LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 21.05.2007 - L 1 B 49/06 AS
Fundstelle
openJur 2011, 51540
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. S 4 AS 209/06
Tenor

Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 14.11.2006 geändert. Der Klägerin wird für das Verfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen für die Zeit ab 13.09.2006 (Antragstellung) Prozesskostenhilfe bewilligt und Rechtsanwalt I, F-straße 00, I beigeordnet. Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

Die zulässige Beschwerde, der das Sozialgericht nicht abgeholfen hat (Nichtabhilfebeschluss vom 20.11.2006), ist in der Sache begründet, da der Klägerin Prozesskostenhilfe zu gewähren ist. Die Rechtsverfolgung hat hinreichende Aussicht auf Erfolg; die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen sind erfüllt.

Nach § 73a Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) in Verbindung mit § 114 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) erhält ein Beteiligter, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag Prozesskostenhilfe, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Für die Annahme einer hinreichenden Erfolgsaussicht genügt eine gewisse Erfolgswahrscheinlichkeit (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage 2005, § 73a, Rdn. 7, m.w.N.). Danach ist eine hinreichende Erfolgsaussicht gegeben, wenn das Gericht den Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund der Sachverhaltsschilderung und der vorliegenden Unterlagen für zutreffend oder zumindest für vertretbar hält und/oder in tatsächlicher Hinsicht von der Möglichkeit der Beweisführung überzeugt ist (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, a.a.O., Rdn. 7a).

Die Klägerin hat mit ihrem Vorbringen zunächst geltend gemacht, dass angemessener Wohnraum in I nicht zu den von der Beklagten veranschlagten Kosten zu erhalten sei, dass andere Gemeinden - z.B. die Stadt Bergisch-Gladbach - bereit seien, höhere Kosten der Unterkunft für einen Drei-Personen-Haushalt zu übernehmen und dass ein erzwungener Umzug angesichts des Umstandes, dass sich nach 20 Jahren Mietzeit ein festes soziales Umfeld gebildet habe, nicht zumutbar sei. Sie hat außerdem vorgetragen, dass die für einen Umzug erforderlichen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung stünden. Der Senat lässt an dieser Stelle ausdrücklich dahinstehen, ob Wohnraum tatsächlich unter den von der Beklagten angenommenen Bedingungen konkret verfügbar und zugängig ist. Die von der Beklagten im Beschwerdeverfahren eingereichten Unterlagen könnten allerdings dafür sprechen, dass die Klägerin Wohnraum zu den von der Beklagten angegebenen Bedingungen in I erhalten kann. Mit dem Argument, dass andere Gemeinden höhere Kosten der Unterkunft zu tragen bereit seien, kann sie bereits deshalb nicht gehört werden, weil maßgeblich für die Beurteilung der Angemessenheit im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB II) in erster Linie der Wohnstandard am konkreten Wohnort ist (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 07.11.2006 - Az.: B 7b AS 10/06 R, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Gegen die Möglichkeit eines Umzuges spricht im Übrigen nicht, dass die finanziellen Mittel hierfür nicht bereit stehen. Denn § 22 Abs. 3 SGB II sieht die Möglichkeit vor, dass der Träger der Grundsicherung Wohnungsbeschaffungskosten, Umzugskosten und Mietkautionen (bei vorheriger Zusicherung) übernimmt.

Hinreichende Aussicht auf Erfolg ist allerdings unter folgendem Gesichtspunkt anzunehmen: Gegenstand des Rechtsstreits sind nicht nur die Kosten der Unterkunft, sondern auch die Kosten der Heizung (eine Beschränkung des Streitgegenstandes ist insoweit nicht möglich, vgl. BSG, a.a.O.). Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II werden die Leistungen für Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Höhe der laufenden Kosten für die Heizung ergibt sich entweder aus dem Mietvertrag oder aus den Vorauszahlungsfestsetzungen der Energieversorgungsunternehmen, für die eine Vermutung der Angemessenheit spricht, sofern nicht durchgreifende Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches und damit unangemessenes Heizverhalten gegeben sind (Landessozialgericht - LSG - Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 15.12.2005 - Az.: L 8 AS 427/05 ER; LSG Hessen, Beschluss vom 05.10.2006 - Az.: L 7 AS 126/06 ER, www.sozialgerichtsbarkeit.de; Berlit in LPK-SGB II, § 22, Rn. 67). Dabei ist zu berücksichtigen, dass eine Pauschalierung in der Regel nicht die Berechnung der angemessenen Heizkosten zu ersetzen vermag (so auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 30.01.2007 - Az.: L 8 AS 5755/06 ER-B; LSG Hessen, Beschluss vom 05.10.2006 - Az.: L 7 AS 126/06 ER und Beschluss vom 21.03.2006 - Az.: L 9 AS 124/05 ER; Sozialgericht - SG - Dortmund, Urteil vom 21.03.2007 - Az.: S 29 AS 498/05, www.sozialgerichtsbarkeit.de).

Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 10.07.2006 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 15.08.2006 eine Pauschalierung der Kosten der Heizung auf einen Betrag von 0,86 Euro/m² vorgenommen, woraus sich für eine 75 m²-Wohnung der zuerkannte Betrag von 64,50 Euro ergibt. Eine solche Pauschalierung hat sie bereits anlässlich der vorhergehenden Leistungsbewilligung (Bescheid vom 02.02.2006) durchgeführt und für die gegenwärtig von der Klägerin und ihren Angehörigen bewohnte Wohnung mit einer Wohnfläche von 84,86 m² anstelle des vom Energieversorgungsunternehmen in Rechnung gestellten Vorauszahlungsbetrages von 101,00 Euro (= 1,19 Euro/m²) Kosten der Heizung in Höhe von lediglich 72,98 Euro anerkannt. Unter Berücksichtigung der oben skizzierten Grundsätze steht diese Pauschalierung nicht mit § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II in Einklang, zumal bislang von der Ermächtigung des § 27 Nr. 1 SGB II, der dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales unter anderem die Festlegung erlaubt, unter welchen Voraussetzungen die Kosten der Unterkunft und Heizung pauschaliert werden können, kein Gebrauch gemacht worden ist. Anhaltspunkte für ein unwirtschaftliches Heizverhalten liegen nicht vor und wurden von der Beklagten nicht geltend gemacht. Selbst wenn sich im Rahmen des Hauptsacheverfahrens herausstellen sollte, dass die derzeitige Wohnungsgröße unangemessen und dass angemessener Wohnraum zugänglich ist, könnte sich ungeachtet dessen im Ergebnis ein Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Kosten der Heizung für eine Wohnung mit 75 m² Wohnfläche (ggf. bereinigt um einen 18 %-Abschlag für die Warmwasserbereitung) ergeben.

Nachdem die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ebenfalls erfüllt sind, war Prozesskostenhilfe für die Zeit ab 13.09.2006 (Antragstellung) zu bewilligen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden (§ 177 SGG).

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