OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.09.2007 - 10 A 4372/05
Fundstelle
openJur 2011, 52136
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag wird abgelehnt.

Der Beigeladene trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Zulassungsverfahren auf 5.000 Euro festgesetzt.

Gründe

Der auf die Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1, 2 und 3 VwGO gestützte Antrag des Beigeladenen auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

1. Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (Zulassungsgrund gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat die dem Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 22. September 2004 in der Form der Nachtragsbaugenehmigung vom 3. März 2004 zu Recht aufgehoben. Die erteilte Baugenehmigung ist unter Verstoß gegen § 37 Abs. 1 VwVfG NRW unbestimmt. Die Unbestimmtheit bezieht sich auf diejenigen Merkmale des Vorhabens, deren genaue Festlegung erforderlich ist, um eine Verletzung von Nachbarrechten - hier hinsichtlich der Lärmbelastung durch die gewerbliche Nutzung des Grundstücks - auszuschließen.

Eine Baugenehmigung muss inhaltlich bestimmt sein. Sie muss Inhalt, Reichweite und Umfang der genehmigten Nutzung eindeutig erkennen lassen, damit der Bauherr die Bandbreite der für ihn legalen Nutzungen und Drittbetroffene das Maß der für sie aus der Baugenehmigung erwachsenen Betroffenheit zweifelsfrei feststellen können. Eine solche dem Bestimmtheitsgebot genügende Aussage muss dem Bauschein selbst - ggf. durch Auslegung - entnommen werden können, wobei die mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Bauvorlagen bei der Ermittlung des Erklärungsinhalts der Baugenehmigung herangezogen werden müssen.

OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Mai 2005 - 10 A 2017/03 -, BRS 69 Nr. 163, vom 29. April 2004 - 10 B 545/04 -, und vom 12. Januar 2001 - 10 B 1827/00 -, BRS 64 Nr. 162; Urteile vom 10. Dezember 1998 - 10 A 4248/92 -, BRS 58 Nr. 216, und vom 26. September 1991 - 11 A 1604/89 -, BRS 52 Nr. 144; Boeddinghaus / Hahn / Schulte, Bauordnung NRW, Stand Mai 2007, § 75 Rn. 137-142 m.w.N.

Im vorliegenden Fall sind diese Anforderungen nicht gewahrt. Den Bauvorlagen lässt sich weder die Art des betrieblichen Geschehens noch der Umfang des Betriebes hinreichend sicher entnehmen. Ausweislich des Bauscheins sowie der mit Zugehörigkeitsvermerk versehenen Betriebsbeschreibung ist die Nutzungsänderung einer Produktionshalle in "Holz- und Lehmbau (Ökologisches Bauen) sowie Lager Sanitärteile" genehmigt. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht ausgeführt, dass dies für die Kennzeichnung des Betriebs nicht ausreicht, weil nicht festgestellt werden kann, welche gewerbliche Tätigkeit durch die Baugenehmigung letztlich erlaubt ist.

Die Unbestimmtheit der Baugenehmigung ist insbesondere in dem Streitverfahren betreffend die Ordnungsverfügung vom 27. April 2005, mit der dem Beigeladenen der "Betrieb einer Zimmerei" auf dem Grundstück untersagt worden ist (VG Düsseldorf, Az. 25 L 896/05), deutlich geworden. Während die Beklagte auf dem Standpunkt stand, mit der streitgegenständlichen Baugenehmigung sei ein Zimmereibetrieb nicht genehmigt worden, gab der Beigeladene in der Antragsschrift an, die Baugenehmigung erlaube ihm auf dem Grundstück den Betrieb des Gewerbes "Zimmerei und Holzbau, Altbausanierung, Denkmalpflege, Holzrahmenbau, ökologischer Innenausbau", und seine dort ausgeübte Tätigkeit sei von der Baugenehmigung gedeckt.

Die Baugenehmigung ist - unabhängig von den vorstehenden Ausführungen - auch hinsichtlich der konkreten Betriebsgestaltung unbestimmt. Nach § 5 Abs. 2 BauPrüfVO muss eine Betriebsbeschreibung u.a. Angaben enthalten über die Art der gewerblichen Tätigkeit unter Angabe der Art und Zahl der Maschinen oder Apparate. Diesen Anforderungen genügen die in der Betriebsbeschreibung gemachten Angaben nicht, wie das Verwaltungsgericht im einzelnen ausgeführt hat. Soweit der Beigeladene in der Zulassungsbegründung angibt, ergänzend zur Betriebsbeschreibung hätte zur Konkretisierung des Genehmigungsinhalts die "Geräuschprognose für den geplanten Betrieb der Holz- und Lehmbau GmbH in S. " des Ingenieurbüros T. vom 24. Mai 2004 herangezogen werden müssen, ergibt sich nichts anderes. Dabei kann offen bleiben, ob und in welchem Umfang diese Geräuschprognose Bestandteil der Baugenehmigung geworden ist. Sie ist einerseits nicht mit einem Grünstempel versehen, wird andererseits jedoch im Bauschein vom 22. September 2004 als "Bindung" bezeichnet. Jedenfalls ist die Geräuschprognose nicht geeignet, die Angaben in der Betriebsbeschreibung zu konkretisieren, weil sie diesen Angaben widerspricht. Denn die in der Betriebsbeschreibung genannten Maschinen ("Stapler, mobile Bandsäge") werden in der Geräuschprognose nicht untersucht; stattdessen ermittelt die Prognose Geräusche von Maschinen, die wiederum in der Betriebsbeschreibung nicht genannt werden (Dickdenhobel, Tisch- und Kreissäge, Handhobel, Handkreissäge und Kettensäge).

Unabhängig von dieser Widersprüchlichkeit hinsichtlich der Art der benutzten Maschinen ist die Baugenehmigung auch deshalb unbestimmt, weil eine pauschale Bezugnahme in der Baugenehmigung auf die Geräuschprognose nicht ausreichend ist. Wenn es in der Baugenehmigung vom 22. September 2004 heißt: "Dieser Genehmigung liegen folgende besondere Bindungen zugrunde: Geräuschprognose vom 24.05.2004, aufgestellt vom Ing.- Büro T. ..." bleibt unklar, welcher Teil des Gutachtens mit welchem Regelungsinhalt (Bedingung?, Auflage?, bei Auflage: welcher vollstreckungsfähige Inhalt?) in Bezug genommen werden soll. Da Gutachten stets mit Prämissen, Wertungen und darauf aufbauenden Schlussfolgerungen arbeiten, kann eine generelle Bezugnahme auf den Inhalt eines Gutachtens nicht zu einem eindeutig bestimmbaren und damit vollstreckungsfähigen Regelungsgehalt führen. Insbesondere, wenn es - wie hier - darum geht, im Hinblick auf Lärmimmissionen Nachbarrechte zu sichern, muss die genehmigte Nutzung schon in der Baugenehmigung durch konkrete Regelungen bestimmt werden; ein pauschaler Verweis auf ein Lärmgutachten ist dagegen nicht geeignet, einen Lärmkonflikt wirksam zu lösen.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Februar 1996

- 10 B 248/96 -, BRS 58 Nr. 97; Boeddinghaus / Hahn / Schulte, a.a.O., § 75 Rn. 143.

Schließlich ist die streitgegenständliche Baugenehmigung rechtswidrig, weil sie einen Etikettenschwindel darstellt. Ein Etikettenschwindel liegt vor, wenn ein Bauvorhaben mit seinem Nutzungszweck unzulässig ist und deshalb eine zulässige Nutzung vorgeschoben wird.

Vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 4. Mai 2006 - 2 M 132/06 -, BauR 2006, 2107; OVG Nds., Urteil vom 26. April 1993 - 6 L 169/90 -, MDR 1993, 759; Boeddinghaus / Hahn / Schulte, a.a.O., § 75 Rn. 144.

Dass diese Voraussetzungen hier vorliegen, wird bei einem Vergleich der - grüngestempelten - Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10. Mai 2004 mit der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10. Dezember 2003 deutlich. Daraus ergibt sich mit, dass der Beigeladene stets den Betrieb einer Zimmerei beabsichtigte.

Nach der Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10. Mai 2004, welche den Begriff "Zimmerei" vermeidet, sind Erzeugnisse des Betriebes "Holz- und Lehmbau"; gearbeitet werde mit den Materialien "Lehm, Bauholz und Holzwerkstoffplatten". Der Arbeitsablauf bestehe aus der "Anlieferung von Holz- und Lehmwerkstoffen, Zusägen, Verarbeiten und Ausliefern dieser Teile", eingesetzte Maschinen seien "Stapler, mobile Bandsäge". Die Betriebsbeschreibung zum Bauantrag vom 10. Dezember 2003, mit welchem die Baugenehmigung für die Nutzungsänderung einer Produktionshalle in eine "Zimmerei und Lager Sanitärteile" beantragt wurde, ist damit weitgehend identisch: Nach dieser Betriebsbeschreibung sind Erzeugnisse des Betriebes "Holz- und Lehmbau, Zimmerarbeiten"; gearbeitet werde mit den Materialien "Bauholz und Holzwerkstoffplatten". Der Arbeitsablauf bestehe aus der "Anlieferung von Bauholz und Holzwerkstoffplatten, Zusägen, Verzimmern und Ausliefern dieser Teile", eingesetzte Maschinen seien "Stapler, mobile Bandsäge". Diesen Antrag vom 10. Dezember 2003 nahm der Beigeladene in der Folgezeit zurück, weil die Beklagte der Auffassung war, ein Zimmereibetrieb füge sich hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung nicht in die nähere Umgebung ein und sei daher nicht genehmigungsfähig. In der Sache ist ein jedoch qualitativer Unterschied dieser Betriebsbeschreibungen vom 10. Dezember 2003 ("Zimmerei") einerseits und vom 10. Mai 2004 ("Holz- und Lehmbau") andererseits nicht zu erkennen. Bis auf die Vermeidung des Begriffs "Zimmerei" in der Betriebsbeschreibung vom 10. Mai 2004 befassen sich beide Betriebsbeschreibungen jeweils mit den gleichen Produktionsvorgängen unter Zuhilfenahme der gleichen Maschinen.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen auch nicht im Hinblick auf den zweiten, auf Erlass einer Untersagungsverfügung gerichteten Klageantrag, denn der Rechtsmittelführer hat Rügen hierzu nicht vorgetragen und damit keine Gründe im Sinne des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Prüfung des Berufungsgerichts im Zulassungsverfahren ist auf die vorgetragene Antragsbegründung beschränkt. Zur Zulassung der Berufung können daher nur Rügen führen, die vom Rechtsmittelführer dargelegt worden sind.

Vgl. Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 124a Rn. 205.

2. Aus den dargelegten Gründen weist die Rechtssache auch keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Besondere Schwierigkeiten liegen dann vor, wenn der Ausgang des Rechtsstreits im Hinblick auf die vom Rechtsmittelführer vorgebrachten Einwände gegen die erstinstanzliche Entscheidung als offen erscheint; die geltend gemachten rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten müssen für die Entscheidungsfindung von Bedeutung sein. Daran fehlt es im vorliegenden Fall bereits deshalb, weil die geltend gemachte Schwierigkeiten - nämlich unter welchen Voraussetzungen ein nicht mit einem Grünstempel versehenes Gutachten, welches im Bauschein als "bindend" angesehen wird, am Genehmigungsgegenstand teilnimmt - nicht entscheidungserheblich sind. Denn auch wenn die Geräuschprognose Bestandteil der Baugenehmigung wäre, ist sie nach den obigen Ausführungen nicht geeignet, die Baugenehmigung im Hinblick auf den Betriebsablauf und die Lösung von Lärmkonflikten zu konkretisieren.

3. Eine grundsätzliche Bedeutung (Zulassungsgrund nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) weist die Rechtssache nicht auf. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache, wenn für die Entscheidung des Verwaltungsgerichts eine bisher nicht abschließend geklärte und klärungsbedürftige Rechts- oder Tatsachenfrage von Bedeutung war, die auch im Berufungsverfahren entscheidungserheblich wäre. Jedenfalls die letztgenannte Voraussetzung ist nicht gegeben. Denn auf die vom Beigeladenen aufgeworfenen Frage,

ob nur und ausschließlich grüngestempelte Bauvorlagen Inhalt der Baugenehmigung werden oder ob auch Bauvorlagen, die nicht mit dem Genehmigungsstempel versehen, aber zum Gegenstand der Baugenehmigung gemacht worden sind, den Genehmigungsinhalt definieren,

kommt es, wie oben dargelegt worden ist, nicht an.

Die Kostenentscheidung beruft auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 52 Abs. 1 GKG.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig, § 124 a Abs. 5 Satz 4 VwGO.