OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.08.2007 - 6 B 731/07
Fundstelle
openJur 2011, 55193
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der angefochtene Beschluss wird geändert.

Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, die der Kreispolizeibehörde I. für den Monat Februar 2007 zugewiesene Stelle der Besoldungsgruppe A 9 (mittlerer Dienst) nicht mit dem Beigeladenen zu besetzen, bis über die Bewerbung der Antragstellerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut entschieden worden ist.

Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

Die Beschwerde rügt zutreffend, die Auswahlentscheidung des Antragsgegners sei fehlerhaft, weil er ohne hinreichende Begründung von einem Qualifikationsvorsprung des Beigeladenen vor der Antragstellerin ausgegangen sei.

Auf der Grundlage der für die Auswahlentscheidung in erster Linie maßgebenden aktuellen dienstlichen Beurteilungen hat der Antragsgegner einen Qualifikationsgleichstand beider Beförderungsbewerber festgestellt.

Die daneben herangezogenen älteren dienstlichen Beurteilungen dürfen als zusätzliche Erkenntnismittel bei Rückschlüssen und Prognosen über die künftige Bewährung in einem Beförderungsamt berücksichtigt werden. Sie können im Rahmen einer Gesamtwürdigung der vorhandenen dienstlichen Beurteilungen positive oder negative Entwicklungstendenzen aufzeigen. Das gilt auch für in früheren Beurteilungen enthaltene Einzelaussagen über Charaktereigenschaften, Kenntnisse, Fähigkeiten, Verwendungen und Leistungen. Neben der Frage ihrer Vergleichbarkeit kommt es darauf an, inwieweit sie Aufschluss darüber geben, wer für die zu besetzende Stelle besser qualifiziert ist.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 26. Juli 2004 - 6 B 1228/04 -, NWVBl 2004, 469 mit Nachweisen der Rechtsprechung.

Auf die Frage, ob und inwieweit aus früheren dienstlichen Beurteilungen aktuell gleich beurteilter Konkurrenten zusätzliche Erkenntnisse gewonnen werden können, kann es in aller Regel keine allein richtige Antwort geben. In den allermeisten Fällen werden vielmehr unterschiedliche Einschätzungen möglich sein, die gleichermaßen vertretbar erscheinen. Demgemäß muss dem Dienstherrn bei der Auswertung früherer Beurteilungen ein Entscheidungsspielraum zugestanden werden, innerhalb dessen er sich schlüssig zu werden hat, ob und inwieweit aus den früheren Beurteilungen Erkenntnisse für den Qualifikationsvergleich gewonnen werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. August 2007 - 6 B 680/07 -.

Diesem Entscheidungsspielraum korrespondiert angesichts des Verfassungsprinzips effektiver Rechtsschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) eine Begründungs- und Substantiierungspflicht des Dienstherrn, wenn er früheren Beurteilungen für den Qualifikationsvergleich keine Bedeutung beimessen will.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14. April 2005 - 6 B 457/05 - (Juris).

Aus denselben Gründen muss er darlegen, warum die Bewertung eines Einzelmerkmals in länger zurückliegenden Beurteilungen heute noch Rückschlüsse auf den Eignungsgrad der Bewerber für ein Beförderungsamt zulässt. Je eindeutiger die Aussagekraft der im Rahmen des Einzelmerkmals bewerteten Eignungs-, Befähigungs- oder Leistungsgesichtspunkte für die Einschätzung der künftigen Bewährung in dem Beförderungsamt hervortritt, desto niedriger fallen die Anforderungen an die Erläuterung aus.

Diesen Begründungsanforderungen wird die nicht näher erläuterte Auswahlentscheidung zugunsten des Beigeladenen - auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Antragsgegners im Verwaltungsstreitverfahren - nicht gerecht.

Der Antragsgegner hat den Beigeladenen für besser qualifiziert gehalten, weil dieser in der rund sieben Jahre zurückliegenden Beurteilung im Eingangsamt im Hauptmerkmal Sozialverhalten bereits 3 Punkte erhalten hatte, während die Antragstellerin in ihrer entsprechenden Beurteilung vor rund sechs Jahren dort lediglich mit 2 Punkten bewertet worden war. Der Antragsgegner hätte darlegen müssen, warum er dieser Abweichung beim Qualifikationsvergleich ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat, obwohl er die Antragstellerin in der anschließenden Regelbeurteilung, deren Beurteilungszeitraum auch den Zeitraum der vorangegangenen Beurteilung im Eingangsamt umfasste, im Sozialverhalten als "voll den Anforderungen entsprechend" (3 Punkte) bewertet hat. Die Auswahlentscheidung lässt nicht erkennen, inwieweit der später korrigierte anfängliche Bewertungsunterschied im Sozialverhalten noch den Schluss zulässt, dass heute beide Bewerber für die zu besetzende Stelle nicht im Wesentlichen gleich geeignet sind.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung orientiert sich an den §§ 53 Abs. 3 Nr. 1, 52 Abs. 2 GKG, wobei der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf den vorläufigen Charakter der begehrten Entscheidung zu halbieren ist.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).