OLG Hamm, Beschluss vom 10.09.2007 - 15 W 235/07
Fundstelle
openJur 2011, 53180
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 T 180/06 + 181/06
Tenor

Auf die sofortige weitere Beschwerde wird festgestellt, dass die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung der Betroffenen durch den Beschluss des Amtsgerichts Lippstadt vom 18.4.2007 rechtswidrig war.

Im Übrigen werden die weitere und die sofortige weitere Beschwerde zurückgewiesen.

Gründe

Die weitere Beschwerde der Betroffenen gegen die Anordnung der vorläufigen Betreuung ist nach den §§ 27, 29 FGG statthaft sowie formgerecht, die gegen die Genehmigung der einstweiligen Unterbringung gerichtete sofortige weitere Beschwerde zudem fristgerecht (§§ 70m Abs. 1, 70g Abs. 3 S. 1, 29 Abs. 2, 22 FGG), eingelegt. Ihre Beschwerdebefugnis folgt bereits daraus, dass ihre ersten Beschwerden ohne Erfolg geblieben sind.

Der Zulässigkeit der sofortigen weiteren Beschwerde betreffend die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung steht nicht entgegen, dass sich die Hauptsache insoweit mittlerweile durch Zeitablauf erledigt hat. Vielmehr muss der Betroffenen im Hinblick auf den mit der Freiheitsentziehung verbundenen Eingriff in Grundrechtspositionen zur Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes und mit Blick auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. etwa NJW 2002, 2456; wistra 2006, 59) ein Rechtsschutzinteresse mit dem Ziel der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Beschlüsse sowohl des Landgerichts als auch des Amtsgerichts zugebilligt werden (Senat OLGR 2006, 803). Ein entsprechendes Begehren lässt das Schreiben der Betroffenen vom 2.8.2007 auch erkennen.

In der Sache ist die sofortige weitere Beschwerde insoweit begründet, als die Entscheidung des Amtsgerichts betreffend die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der geschlossenen Unterbringung auf dem Unterlassen der vorgeschriebenen persönlichen Anhörung der Betroffenen und damit auf einer Verletzung des Rechts beruht (§ 27 Abs. 1 S. 1 FGG). Im Übrigen sind die Rechtsmittel dagegen unbegründet.

Die Entscheidung des Landgerichts, auf deren Inhalt sowohl zur Darstellung des Sachverhalts als auch hinsichtlich der Begründung Bezug genommen wird, ist nicht zu beanstanden. Die Kammer hat die Voraussetzungen einer (vorläufigen) Betreuerbestellung nach § 1896 Abs. 1, 1a und 2 BGB, die - wie hier - gegen den Willen der Betroffenen erfolgt ist, sowie diejenigen einer einstweiligen Unterbringungsmaßnahme (§§ 70h FGG, 1906 Abs. 2 BGB) in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats dargestellt. Das Landgericht hat ferner in tatsächlicher Hinsicht mit ausführlicher Begründung festgestellt, es sei durch die vorliegenden ärztlichen Zeugnisse hinreichend glaubhaft gemacht, dass die Betroffene an einer psychischen Erkrankung, nämlich einer paranoiden Psychose leide, und mit dem Aufschub einer Betreuerbestellung Gefahr verbunden sei. Zu Recht hat das Landgericht dabei eine Glaubhaftmachung der tatsächlichen Voraussetzungen in dem Sinne ausreichen lassen, dass dringende Gründe für deren Vorliegen sprechen (§§ 69f Abs. 1 S. 1 Ziff. 1 FGG). Entsprechendes gilt hinsichtlich der Voraussetzungen der einstweiligen Unterbringung (vgl. § 70h Abs. 1 FGG). Insoweit hat das Landgericht die Voraussetzungen der Ziffer 2 des § 1906 Abs.1 BGB bejaht, da die Gefahr bestehe, dass es bei fehlender Behandlung zu einer weiteren Chronifizierung und Verschlechterung des Krankheitsbildes komme.

Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts unterliegen im Verfahren der weiteren Beschwerde nur einer eingeschränkten Nachprüfung dahin, ob der Tatrichter den maßgebenden Sachverhalt ausreichend erforscht, bei der Erörterung des Beweisstoffes alle wesentlichen Umstände berücksichtigt und hierbei nicht gegen gesetzliche Beweisregeln sowie feststehende Erfahrungssätze verstoßen hat (vgl. Keidel/Kuntze/Meyer-Holz, FG, 15. Aufl., § 27, Rdnr. 42 m.w.N.). Einen solchen Rechtsfehler lassen die zutreffend auf das Eilverfahren abgestellten tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts nicht erkennen. Ihr liegen die ärztlichen Zeugnisse des Sachverständigen Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie H4 in T2 sowie der Oberärztin der LWL-Klinik Q zugrunde. Nach den Angaben der Ärzte bestand die Gefahr, dass es in Stress- oder Belastungssituationen zu Ausbrüchen hätte kommen können, die nicht kalkulierbar gewesen wären und zu einer nicht absehbaren Eigen- oder Fremdgefährdung hätten führen können.

Die Betroffene ist durch das Landgericht persönlich angehört worden. Hierbei sind die wahnhaften Gedankengänge der Betroffenen auch deutlich zum Ausdruck gekommen.

Die Genehmigung einer geschlossenen Unterbringung zur Durchführung einer Heilbehandlung gem. § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB setzt im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität eine besondere Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme voraus; unter diesem Gesichtspunkt kann die Zulässigkeit der Maßnahme nicht unabhängig von einer Eigengefährdung der Betroffenen beurteilt werden (OLG Schleswig FGPrax 2002, 138). Auch insoweit bestehen gegen die Entscheidung des Landgerichts jedoch keine durchgreifenden Bedenken. Nach den Feststellungen der Kammer und den vorliegenden ärztlichen Zeugnissen war ohne eine medizinische Intervention mit einer weiteren Chronifizierung der schon mehrere Jahre bestehenden Erkrankung zu rechnen. Zudem drohte eine weitere Verfestigung der seit Beginn des Jahres 2007 massiv auftretenden Paranoia, die mit erheblichen Beeinträchtigungen für die Betroffene verbunden war. Aufgrund dieser gravierenden Erkrankung war ein Behandlungsversuch gerechtfertigt und die angeordnete Unterbringung nicht unverhältnismäßig.

Rechtsfehlerfrei ist das Landgericht auf Grundlage der ärztlichen Ausführungen auch davon ausgegangen, dass es trotz der fehlenden Krankheitseinsicht während der Dauer der Unterbringung möglich sein werde, die erforderliche Beziehung zu der Betroffenen aufzubauen und sie so zu einer Mitwirkung bei der Behandlung, insbesondere einer medikamentösen Therapie zu motivieren. Unerheblich ist, dass diese Einschätzung sich im Verlauf der weiteren Unterbringung nicht bestätigt und letztlich zur Aufhebung der Unterbringung mangels konkreter und zeitnaher Erfolgsaussichten geführt hat.

Die Betroffene hat sich in der weiteren Begründung ihrer Rechtsmittel darauf beschränkt, ihren Standpunkt darzustellen, dass sie nicht psychisch krank sei und sich lediglich gegen die üblen Machenschaften ihrer Nachbarn und ihres Vermieters sowie von Ärzten, Behörden und Gerichten zu Wehr gesetzt habe. Indessen setzt sie sich damit in unzulässiger Weise in Widerspruch zu den tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts, die, weil sie rechtsfehlerfrei getroffen sind, den Senat binden.

Im Übrigen belegt das im Verfahren der weiteren Beschwerde von der Betroffenen ergänzend eingereichte eigene Schreiben vom 2.8.2007 eindrucksvoll, dass ihre Denkinhalte von dem vom Landgericht festgestellten Wahnsystem beeinflusst sind.

Die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung der Unterbringung durch die einstweilige Anordnung des Amtsgerichts vom 18.4.2007 ist dagegen schon deshalb rechtswidrig, weil das Amtsgericht die Betroffene nicht persönlich angehört hat. Gem. §§ 70h Abs. 1 S. 2, 69f Abs. 1 S. 1 Nr. 4 FGG ist der Betroffene vor Erlass der einstweiligen Anordnung persönlich anzuhören. Die Voraussetzungen für die Annahme einer Gefahr im Verzug, bei der nach § 69f S. 4 FGG von der persönlichen Anhörung vor Erlass der Entscheidung hätte abgesehen werden dürfen, sind nicht ersichtlich. Weder den Beschlussgründen noch den Akten sind Gründe zu entnehmen, aus denen die Anhörung der Betroffenen wegen Gefahr im Verzug nicht möglich gewesen wäre.

Die Anhörung des Betroffenen dient nicht nur der Gewährung des rechtlichen Gehörs, sondern soll dem Gericht einen unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen und seiner Erkrankung verschaffen und es in die Lage versetzen, seine Kontrollfunktion gegenüber Gutachtern und Zeugen wahrzunehmen (Senat, FGPrax 2001, 212, 213; OLG München, OLGR 2006, 113; OLG Karlsruhe, NJW-RR 2000,1172, 1173). Verstößt das Gericht gegen das Gebot der mündlichen Anhörung, so drückt dieses Unterlassen der gleichwohl angeordneten Unterbringung den Makel rechtswidriger Freiheitsentziehung auf, der durch Nachholung der Maßnahme rückwirkend nicht mehr zu beseitigen ist (Senat, a.a.O.; OLG München, a.a.O.; BayObLG, FamRZ 2001, 578, 579).

Zudem ist die Anhörung auch nicht unverzüglich im Sinne des § 69f S. 4 FGG nachgeholt worden. Sie wurde erst am 27.4.2007, also 9 Tage nach Erlass der Anordnung durchgeführt. Im Hinblick auf den durch Art. 2 Abs. 2 S. 2 und 104 Abs. 1 S. 1 GG garantierten Schutz der persönlichen Freiheit muss die Anhörung in aller Regel am nächsten Tag nachgeholt werden (BayObLG, a.a.O.). Auch insoweit ist den Akten nicht zu entnehmen, dass die Anhörung der Betroffenen nicht spätestens am 19.4.2007 möglich war. Dem stand auch nicht die gleichzeitig mit der Unterbringungsgenehmigung erfolgte Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Paderborn entgegen. Die Akten wurden erst am 19.4.2007 auf dem normalen Postweg an das Amtsgericht Paderborn weitergeleitet und sind dort erst am 23.4.2007 eingegangen. Im Hinblick auf die Einhaltung der grundgesetzlichen Verfahrensgarantien hätten die relevanten Aktenbestandteile aber bereits am 18.4.2007 per Fax weitergeleitet werden können und müssen, um die unverzügliche Nachholung der Anhörung, gegebenenfalls durch den Eilrichter (vgl. BayObLG, FGPrax 2002, 281, 284), zu gewährleisten. Gründe, weshalb die Anhörung der Betroffenen nach Eingang der Akten beim Amtsgericht Paderborn erst nach weiteren vier Tagen erfolgen konnte, sind ebenfalls nicht ersichtlich.

Eine Wertfestsetzung für das Verfahren der weiteren Beschwerde ist im Hinblick auf die §§ 128b, 131 Abs. 3 KostO nicht veranlasst.