AG Essen, Urteil vom 02.08.2007 - 11 C 245/07
Fundstelle
openJur 2011, 52301
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Die Klägerin nimmt die Beklagte als Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer auf Erstattung von ihr nach anteiliger Regulierung durch die Beklagte verbliebenen Restschadensersatzbeträge in Anspruch.

Die Beklagte ist der Klägerin aus einem Verkehrsunfall vom 05.03.2007 auf der S-Straße in Essen in Höhe der Hausnummer 231 in voller Höhe einstandspflichtig. Am PKW der Klägerin Mazda MX-5, amtliches Kennzeichen: #-...#, entstand bei dem Unfall ein Sachschaden. Ausweislich Gutachtens des Sachverständigen I vom 07.03.2007 betrug der Wiederbeschaffungswert des Klägerfahrzeugs 5.950,00 €, der Restwert wurde mit 1.900,00 € angesetzt.

Die Klägerin ließ das Fahrzeug vollständig und fachgerecht instandsetzen. Ausweislich der Rechnung der Firma F GmbH vom 23.03.2007 entstanden dabei Reparaturkosten in Höhe von 6.193,03 € netto, respektiver 7.369,71 € brutto.

Im Anschluss an die Reparatur des Klägerfahrzeugs nahm die Beklagte eine Schadensabrechnung auf Totalschadensbasis vor. Dabei berechnet sie den klägerischen Schaden wie folgt:

Wiederbeschaffungswert netto: 5.833,33 €

abzgl. Restwert: 1.900,00 €

Regulierungsbetrag 3.933,33 €

Diesen Betrag zahlte die Beklagte mit Abrechnungsschreiben vom 19.03.2007 an die Klägerin aus. In diesem Schreiben kündigte die Beklagte an, über den Wiederbeschaffungsaufwand hinausgehende Beträge bis maximal 33 % über dem Wiederbeschaffungswert erst bei Vorliegen einer Weiternutzung von mindestens 6 Monaten ab dem Unfalldatum auszuzahlen. Dies bestätigte die Beklagte gegenüber der Klägerin nochmals mit Schreiben vom 11.04.2007.

Die Klägerin ist der Ansicht, ihr Anspruch auf Erstattung der den Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturbeträge sei mit durchgeführter ordnungsgemäßer Reparatur und begonnener Weiternutzung des PKW fällig geworden. Die Zahlung könne ohne Weiteres unter einem Rückforderungsvorbehalt für den Fall nicht ausreichend langer Weiternutzung des PKW nach erfolgter Reparatur gestellt werden. Bereits die Umsetzung der Reparaturabsicht indiziere mit genügender Deutlichkeit die Weiternutzungsabsicht. Durch die vollständige und fachgerechte Instandsetzung des Unfallfahrzeuges habe sie das für die Geltendmachung der tatsächlich angefallenen, unterhalb der 130 % Grenze liegenden Reparaturkosten notwendige Integritätsinteresse unter Beweis gestellt.

Die Klägerin begehrt des Weiteren Ersatz der nicht anrechenbaren vorprozessualen Anwaltsgebühren.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

an sie 2.259,70 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5%-Punkten oberhalb des Basiszinssatzes seit dem 12.04.2007 zu zahlen,

sie von vorprozessual angefallenen, nicht mit der Verfahrensgebühr zu verrechnenden Gebühren der Rechtsanwälte M & T in Höhe von 124,53 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Ihrer Ansicht nach ist die Klägerin derzeit mit weitergehenden Ersatzansprüchen ausgeschlossen. Es sei ihr verwehrt den über den Wiederbeschaffungsaufwand hinausgehenden Reparaturaufwand geltend zu machen, da von dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall an noch kein Zeitraum von 6 Monaten verstrichen sei. Erst wenn die Klägerin den reparierten PKW über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten nach dem Unfallereignis verkehrssicher weiter benutzt habe, habe sich ihr Nutzungswille manifestiert und sei das Integritätsinteresse nachgewiesen. Bis zu diesem Zeitpunkt habe die Klägerin gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB die Möglichkeit der Naturalrestitution zu wählen, die den geringsten wirtschaftlichen Aufwand erfordere. Sollte ihr nach Ablauf der 6 Monate die Darlegung der weiteren Nutzung des Fahrzeuges gelingen, so werde sie die Differenz zwischen den tatsächlich angefallenen Reparaturkosten der bereits erstatteten Fahrzeugen erstatten.

Gründe

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte - derzeit - keinen Anspruch auf weitere Schadensersatzzahlung in Höhe von 2.259,70 € gemäß §§ 7, 17 StVG, 3 Pflichtversicherungsgesetz. Ein möglicher Anspruch der Klägerin auf Zahlung von den von der Beklagten erstatteten Wiederbeschaffungsaufwand übersteigenden Reparaturkosten scheitert zum jetzigen Zeitpunkt daran, dass die Klägerin ihr Integritätsinteresse bislang nicht durch eine Weiternutzung des sach- und fachgerecht reparierten PKW über einen Zeitraum von mindestens 6 Monaten hin ausreichend nachgewiesen hat.

Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass der Anspruch eines Geschädigten auf Ersatz der Reparaturkosten grundsätzlich auch dann besteht, wenn diese höher sind als der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges, soweit die Reparaturkosten nicht mehr als 30 % über dem Wiederbeschaffungswert des Fahrzeuges liegen. Der Anspruch des Geschädigten auf den den Restwert des Fahrzeuges übersteigenden Integritätszuschlag besteht nur dann, wenn das Fahrzeug sach- und fachgerecht repariert wurde und die Reparatur in dem Umfang durchgeführt wurde, der Grundlage der Schadensermittlung des Sachverständigen war.

Vorliegend hat die Klägerin das Fahrzeug aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen I bei einer Fachfirma zum Preis von 6.193,03 € netto, d. h. 7.369,71 € brutto sach- und fachgerecht reparieren lassen.

Die sach- und fachgerechte Reparatur ist aber für sich genommen nicht ausreichend, den Nutzungswillen hinreichend zu manifestieren. Nach einhelliger Rechtsprechung ist zudem zur Bejahung des Integritätsinteresses erforderlich, dass der Geschädigte sein Fahrzeug nach durchgeführter Reparatur weiter nutzt (vgl. BGH r+s 2005, 172; OLG Hamm NJW RR 1993, 1436; OLG Hamm Versicherungsrecht 2001, 257).

Die Frage, welcher Zeitablauf erforderlich ist, damit ein Geschädigter sein Integritätsinteresse ausreichend bekundet hat, hat der BGH nunmehr nach Auffassung des Gerichtes im Urteil vom 23.05.2006 (MDR 2006, 1403) dahingehend entschieden, dass eine Weiternutzung des Fahrzeuges für den Zeitraum von mindestens 6 Monaten nach dem Unfall erforderlich ist.

Danach kann von einer Weiternutzung des Fahrzeuges zunächst dann nicht die Rede sein, wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach dem Unfall alsbald veräußert. In diesem Falle gibt er sein Integritätsinteresse auf und realisiert durch den Verkauf den Restwert seines Fahrzeuges mit der Folge, dass er sich diesen grundsätzlich anrechnen lassen muss. Da er an einem Schadensfall nicht verdienen darf, ist in einem solchen Fall der Anspruch des Geschädigten der Höhe nach durch die Kosten der Ersatzbeschaffung begrenzt. Die Frage, wie lange nun der Geschädigte sein Fahrzeug nach dem Unfall nutzen muss, um sein nachhaltiges Interesse an der weiteren Nutzung zum Ausdruck zu bringen, hat der BGH nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Erleichterung einer praktikablen Schadensabwicklung dahin beantwortet, dass im Regelfall ein Zeitraum von 6 Monaten erforderlich aber ausreichend ist. Bei einer so langen Weiternutzung wird im allgemeinen ein ernsthaftes Interesse des Geschädigten an der Weiternutzung, dass einem Abzug des Restwertes nach den oben dargelegten Grundsätzen entgegensteht, nicht verneint werden können.

Das Gericht verkennt nicht, dass sich die angeführte Entscheidung des BGH nicht unmittelbar auf einen sogenannten Fall der 130 % Reparatur bezieht, sondern auf einen Fall, bei dem die Reparaturkosten unter dem Wiederbeschaffungswert, aber über dem Wiederbeschaffungsaufwand gelegen haben.

Das Gericht ist aber der Auffassung, dass die Anforderungen, die der BGH in diesem Fall an das Integritätsinteresse des Geschädigten gestellt hat, entsprechend auf den vorliegenden Fall der Abrechnung auf 130 % Basis zu übertragen ist. In beiden Fallgestaltungen wird eine Abrechnung auf Grundlage der anfallenden Reparaturkosten für zulässig erachtet, obwohl die grundsätzlich gebotene Abrechnung auf der Grundlage eines wirtschaftlichen Totalschadens die nach § 249 Abs. 1 BGB günstigere Form der Totalrestitution darstellt.

Einer Übertragbarkeit der Anforderung, das Fahrzeug 6 Monate zu behalten, steht auch nicht entgegen, dass in dem vom BGH entschiedenen Fall eine Abrechnung auf fiktiver Reparaturkostenbasis erfolgt ist. In beiden Fällen hat der Geschädigte sein besonderes Integritätsinteresse nachzuweisen, um ausnahmsweise mehr zu erhalten als ihm nach einer Abrechnung auf Totalschadensbasis zustehen würde. In dem vom BGH entschiedenen Fall lagen die Reparaturkosten noch unter dem Wiederbeschaffungswert des geschädigten Fahrzeuges. Es kommt danach nur noch auf den Nachweis des Integritätsinteresses durch eine Weiternutzung des Fahrzeuges an.

Im vorliegenden Fall tritt noch das Erfordernis der tatsächlichen Reparatur hinzu, da aufgrund der Schadenshöhe die oberhalb des Wiederbeschaffungswertes liegt, eine Abrechnung auf fiktiver Reparaturkostenbasis nicht möglich ist. Der Geschädigte muss danach zunächst sein Fahrzeug sach- und fachgerecht reparieren und sodann sein Integritätsinteresse dadurch nachweisen, dass er das reparierte Fahrzeug über einen Zeitraum von 6 Monaten weiter nutzt. Da der Geschädigte im Falle der sogenannten 130 % Reparatur noch mehr bekommt, als in dem vom BGH am 23.05.2006 entschiedenen Fall - nämlich Ersatz der Reparaturkosten oberhalb des Wiederbeschaffungswertes -, ist es auch nicht unsachgemäß, ihm in gleicher Weise zusätzlich noch den Nachweis der Manifestation seines Nutzungswillens aufzuerlegen.

Die Klägerin kann mithin Ersatz der über den Wiederbeschaffungswert hinausgehenden tatsächlich angefallenen Reparaturkosten erst nach Ablauf einer Nutzungsdauer ihres Fahrzeuges von 6 Monaten von der Beklagten ersetzt verlangen. Die Beklagte hat der Klägerin insoweit den Ersatz weitergehenden Schadensersatzes nach Ablauf dieser Frist zugesichert. Mangels Nachweises des Integritätsinteresses war die Klage zum jetzigen Zeitpunkt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.