OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 07.12.2007 - 15 B 1837/07
Fundstelle
openJur 2011, 53077
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 5 L 480/07
Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.799,70 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin,

die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Vorausleistungsbescheid des Antragsgegners vom 3. Juli 2007 anzuordnen,

zu Recht abgelehnt. Auch nach den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen, allein vom Senat zu prüfenden Beschwerdegründen (§ 146 Abs. 4 Satz 6 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO -) bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Vorausleistungsbescheides im Sinne der überwiegenden Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs des Rechtsbehelfs, so dass die aufschiebende Wirkung des Rechtsbehelfs nicht nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO anzuordnen ist.

Der Vorausleistungsbescheid leidet nicht deshalb unter einem Mangel hinreichender Bestimmtheit (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 Buchst. b und Nr. 4 Buchst. b des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen - KAG NRW - i.V.m. §§ 119 Abs. 1 und 157 Abs. 1 Satz 2 der Abgabenordnung), weil er nach Auffassung der Antragstellerin nicht nachvollziehbar sein soll. Ihm kann entnommen werden, für welchen Sachverhalt ein Beitrag erhoben wird und was der Beitragsgegenstand sein soll, hier also für welche beitragsfähige Maßnahme und für welches der Beitragspflicht unterliegende Grundstück der Beitrag erhoben wird. Im verfügenden Teil wird die Festsetzung des zu zahlenden Beitrages ausgeworfen. Demgegenüber sind die für die Berechnung des Beitrags erheblichen Daten nur Teil der Begründung des Bescheides, die, selbst wenn sie mangelhaft ist, nicht zur Rechtswidrigkeit des Bescheides führt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. November 2006 - 15 B 2404/06 -, S. 2 f. des amtlichen Umdrucks.

Zu Unrecht meint die Antragstellerin, es hätte keine Vorausleistung mehr erhoben werden dürfen, da im Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides am 31. Juli 2007 die Ausbaumaßnahme bereits technisch abgewickelt gewesen sei, nämlich seit dem 27. Juli 2007. Richtig ist, dass gemäß § 8 Abs. 8 KAG NRW eine Vorausleistung nur auf eine künftige Beitragsschuld verlangt werden kann. Daraus folgt, dass die Beitragspflicht bei Erlass des Vorausleistungsbescheides noch nicht entstanden sein darf. Das war jedoch hier am 31. Juli 2007 nicht der Fall. Die Beitragspflicht entsteht mit der endgültigen Herstellung der Anlage (§ 8 Abs. 7 Satz 1 KAG NRW), wobei diese Herstellung regelmäßig mit der Abnahme der Ausbauarbeiten beendet ist.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. Juli 2006 - 15 A 2831/04 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 31. Januar 2000 - 15 A 290/00 -, NWVBl. 2000, 372 (373).

Die Abnahme ist ausweislich der Gründe des angegriffenen Beschlusses erst am 9. August 2007 erfolgt. Der Umstand, dass nach Erlass des Vorausleistungsbescheides die sachliche Beitragspflicht entstanden ist, macht den Vorausleistungsbescheid nicht rechtswidrig.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Oktober 2004 - 15 B 1773/04 -, S. 5 f. des amtlichen Umdrucks.

Die Beitragsfähigkeit des Ausbaus greift die Antragstellerin vergeblich an. Das ergibt sich daraus, dass die zuletzt 1953 und damit vor über 50 Jahren hergestellte Straße - wie auch die Antragstellerin einräumt - verschlissen war, so dass ein beitragsfähiger Ausbau in Form nachmaliger Herstellung (Erneuerung) einer verschlissenen Straße vorlag (§ 8 Abs. 2 Satz 1 KAG NRW).

Vgl. dazu, dass bei über 50 Jahre alten Straßen es ohnehin keiner ins Einzelnen gehenden Dokumentation der Verschlissenheit bedarf, OVG NRW, Beschluss vom 15. Juni 2007 - 15 A 1471/07 -, S. 2 des amtlichen Umdrucks.

Das gegen die Beitragsfähigkeit ins Feld geführte Argument, die Straße sei wegen aufgestauten Reparaturbedarfs infolge von Schäden durch Schwerlastverkehr erneuert worden, begründet keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides. Zum einen ist die Frage, ob die Erneuerungsbedürftigkeit auf einen aufgestauten Reparaturbedarf zurückzuführen ist, unerheblich, da wegen des zweifellosen Ablaufs der üblichen Nutzungszeit eine angeblich unterlassene Unterhaltung und Instandsetzung keine eigenständige Bedeutung hat.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 30. Oktober 2001 - 15 A 4648/99 -, S. 7 des amtlichen Umdrucks; Beschluss vom 22. März 1999 - 15 A 1047/99 -, ZMR 1999, 515.

Außerdem stellt eine Verursachung der Verschlissenheit durch Schwerlastverkehr die Beitragsfähigkeit nicht in Frage, weil ein solcher Verkehr - gerade in einem Gewerbegebiet - zur bestimmungsgemäßen Nutzung zählt und ein Verschleiß durch bestimmungsgemäße Nutzung die Beitragspflicht unberührt lässt.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. August 2007 - 15 B 870/07 -, S. 3 des amtlichen Umdrucks für Baufahrzeuge.

Auch kann die Frage einer Vorteilskompensation wegen einer mit dem vorteilhaften Ausbau einhergehenden Verschlechterung der Straße nicht mit der für ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes notwendigen Sicherheit bejaht werden, so dass die Klärung dieses Punktes dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss.

Vgl. dazu, dass im abgaberechtlichen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes aufwendige Tatsachenfeststellung nicht getroffen und schwierige Rechtsfragen nicht abschließend geklärt werden, OVG NRW, Beschluss vom 17. März 1994 - 15 B 3022/93 -, NWVBl. 1994, 337 (338).

Allerdings lässt sich das Vorliegen einer Vorteilskompensationslage nicht ohne weiteres verneinen. Hier ist die Fahrbahn von 6 m auf 8,5 m verbreitert worden, dafür ist an der westlichen Seite der Gehweg weggefallen und der östliche Gehweg von im Mittel 2,35 m auf 1,75 m verschmälert worden. Ein Fall sogenannter absoluter Verschlechterung des Gehweges im Sinne der Herbeiführung seiner Funktionsuntauglichkeit des Gehwegs liegt damit nicht vor, so dass deswegen die Beitragsfähigkeit des Aufwandes für den Fahrbahnausbau im Wege sogenannter teileinrichtungsübergreifenden Kompensation nicht möglich ist.

Vgl. dazu OVG NRW, Urteil vom 28. August 2001 - 15 A 465/99 -, KStZ 2002, 33 (36).

Der Wegfall des westlichen Gehwegs stellt keine absolute Verschlechterung dar, da die beiden Gehwege eine einheitliche Gehweganlage bilden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 6. Februar 2007 - 15 A 4493/04 -, NVwZ-RR 2007, 484,

Es ist also nicht etwa eine Gehweganlage weggefallen. Damit kommt eine teileinrichtungsübergreifende Kompensation nicht in Betracht.

Jedoch ist die Beitragsfähigkeit des Aufwandes für den Gehwegausbau durchaus zweifelhaft, da insoweit eine teileinrichtungsimmanente Kompensation möglich ist (Erneuerungs- und Verbesserungsvorteil durch den Ausbau des östlichen Gehweges, Verschlechterung der Teileinrichtung Gehweg durch Wegfall des westlichen und Verschmälerung des östlichen Gehwegs). Denn für eine teileinrichtungsimmanente Kompensation reicht eine relative Verschlechterung im Sinne einer nicht unerheblichen Beeinträchtigung der Verkehrsfunktion der Teileinrichtung aus. Eine solche relative Verschlechterung der Gehwegteileinrichtung liegt aus zwei Gründen vor: Zum einen wird die Verschlechterung durch den Wegfall des westlichen Gehwegs bewirkt. Zum anderen liegt eine relative Verschlechterung in der Verschmälerung des östlichen Gehweges von durchschnittlich 2,5 m auf 1,75 m. Diese relative Verschlechterung lässt sich nicht damit verneinen - wie das Verwaltungsgericht meint -, dass der östliche Gehweg mit 1,75 m immer noch 25 cm breiter sei als die nach den Empfehlungen für die Anlage von Schließungsanlagen vorgesehenen 1,5 m Mindestgehwegbreite.

Nach § 3 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. e Spalte 2 der Satzung der Stadt I. über die Erhebung von Beiträgen nach § 8 KAG für straßenbauliche Maßnahmen vom 13. September 1978 in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 12. Dezember 2002 (SBS) beträgt die anrechenbare Breite für Gehwege im Gewerbegebiet 2,5 m. Damit gibt der Satzungsgeber zu erkennen, dass bis zu dieser Breite den Anliegern ein wirtschaftlicher Vorteil gewährt wird. Umgekehrt ergibt sich daraus die Wertung, dass Verschmälerungen unter diese Breite auch den wirtschaftlichen Vorteil schmälern.

Vgl. zur Bedeutung der anrechenbaren Breiten für eine relative Verschlechterung OVG NRW, Beschluss vom 15. August 2005 - 15 A 2269/05 -, S. 6 des amtlichen Umdrucks; Urteil vom 28. August 2001 - 15 A 465/99 -, KStZ 2002, 33 (36).

Die Verschmälerung ist mit 60 cm auch nicht unerheblich für die Verkehrsfunktion des Gehweges. Somit kommt wegen der genannten relativen Verschlechterungen eine Vorteilskompensation in der Form in Betracht, dass die Kosten des Gehwegausbaus als nicht beitragsfähig angesehen werden könnten.

Dennoch ist die Entscheidung darüber dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten: Der Senat hat in Abkehr von älterer Rechtsprechung entschieden, dass im Falle einer Verschmälerung auch bei einer teileinrichtungsimmanenten Vorteilskompensation eine absolute Verschlechterung vorliegen muss, wenn die Verschmälerung durch Schaffung einer weiteren Teileinrichtung bewirkt wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28. August 2001 - 15 A 465/99 -, KStZ 2002, 33 (36 f.).

Hier ist keine neue Teileinrichtung angelegt worden, vielmehr beruht die Verschmälerung des Gehwegs auf einer entsprechenden Verbreitung der Fahrbahn. Insofern ist die zitierte Rechtsprechung nicht einschlägig. Dennoch fragt sich, ob dann, wenn die Beitragsfähigkeit des Fahrbahnausbaus nicht (nur) in der Verbreiterung der Fahrbahn auf Kosten des Gehwegs, sondern - wie hier - (auch) in der Erneuerung liegt, es für ein Entfallen der Beitragsfähigkeit der gleichzeitigen Gehwegerneuerung im Wege der Vorteilskompensation wie bei der Schaffung einer neuen, zu Verschmälerungen führenden Teileinrichtung einer absoluten Verschlechterung des Gehwegs im Sinne der Funktionslosigkeit bedarf. Denn es wird den Anliegern der Gebrauchsvorteil einer insgesamt erneuerten Straße mit entsprechend erhöhtem Gebrauchswert der Anliegergrundstücke als wirtschaftlicher Vorteil geboten,

zum Begriff des wirtschaftlichen Vorteils vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. September 2003 - 15 A 4700/01 -, NWVBl. 2004, 106 (107),

während die veränderten Breiten von Fahrbahn und Gehweg eine insgesamt vorteilsirrelevante Frage der Verteilung des zur Verfügung stehenden Raumes auf die Teileinrichtungen ist.

Anders noch OVG NRW, Urteil vom 26. Februar 1982 - 2 A 1/80 -.

Die gegen die Verteilung gerichteten Angriffe begründen keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Beitragsbescheides. So müssen die am südlichen Zweig der O.---straße gelegenen Grundstücke nicht in das Verteilungsgebiet einbezogen werden. Diese werden nämlich nicht von der abgerechneten Anlage erschlossen.

Nach § 1 SBS werden Beiträge für den Ausbau "von Anlagen im Bereich der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze" erhoben. Damit wird der spezifisch straßenbaubeitragsrechtliche Anlagenbegriff gewählt, der für die räumliche Abgrenzung der Anlage grundsätzlich auf das Bauprogramm abstellt.

OVG NRW, Beschluss vom 15. November 2005 - 15 A 95/05 -, S. 4 f. des amtlichen Umdrucks.

Hier ist die durch das Bauprogramm gezogene Grenze die Einmündung in die O.- --straße als örtlich erkennbares Merkmal.

Vgl. zu den zulässigen Merkmalen einer auf das Bauprogramm abstellenden Anlagenabgrenzung OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808.

Damit gehört der südliche Zweig der O.---straße nicht zur abzurechnenden Anlage.

Es kann nach dem Vorbringen der Antragstellerin nicht festgestellt werden, dass ihr Grundstück nicht der Beitragspflicht unterläge. Unmittelbar an der ausgebauten Straße liegende Grundstücke sind beitragsrechtlich relevant erschlossen, wenn bis zu deren Grenze von der ausgebauten Straße herangefahren werden kann und sie von dort aus - unbeschadet eines eventuell dazwischen liegenden Gehweges, Radweges oder Seitenstreifens - ohne weiteres betreten werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808.

Darüber hinaus mag für Gewerbegrundstücke ein Herauffahrenkönnen erforderlich sein.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 9. September 1996 - 15 B 1648/96 -, S. 3 f. des amtlichen Umdrucks.

Diesem so zu verstehenden Erschlossensein steht ein Niveauunterschied zwischen der Straße und dem Grundstück nicht ohne weiteres entgegen. Vielmehr besteht nur dann eine Erschließungshindernis, wenn der Niveauunterschied mit zumutbaren Mitteln nicht überwunden werden kann.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juli 2007 - 15 A 785/05 -, NVwZ-RR 2007, 808 (809).

Dafür ist nichts vorgetragen.

Für eine Beitragspflicht des Flurstücks 127 trägt die Antragstellerin nichts vor. Ausweislich des Verteilungsplans handelt es sich um kein an die ausgebaute Straße grenzendes Grundstück. Es ist daher unverständlich, wenn die Antragstellerin meint, dieses Grundstück sei mit ihrem, auch an die Normannstraße grenzenden Grundstück vergleichbar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert ergibt sich aus §§ 47 Abs. 1, 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 des Gerichtskostengesetzes.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.