 239.396,50 DM (= 122.401,49 EUR) und Rückzahlung des Betrags sowie hilfsweise eine Bescheidung ihres Erlassantrags unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verlangt. Mit Ablehnungsbescheid vom 12. März 2004 lehnte die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Teilerlass der Abwasserabgabe ab und berücksichtigte dabei auch die hierauf bezogene Klagebegründung. Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Klägerin wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2004 zurück. Sie führte aus, eine allein in Betracht kommende sachliche Unbilligkeit als Voraussetzung für den begehrten Erlass liege nicht vor. Die den Vorgaben des Abwasserabgabengesetzes entsprechende Abgabefestsetzung verstoße nicht gegen Vertrauensschutzgesichtspunkte, den Gleichheitsgrundsatz sowie den Grundsatz von Treu und Glauben. Die Abgabeforderung sei auch nicht teilweise zu erlassen, um vom Gesetzgeber nicht gewollte Härten auszugleichen. Mit der Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten um ein Mehrfaches habe der Gesetzgeber sich in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise bewusst für harte finanzielle Folgen bei Überschreitung der Überwachungswerte entschieden. Er habe ausdrücklich schon eine einmalige Überschreitung als Rechtsfolge für eine überproportionale Abgabesteigerung ausreichen lassen. Anknüpfungspunkt für die Erhöhung sei allein die Überschreitung des Überwachungswerts ohne Rücksicht auf den Grund für die Überschreitung. Das Risiko für einen störungsfreien Ablauf der Kläranlage trage allein der Betreiber. Eine Ausnahme komme lediglich dann in Betracht, wenn die Störung auf höherer Gewalt beruhe. Entgegen der Ansicht der Klägerin sei der Störfall, der zu den erhöhten Messwerten geführt habe, kein unabwendbares Ereignis gewesen. Das Vorhandensein der Holzplatte habe vielmehr in der Einflusssphäre der Klägerin gelegen. Auch habe die Klägerin nicht alle Möglichkeiten zur Vermeidung von Überschreitungen ausgeschöpft. Die Erweiterung der Anlage habe keine bessere Abwasserreinigung zur Folge gehabt und die Beschäftigung fachlich qualifizierten Personals sei ohnehin für einen ordnungsgemäßen Betrieb der Anlage erforderlich. An der eingeleiteten Schadstoffbelastung habe sich nichts dadurch geändert, dass die N1. B. wegen starker Niederschläge hydraulisch hoch belastet gewesen sei. Dies habe lediglich eine stärkere Verdünnung der eingeleiteten Schadstoffe zur Folge gehabt. Die Abgabefestsetzung sei auch nicht wegen der Verwertung des erhöhten Messwerts treuwidrig. Es sei lediglich eine Probenahme, die einen erhöhten Messwert ergeben habe, der Festsetzung zu Grunde gelegt worden. Darüber hinaus sei es nicht zu beanstanden, dass die Probenahme vollständig durchgeführt worden sei.

Die Klägerin hat hierauf im Klageverfahren eingewandt, der Störfall vom 4. Januar 1999 sei als einzigartig einzustufen und mit anderen, häufiger vorkommenden Überschreitungen nicht zu vergleichen. Es sei unberücksichtigt geblieben, dass es zu keiner längerfristigen Schädigung des Gewässers gekommen sei. Die Umstände des Einzelfalls seien nicht hinreichend gewürdigt worden. Die Beklagte habe den tatsächlich vorhandenen Ermessensspielraum nicht erkannt und deshalb das ihr zustehende Ermessen nicht ausgeübt. Die Erhebung der festgesetzten Abgabe sei mit der gesetzgeberischen Zielsetzung unvereinbar. Schließlich sei die vorgenommene unverhältnismäßige Abgabenerhöhung nicht mehr durch den Lenkungszweck des Abwasserabgabengesetzes gedeckt. Die Mehrbelastung der Klägerin stehe nicht mehr in einem vernünftigen Verhältnis zu der nur kurzfristigen Erhöhung der Abwassereinleitung, die ohne weitere Auswirkungen geblieben sei. Auch habe die Klägerin nicht absehen können, dass sich aus der Durchführung der Baumaßnahmen noch nach mehr als einem halben Jahr nicht erkennbare Risiken hätten ergeben können. Im Übrigen habe das behördliche Messpersonal der Klägerin keine Gelegenheit gegeben, nach Vorliegen des ersten Messergebnisses den Störfall zu beseitigen, und ihr auf diese Weise eine sorgfältige Kontrolle und das Treffen von Vorkehrungen im Wege der Risikovorsorge verwehrt. Der Klägerin könne der Störfall auch deshalb nicht zugerechnet werden, weil sie Vorsorge für außergewöhnliche Betriebszustände getroffen habe und weder während der Durchführung noch nach Beendigung der Baumaßnahmen Umstände eingetreten seien, die Anlass zu einer weitergehenden Risikovorsorge hätten geben können. Das äußerst zuverlässig arbeitende Ingenieurbüro habe der Klägerin ausdrücklich die ordnungsgemäße und vollständige Räumung der Baustelle versichert.

Die Klägerin hat bezogen auf den begehrten Erlass sinngemäß beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 12. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2004 zu verpflichten, der Klägerin von der festgesetzten Abwasserabgabe für 1999 hinsichtlich CSB einen Betrag in Höhe von 122.401,48 EUR zu erlassen, sowie die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin diesen Betrag nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juli 2001 zurückzuzahlen,

hilfsweise,

die Beklagte unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids vom 12. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2004 zu verpflichten, den Antrag der Klägerin auf Erlass der erhöhten Abwasserabgabe vom 13. Juli 2001 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden und an die Klägerin die aufgrund der Neubescheidung überzahlte Abwasserabgabe nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 27. Juli 2001 zurückzuzahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Einbeziehung des Erlassbegehrens in das Klageverfahren als unzulässige Klageänderung gerügt. In der Sache hat sie die Ermessensausübung als rechtmäßig verteidigt und hierzu ergänzend vorgetragen.

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, soweit sie gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe und auf Verpflichtung der Beklagten zum Erlass der Abgabe gerichtet war. Es hat jedoch die Beklagte verpflichtet, die Klägerin auf ihren Erlassantrag unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Es lägen sachliche Unbilligkeitsgründe vor. Eine Erhöhung der Schadeinheiten für das ganze Jahr um 203,33 % stehe außer Verhältnis zu einem Schädlichkeitsanstieg, der nur über einen Zeitraum von 1 ¾ Stunden vorgelegen habe. Über den gesetzlichen Zweck der Abgabe, einen Anreiz zum Gewässerschutz zu schaffen, gehe die rechtmäßige Festsetzung in diesem Einzelfall hinaus, weil sie mit Blick auf Anlass und vor allem Umfang der nur für einen Bruchteil im Jahr angestiegenen Gewässerbelastung für die Klägerin Strafcharakter besitze.

Die Festsetzung der Abwasserabgabe für das Jahr 1999 ist nach Ablehnung des hierauf bezogenen Antrags der Klägerin auf Zulassung der Berufung mit Beschluss des Senats vom 29. Oktober 2007 - 9 A 1820/05 - gegenüber der Klägerin bestandskräftig geworden.

Die nur insoweit zugelassene Berufung der Beklagten bezieht sich lediglich auf ihre Verpflichtung zur Neubescheidung des Erlassantrags. Sie führt hierzu aus, das Verwaltungsgericht habe seine Prüfungskompetenz überschritten, weil die Entscheidung über den Billigkeitserlass eine Ermessensentscheidung sei. Auch wenn der Begriff "unbillig" Inhalt und Grenzen der pflichtgemäßen Ermessensausübung bestimme, dürfe das Gericht nicht selbst feststellen, ob eine sachliche Unbilligkeit vorliege, sondern lediglich prüfen, ob die Grenzen des Ermessens überschritten seien. Tatsächlich liege eine sachliche Unbilligkeit nicht vor; vielmehr stelle das Verwaltungsgericht mit seiner Begründung, die maßgeblich auf die kurze Dauer der Überschreitung abstelle, die Regelung des § 4 Abs. 4 AbwAG grundsätzlich in Frage. Die Festsetzung der Abwasserabgabe widerspreche im konkreten Einzelfall gerade nicht den Wertungen des Gesetzgebers, der die Abgabenrelevanz sogenannter "Ausreißer" aus Gründen der Typisierung zulässigerweise in Kauf genommen habe. Diese Entscheidung dürfe nicht durch einen auf Landesrecht beruhenden Billigkeitserlass korrigiert werden.

Die Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil teilweise zu ändern und die Klage vollumfänglich abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie nimmt im Wesentlichen Bezug auf ihren gesamten bisherigen Sachvortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (vier Hefter) Bezug genommen.

Gründe

Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet der Berichterstatter anstelle des Senats gemäß § 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. den §§ 101 Abs. 2, 87 a Abs. 2 und 3 VwGO ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die Klage hat hinsichtlich der im Berufungsverfahren allein noch streitgegenständlichen begehrten Neubescheidung des Erlassantrags der Klägerin keinen Erfolg. Die Klage ist insoweit zwar zulässig, weil die in der Erweiterung der Klage um das Erlassbegehren liegende Klageänderung im Sinne von § 91 Abs. 1 VwGO sachdienlich war. Die Klage ist aber in dem noch streitgegenständlichen Umfang unbegründet. Der Ablehnungsbescheid vom 12. März 2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2004 ist rechtmäßig, insbesondere ermessensfehlerfrei, und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 5 VwGO). Sie kann deshalb auch nicht Rückzahlung eines Teils der Abwasserabgabe verlangen.

Gemäß § 80 Abs. 3 LWG NRW kann die zuständige Behörde die Abwasserabgabe ganz oder teilweise erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls unbillig wäre. Die Entscheidung über den Erlass ist eine behördliche Ermessensentscheidung und unterliegt gemäß § 114 VwGO nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle. Nach dieser Vorschrift ist zu prüfen, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist. Inhalt und Grenzen der in diesem Sinne pflichtgemäßen Ermessensausübung nach § 80 Abs. 3 LWG NRW werden in vergleichbarer Weise wie bei Anwendung der gleichlautenden Erlassbestimmung des § 227 AO allein durch den Begriff "unbillig" bestimmt. Unbilligkeit aus sachlichen Gründen, wie sie von der Klägerin allein geltend gemacht wird, liegt vor, wenn eine Abgabeforderung zwar nach dem gesetzlichen Tatbestand besteht, ihre Geltendmachung mit dem Zweck des Gesetzes aber nicht zu rechtfertigen ist und dessen Wertungen zuwiderläuft. Umstände, die der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des gesetzlichen Tatbestands bewusst in Kauf genommen hat, rechtfertigen dagegen keinen Erlass.

Vgl. allgemein dazu Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 19. Oktober 1971 - GemS-OBG 3/70 -, BVerwGE 39, 355; BVerwG, Urteil vom 17. November 1999 - 11 C 7.99 -, DVBl. 2000, 1218; BFH, Urteil vom 23. Oktober 2003 - V R 2/02 -, BFHE 203, 410; konkret zu § 80 Abs. 3 LWG NRW: OVG NRW, Urteil vom 20. September 1989 - 2 A 402/88 -, EildStNW 1989, 616, sowie Beschluss vom 19. Januar 1999 - 9 A 43/99 -.

Mit der in § 4 Abs. 4 AbwAG vorgesehenen Erhöhung wollte der Gesetzgeber einen zusätzlichen Anreiz für die Einleiter schaffen, die festgelegten Überwachungswerte von sich aus einzuhalten und sogar möglichst zu unterbieten, um damit zugleich den wasserrechtlichen Vollzug ohne Verlust an Effektivität zu entlasten. Dies sollte unter anderem dadurch geschehen, dass ausdrücklich bereits einmalige erhebliche Überschreitungen der Überwachungswerte abgaberechtlich überproportional erfasst werden.

Vgl. BT-Drs. 10/5533, S. 8 ff. u. 12.

Es ist höchstrichterlich geklärt, dass die in dieser Regelung liegende Typisierung zulässig und von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden ist. Denn sie sichert den wasserrechtlichen Vollzug, indem sie für die Einleiter einen deutlich erhöhten Anreiz bietet, weitgehende Vorsorge zur Verhinderung von Störfällen zu treffen. Sie ist verhältnismäßig, weil die Einleiter zumindest regelmäßig durch Vorsorgemaßnahmen die Entstehung von Störfällen verhindern oder zumindest ihr Ausmaß in Grenzen halten können. Soweit ihnen dies im Einzelfall nicht möglich sein sollte, bleiben sie abwasserrechtlich Verursacher der Gewässerschädigung und müssen gegebenenfalls finanziellen Rückgriff auf den für den Störfall letztlich Verantwortlichen nehmen. Im Übrigen berücksichtigt bereits die gesetzliche Regelung die Störfallproblematik, weil die Erhöhung selbst dann nicht erfolgt, wenn ein Überwachungswert als eingehalten gilt.

Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. August 1997 - 8 B 170.97 -, DVBl. 1998, 51.

Ein überschrittener Überwachungswert gilt als eingehalten (Nr. 2.2.4 der Rahmen-Abwasser-VwV zu § 7a WHG bzw. § 6 Abs. 1 AbwV), wenn die Ergebnisse dieser und der vier vorausgegangenen staatlichen Überprüfungen in vier Fällen den maßgebenden Wert nicht überschreiten und kein Ergebnis den Wert um mehr als 100 % übersteigt. Das so geregelte Anreizsystem erklärt Überschreitungen nur dann für unbeachtlich, wenn sie singulär bleiben und sich in einem begrenzten Umfang halten. Beachtliche Überschreitungen stellen dagegen Verstöße gegen wasserrechtliche Vorgaben dar, an die die Erhöhungssanktion zur Effektivierung des wasserrechtlichen Verwaltungsvollzugs allein anknüpft. Ein solcher Verstoß hängt nicht davon ab, wie lange der Überwachungswert überschritten worden ist und ob Folgeschäden in dem das Abwasser aufnehmenden Gewässer festgestellt worden sind. Die Dauer einer beachtlichen Überschreitung kann allenfalls mittelbar dadurch Bedeutung gewinnen, dass das behördliche Ermessen bei der wasserrechtlichen Überwachung anlässlich eines Störfalls jedenfalls in der Regel dahingehend auszuüben ist, nicht mehr als ein Messergebnis einzubeziehen. Dementsprechend erfolgt bei einem einmaligen Störfall gemäß § 4 Abs. 4 Satz 4 AbwAG im allgemeinen nur eine Erhöhung um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung.

Ausgehend von diesem Regelungssystem ist die im Rahmen einer einheitlichen Ermessensausübung geäußerte Ansicht der Beklagten nicht zu beanstanden, dass eine sachliche Unbilligkeit nicht vorliege. Die vorgenommene Erhöhung der Zahl der Schadeinheiten um den halben Vomhundertsatz der Überschreitung steht mit der gesetzgeberischen Zielsetzung in Einklang, obwohl die Überschreitung des Überwachungswerts nach Darstellung der Klägerin nur von kurzer Dauer war und sich dementsprechend die Gewässerverunreinigung in Grenzen gehalten haben mag - amtliche Feststellungen sind hierzu nicht getroffen worden. Denn der Gesetzgeber stellt im Rahmen seines soeben näher beschriebenen Anreizsystems in rechtlich nicht zu beanstandender Weise typisierend bei singulären Überschreitungen letztlich (allein) darauf ab, ob der Überwachungswert um mehr als 100 % überschritten worden ist. Ist das wie hier der Fall, so soll es wegen der erheblichen Gewässerverunreinigung zumindest zu einer Erhöhung um den halben Vomhundertwert der Überschreitung kommen. Die danach auch hier vorzunehmende Erhöhung ist damit einer landesrechtlichen Korrektur im Wege des Billigkeitserlasses aus sachlichen Gründen nicht mehr zugänglich.

Den vom Gesetz angestrebten Anreiz für eine möglichst wirksame Vorsorge kann die Erhöhungsregelung, wie die Beklagte zutreffend erkannt hat, nur dann nicht erfüllen, wenn ein Störfall auf höherer Gewalt beruht. Die Einschätzung, dass ein solcher Fall hier nicht gegeben ist, unterliegt keinem Zweifel.

Der in Rede stehende Störfall beruhte nicht auf höherer Gewalt. Er ist durch eine Holzplatte vor dem Zulaufrohr der Straße des alten Nachklärbeckens ausgelöst worden. Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass es praktisch unmöglich gewesen sein sollte, diesen Störfall zu vermeiden. Denn die bei Bauarbeiten verwendete Holzplatte hätte anschließend ordnungsgemäß abgeräumt oder zumindest später noch rechtzeitig bemerkt werden können. Dass beides nicht geschehen ist und die Platte noch über ein halbes Jahr nach Abschluss der Bauarbeiten in der Anlage Schaden anrichten konnte, zeigt die letztlich unzureichende Vorsorge auf. Dabei ist es unerheblich, ob die Klägerin aufgrund einer Mitteilung ihres an sich zuverlässig arbeitenden Ingenieurbüros letztlich unzutreffend angenommen hat, die Baustelle sei vollständig geräumt worden. Dementsprechend bietet die Erhöhung der Abgabenlast für die Klägerin entsprechend der gesetzlichen Zielrichtung einen erheblichen Anreiz, künftig noch strenger auf Unregelmäßigkeiten im Betriebsablauf zu achten und Angaben beauftragter Dritter weitergehend zu überprüfen, damit Überschreitungen des Überwachungswerts zuverlässiger vermieden werden.

Eine sachliche Unbilligkeit kann sich auch nicht daraus ergeben, dass der Klägerin keine Gelegenheit gegeben wurde, den Störfall zu beseitigen, bevor die Überwachungsmessung durchgeführt worden ist. Denn durch die Messung oder ihren Zeitpunkt wurde der Klägerin nicht die ihr als Einleiterin obliegende Risikovorsorge verwehrt. Die Überwachung hat lediglich einen bereits eingetretenen beachtlichen Verstoß aufgedeckt, der die gesetzliche Sanktion ausgelöst hat.

Soweit die Klägerin im Zusammenhang mit dem Erlassbegehren auf ihre Einwände gegen die Richtigkeit der Probenahme Bezug nimmt, ist dem in diesem Verfahren nicht weiter nachzugehen. Es handelt sich dabei um Einwände gegen die Richtigkeit der Abgabefestsetzung. Eine sachliche Überprüfung bestandskräftiger Abgabenfestsetzungen im Billigkeitsverfahren kommt lediglich dann in Betracht, wenn die Festsetzung offensichtlich und eindeutig falsch ist und wenn es dem Betroffenen nicht möglich und nicht zumutbar war, sich gegen die Fehlerhaftigkeit rechtzeitig zu wehren.

Vgl. BFH, Beschluss vom 30. September 1996 - X B 131/96 -, juris.

All diese Voraussetzungen liegen nicht vor, weil die Festsetzung nach verwaltungsgerichtlicher Überprüfung bestandskräftig geworden ist.

Die Kostenentscheidung ergeht unter Einbeziehung des Teils der erstinstanzlichen Kostenentscheidung, der rechtskräftig geworden ist, weil sich das Berufungsverfahren nur auf einen Teil der ursprünglichen Klageforderung bezieht. Soweit danach über die Kosten des Verfahrens noch zu entscheiden war, beruht die Entscheidung auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 10 und 711 Sätze 1 und 2 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.