OLG Hamm, Urteil vom 27.11.2007 - 3 Ss 410/07
Fundstelle
openJur 2011, 54520
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 Ns 35/06
Tenor

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld zurückverwiesen.

Gründe

I.

Das Amtsgericht Minden hat den Angeklagten durch Urteil vom 04.10.2006 vom Vorwurf der Beleidigung durch eine sexualbezogene Handlung aus Rechtsgründen freigesprochen.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft Bielefeld hat die V. kleine Strafkammer des Landgerichts Bielefeld mit dem angefochtenen Urteil verworfen.

Nach den Feststellungen des Landgerichts war der Angeklagte als Mitarbeiter des Jugendamtes der Stadt N mit der Familiensache L betraut und insbesondere damit befasst, das Umgangsrecht des Vaters mit dem gemeinsamen Sohn neu zu regeln. Zu diesem Zweck suchte der Angeklagte die als Nebenklägerin zugelassene Zeugin L am 17.08.2005 in deren Wohnung auf.

Zu dem Verlauf und dem Inhalt des Besuchs hat das Landgericht u.a. folgende Feststellungen getroffen:

"Gegen 10:30 Uhr erschien der Angeklagte bei der Zeugin L. Deren Sohn befand sich zu der Zeit im Kindergarten. Die Zeugin L und der Angeklagte begaben sich zum Gespräch in das Wohnzimmer. Im Verlauf des Gesprächs wunderte sich die Zeugin L über die Gesprächsthemen, die der Angeklagte zum Teil anschnitt. So fragte er die Zeugin nach persönlichen Dingen, unter anderem danach, ob ihre Ehe aufgrund des Altersunterschiedes — der Ehemann der Zeugin L ist gut

13 Jahre älter als die Zeugin — gescheitert sei, da oft nach einiger Zeit "nicht mehr viel laufen" würde, wenn der Mann wesentlich älter sei. Ferner erkundigte sich der Angeklagte danach, ob die Zeugin L eine neue Beziehung habe. Die Zeugin sagte sich, dass der Angeklagte diese Dinge wahrscheinlich fragen müsse, da sich das Gespräch letztlich immer um den Sohn S drehte, und beantwortete die Fragen. In der Folgezeit erklärte der Angeklagte, die Zeugin L sei eine sehr schöne Frau und er könne sich vorstellen, mit ihr zu schlafen. Die überraschte Zeugin fragte, ob er dies ernst meine. Der Angeklagte erwiderte, dass er das nicht ernst gemeint habe und dass sie dies auch niemanden erzählen solle, da er sonst bestraft werde. Im weiteren Verlauf des Gesprächs blätterte der Angeklagte in mitgebrachten Unterlagen und bat die Zeugin L, sich auf der Eckcouch direkt neben ihn zu setzen, um auch selbst in die Akte schauen zu können. Die Zeugin L kam dieser Aufforderung zunächst nach und setze sich neben den Angeklagten. Da dieser sie jedoch nach ihrem Empfinden "komisch" anschaute, ging die Zeugin bald wieder auf ihren vorherigen Sitzplatz auf der anderen Seite des Ecksofas zurück.

Gegen 12:00 Uhr schaute die Zeugin L auf die Uhr. Der Angeklagte bemerkte dazu, dass sie ja jetzt bald ihren Sohn aus dem Kindergarten abholen müsse, führte das Gespräch aber zunächst noch fort. Gegen 12:15 Uhr stand der Angeklagte dann allerdings auf, nahm seine Aktentasche und ging zur Zimmertür. Dort stellte er sich so hin, dass die Zeugin L das Wohnzimmer nicht verlassen konnte, und schaute sie an. Die Zeugin versuchte die Situation aufzulösen, in dem sie dem Angeklagten die Hand gab und sich für das Gespräch bedankte. Der Angeklagte zog die Zeugin sodann zu sich heran und umarmte sie mit dem linken Arm. Er löste die Umarmung anschließend wieder auf, erklärte der Zeugin erneut, dass sie eine schöne Frau sei, und zog den dünnen Pullover der Zeugin hoch sowie den rechten Teil ihres BH herunter, sodass die rechte Brust offen lag. Der Angeklagte sagte, dass die Zeugin einen sehr schönen Busen habe. Die Zeugin empfand diese Situation als sehr unangenehm, war aber so konsterniert, dass sie keine weitere Reaktion zeigte. Der Angeklagte leckte daraufhin an der rechten Brust der Zeugin. Sodann klappte er den BH wieder nach oben und zog den Pullover der Zeugin wieder nach unten. Er vergewisserte sich kurz, dass niemand den Vorgang von draußen durch die Fenster der Wohnung wahrnehmen konnte. Anschließend trat er wieder zu der Zeugin, zog ihr erneut das Oberteil hoch und nunmehr den linken Teil des BH nach unten. Erneut leckte er an der offen gelegten Brust. Diesmal gelang es der Zeugin, ein Stück zurückzugehen und ihren Pullover herunterzuziehen. Der Angeklagte trat wieder auf die Zeugin zu und hielt ihr die Hand entgegen. Die Zeugin gab ihm ihre Hand, da sie davon ausging, der Angeklagte wolle sich nunmehr verabschieden. Stattdessen führte der Angeklagte ihre Hand jedoch an seine Hose im Bereich des Geschlechtsteils. Er fragte die Zeugin sinngemäß "Fühlen Sie?". Die Zeugin konnte aufgrund einer beginnenden Erektion bemerken, dass der Angeklagte erregt war. Sie reagierte, in dem sie ihre Hand wegzog. Der Angeklagte ging nunmehr wieder zu dem Ecksofa, stellte dort seine Aktentasche ab und erklärte der Zeugin sinngemäß "Kommen Sie Frau L, wir schaffen das noch." Die Zeugin erklärte jedoch, dass sie ihren Sohn abholen müsse, ergriff ihre Schlüssel und ihr Handy und ging durch die Tür in den Wohnungsflur. Der Angeklagte stand vom Sofa auf und folgte ihr. Er erklärte der Zeugin, dass sie sich in der nächsten Woche bei ihm melden solle, um einen neuen Termin zu vereinbaren. Weiterhin erklärte er, dass er die Zeugin beim nächsten Mal unbedingt nackt sehen wolle. Schließlich bot er der Zeugin L an, sie mit dem Pkw zum Kindergarten zu bringen. Dieses Angebot nahm die Zeugin an, da es schon sehr spät war, sie sonst noch 15 Minuten bis zum Kindergarten zu Fuß hätte gehen müssen und sie nicht wusste, wie sie ihre Verspätung dort hätte erklären sollen. Der Angeklagte und die Zeugin verließen daraufhin beide die Wohnung der Zeugin. Der Angeklagte fuhr die Zeugin zum Kindergarten, wo diese ihren Sohn abholte."

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Staatsanwaltschaft Bielefeld, mit der eine Verletzung materiellen Rechts gerügt wird.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat sich dem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft Bielefeld angeschlossen.

II.

Die Revision ist zulässig und begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils.

Das vom Landgericht festgestellte Verhalten des Angeklagten gegenüber der Nebenklägerin erfüllt die Voraussetzungen einer Beleidigung gemäß § 185 StGB.

Die Vorschrift des § 185 StGB soll vor rechtswidrigen Angriffen auf die Ehre schützen. Ein Angriff auf die Ehre wird geführt, wenn einem Menschen zu Unrecht Mängel nachsagt werden, die im Falle ihres Vorliegens den Geltungswert des Betroffenen mindern würden. Nur durch eine solche "Nachrede" (die ein herabsetzendes Werturteil oder eine ehrenrührige Tatsachenbehauptung sein kann), wird der aus der Ehre fließende verdiente Achtungsanspruch verletzt. Sie stellt die Kundgabe der Missachtung, Geringschätzung oder Nichtachtung dar, die nach der Rechtsprechung den Tatbestand verwirklicht (BGHSt 36, 145, 148 m.w.N.).

§ 185 StGB ist dagegen kein "Auffangtatbestand", der es erlaubt, Handlungen allein deshalb zu bestrafen, weil sie der Tatbestandsverwirklichung eines Sexualdelikts nahekommen.

Der Bundesgerichtshof hat nach der Neufassung des Sexualstrafrechts durch das

4. Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 23.11.1973 mehrfach entschieden, dass durch dieses Gesetz die Grenzen zwischen strafbarem Verhalten und straffreiem Tun bei sexuellen Handlungen neu gezogen wurden (BGH, NJW 86, 2442; BGHSt 35, 76, 77; BGHSt 36, 145, 149).

Der Tatbestand des § 185 StGB ist bei Vornahme einer sexuellen Handlung daher nur dann erfüllt ist, wenn der Täter durch sein Verhalten (die sexuelle Handlung) zum Ausdruck bringt, der Betroffene weise einen seine Ehre mindernden Mangel auf. Eine solche Kundgabe ist in der sexuellen Handlung allein regelmäßig nicht zu sehen und erfüllt deshalb auch nicht den Tatbestand des § 185 StGB. Ein Angriff auf die sexuelle Selbstbestimmung erfüllt vielmehr nur dann (auch) den Tatbestand der Beleidigung, wenn nach den gesamten Umständen in dem Verhalten des Täters zugleich eine - von ihm gewollte - herabsetzende Bewertung des Opfers zu sehen ist (BGH NStZ 2007, 218; BGH, NStZ 93, 182; BGHSt 36, 145, 150).

Die Einschränkung des Beleidigungsrechts gilt damit für Handlungen, die mit dem regelmäßigen Erscheinungsbild eines Sexualdelikts notwendig verbunden sind, darüber hinaus jedoch keinen Angriff auf die Geschlechtsehre enthalten, und nur deshalb nicht als Sexualstraftat zu ahnden sind, weil es es an einem eingrenzenden Merkmal des Tatbestandes fehlt, etwa im Einverständnis mit einem Jugendlichen vorgenommen worden sind (BGHSt 35, 76, 77). Sofern der Tatbestand eines Sexualdelikts nicht erfüllt ist, kommt die Einschränkung des Beleidigungsrechts bzw. "Verdrängung" des § 185 StGB im oben beschriebenen dagegen nicht in Betracht (BGHSt 36, 145, 150).

Die herabsetzende Bewertung des Opfers durch die sexuelle Handlung kann ausdrücklich oder konkludent geschehen und kann sich auch aus den "besonderen Umständen" ergeben (BGHSt 36, 145, 150).

Zutreffend hat das Landgericht ausgeführt, dass die sexualbezogenen Handlungen des Angeklagten die Voraussetzungen einer Straftat gegen die sexuelle Selbstbestimmung der Nebenklägerin nicht erfüllen. Die Vorschrift des § 185 StGB wird deshalb nicht durch eine Sondervorschrift (des Sexualdelikts) "verdrängt". Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllt das Verhalten des Angeklagten gleichwohl die Voraussetzungen des § 185 StGB. Denn in der Vornahme der - nach §§ 174 ff StGB straflosen - sexuellen Handlung ist nach den gesamten Umständen zugleich eine von dem Angeklagten gewollte herabsetzende Bewertung der Nebenklägerin im Sinne eines Angriffs auf die (Geschlechts-)Ehre zu sehen.

Dabei stellen die Äußerungen des Angeklagten, die Nebenklägerin sei eine sehr schöne Frau und er könne sich vorstellen, mit ihr zu schlafen, für sich genommen noch keine beleidigende Herabsetzung dar.

Allerdings können sexuelle Äußerungen und Ansinnen im Ausnahmefall eine herabsetzende Beleidigung enthalten, wenn der Täter selbst das der betroffenen Person angesonnene Verhalten als verwerflich oder ehrenrührig ansieht und durch die Äußerung zum Ausdruck bringen will, dass er dem Tatopfer eine entsprechende verachtenswerte Haltung zu Unrecht unterstellt (BGH, NStZ-RR 06, 338; Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, § 185, Rdnr. 11 a m.w.N.).

Den vom Landgericht getroffenen Feststellungen ist aber nicht hinreichend deutlich zu entnehmen, dass der Angeklagte sein Ansinnen selbst als verwerflich und ehrenrührig angesehen hat und der Nebenklägerin schon durch seine Äußerung eine solche Einstellung unterstellt hat.

Die Äußerungen verleihen dem weiteren Verhalten des Angeklagten jedoch ein solches Gewicht, dass in den anschließend vorgenommenen sexuellen Handlungen nach den gesamten Umständen zugleich eine herabsetzende Bewertung der Nebenklägerin zu sehen ist.

Der Angeklagte hat die Nebenklägerin in Ausübung seines Dienstes aufgesucht und ist dieser gegenüber damit als Amts- und Respektsperson aufgetreten. Nur dieser Umstand erklärt beispielsweise die von der Nebenklägerin beanstandungslos beantworteten Fragen zu persönlichen und intimen Dingen. Das aufgrund der Umgangsregelung behördlich veranlasste Gespräch fand zwar in der Wohnung der Nebenklägerin, also in ihrem privaten Lebensbereich statt. Dennoch fehlte dem Gespräch jeglicher private Charakter.

Unter Ausnutzung seiner im Gespräch zum Ausdruck gekommenen hoheitlichen Funktion hat der Angeklagte das Oberteil der Nebenklägerin hochgezogen und je einmal an der von ihm nacheinander freigelegten rechten und linken Brust der Nebenklägerin geleckt. Im Anschluss daran hat er die Hand der Nebenklägerin über seiner Kleidung zu seinem erigierten Geschlechtsteil geführt und der Nebenklägerin sinngemäß erklärt: "Kommen Sie Frau L, wir schaffen das noch."

Über die Äußerung des - bereits zuvor zum Ausdruck gekommenen - sexuellen Interesses hinaus liegt darin die Kundgabe einer abschätzigen Bewertung der Persönlichkeit der Nebenklägerin, und zwar dahingehend, dass diese dem Angeklagten gleichsam wie ein (Lust-)Objekt zur Befriedigung seiner sexuellen Bedürfnisse mittels Durchführung des Geschlechtsverkehrs zur Verfügung steht. Denn der Angeklagten war sich angesichts des Verhaltens und der Äußerungen der Nebenklägerin darüber im Klaren, dass diese an einem spontanen sexuellen Kontakt nicht interessiert war, sondern ihren Sohn vom Kindergarten abholen wollte. Spätestens in dem Moment, in dem die Nebenklägerin ihren Pullover heruntergezogen hat, nachdem der Angeklagte das zweite Mal an der Brust geleckt hatte, musste dem Angeklagten bewusst sein, dass sein Verhalten der Nebenklägerin unangenehm war. Dennoch hat der Angeklagte durch das Führen der Hand und seine auffordernde Äußerung zu erkennen gegeben, die Nebenklägerin könne sich trotz der lediglich durch die dienstliche Tätigkeit des Angeklagten begründeten Bekanntschaft zu dem von ihr unerwünschten spontanen sexuellen Kontakt bereit finden.

Die Verteidigung wendet zwar ein, "schneller Sex" werde nicht mehr als verwerflich und ehrenrührig angesehen. Die sexuelle Selbstbestimmung ist jedoch Teil des Persönlichkeitsrechts und in vielfältiger Weise mit der intellektuellen, moralischen und sozialen Identität der Person verknüpft (Tröndle/Fischer, StGB, 54. Auflage, vor

§ 174, Rdnr. 5), die ihrerseits Achtung beansprucht. In der Gleichsetzung der Nebenklägerin mit einer Person, die ohne nähere Bekanntschaft und ohne jegliche persönliche Zuneigung und nur zum Zweck einseitiger sexueller Befriedigung zur Verfügung steht, liegt damit eine Herabwürdigung im Sinne eines erheblichen Angriffs auf deren (Geschlechts-)Ehre.

Der Angeklagte hat die Nebenklägerin bewusst und gewollt herabsetzend bewertet. Er hat gegenüber der Nebenklägerin angegeben, diese solle niemandem erzählen, dass er geäußert habe, er könne sich vorstellen mit der Nebenklägerin zu schlafen, da er sonst bestraft werde. Ferner hat sich der Angeklagte vergewissert, dass niemand von draußen durch die Fenster der Wohnung wahrnehmen konnte, dass er zweimal an der Brust der Nebenklägerin geleckt hat. Damit hat er deutlich gemacht, dass er sein Verhalten selbst als ehrenrührig und verwerflich angesehen hat.

Da der Erfolg der Revision vom Ausgang der erneuten tatrichterlichen Entscheidung abhängt, ist die Kosten- und Auslagenentscheidung dem neuen Tatgericht zu überlassen.