OLG Hamm, Beschluss vom 20.02.2007 - 6 UF 51/06
Fundstelle
openJur 2011, 50350
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 8 F 811/05
Tenor

Die namens der betroffenen Kinder durch die Rechtsanwälte I und T2 in T eingelegte Beschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Paderborn vom 7.3. 2006 wird als unzulässig verworfen.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Paderborn vom 7.3. 2006 wird als unzulässig verworfen, soweit mit ihr die Verfahrenspflegerbestellung unmittelbar angegriffen wird.

Im Übrigen wird ihre Beschwerde zurückgewiesen.

Der Prozesskostenhilfeantrag der Beteiligten zu 1. wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten zu 1. tragen die gerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €.

Die Rechtsbeschwerde gegen diesen Beschluss wird zugelassen.

Gründe

I.

Die Beteiligten zu 1. sind die Eltern der betroffenen grundschulpflichtigen Kinder. E hat die ersten beiden Schuljahre einer öffentlichen Grundschule besucht. Seit dem Schuljahr 2004/2005 - 3. Schulklasse - nimmt er am Unterricht nicht mehr teil. N hätte im Schuljahr 2004/2005 eingeschult werden sollen. Die Einschulung ist nicht erfolgt. Die betroffenen Kinder haben noch weitere Geschwister. Die älteren Kinder haben öffentliche Schulen wie Hauptschule, Realschule, Gymnasium besucht oder besuchen sie noch. Die jüngere Schwester K (geb. xxx) ist dagegen mittlerweile ebenfalls nicht in Deutschland eingeschult worden (vgl. Bl. 384 d. A.).

Die Beteiligten zu 1. sind gläubige Baptisten. Am 06.09.2004 erschien der Beteiligte zu 1. in der Grundschule und teilte mit, dass die beiden Kinder ab sofort nicht mehr am Unterricht der Grundschule teilnehmen und über die deutsche Fernschule in ......1 X zu Hause unterrichtet werden. Das Verhalten wurde im Wesentlichen damit erklärt, dass der Besuch der staatlichen Schule aus religiösen Gründen abgelehnt werde. Ausweislich des Berichtes des Jugendamtes der Stadt Q vom 07.07.2005 (Bl. 73a f. d. A.) gab der Beteiligte zu 1. gegenüber dem zuständigen Mitarbeiter des Jugendamtes an, dass für den Fall einer positiven Entscheidung des Gerichts auch die älteren Kinder die weiterführenden Schulen verlassen würden. Bei der deutschen Fernschule in X handelt es sich weder um eine öffentliche Schule, noch um eine staatlich anerkannte oder vorläufig erlaubte Ersatzschule im Sinne des § 6 Abs. 5 Schulpflichtgesetzes NRW a.F., §§ 34 Abs. 3, 101 SchulG NRW.

Trotz Aufforderungen und mehrfachen Hinweisen durch die Schulleitung und das Schulamt, der Schulpflicht nachzukommen, schickten die Beteiligten zu 1) die betroffenen Kinder nicht wieder zur Schule. Auch das gegen die Eltern angestrengte Bußgeldverfahren und die sich anschließende rechtskräftige Verurteilung der Eltern - Urteil des Amtsgericht Paderborn vom 09.05.2005 zu 27 Owi 441 Js 225/05 Owi 93/05 - zur Zahlung eines Bußgeldes von je 250,- € führte nicht dazu, dass die Beteiligten zu 1. die betroffenen Kinder wieder zur Schule brachten. Die Einschaltung des Integrationsbeauftragten der Landesregierung Anfang 2005 blieb ebenso erfolglos. Die zwangsweise Zuführung der betroffenen Kinder im Wege des Verwaltungszwanges ist bislang nicht durchgesetzt worden. Die Beitreibung festgesetzter Verwaltungszwangsgelder scheiterte bislang an der fehlerhaften Androhung der Zwangsgelder, da hier das Schulamt und nicht die Schulleitung tätig geworden war. Die Zwangsgeldandrohungen und -festsetzungen sind nach Widerspruch der Beteiligten zu 1. und nach einer Entscheidung des Verwaltungsgerichts Arnsberg in einem einstweiligen Rechtsschutzverfahren in anderer Sache vom Schulamt aufgehoben worden. Die Schulleitung beabsichtigt nunmehr, Zwangsgeldverfahren erneut einzuleiten.

Der Beteiligte zu 1. hat am 05.07.2005 mit weiteren glaubenszugehörigen Eltern anderer Kinder einen Antrag auf Genehmigung einer Ersatzschule gestellt. Weder die Verfahrensdauer noch das Ergebnis des Antrags ist derzeit absehbar. Die Verwaltung in Form der Bezirksregierung hat Bedenken gegen eine solche Genehmigung geäußert.

Das Jugendamt hat die betroffenen Kinder und die Beteiligten zu 1. am 04.07.2005 angehört und mit Schreiben vom 04.07.2005 Stellung genommen.

Mit einstweiliger Anordnung vor mündlicher Verhandlung hat das Amtsgericht - Familiengericht - Detmold am 15.07.2005 den Beteiligten zu 1. das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung von Schulangelegenheiten entzogen. Insoweit wurde eine Pflegschaft angeordnet und das Jugendamt der Stadt Q zum Pfleger bestellt. Der Pfleger wurde ermächtigt, die Herausgabe der Kinder unter Anwendung von Gewalt, notfalls mittels Betreten und Durchsuchen der Wohnung, zu erzwingen und sich dafür der Hilfe des Gerichtsvollziehers und der Polizei zu bedienen. In demselben Beschluss wurde Rechtsanwältin B2 in Q den betroffenen Kindern als Verfahrenspflegerin zur Seite gestellt.

Mit Schriftsatz vom 29.07.2005 stellten die Beteiligten zu 1. den Antrag, ihnen zu gestatten, die betroffenen Kinder in Q abzumelden, um eine Anmeldung zum Fernunterricht in P zu erreichen. Die Anmeldung zum dortigen Fernunterricht erfordere eine Begründung des Wohnsitzes in P, was wiederum eine Abmeldung in Deutschland voraussetze. Der Pfleger verweigere dies zu Unrecht. Der Entzug des Aufenthaltsbestimmungsrechts berechtige den Pfleger nicht, die Begründung eines neuen Wohnsitzes der betroffenen Kinder mit ihrer Mutter im Ausland zu verhindern.

In der sich anschließenden mündlichen Verhandlung vom 03.08.2005 hat das Familiengericht die Beteiligten zu 1., die betroffenen Kinder - diese in Gegenwart der Verfahrenspflegerin und dem von den Beteiligten zu 1. für die betroffenen Kinder bestellten Vertreter -, die Verfahrenspflegerin und das beteiligte Jugendamt angehört. Die Beteiligten zu 1. erklärten, die Kindesmutter plane ihren Wohnsitz mit den betroffenen Kindern nach C in L (P) zu verlegen. Dort wohne ihre älteste Tochter. In P sei Hausunterricht zulässig. Es sei noch unklar, ob ein weiterer Wohnsitz in Deutschland aufrechterhalten werden solle.

Das Jugendamt hat sodann in seiner Eigenschaft als Pfleger einer Abmeldung der betroffenen Kinder in Q zugestimmt und erklärt, es werde auch einer dauerhaften Ausreise zustimmen, wenn festgestellt werden könne, dass der Wohnsitz tatsächlich langfristig verlegt werde.

Nach weiterer schriftlicher Stellungnahmen der Beteiligten zu 1. und 4. hat das Amtsgericht - Familiengericht - mit Beschluss vom 10.08.2005 die einstweilige Anordnung aufrechterhalten. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht des Pflegers wurde jedoch dahin eingeschränkt, dass im Falle einer notwendig werdenden Fremdunterbringung keine Heimunterbringung, sondern eine Unterbringung in einer baptistischen Pflegefamilie erfolgen solle, die die allgemeine Schulpflicht anerkenne und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermögliche. Gleichzeitig wurde dem Pfleger im Wege der einstweiligen Anordnung das Recht übertragen, Maßnahmen nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz zu beantragen, um eine Finanzierung der ggfls. in Betracht kommenden Fremdunterbringung sicherstellen zu können. Den Antrag der Beteiligten zu 1. auf Aufhebung der Bestellung der Verfahrenspflegerin B2 hat das Amtsgericht - Familiengericht - ebenfalls zurückgewiesen (vgl. im Einzelnen Bl. 214 ff. d. A.).

Die gegen diesen Beschluss gerichtete sofortige Beschwerde hat der Senat durch Beschluss vom 5.9.2005 zurückgewiesen. Das geistige und seelische Wohl der Kinder sei durch das Erziehungsversagen der Beteiligten zu 1. nachhaltig gefährdet und es bestehe ein dringendes Bedürfnis für ein sofortiges Einschreiten. Soweit die Kinder selbst Beschwerde eingelegt hatten, wurde diese mangels eigenen Beschwerderechts als unzulässig verworfen (vgl. im Einzelnen Bl. 306 ff. d. A., Parallelentscheidung veröffentlicht in NJW 2006, 237 ff.).

Die betroffenen Kinder sind seit dem 21.7. / 4.8.2005 von Q nach 9241 X in P (L) umgemeldet worden. Sie halten sich überwiegend dort gemeinsam mit ihrer Mutter, die ihren Wohnsitz nach wie vor in Q hat, der am xxx geborenen Schwester K Q, sowie den Kindern E und N Q2 und deren Mutter (vgl. Parallelverfahren 6 UF 53/06) in einem gemieteten Haus (T2 X3 26) auf. Der Kindesvater lebt mit den übrigen Kindern weiterhin in Q und geht dort seiner Berufstätigkeit nach. Die betroffenen Kinder und die Kindesmutter besuchen die übrigen Familienmitglieder in den Ferien und an verlängerten Wochenenden regelmäßig in Q. Es ist beabsichtigt, dass Mutter und Kinder nicht dauerhaft in L verbleiben, sondern nach Abschluss des vorliegenden Verfahrens nach Q zurückkehren. Das von den Kindeseltern und anderen Baptisten betriebene Verfahren auf Genehmigung einer Ersatzschule in Q ist noch nicht entschieden (vgl. Schreiben des Schulamtes Q vom 22.2.2006, Bl. 390 d. A.). Den Besuch anderer Schulen in Deutschland lehnen die Kindeseltern nach wie vor ab.

Seit dem Schuljahr 2005/2006 erhalten die betroffenen Kinder sowie ihre Schwester K in L Heimunterricht gem. § 11 des österreichischen Schulpflichtgesetzes (vgl. Schreiben des Bezirksschulrates W-Land aus September 2005, Bl. 382 ff. d. A. sowie Schreiben des Schulamtes Q vom 13.12.2005, Bl. 340 ff. d. A.). Vorangegangen war unter dem 8.9.2005 eine entsprechende Antragstellung für die betroffenen Kinder durch die Beteiligte zu 2. in ihrer Eigenschaft als Pfleger für die Wirkungskreise Bestimmung des Aufenthaltsrechts und Regelung von Schulangelegenheiten (vgl. Bl. 521 f. d. A.). Nach den unter dem 15.6.2006 von der Externistenprüfungskommission an der Adventistischen Volksschule C2 gem. § 11 Abs.4 des österreichischen Schulpflichtgesetzes erteilten Prüfungszeugnissen, die für N Noten im Bereich von befriedigend bis sehr gut und für E Noten im Bereich von genügend bis sehr gut aufweisen, haben beide Kinder die Prüfung bestanden, N für die 2. Schulstufe und E für die 4. Schulstufe der Volksschule (Bl. 562 ff. d. A.).

Im Hauptsacheverfahren hat das Familiengericht die Beteiligten am 1.3.2006 angehört (vgl. Protokoll Bl. 415 ff. d. A.). Sodann hat es durch den angefochtenen Beschluss auch im Hauptsacheverfahren die mit Beschluss vom 10.8.2005 bereits im Wege der einstweiligen Anordnung getroffenen Maßnahmen beschlossen, insbesondere also den Kindeseltern das Recht zur Aufenthaltsbestimmung und zur Regelung von Schulangelegenheiten entzogen und insoweit eine Pflegschaft angeordnet mit Bestellung des Stadtjugendamtes Q als Pfleger. Die Voraussetzungen für den teilweisen Entzug des elterlichen Sorgerechts seien gegeben, da eine erhebliche Gefährdung des Kindeswohls fortbestehe. Diese sei nicht dadurch entfallen, dass die Kinder sich zur Zeit in P aufhielten und nach dem dortigen Recht die Schulpflicht durch Heimunterricht erfüllt werde. Das Fernhalten der Kinder vom Schulunterricht laufe dem geistigen und seelischen Wohl wie auch der Entwicklung der Kinder zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb unseres Gemeinwesens entgegen und begründe so die gegenwärtige Beeinträchtigung und fortdauernde Gefährdung des Kindeswohls. Auch die Grundrechte der Kinder und ihrer Eltern würden nicht verletzt. Zur Durchsetzung des staatlichen Erziehungsanspruchs zum Wohl der Kinder kämen mildere Mittel als die angeordneten Maßnahmen nicht in Betracht. Der Teilsorgerechtsentzug sei auch verhältnismäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung wird auf Bl. 421 ff. d. A. Bezug genommen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die in formeller Hinsicht bedenkenfreie Beschwerde der Beteiligten zu 1., mit der sie beantragen, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und das Verfahren einzustellen. Sie wiederholen und vertiefen ihren bisherigen Vortrag. Insbesondere machen sie folgendes geltend.

Die betroffenen Kinder würden nicht der allgemeinen Schulbesuchspflicht in O X3 unterliegen, weil die staatliche Schule in ihrem Unterricht ihre Glaubenserziehung zersetze anstatt sie sicherzustellen und außerdem die Pflichten aus Art. 7 und 8 VerfNRW und § 2 SchulG NRW verletze. Sie hätten als deren Eltern das Recht in Anspruch genommen, ihre Kinder von Glaubensüberzeugungen fernzuhalten, die sie für falsch oder schädlich halten. Eine nur stundenweise Befreiung könne wegen der fächerübergreifenden und situativen Unterrichtsinhalte ihr Elternrecht nicht sichern. Es liege keine Kindeswohlgefährdung und damit auch kein Sorgerechtsmissbrauch durch sie vor. Das Gericht habe keine konkreten Tatsachen genannt, die eine Kindeswohlgefährdung begründen könnten. Tatsächlich sei das Kindeswohl nicht gefährdet, was bereits aus der internationalen Hausunterrichtssituation zu Tage trete sowie dadurch, dass der gerichtlich bestellte Pfleger selbst die Hausunterrichtung in P für die betroffenen Kinder beantragt habe. Die familiengerichtlichen Maßnahmen im angefochtenen Beschluss würden ihre und ihrer Kinder Grundrechte sowie ihre Menschenrechte verletzen. Das Familiengericht verletze die bindende Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Das gerichtliche Verfahren sei nicht fair und verstoße gegen Art. 19 IV GG, da das Gericht konkret geltend gemachte Grundrechtsverletzungen nicht beachtet habe. Ihr rechtliches Gehör sei verletzt worden. Das Gericht sei Beweisanträgen nicht nachgegangen, die wiederholt würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Beschwerdevorbringen wird auf die Beschwerdebegründung vom 13.5.2006 (Bl. 485 ff. d. A.) und den Schriftsatz vom 22.7.2006 (Bl. 545 ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Rechtsanwälte I und Partner haben sich mit Schriftsatz vom 10.7.2006 dem Beschwerdeantrag und der Beschwerdebegründung angeschlossen (Bl. 543 f. d. A.).

Der Senat hat im Einverständnis mit den Beteiligten im schriftlichen Verfahren entschieden. Eine erneute mündliche Anhörung war nicht geboten.

II.

1.

Die eingelegte Beschwerde der betroffenen Kinder ist unzulässig.

Die einmonatige Beschwerdefrist gem. §§ 621e Abs. 2 S. 2, 517 ZPO ist nicht eingehalten, da die Beschwerde gegen die am 13.3.2006 zugestellte Entscheidung (Bl. 433 d. A.) erst am 12.7.2006 bei Gericht eingegangen ist (Bl. 543 d. A.).

Im Übrigen wäre die Beschwerde auch mangels eines eigenen Beschwerderechts der Kinder unzulässig. Auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 5.9.2005 wird Bezug genommen (Bl. 309 d. A.).

2.

Die Beschwerde der Beteiligten zu 1. ist zulässig, soweit mit ihr die Verfahrenspflegerbestellung nicht unmittelbar angegriffen wird. Sie hat aber in der Sache keinen Erfolg.

Das Familiengericht hat den Beteiligten zu 1. zu Recht das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Recht zur Regelung von Schulangelegenheiten entzogen und die Beteiligte zu 2) insoweit zur Pflegerin bestellt. Es bestehen auch weder gegen die angeordnete Einschränkung zur möglicherweise notwendigen Fremdunterbringung, nämlich eine Unterbringung in einer baptistischen Pflegefamilie, die die allgemeine Schulpflicht anerkennt und die Teilnahme der Kinder am Unterricht in einer öffentlichen Schule oder einer anerkannten Ersatzschule ermöglicht, noch gegen die getroffene Vollstreckungsverfügung nach § 33 Abs. 2 FGG rechtliche Bedenken.

a)

Die Voraussetzungen für die Anordnung der getroffenen Maßnahmen liegen vor.

Gemäß den §§ 1666, 1666 a BGB waren den Beteiligten zu 1) Teilbereiche der elterlichen Sorge zu entziehen.

aa)

Das geistige und seelische Wohl der Kinder ist durch das Erziehungsversagen der Beteiligten zu 1. nachhaltig im Sinne des § 1666 BGB gefährdet, weil die Beteiligten zu 1. die für die Entwicklung der Kinder in einer pluralistischen Gesellschaft so wichtige staatliche Schulerziehung, der Verfassungsrang zukommt, vollständig ablehnen und verhindern. Weder das Elternrecht noch die Religionsfreiheit rechtfertigen unter Berücksichtigung des Kindeswohls eine Verweigerung der Schulpflicht bei gleichzeitiger Akzeptanz von Heimunterricht. Vielmehr kommt dem staatlichen Erziehungsauftrag für das Wohl der Kinder eine derart hohe Bedeutung zu, dass die Vorenthaltung des Schulbesuches als Missbrauch des Sorgerechts anzusehen ist (so auch BayObLG NJW 1984, 928, OLG Brandenburg NJW 2006, 235, vgl. auch Staudinger - Coester, BGB, § 1666 Rdn 123, Palandt - Diederichsen, BGB, § 1666 Rdn 16 u. 22 mwN, Johansen/Henrich - Büte, Eherecht, § 1666 BGB Rdn 34).

Hierbei kann dahinstehen, ob für die betroffenen Kinder durch den Heimunterricht eine hinreichende Wissensvermittlung gewährleistet ist. Der Schulbesuch dient nämlich nicht nur der reinen Wissensvermittlung. Daneben sollen die schulpflichtigen Kinder die Gelegenheit erhalten, durch den gemeinsamen Schulbesuch in das Gemeinschaftsleben hineinzuwachsen. Erziehung und Bildung können vornehmlich in der Gemeinschaft durchgeführt werden (vgl. OVG Münster, NJW 1976, 341), was gewisse "Spielregeln" erforderlich macht, nach denen sich der einzelne Schüler in die Gemeinschaft mit anderen einzuordnen hat. Es ist daher notwendig, ein Kind auch anderen Einflüssen als denen des Elternhauses auszusetzen, damit es die erforderlichen Erfahrungen machen und die erforderlichen Fähigkeiten entwickeln kann. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Nichtannahmebeschluss vom 31.5.2006 (2 BvR 1693/04) insoweit ausgeführt, dass der staatliche Erziehungsauftrag sich auch auf die Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit und darauf richtet, verantwortliche Staatsbürger heranzubilden, die gleichberechtigt und verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft teilhaben. Soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung könnten effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichen Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind. Durch das Fernhalten vom regelmäßigen Schulbesuch nehmen die Beteiligten zu 1. ihren hier betroffenen Kindern die Möglichkeit, diese für ihre Entwicklung zu eigenverantwortlichen und selbständigen Persönlichkeiten äußerst wichtigen und nicht adäquat zu ersetzenden Erfahrungen zu machen und schaden ihnen durch die missbräuchliche Ausübung ihres elterlichen Sorgerechts massiv. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Kinder sich momentan wohl fühlen und bereits Beeinträchtigungen des geistigen oder seelischen Wohls festzustellen sind (so schon BayObLG a. a. O.). Vielmehr ist ein Einschreiten nach § 1666 BGB deswegen geboten, weil aus den genannten Gründen eine konkrete Gefahrenlage für die Kinder besteht und ohne das Ergreifen von Maßnahmen bei der weiteren Entwicklung der Kinder eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit vorauszusehen wäre. Den Beweisantritten auf Zeugenvernehmung zu der Behauptung, durch häuslichen Unterricht werde das Wohl von Kindern nicht gefährdet (Bl. 517 d. A.), war nicht nachzugehen, da die Beweisbehauptungen dem Zeugenbeweis nicht zugänglich sind. Der Senat war auch nicht gehalten, zu dieser Frage ein Sachverständigengutachten einzuholen, da hiervon eine weitere Sachaufklärung nicht zu erwarten und zur Überzeugungsbildung des Senates angesichts der Entscheidungsreife der Sache auch nicht erforderlich war.

Die vorstehenden Ausführungen beanspruchen auch in Anbetracht des Umstandes Geltung, dass die betroffenen Kinder sich derzeit in P aufhalten und nach dem dortigen Recht die Schulpflicht durch Heimunterricht erfüllt wird. Wie im angefochtenen Beschluss zu Recht ausgeführt ist, unterliegen die Kinder nach wie vor der Schulpflicht des Landes O-X3 gem. § 34 SchulG NW (vormals § 1 SchulpflichtG NW). Nach Abs. 1 dieser Vorschrift ist schulpflichtig, wer in O-X3 seinen Wohnsitz hat. Trotz der Ummeldung der Kinder nach P ist dies nach wie vor der Fall. § 34 Abs. 1 SchulG NW übernimmt den Wohnsitzbegriff des BGB. Gem. § 11 S. 1 BGB teilt ein minderjähriges Kind den Wohnsitz der Eltern. Dieser ist für beide Beteiligte zu 1. weiterhin Q. Unabhängig von der Frage, ob die betroffenen Kinder nach österreichischem Recht einen Wohnsitz in P haben, ist daher ihr Wohnsitz in Q erhalten geblieben (vgl. auch § 7 Abs. 2 BGB). Daran würde sich auch nichts ändern, wenn sich die Kindesmutter, die sich gemeinsam mit den betroffenen Kindern überwiegend in P aufhält, nach dort ummelden würde. Denn sie hat im laufenden Verfahren mehrfach, auch noch in der Beschwerdebegründung (Bl. 486 d. A.), erklärt, dass der Umzug nach P rein vorsorglich und nur vorübergehend ist und dass sie beabsichtigt, gemeinsam mit ihren Kindern nach Abschluss dieses Verfahrens nach Deutschland zurückzukehren. Sie hält mit ihren Kindern regelmäßigen Kontakt nach Q, indem sie mit ihnen ihre restliche Familie dort in den Ferien und an verlängerten Wochenenden besucht. Der Kindesvater geht in Q seiner Arbeit nach und lebt dort mit den übrigen Kindern. Das Verfahren auf Genehmigung einer privaten Schule in Q wird weiter betrieben. Q soll nach dem übereinstimmenden Willen der Beteiligten zu 1. Wohnsitz der Familie bleiben. Der Aufenthalt in P ist daher nur vorübergehender Natur und begründet - auch für den Fall einer Ummeldung der Kindesmutter - mangels eines Domizilwillens keinen Wohnsitz (vgl. Palandt-Heinrichs, § 7 Rn. 7 m. w. N.).

Das von den Kindeseltern herangezogene Argument, schon aus dem Umstand, dass das Stadtjugendamt Q als Pfleger beantragt hat, dass die Kinder in P die Schulpflicht durch Teilnahme am häuslichen Unterricht erfüllen können (vgl. Bl. 521 f. d. A.), ergebe sich, dass eine Gefährdung des Kindeswohls nicht gegeben sein könne, greift nicht. Diese Anträge erfolgten ersichtlich vor dem Hintergrund, dass die Beteiligte zu 2. während des laufenden Verfahrens von einer Vollstreckung abgesehen hat und durch die angeführten Anträge erreichen wollte, dass die Kinder zumindest in die Lage versetzt werden, in P häuslichen Unterricht mit der Möglichkeit des Ablegens einer Prüfung nach § 11 Abs. 4 des österreichischen Schulpflichtgesetzes zu erhalten (vgl. Bl. 382 f. d. A.). Aus der Tatsache, dass häuslicher Unterricht in P in größerem Umfang zulässig ist als in Deutschland können die Beteiligten zu 1. ebenfalls keine Rechte herleiten. Die obigen Ausführungen bleiben hiervon unberührt.

bb)

Grundrechte der Beteiligten zu 1) und der betroffenen Kinder werden nicht verletzt.

Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewährt den Eltern das Recht, die Pflege und Erziehung ihrer Kinder nach ihren eigenen Vorstellungen frei und - vorbehaltlich des Art. 7 GG - mit Vorrang vor anderen Erziehungsträgern zu gestalten (vgl. BVerfGE 52, 223 (235) = NJW 1980, 575). Hierzu gehört auch das Recht der Erziehung der Kinder in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht (vgl. BVerfGE 41, 29 (44) = NJW 1976, 947). Auch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG vermittelt den Eltern das Recht, ihren Kindern die von ihnen für richtig gehaltene religiöse oder weltanschauliche Überzeugung nahe zu bringen (vgl. BVerfGE 41, 29 (47) = NJW 1976, 947). Andererseits erteilt Art. 7 I GG dem Staat einen verfassungsrechtlichen Erziehungsauftrag hinsichtlich der Schulerziehung. Zum staatlichen Gestaltungsbereich, der im Schulwesen den Ländern übertragen ist, gehört nicht nur die organisatorische Gliederung der Schule, sondern auch die inhaltliche Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele. Der Staat kann daher in der Schule grundsätzlich unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen. Der Erziehungsauftrag des Staates ist eigenständig und dem Erziehungsrecht der Eltern gleich geordnet; weder dem Elternrecht noch dem Erziehungsauftrag des Staates kommt ein absoluter Vorrang zu (vgl. BVerfGE 41, 29 (44) = NJW 1976, 947; BVerfGE 52, 223 (236) = NJW 1980, 575).

Das Bundesverfassungsgericht hat zum Spannungsverhältnis der betroffenen Grundrechte der Eltern und ihrer Kinder und zur Wertigkeit des staatlichen Erziehungsauftrags aus Art. 7 Abs. 1 GG in seinem Nichtzulassungsbeschluss vom 29.04.2003 (BVerfG NVwZ 2003, 1113) u. a. ausgeführt:

"Die Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule dient dem legitimen Ziel der Durchsetzung des staatlichen Erziehungsauftrags und ist zur Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich. Dieser Auftrag richtet sich nicht nur auf die Vermittlung von Wissen, sondern auch auf die Heranbildung verantwortlicher Staatsbürger, die gleichberechtigt und dem Ganzen gegenüber verantwortungsbewusst an den demokratischen Prozessen in einer pluralistischen Gesellschaft sollen teilhaben können. Es mag zutreffen, dass die Beschränkung des staatlichen Erziehungsauftrags auf die regelmäßige Kontrolle von Durchführung und Erfolg eines Heimunterrichts zur Erreichung des Ziels der Wissensvermittlung ein milderes und insoweit auch gleich geeignetes Mittel darstellen kann. Doch kann es nicht als eine Fehleinschätzung angesehen werden, die bloße staatliche Kontrolle von Heimunterricht im Hinblick auf das Erziehungsziel der Vermittlung sozialer und staatsbürgerlicher Kompetenz nicht als gleich wirksam zu bewerten. Denn soziale Kompetenz im Umgang auch mit Andersdenkenden, gelebte Toleranz, Durchsetzungsvermögen und Selbstbehauptung einer von der Mehrheit abweichenden Überzeugung können effektiver eingeübt werden, wenn Kontakte mit der Gesellschaft und den in ihr vertretenen unterschiedlichsten Auffassungen nicht nur gelegentlich stattfinden, sondern Teil einer mit dem regelmäßigen Schulbesuch verbundenen Alltagserfahrung sind.

Die mit der Pflicht zum Besuch der staatlichen Grundschule verbundenen Eingriffe in die genannten Grundrechte der Bf. stehen auch in einem angemessenen Verhältnis zu dem Gewinn, den die Erfüllung dieser Pflicht für den staatlichen Erziehungsauftrag und die hinter ihm stehenden Gemeinwohlinteressen erwarten lassen. Die Allgemeinheit hat ein berechtigtes Interesse daran, der Entstehung von religiös oder weltanschaulich motivierten "Parallelgesellschaften" entgegenzuwirken und Minderheiten auf diesem Gebiet zu integrieren. Integration setzt dabei nicht nur voraus, dass die Mehrheit der Bevölkerung religiöse oder weltanschauliche Minderheiten nicht ausgrenzt, sie verlangt vielmehr auch, dass diese sich selbst nicht abgrenzen und sich einem Dialog mit Andersdenkenden und -gläubigen nicht verschließen. Für eine offene pluralistische Gesellschaft bedeutet der Dialog mit solchen Minderheiten eine Bereicherung. Dies im Sinne gelebter Toleranz einzuüben und zu praktizieren, ist wichtige Aufgabe schon der Grundschule. Das Vorhandensein eines breiten Spektrums von Überzeugungen in einer Klassengemeinschaft kann die Fähigkeit aller Schüler zu Toleranz und Dialog als einer Grundvoraussetzung demokratischer Willensbildungsprozesse nachhaltig fördern.

Die dabei infolge der Schulbesuchspflicht auftretenden Beeinträchtigungen grundrechtlicher Freiheiten sind für die Betroffenen zumutbar, weil die Schwere dieser Beeinträchtigungen durch Pflichten zur Rücksichtnahme auf abweichende religiöse Überzeugungen und durch die verbleibende Möglichkeit der Einflussnahme der Eltern auf die Erziehung ihrer Kinder innerhalb wie vor allem außerhalb der Schule so weit abgemildert wird, dass die Unzumutbarkeitsschwelle für Eltern wie Schüler nicht überschritten wird. Dabei kommt in der zuerst genannten Hinsicht - von der Möglichkeit abgesehen, im Einzelfall auf der Grundlage des Art. 7 IV GG auf eine den religiösen Vorstellungen und Bindungen der Betroffenen Rechnung tragende Privatschule auszuweichen - der Verpflichtung der staatlichen Schulen zu Neutralität und Toleranz besonderes Gewicht zu.

Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung nicht nur sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen (vgl. BVerfGE 41, 29 [51f.] = NJW 1976, 947) und eine Indoktrinierung der Schüler auch auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt (vgl. BVerfGE 47, 46 [75ff.] = NJW 1978, 807). Sie nimmt den Staat vielmehr auch in die Pflicht, in der Schule durch seine Lehrer aktiv auf die Übung von Toleranz gegenüber Menschen hinzuwirken, die wie die Bf. weltanschauliche Minderheitenpositionen vertreten. Die mit dem Besuch der Schule gleichwohl verbundene Konfrontation mit den Auffassungen und Wertvorstellungen einer zunehmend säkular geprägten pluralistischen Gesellschaft ist den Bf. trotz des Widerspruchs zu ihren eigenen religiösen Überzeugungen zuzumuten."

Diesen Ausführungen schließt sich der Senat - wie schon in seinem Beschluss vom 5.9.2005 - ohne Einschränkungen an.

Da es in einer pluralistischen Gesellschaft faktisch unmöglich ist, bei der weltanschaulichen Gestaltung der öffentlichen Pflichtschule allen Elternwünschen vollständig Rechnung zu tragen, ist davon auszugehen, dass für den Einzelnen die Ausübung seiner Grundrechte aus Art. 4 Abs.1 und 2, Art. 6 Abs.2 S.1 GG naturgemäß Beschränkungen unterliegt. Die dadurch hervorgerufenen Spannungen sind - wie bereits auch vom Verfassungsgericht erläutert - unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Gebots der Toleranz nach dem Prinzip der Konkordanz zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 41, 29 (51) = NJW 1976, 947). Die von den Beteiligten zu 1. gerügte Verletzung der EMRK ist aus den genannten Gründen ebenfalls nicht gegeben.

Das Vorbringen der Beteiligten, eine Schulpflicht ihrer Kinder bestehe deswegen nicht, weil die staatlichen Schulen gegen ihre Neutralitätspflicht verstießen und ihren gesetzlichen Pflichten nicht nachkämen, kann angesichts der obigen Ausführungen keinen Bestand haben. Die staatlichen Schulen haben einen umfassenden Erziehungsauftrag, der gem. Art. 7 Abs. 1 und 2 der Landesverfassung Nordrhein-Westfalen u. a. zum Ziel hat, die Bereitschaft zum sozialen Handeln zu wecken und die Erziehung im Geiste der Menschlichkeit , der Demokratie und der Freiheit, zur Duldsamkeit und zur Achtung vor der Überzeugung des anderen zum Gegenstand haben soll. Das verfassungsrechtlich geschützte Erziehungsrecht der Eltern ist den oben angeführten Einschränkungen unterworfen. Sie haben es daher aus den genannten Gründen hinzunehmen, dass ihr grundgesetzlich geschütztes Recht auf Glaubensfreiheit und auf Erziehung der Kinder nicht das Recht umfasst, diese der allgemeinen Schulpflicht zu entziehen. Die allgemeine Schulpflicht dient vielmehr - wie ausgeführt - gerade auch dem Kindeswohl. Auch die mit der Beschwerde eingeforderte Toleranz, die im Übrigen ebenso von den Beschwerdeführern zu verlangen ist, kann naturgemäß nur gemeinsam gelebt und eingeübt werden. Das Recht und die Möglichkeit der Beteiligten zu 1., ihre Kinder in ihrem Glauben zu erziehen, ist hierdurch nicht in Gefahr. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Kindesvater in

seiner Anhörung vor dem Familiengericht am 3.8.2005 erklärt hat, die älteren Kinder, die öffentliche Schulen besucht haben, seien "gefestigter in ihrem Glauben".

Sehen die Kindeseltern ihre oder ihrer Kinder Grundrechte durch bestimmte Unterrichtsinhalte gefährdet, sind sie vielmehr gehalten, auf andere Weise vorzugehen. Im Einzelfall und in besonderen Ausnahmesituationen kann eine "partielle Entpflichtung" von der Schulbesuchspflicht im Wege der Erteilung einer beantragten Befreiung gem. § 43 Abs. 3 S. 1 SchulG NRW (vormals § 11 Abs.1 S.1 ASchulO NW) erreicht werden, wenn nämlich ein "wichtiger Grund" (vormals "besonderer Ausnahmefall") deshalb anzunehmen ist, weil die Durchsetzung der Teilnahmepflicht an einem bestimmten Fach oder einer bestimmten schulischen Veranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Kindes und/oder seiner Eltern verletzen würde und aus diesem Grunde der in Art. 7 Abs. 1 GG normierte staatliche Erziehungsauftrag hinter das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) und das dieses Recht hier besonders prägende Recht der Glaubens- und Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) zurücktreten müsste ( so OVG Münster NVwZ 1992, 77 zum alten Recht). Mit ihrem Vorbringen, eine nur stundenweise Befreiung vom Unterricht könne ihr Elternrecht nicht sichern, können die Kindeseltern daher nicht durchdringen. Ebenso wenig kommt es angesichts des Vorgesagten auf ihre Beweisantritte zu den Unterrichtsinhalten und zur Lehrerausbildung an.

Das Vorbringen der Kindeseltern im Schriftsatz vom 22.7.2006, der Senat missachte die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts BVerfGE 93, 1, in welcher das Elternrecht aus Art. 4 und 6 GG hervorgehoben sei, ist ebenfalls unzutreffend. Aus den vorstehenden Ausführungen folgt vielmehr, dass es der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts entspricht, dass den Grundrechten der Eltern und der Kinder der gleich geordnete staatliche Erziehungsauftrag aus Art. 7 GG gegenübersteht und dass nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz ein Ausgleich vorzunehmen ist. Dieser gebietet hier im Interesse der betroffenen Kinder das Ergreifen von Maßnahmen nach § 1666 BGB.

Durch die angeordneten Maßnahmen werden auch die Grundrechte aus Art. 2 GG der betroffenen Kinder nicht verletzt. Der angeführte Umstand, dass sie in der Schule einer anderen Erziehung ausgesetzt werden als von ihren Eltern, ist aus den angeführten Gründen hinzunehmen und dient gerade dem Wohl der Kinder mit dem oben näher beschriebenen Ziel der Erziehung zu einer selbstverantwortlichen Persönlichkeit. Soweit die Verletzung der Intimsphäre und Menschenwürde durch die Sexualerziehung angeführt wird, so sind die Beteiligten zu 1. auf die oben angeführte Möglichkeit der Beantragung einer partiellen Entpflichtung zu verweisen. Die von ihnen angesprochene Möglichkeit des situativen Aufgreifens derartiger Themen in der Schule außerhalb des Sexualunterrichts ist nicht vermeidbar und daher hinzunehmen.

Soweit die Beschwerdeführer schließlich die Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen, kann auch diesem Vortrag nicht gefolgt werden. Das Gericht hat sich mit dem Vorbringen der Beteiligten ausführlich auseinandergesetzt und weder Tatsachen verwendet, zu denen sie nicht gehört wurden noch entscheidungsrelevantes Vorbringen nicht zur Kenntnis genommen. Eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs wäre ohnehin durch die Durchführung des Beschwerdeverfahrens geheilt worden.

cc)

Die angeordneten Maßnahmen sind verhältnismäßig. Geringere Eingriffe zur Abwehr der Kindeswohlgefährdung kamen nicht in Betracht.

Eine Maßnahme nach § 1666 BGB ist nicht deshalb entbehrlich, weil die Erfüllung der Schulpflicht durch die Verwaltungsbehörde im Wege des Schulzwangs durchgesetzt werden kann (Münchener Kommentar - Olzen, BGB, § 1666 Rdn 96, Staudinger - Coester, BGB, § 1666 Rdn 123, Johansen/Henrich - Büte, Eherecht, § 1666 BGB Rdn 34). Diese Anordnungen haben nur schulrechtliche Bedeutung und lassen die familienrechtlichen Vorschriften über das Eingreifen des Familiengerichts bei einer Gefährdung des Kindes unberührt (BayOLG NJW 1984, 928). Das Ausschöpfen der teilweise langwierigen Verwaltungsmaßnahmen würde auch nur zu einer weiteren, dem Kindeswohl abträglichen Verzögerung führen und die Gesamtsituation durch Zwangsmaßnahmen verschärfen. Der von den Beschwerdeführern unter Bezugnahme auf den Beschluss des OLG Hamm vom 1.2.2000 (1 WF 230/99, Kopie Bl. 295 ff. d. A.) vertretenen Ansicht, die Maßnahmen nach § 1666 BGB würden nur dem Zweck dienen, Schwierigkeiten bei der verwaltungsverfahrensrechtlichen Durchsetzung der Schulpflicht aus dem Weg zu räumen, ist daher nicht zu folgen. Die in Bezug genommene Entscheidung verhält sich im Übrigen insbesondere über die Frage, ob im dort zu entscheidenden Fall eine Eilmaßnahme geboten war. Es ist vorliegend auch nicht erkennbar, welche anderen weniger einschneidenden Maßnahmen hier ergriffen werden könnten, denn die Eltern lehnen den Besuch der Schule grundsätzlich ab. Soweit sie in der Beschwerdebegründung anderes behaupten, widerspricht dies ihrem tatsächlichen Verhalten. Weder Gespräche mit den Behörden noch das Ordnungsgeld haben sie zu einer Änderung der Einstellung veranlassen können.

Es ist auch nicht zu beanstanden, dass eine Herausnahme der Kinder angeordnet worden ist. Diese Herausnahme ist nur dann erforderlich, wenn die Eltern bei ihrer Weigerung bleiben. Muss aber aufgrund des dauerhaften wehrhaften Widerstandes eine Herausnahme der Kinder aus der elterlichen Familie erfolgen, so erscheint es aus Gründen des Kindeswohls nicht ratsam, die erforderliche Herausnahme ggfls. noch mittels Zwang jeden Schultag zu wiederholen. Insoweit stellt sich eine dauerhafte Herausnahme der Kinder aus der Familie als milderes Mittel dar. Andere oder weniger einschneidende Maßnahmen führen zu keinem Erfolg.

Weil die Beteiligten zu 1) die allgemeine Schulpflicht insgesamt ablehnen, muss ihnen ein Mitspracherecht bei diesen Angelegenheiten verwehrt werden, da ansonsten aufgrund der zu erwartenden Störungen ein geregelter Schulablauf in Gefahr gerät. Der Pfleger wird jedoch gehalten sein, die hier eintretenden Spannungen unter Berücksichtigung des grundgesetzlichen Gebots der Toleranz nach dem Prinzip der Konkordanz zu einem möglichst schonenden Ausgleich zu bringen (vgl. BVerfGE 41, 29 (51) = NJW 1976, 947). Das kann ggfls. durch die Beratung einer baptistischen Familie geschehen, die die allgemeine Schulpflicht anerkennt.

dd)

Die Entscheidung des Familiengerichts ist nicht deshalb verfahrenswidrig zustande gekommen, weil das Familiengericht die Rechtsanwältin B2 zur Verfahrenspflegerin bestellt hat, welche die Beteiligten zu 1) ablehnen.

Der Senat nimmt insoweit Bezug auf seine Ausführungen im Beschluss vom 5.9.2005 (Bl. 314 d. A.), die von den Beschwerdeführern nicht näher angegriffen worden sind.

3.

Soweit sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1) direkt gegen die Verfahrenspflegerbestellung als weiteres Angriffsziel ihrer Beschwerde richtet, ist ihre Beschwerde unzulässig, weil die Verfahrenspflegerbestellung als Zwischenentscheidung eines Verfahrens nicht anfechtbar ist.

Der Senat nimmt auch insoweit Bezug auf seine Ausführungen im Beschluss vom 5.9.2005 (Bl. 314 R d. A.), die von den Beschwerdeführern nicht näher angegriffen worden sind.

4.

Aus dem Vorgesagten folgt zugleich, dass dem Prozesskostenhilfeantrag der Beteiligten zu 1. mangels hinreichender Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung nicht zu entsprechen war, § 114 ZPO.

5.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 13 a Abs.1 S. 2 FGG

6.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde erfolgt wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache.