VG Gelsenkirchen, Urteil vom 04.12.2007 - 7 K 1099/07
Fundstelle
openJur 2011, 55481
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages Sicherheit leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist seit dem 7. Mai 2001 mit seiner Firma im Handelsregister des Amtsgerichts F. eingetragen (HRA 7292).

Mit Beitragsbescheid vom 28. Februar 2006 zog die Beklagte den Kläger endgültig zum Kammerbeitrag für das Jahr 2003 und vorläufig zum Kammerbeitrag für das Jahr 2006 heran. Ausgehend von einem Gewerbeertrag von 55.100,00 EUR für 2003 ergab sich für 2003 ein Grundbeitrag von 300,00 EUR und eine Umlage von 107,35 EUR, zusammen also 407,35 EUR, auf die der Kläger bereits 150,00 EUR gezahlt hatte; für 2006 ergab sich vorläufig ein Grundbeitrag von 150,00 EUR und eine Umlage von 77,60 EUR, zusammen also 222,60 EUR.

Hiergegen legte der Kläger rechtzeitig Widerspruch ein. Zur Begründung trug er zusammengefasst vor, sein Beitrag sei unverhältnismäßig hoch und im Vergleich dazu der für Großunternehmen zu niedrig.

Mit Widerspruchsbescheid vom 22. März 2007 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.

Hiergegen hat der Kläger rechtzeitig Klage erhoben und zu deren Begründung sein Widerspruchsvorbringen ergänzend vorgetragen: Die Pflichtmitgliedschaft von Gewerbetreibenden in den Industrie- und Handelskammern sei nicht mehr verfassungsgemäß. Sie verstoße gegen den Gleichheitssatz, solange nicht andere Bevölkerungsgruppen wie Beamte, Politiker, Freiberufler, Arbeitnehmer, Eltern, Hausfrauen, Religionsgemeinschaften u.ä. auch Zwangsmitglieder entsprechender Körperschaften sein müssten. Gleichheitswidrig sei auch, dass Existenzgründer und ausländische Unternehmen nicht zu Kammerbeiträgen herangezogen würden.

Der Kläger beantragt,

den Beitragsbescheid der Beklagten vom 28. Februar 2006 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 22. März 2007 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Klageerwiderung wird auf den Schriftsatz vom 30. Mai 2007 (Bl. 19 f. der Gerichtsakte) verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg. Die angefochtenen Beitragsbescheide der Beklagten sind nämlich rechtmäßig und verletzen deshalb den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).

Die Beklagte hat den Kläger für die Jahre 2003 und 2006 zutreffend als ihr Mitglied behandelt und gemäß § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur Vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern - IHKG - vom 18. Dezember 1956 (BGBl. I, 29) in der Änderungsfassung vom 23. Juli 1998 (BGBl. I, 1878, berichtigt BGBl. I, 3158) i.V.m. ihrer Beitragsordnung und den Haushaltsplänen 2003 und 2006 zu Recht zur Zahlung von Kammerbeiträgen in Anspruch genommen.

Die Kammerzugehörigkeit des Klägers ergibt sich aus § 2 Abs. 1 IHKG. Danach gehören zur Industrie- und Handelskammer, sofern sie zur Gewerbesteuer veranlagt sind, u. a. natürliche Personen, welche im Bezirk der Industrie- und Handelskammer entweder eine gewerbliche Niederlassung oder eine Betriebsstätte oder eine Verkaufsstelle unterhalten.

Der Kläger wird zur Gewerbesteuer veranlagt und hat im Kammerbezirk der Beklagten eine Betriebsstätte.

Die Mitgliedschaft der Klägerin und ihre grundsätzliche Beitragspflicht steht auch nicht deshalb in Frage, weil die in § 2 Abs. 1 IHKG gesetzlich geregelte Pflichtmitgliedschaft aller Gewerbetreibenden in den Industrie- und Handelskammern verfassungswidrig wäre. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat vor einigen Jahren die Pflichtmitgliedschaft erneut

vgl. schon: BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 1962 - 1 BvR 541/57 -, BVerfGE 15, 235 (239, 241 f.)

für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 7. Dezember 2001 - 1 BvR 1806/98 -, NVwZ 2002, 335, GewArch 2002, 111.

Gesichtspunkte, die Veranlassung gäben, die Frage jetzt erneut aufzuwerfen und anders zu beurteilen, sind nicht ersichtlich.

Auch die Beitragsordnung der Beklagten und die Haushaltspläne für die Jahre 2003 und 2006 sind nicht zu beanstanden. Sie verstoßen in materieller Hinsicht nicht gegen höherrangiges Recht. Die Beklagte hat die Vorgaben, die sich unmittelbar aus dem IHKG für die Beitragsbemessung ergeben, hinreichend beachtet. Insbesondere halten sich die in § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 der ab 1. Januar 2004 geltenden Beitragsordnung vom 16. März 2004 getroffenen Regelungen, die insoweit identisch mit den Vorschriften der von 1999 bis 2003 geltenden Beitragsordnung vom 2. Dezember 1998 sind, innerhalb des durch § 3 Abs. 3 Satz 2 IHKG eingeräumten Ermessens. Die dort genannten Kriterien sind nach der im Beitragsrecht allein möglichen und gebotenen typisierenden Betrachtungsweise geeignet, die Leistungskraft der kammerzugehörigen Betriebe wirklichkeitsnah zu erfassen.

Dies gilt auch hinsichtlich des Erfordernisses eines vollkaufmännischen Geschäftsbetriebes und der Anknüpfung an die Handelsregistereintragung. In der Rechtsprechung ist geklärt, dass die bis 1998 geltende Fassung des § 3 Abs. 3 Satz 2 IHKG („Der Grundbeitrag kann nach der Leistungskraft der Kammerzugehörigen gestaffelt werden.") es den Industrie- und Handelskammern ermöglichte, eine Differenzierung des Grundbeitrages anhand der Kriterien Gewerbeertrag/Gewinn aus Gewerbebetrieb und der Vollkaufmanneigenschaft bzw. Handelsregistereintragung vorzunehmen.

Vgl.: BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 1 C 15/99 -, Buchholz 430.3 Kammerbeiträge Nr. 29; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen - OVG NRW -, Beschluss vom 14. Februar 2000 - 4 A 93/99 -, GewArch 2000, 255.

An der Zulässigkeit der Berücksichtigung dieser Kriterien hat die ab 1999 geltende Fassung der Vorschrift nichts geändert. Dies folgt schon daraus, dass die Leistungskraft ein vom Gesetz vorgesehenes Differenzierungskriterium geblieben ist, wenn auch nur noch eins von mehreren. Dies ergibt sich darüber hinaus auch aus der Entstehungsgeschichte der Neufassung.

Ausgangspunkt war der Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP (Bundestagsdrucksache 13/9378 vom 9. Dezember 1997). Darin heißt es u.a.:

Den Industrie- und Handelskammern wird erlaubt, den Grundbeitrag nicht allein anhand der Leistungskraft zu staffeln. Weitere Kriterien für die Beitragsstaffelung sollen möglich sein, um auf unterschiedliche Fallgestaltungen angemessen reagieren zu können.

Zu diesem Zweck sollte § 3 Abs. 3 Satz 2 gemäß dem Gesetzentwurf wie folgt neugefasst werden:

Der Grundbeitrag kann insbesondere nach der Leistungskraft der Kammerzugehörigen gestaffelt werden.

In der Begründung heißt es hierzu:

Die Möglichkeit für die Industrie- und Handelskammern, den Grundbeitrag zu staffeln, soll nicht mehr allein am Kriterium der Leistungskraft der Kammerzugehörigen ausgerichtet werden. Daneben sollen andere vergleichbare Kriterien ebenfalls herangezogen werden können. Die Industrie- und Handelskammern sollen damit auf unterschiedliche Fallgestaltungen losgelöst vom bloßen Ertrag der Unternehmen reagieren können (Großbetriebe, Betriebe mit Filialen in unterschiedlichen Kammerbezirken usw.).

Bei den Beratungen des Ausschusses für Wirtschaft im Gesetzgebungsverfahren erhielt § 3 Abs. 3 Satz 2 IHKG sodann die Gesetz gewordene Fassung („Der Grundbeitrag kann gestaffelt werden; dabei sollen insbesondere Art, Umfang und Leistungskraft des Gewerbebetriebes berücksichtigt werden").

In der Begründung dazu (Bundestagsdrucksache 13/9975 vom 24. Februar 1998) heißt es:

Bei der Regelung der Grundbeitragsstaffelung kommt es darauf an, eine sichere Möglichkeit zu schaffen, den Grundbeitrag auch nach anderen Kriterien als der Leistungskraft der Unternehmen zu staffeln. Der Begriff der „Leistungskraft" ist in der Rechtsprechung verschiedentlich allein im Sinne der steuerlichen „Leistungsfähigkeit" interpretiert worden (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 23. Juni 1997 - 8 L 310/97 -). Dadurch wird die Grenze zur Umlage verwischt. Außerdem wird dem Umstand, dass der Grundbeitrag der Grundfinanzierung der Kammern dienen soll, nicht genügend Rechnung getragen. Bei der Staffelung des Grundbeitrages soll es vielmehr möglich sein, auch Kriterien wie die Vollkaufmanneigenschaft, den Umsatz und die Beschäftigtenzahl zu berücksichtigen. Der Gesetzentwurf hatte aus diesem Grund das Wort „insbesondere" eingefügt. Die hier vorgeschlagene Formulierung bringt das angestrebte Ziel deutlicher zum Ausdruck und ist vorzuziehen.

Insbesondere aus der letzten Begründung des Gesetz gewordenen Entwurfs ergibt sich eindeutig, dass nicht etwa die bisherigen Kriterien ersetzt, sondern diese vielmehr beibehalten und um weitere Differenzierungskriterien ergänzt werden sollten. Im Übrigen bleibt es auch nach der Neufassung dabei, dass den Industrie- und Handelskammern hinsichtlich des Gebrauchmachens von einer Staffelungsregelung Ermessen eingeräumt ist und dass sie im Rahmen dieses weiten Ermessens im gewissen Umfange typisierend und pauschalierend vorgehen dürfen.

Vgl. dazu: OVG NRW, Beschluss vom 14.2.2000, a.a.O.

Die Beklagte hat daher zu Recht die Erforderlichkeit eines vollkaufmännischen Geschäftsbetriebs, die durch die Eintragung im Handelsregister indiziert wird (§§ 2, 4 des Handelsgesetzbuches), oder die Handelsregistereintragung selbst neben dem Gewerbeertrag bzw. Gewinn bei ihrer Grundbeitragsstaffelung in den Haushaltsplänen 2003 und 2006 zugrunde gelegt.

Auch gegen die Heranziehung des Klägers zu einer Umlage ist rechtlich nichts einzuwenden. Der seit Jahren unveränderte Hebesatz von 0,27 % des Gewerbeertrags hält sich im Rahmen des der Beklagten eingeräumten Ermessens. Umstände, die diesen Hebesatz als unverhältnismäßig hoch erscheinen lassen könnten, sind vom Kläger nicht vorgetragen worden. Seine Berechnung in der Widerspruchsbegründung ist nicht nachvollziehbar und offensichtlich falsch. Da auch Großunternehmen zur Umlage herangezogen werden, liegen auch die den Grundbeitrag für Großunternehmen mit seinem gesamten Kammerbeitrag vergleichenden Berechnungen des Klägers in der Widerspruchsbegründung neben der Sache. Er übersieht, dass der Grundbeitrag für Großunternehmen (3.800,00 EUR gegenüber 150,00 bzw. 300,00 EUR für andere Gewerbetreibende) den Sinn hat, solche Unternehmen auch dann zu einem höheren Kammerbeitrag heranziehen zu können, wenn sie keinen zu versteuernden Gewinn haben.

Es trifft entgegen der Behauptung des Klägers auch nicht zu, dass Existenzgründer in den Haushaltssatzungen der Beklagten generell vom Kammerbeitrag befreit wären. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die zum 1. Januar 1994 in Kraft getretene Neuregelung des IHKG gerade den Sinn hatte, den im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. Juni 1990 - 1 C 45.87 - (GewArch 1990, 398) gerügten Zustand zu beheben, dass ca. 75 % der sogenannten Kleingewerbetreibenden überhaupt keinen Beitrag zur Kammerfinanzierung leisteten. Dies ist auch durch § 3 Abs. 3 Satz 3 IHKG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung, der nicht in das Handelsregister eingetragene Kammermitglieder vom Beitrag freistellt, deren Gewerbeertrag oder Gewinn 2 % des für die Befreiung von der Buchführungspflicht maßgeblichen Umsatzes nicht übersteigt (in der zur Zeit, aber noch nicht bei Erlass des angefochtenen Bescheids geltenden Fassung ist dieser Betrag auf 5.200,00 EUR festgeschrieben und ist ein weiterer Freistellungstatbestand eingeführt worden), nicht wieder rückgängig gemacht worden. Zwar profitieren davon auch Existenzgründer, allerdings nur die wirtschaftlich Schwächsten unter ihnen. Dies ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, zumal durch § 3 Abs. 3 Satz 4 IHKG in der ab 1. Januar 1999 geltenden Fassung (jetzt § 3 Abs. 3 Satz 5) Sorge für den Fall getroffen hat, dass die Zahl der Beitragspflichtigen durch die Freistellungsregelungen zu weit absinkt. Es bleibt aber grundsätzlich auch ohne dies dabei, dass die Freistellung solchen Existenzgründern und anderen Gewerbebetreibenden verwehrt wird, die sich in das Handelsregister haben eintragen lassen und/oder für ihren Betrieb eine Rechtsform gewählt haben, die eine Eintragung notwendig macht. Denn der Gesetzgeber ist bei solchen Unternehmen, auch wenn es sich um Existenzgründer handelt, pauschalierend von einer zur Aufbringung des niedrigsten Grundbeitrags ausreichenden Leistungsfähigkeit ausgegangen.

Schließlich trifft auch nicht zu, dass ausländische Unternehmen, die eine Betriebsstätte im Kammerbezirk haben, nicht zum Kammerbeitrag herangezogen werden. Die Beitragsordnung und die Haushaltspläne der Beklagten unterscheiden nicht danach, ob der Gewerbetreibende seinen Sitz im In- oder Ausland hat.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.