SG Aachen, Beschluss vom 02.02.2007 - S 20 SO 5/07 ER
Fundstelle
openJur 2011, 51841
  • Rkr:
Tenor

1. Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs vom 11.01.2007 gegen den Bescheid des Antraggegners vom 22.12.2006 wird abgelehnt. 2. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller. 3. Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetz

Gründe

I.

Der Antragsteller (Ast.) wehrt sich gegen seine Zurückweisung als Bevollmächtigter gemäß § 13 Abs. 5 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X).

Der 1968 geborene Ast. betreibt unter dem Namen E. ein Unternehmen, das - nach eigenen Angaben in Kooperation mit Rechtsanwälten und anderen Volljuristen - "Soziale Dienstleistungen" zur Verfügung stellt.

Mit Schreiben vom 12.10.2006 wandte sich der Ast. in der Angelegenheit einer Sozialhilfeempfängerin an den Antragsgegner (Ag.). In der Sache ging es um die sozialhilferechtliche (Un-)Angemessenheit der Unterkunftskosten nach einer Mieterhöhung. Der Ast. legte unter dem Briefkopf "E - Soziale Dienstleistungen" - ein Schriftstück vor, durch das die Sozialhilfeempfängerin "X.O. oder einem seiner Mitarbeiter/Partner" Vollmacht erteilte 1.zur Vertretung in außergerichtlichen Verfahren und Verhandlungen gegenüber Behörden (z.B. § 13 SGB X, einschließlich der Geltendmachung von Kostenerstattungen im Vorverfahren, z.B. § 63 SGB X), Banken sowie auch Krankenkassen, Ärzten und medizinischen Ein- richtungen aller Art (einschließlich der Erklärung der Entbindung von der ärztlichen Schweige- pflicht und der Anforderung der Krankenunterlagen), Vermietern und bei außergerichtlichen Verhandlungen aller Art auch mit Versicherungen (insbesondere in Unfallsachen zur Geltendmachung von Ansprüchen gegen Schädiger, Fahrzeughalter und deren Versicherer ohne Entgegennahme von Geldern), 2.zur Akteneinsicht (einschließlich der Entbindung von der amtlichen Sicherungspflicht und Schweigepflicht) und Anforderung und Entgegennahme von Bescheiden und anderen Dokumenten, 3.zur Begründung und Aufhebung von Vertragsverhältnissen und zur Abgabe von einseitigen Willenserklärungen (z.B. Kündigungen), sowie der Durchsetzung von Patientenverfügungen, 4.zur kostenlosen Vertretung bei der Führung von Prozessen vor Zivilgerichten (Amtsgerichten), Verwaltungsgerichten und Sozialgerichten soweit keine Anwaltszulassung erforderlich ist einschließlich der Befugnis zur Erhebung und Zurücknahme von Widerklagen, 5.zum kostenlosen Beistand in Strafsachen und Bußgeldsachen (§§ 302, 0374 StPO) einschließlich der Vorverfahren, zur Stellung von Strafanzeigen und anderen nach der Strafprozessordnung zulässigen Anträgen soweit keine anwaltliche Zulassung erforderlich ist. Die Vollmacht gilt für alle Instanzen und erstreckt sich auch auf Neben- und Folgeverfahren aller Art. Sie umfasst auch die Befugnis, die Vollmacht ganz oder teilweise auf andere zu übertragen (Untervollmacht), Rechtsmittel einzulegen, zurückzunehmen oder auf sie zu verzichten, den Rechtsstreit oder außergerichtliche Verhandlungen durch Vergleich, Verzicht oder Anerkenntnis zu erledigen. Sie erstreckt sich nicht darauf, Geld, Wertsachen und Urkunden, insbesondere auch den Streitgegenstand und die von dem Gegner, von der Juzstizkasse oder von sonstigen Stellen zu erstattenden Beiträge entgegenzunehmen."

Durch Bescheid vom 22.12.2006 wies der Ag. den Ast. - gestützt auf § 13 Abs. 5 SGB X - als Bevollmächtigten zurück, da er geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorge, ohne dazu befugt zu sein. Einschlägig hinsichtlich der Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten sei das Rechtsberatungsgesetz (RBerG). Die Tatsache, dass der Ast. E. als Gewerbe angemeldet habe, belege die Geschäftsmäßigkeit seines Handelns. Die Gewerbeanmeldung stelle jedoch keine Erlaubnis im Sinne des § 1 Abs. 1 RBerG dar. Er gehöre weder zu dem Personenkreis des § 1 Abs. 1 RBerG noch falle er unter die Ausnahmetatbestände der §§ 3, 7 RBerG. Im selben Bescheid vom 22.12.2006 ordnete der Ag. die sofortige Vollziehung dieses Bescheides an. Er begründete dies damit, die Vorschriften des RBerG dienten dem Schutz der Allgemeinheit sowie der bevollmächtigenden Personen insoweit, als die Rechtssuchenden vor der Gefahr bewahrt werden sollen, die Erledigung ihrer Rechtsangelegenheiten Personen zu überlassen, die nicht über für die ordnungsgemäße Erledigung erforderliche Sachkunde verfügen. Auch solle die reibungslose Abwicklung des Rechtsverkehrs mit Gerichten und Behörden gewährleistet werden. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruches und mit der Ausnutzung weiterer Rechtsmittel verbundenen Zeitverzögerungen seien auch deshalb nicht hinnehmbar, weil nur durch eine sofortige Unterbingung der unbefugten Tätigkeiten weitere zu befürchtende ordnungswidrige Handlungen i.S.v. § 8 RBerG vermieden werden könnten. Aus diesen Gründen überwiege das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Zurückweisung dem Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs.

Dagegen hat der Ast. am 15.01.2007 Widerspruch eingelegt und zugleich beantragt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wiederherzustellen.

Der Ast. hat diesen Antrag zuständigkeitshalber an das Sozialgericht weitergeleitet.

Der Ast. hat klargestellt, dass er eine - grundsätzliche - Entscheidung durch das Gericht wünscht. Er meint, seine Tätigkeit sei keine unbefugte geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten. Die erteilte Vollmacht sei nicht seine Arbeitsgrundlage.

Der Antragsteller beantragt,

die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 11.01.2007 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22.12.2006 anzuordnen.

Der Antragsgegner beantragt,

den Antrag abzulehnen.

Er meint, der Hinweis des Ast. auf juristische Kooperationspartner sei nicht geeignet, die Befugnisse eines nichtanwaltlichen Beraters zu erweitern. Das Handeln des Ast. gehe über die soziale Unterstützung mit dem Ziel der Überwindung von Zugangsschwellen weit hinaus. Es sei als Rechtsbesorgung zu bezeichnen, da es auch die Würdigung und Bewertung getroffener und zutreffender Entscheidungen beinhalte. Dazu sei auch die Vollmacht erteilt. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung sei zum Schutz der Klientin vorgenommen worden, um weiteres tätigwerden unverzüglich zu unterbinden, da nicht akzeptabel sei, die Erledigung von Rechtsangelegenheiten Personen zu überlassen, die nicht über die erforderliche Sachkunde verfügten.

II.

Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ist zulässig.

Gemäß § 86a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) hat ein Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Die aufschiebende Wirkung entfällt jedoch in den Fällen des § 86a Abs. 2 SGG. Vorliegend ist die aufschiebende Wirkung entfallen, weil der Ag. im Bescheid vom 22.12.2006 die sofortige Vollziehung des Zurückweisungsbescheides mit schriftlicher Begründung des besonderen Interesses an der sofortigen Vollziehung angeordnet hat (§ 86a Abs. 2 Nr. 5 SGG). Soweit sich der Ag. dabei auf die unzutreffende Rechtsgrundlage des § 80 Abs. 2 Nr. 4 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) gestützt hat, ist dies unschädlich. Nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen ein Widerspruch keine aufschiebende Wirkung hat, die auf- schiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Ein solcher Antrag ist - wie hier - schon vor Klageerhebung zulässig. Der Antrag auf Anordnung ("Wiederherstellung") der aufschiebenden Wirkung ist jedoch unbegründet. Es bestehen keine ernsthaften Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Zurückweisungsbescheides.

Nach § 13 Abs. 5 Satz 1 SGB X sind Bevollmächtige und Beistände zurückzuweisen, wenn sie geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten besorgen, ohne dazu befugt zu sein. Befugt im Sinne des Satzes 1 sind auch die in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG bezeichneten Personen, sofern sie Kraft Satzung oder Vollmacht zur Vertretung im Verwaltungs- verfahren ermächtigt sind (Satz 2). Der Ast. ist keine der in § 73 Abs. 6 Satz 3 SGG bezeichneten Personen. Er ist auch sonst nicht befugt, geschäftsmäßig fremde Rechtsangelegenheiten zu besorgen. Nach § 1 Abs. 1 RBerG darf die Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten, einschließlich der Rechtsberatung und der Einziehung fremder oder zu Einziehungszwecken abgetretener Forderungen, geschäftsmäßig - ohne Unterschied zwischen haupt- und nebenberuflicher oder entgeltlicher oder unentgeldlicher Tätigkeit - nur von Personen betrieben werden, denen dazu von der zuständigen Behörde die Erlaubnis erteilt ist. Eine solche behördliche Erlaubnis zur Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten nach dem RBerG besitzt der Kläger nicht. Er gehört zu keinem der in § 1 Abs. 1 Satz 2 RBerG aufgezählten Personen. Der Ast. betreibt auch keine zugelassene Rechtsberatung oder eine sonst ausnahmsweise ohne Erlaubnis zulässiger Tätigkeit im Sinne der §§ 3-7 RBerG.

Soweit sich der Ast. darauf beruft, Rechtsberatung im Sinne des RBerG erfolge ausschließlich durch seine Kooperationspartner, ist dies durch die für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage allein maßgebliche Vollmacht nicht gedeckt. Zum einen werden dort die Partner und deren rechtlicher Status nicht namentlich erwähnt; zum anderen ist die Vollmacht ausdrücklich und namentlich auch auf den Ast. ausgestellt. Diese Vollmacht berechtigt zu Tätigkeiten, die Rechtsanwälten zustehen oder Personen, die erlaubte Rechtsberatung betreiben dürfen.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in den vergangen Jahren mehrfach entschieden, dass der Erlaubnisvorbehalt für die Besorgung fremder Rechtsange- legenheiten gemäß § 1 Abs. 1 RBerG grundsätzlich verfassungsgemäß ist. Das RBerG dient dem Schutz der Rechtsuchenden und der geordneten Rechtspflege; zur Erreichung dieser Zwecke ist es erforderlich und angemessen. Soweit das BVerfG durch Beschlüsse vom 29.07.2004 und 16.02.2006 entschieden hat, dass der Begriff der Geschäftsmäßigkeit unter Abwägung der Schutzzwecke des RBerG einerseits und des Grundrechts der allgemeinen Handlungsfreiheit andererseits eine Auslegung erfordern könne, die die unentgeltliche Rechtsbesorgung durch einen berufserfahrenen Juristen nicht erfasse (BVerfG, Beschluss vom 29.07.2004 - 1 BvR 737/00 = NJW 2004, 2662; Beschluss vom 16.02.2006 - 2 BvR 951/04 = FamRZ 2006, 539), kann der Ast. hieraus nicht ableiten, dass seine Tätigkeit eine befugte geschäftsmäßige Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten ist. Das BVerfG hat den Grundsatz aufgestellt, zur Abgrenzung erlaubsfreier Geschäftsversorgung von erlaubnispflichtiger Rechtsbesorgung sei auf den Kern und den Schwerpunkt der Tätigkeit abzustellen, weil eine Besorgung wirtschaftlicher Belange vielfach auch mit rechtlichen Vorgaben verknüpft ist. Es sei daher stets zu fragen, ob die Tätigkeit überwiegend auf wirtschaftlichem Gebiet liege und die Wahrnehmung wirtschaftlicher Belange bezwecke oder ob die rechtliche Seite der Anlegenheit im Vordergrund stehe und es wesentlich um die Klärung rechtlicher Verhältnisse gehe (BVerfG, Beschluss vom 27.09.2002 - 1 BvR 2251/01 = NJW 2002, 3531). Bei der Tätigkeit des Ast. in der hier zugrunde liegenden Angelegenheit der Sozialhilfeempfängerin steht die rechtliche Seite der Angelegenheit im Vordergrund. Es geht um die Frage der Angemessenheit bzw. Unangemessenheit der Unterkunftskosten, die Umstände einer Mieterhöhung und die Frage, ob ein Umzug sozialhilferechtlich gefordert werden kann oder nicht. Dies sind zu allererst rechtliche Fragestellungen aus dem Sozialhilferecht, die nicht unerhebliche Rechtskunde erfordern.

Soweit sich der Kläger auch auf den Gesetzentwurf eines Rechtsdienstleistungsgesetzes bezieht, führte dies zu keiner anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage, da dieses Gesetz noch nicht in Kraft ist.

Schließlich führt auch eine gebotene Interessenabwägung nicht zu dem Ergebnis, dass Interessen des Ast. an der Anordnung der aufschiebenden Wirkung das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung überwiegen. Wirtschaftliche Interessen kann der Ast. nicht ins Feld führen, da er seine Tätigkeit nach eigenen Angaben ausschließlich unentgeltlich ausübt.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 161 Abs. 1, 162 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 3 Abs. 1, 52 Abs. 1 und 2 Gerichtskostengesetz - GKG. Da es sich um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, ist es sachgerecht und angemessen, nur die Häfte des Regelstreitwerts von 5.000,00 EUR, also 2.500,00 EUR zu Grunde zu legen.

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