VG Köln, Urteil vom 25.04.2007 - 8 K 1393/06
Fundstelle
openJur 2011, 50756
  • Rkr:
Tenor

Die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Beklagten vom 1. Juni 2005 und der Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 10. Februar 2006 werden aufgehoben.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen eine der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung für die Errichtung einer Außengastronomie auf dem Grundstück C. Straße ooo, Gemarkung L. , Flur o, Flurstück oo/o in Bonn.

Eine zunächst unter dem 25. Juli 2001 erteilte Baugenehmigung für eine gastronomische Außennutzung der Gaststätte „M. „ mit 40 Gastplätzen wurde durch Bescheid der Beklagten vom 20. September 2004 widerrufen. Gegen den Widerruf wurde zunächst unter dem 8. Oktober 2004 Widerspruch eingelegt, der aber unter dem 15. März 2005 zurückgenommen wurde.

Unter dem 1. Juni 2005 erteilte die Beklagte der Beigeladenen eine Baugenehmigung für eine gastronomische Außennutzung der Gaststätte „M. „ mit 10 Gastplätzen.

Wegen der Einzelheiten der Genehmigungen, insbesondere wegen der in den Genehmigungsverfahren vorgelegten schalltechnischen Stellungnahmen des Sachverständigen Dipl. Ing. Q. Q1. vom 15. Juni 2001 und vom 23. März 2005 wird auf den beigezogenen Verwaltungsvorgang Bezug genommen.

Gegen die Baugenehmigung vom 1. Juni 2005 legte der Kläger am 20. Juni 2005 Widerspruch ein, der mit Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Köln vom 10. Februar 2006 zurückgewiesen wurde.

Der Kläger hat am 9. März 2006 Klage erhoben, zu deren Begründung er unter anderem geltend macht, er werde durch den von den Gästen der Außengastronomie verursachten Lärmpegel erheblich und unzumutbar beeinträchtigt. Die Berechnungen des Gutachters Q1. seien nicht nachvollziehbar und die Ausführungen nicht plausibel.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 1. Juni 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Köln vom 10. Februar 2006 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht unter anderem geltend, dass die Stellungnahme des Gutachters aus dem Jahr 2005 im Zusammenhang mit dem Gutachten aus dem Jahr 2001 zu sehen sei und von der Einhaltung der maßgeblichen Grenzwerte auszugehen sei.

Die Beigeladene stellt keinen Antrag.

Das Gericht hat die Örtlichkeit anlässlich der mündlichen Verhandlung am 25. April 2007 in Augenschein genommen. Wegen der Einzelheiten der Inaugenscheinnahme und mündlichen Verhandlung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die streitbefangenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO).

Die angefochtene Baugenehmigung verstößt zum Nachteil des Klägers gegen das Gebot der Rücksichtnahme.

Das Gebot der Rücksichtnahme ermöglicht einen Ausgleich widerstreitender Interessen der Nachbarn. Ob es verletzt ist, lässt sich jeweils nur unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles entscheiden. Erforderlich ist dabei eine Abwägung zwischen den Interessen des Rücksichtnahmeberechtigten und des Rücksichtnahmeverpflichteten. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des berechtigten Nachbarn ist, um so mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Umgekehrt muss der Bauherr um so weniger Rücksicht nehmen, je verständlicher und unabweisbarer die von ihm verfolgten Interessen sind. Danach liegt eine Verletzung des Rücksichtnahmegebotes dann vor, wenn die durch das Vorhaben hervorgerufene Beeinträchtigung unter Berücksichtigung der wechselseitigen Interessen für den Nachbarn nicht mehr zumutbar sind,

vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 25. Februar 1977 - 4 C 22.75 -, BVerwGE 52, 122 ff (126).

Davon ausgehend erweist sich vorliegend die erteilte Baugenehmigung wegen der von der Außengastronomie ausgehenden Lärmbelästigung als rücksichtslos.

Dem grundsätzlich berechtigten Interesse der Beigeladenen an einer Erhöhung des Umsatzes der Gaststätte durch die Außengastronomie steht das schutzwürdige Interesse des Klägers gegenüber, durch den Lärm der Außengastronomie nicht noch weitergehend in seiner Wohnruhe gestört zu werden. Der Unzumutbarkeit der von der Außengastronomie ausgehenden Lärmbeeinträchtigungen steht die Feststellung des Gutachters Q1. in seiner Stellungnahme vom 23. März 2005 nicht entgegen. Dieser hält zwar in seiner Stellungnahme - ausgehend von der unzutreffenden Annahme, dass der Gastronomiebetrieb in einem Mischgebiet liege und ohne Mitteilung der von ihm errechneten Dezibelwerte - fest, dass maximal 10 Außensitzplätze zulässig seien; das Gutachten geht aber sachlich falsch davon aus, dass das nächste Wohnhaus sich ca. 7 m von der Grenzwand zur Außenbewirtschaftung entfernt befinde (S. 1 der Stellungnahme vom 15. Juni 2001). Tatsächlich befindet sich das nächste, ebenfalls vom Kläger bewohnte Haus unmittelbar hinter der rückwärtigen Grenzwand zur Außenbewirtschaftung. Die Entfernung der Außengastronomie zum Fenster des Wohnbereichs dieses Hauses beträgt allenfalls 3,50 bis 4 m. Ohnehin haben technische Regelwerke wie die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm nur eine begrenzte Aussagekraft, da sie nicht alle Aspekte erfassen sodass regelmäßig eine situationsbedingte Abwägung aller Umstände des Einzelfalls geboten ist,

vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Urteil vom 20. Februar 1995 - 7 A 267/93 - und Beschluss vom 28. August 1998 - 10 B 1253/98 -, BRS 60 Nr. 202.

Gerade bei der Beurteilung von Anlagen der Außengastronomie, auf die die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm bereits gemäß Nr. 1 lit. b) TA Lärm keine Anwendung findet, werden die Auswirkungen dieser - typischerweise besonders lärmintensiven - Art des Gaststättenbetriebs durch eine schalltechnische Untersuchung, die sich lediglich schematisch an den Vorgaben einer VDI-Richtlinie orientiert, nicht vollständig erfasst. Es geht um die Beurteilung der Lautäußerung von Gaststättenbesuchern, die von dem Gaststättenbetreiber kaum beeinflusst werden können und die wegen ihrer Informationshaltigkeit als besonders störend empfunden werden.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 21. August 1996 - 11 A 635/95 -; VG Minden, Urteil vom 17. Februar 2005 - 9 K 4536/03 -, juris.

Die Belastbarkeit von Menschen mit Lärm hängt von zahlreichen Faktoren ab, die nur unvollkommen in einem einheitlichen Messwert aggregierend zusammengefasst werden können. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie hier - die in die Beurteilung einzustellenden Geräusche vornehmlich durch menschliches Verhalten verursacht werden und vom Naturell und der jeweiligen Stimmung der einzelnen Gaststättenbesucher abhängen und daher weder gesteuert noch hochgerechnet werden können.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 16. Januar 1998 - 7 A 4640/97 - und Urteil vom 9. Juli 1992 - 7 A 158/91 -, BRS 54 Nr. 190.

Vorliegend spielt sich die Außengastronomie unmittelbar an der Grenze zum Grundstück des Klägers ab. Ein Abstand zum Beginn der Wohnbebauung auf dem Grundstück des Klägers besteht nicht. Insbesondere bei gutem Wetter wird sich der Betrieb der dann gut besuchten Außengastronomie für den Kläger als nachhaltig störend auswirken. Gerade bei gutem Wetter besteht aber auch das berechtigte Bedürfnis des Klägers, sich im Garten aufzuhalten oder die Fenster geöffnet zu halten. Die Außengastronomie findet auf einem verhältnismäßig kleinen Streifen zwischen dem Grundstück des Klägers und der Gaststätte statt, wobei ein Entweichen des Lärms in die vom klägerischen Grundstück abgewandte, nördliche Richtung nicht möglich ist, da sich dort die Hauswand des Lokals befindet, von der die Geräusche auf einer Breite von mehreren Metern reflektiert werden. Ohnehin spielt sich der Gastronomiebetrieb zu den Zeiten ab, die wegen ihrer typischen Erholungsfunktion als besonders sensibel angesehen werden müssen (werktags ab 18.00 h, Wochenende), wobei naturgemäß mit fortschreitender Stunde und damit auch mit fortschreitendem Ruhebedürfnis - u.a. bedingt durch Alkoholkonsum - auch die Lautstärke stetig zunimmt. Auch bei Berücksichtigung der gegebenen Gebietsvorbelastung ist von einem Überschreiten der Zumutbarkeitsgrenze auszugehen. Die Ortsbesichtigung hat ergeben, dass die nähere Umgebung sich keiner der Gebietsarten der Baunutzungsverordnung eindeutig zuordnen lässt und von einer Gemengelage auszugehen ist. Innerhalb der Gemengelage herrscht aber Wohnbebauung vor, die Außengastronomie grenzt unmittelbar an Wohnbebauung an und das Grundstück, auf dem die Außengastronomie betrieben wird, weist wie dargelegt besonders ungünstige Voraussetzungen auf. In der Gesamtschau überschreitet damit die Zulassung der Außengastronomie die Grenze zur Rücksichtslosigkeit.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 Abs. 1 und 2 VwGO, 709 8 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.

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