VG Düsseldorf, Urteil vom 15.03.2007 - 6 K 3754/06
Fundstelle
openJur 2011, 50239
  • Rkr:
Tenor

Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.

Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar; der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger wendet sich gegen die Aberkennung des Rechts, von seiner am 30. März 2005 in der Tschechischen Republik erworbenen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen.

Der Kläger war Inhaber einer deutschen Fahrerlaubnis. Nachdem er am 29. Juni 2000 ein Kraftfahrzeug mit einer Blutalkoholkonzentration von 3,19 Promille geführt hatte, wurde er mit Strafbefehl des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 22. Dezember 2000 (14 Cs 853/00) wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 100 DM verurteilt und ihm die Fahrerlaubnis entzogen sowie die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von 5 Monaten keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen.

Nachdem er am 25. Januar 2001 die Wiedererteilung seiner Fahrerlaubnis beantragt und sich mit einer Begutachtung einverstanden erklärt hatte, wurde ein Gutachten erstellt. Aus dem Gutachten des TÜV Rheinland/C vom 18. Juni 2001 geht u.a. hervor, dass der Kläger nach seinen Angaben früher Alkohol missbraucht und heimlich getrunken hatte. Er gab bei der Begutachtung auch an, eine Selbsthilfegruppe besucht zu haben. Das Gutachten stellte u.a. fest, dass bei dem Kläger der dringende Verdacht auf eine Alkoholkrankheit geäußert werden müsse und langfristig eine strikte Abstinenz zu fordern sei. Es sei zu erwarten, dass der Kläger auch zukünftig ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss führen werde. Einem Attest des Hausarztes des Klägers vom 10. Mai 2001 ist zu entnehmen, dass der Kläger seit 1997 in der Praxis betreut worden war. Vor dem Hintergrund beruflicher Belastungssituationen habe er versucht, durch vermehrten Alkoholkonsum eine Problemlösung herbeizuführen. Die Alkoholproblematik habe eine berufliche und familiäre Isolation verursacht.

Nach Vorlage eines weiteren Gutachtens des TÜV Nord vom 28. September 2001 wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis wieder erteilt. Dem Gutachten ist u.a. zu entnehmen, dass der Kläger sich selbst als alkoholkrank bezeichnet und die Entzugssymptomatik geschildert hatte. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger nunmehr über eine hinreichend selbstkritische Einsicht in das Fortbestehen von Gefährdungsmomenten verfüge.

Mit Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 3. September 2003 (14 Ds/105 Js 131/03-243/03) wurde der Kläger wegen vorsätzlicher Trunkenheit im Verkehr zu einer Freiheitsstrafe von 3 Monaten auf Bewährung verurteilt, weil er am 11. März 2003 (um 19:45 Uhr) mit 2,48 Promille ein Fahrzeug geführt hatte. Er hatte die A 00 in N befahren und war an der Abfahrt N-West in der Böschung stehend aufgefunden worden. Ihm wurde die Fahrerlaubnis entzogen und die Verwaltungsbehörde angewiesen, vor Ablauf von 1 Jahr und 6 Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen. Das Amtsgericht wies in seinen Urteilsgründen zu der Strafzumessung darauf hin, dass der Umstand berücksichtigt worden sei, dass der Kläger sich in der Hauptverhandlung völlig uneinsichtig gezeigt habe und sein Alkoholproblem offensichtlich nicht wahrhaben wolle und deshalb zur Einwirkung auf ihn die Verhängung einer Geldstrafe nicht mehr als ausreichend erachtet worden sei.

Die Fahrerlaubnisbehörde wurde mit Schreiben der Kreispolizeibehörde W vom 19. August 2005 davon in Kenntnis gesetzt, dass der Kläger über einen tschechischen Führerschein, der am 30. März 2005 ausgestellt worden war, verfügt.

Mit Schreiben vom 26. September 2005 forderte der Beklagte den Kläger auf, nach § 13 Nr. 2 b) , c) und d) der Verordnung über die Zulassung von Personen zum Straßenverkehr (Fahrerlaubnis-Verordnung - FeV) ein Gutachten einer amtlich anerkannten Begutachtungsstelle für Fahreignung (medizinischpsychologisches Gutachten) bis zum 30. November 2005 vorzulegen.

Dagegen wendete sich der Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 29. April 2004 (Kapper). Außerdem sei er nach Erteilung der tschechischen Fahrerlaubnis nicht wieder auffällig geworden.

Mit Schreiben vom 11. Januar 2006 hörte der Beklagte den Kläger zu der beabsichtigten Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, an und erkannte ihm mit der hier in Streit stehenden Verfügung vom 20. Februar 2006 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung das Recht ab, von der tschechischen Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen.

Der Kläger legte dagegen mit Schreiben vom 6. März 2006 Widerspruch ein. Außerdem beantragte er am 17. März 2006, die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs wiederherzustellen bzw. anzuordnen (Verfahren 6 L 475/06). Die Kammer lehnte mit Beschluss vom 20. April 2006 den Antrag ab. Die dagegen gerichtete Beschwerde wurde durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW) vom 6. Oktober 2006 zurückgewiesen (16 B 769/06).

Der Kläger hat am 21. Juni 2006 die vorliegende Klage erhoben. Er macht im wesentlichen geltend, dass nach Ablauf der im Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 3. September 2003 festgesetzten Sperrfrist für die Wiedererteilung die in der Tschechischen Republik erworbene Fahrerlaubnis nicht wegen Eignungsbedenken entzogen werden dürfe, die auf Vorfälle aus der Zeit vor ihrer Erteilung gegründet seien. Zur Begründung verweist er auf einen Beschluss des OVG Rheinland-Pfalz vom 15. August 2005 und auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs vom 6. April 2006 (Halbritter). Außerdem macht der Kläger geltend, dass es an einer Rechtsgrundlage dafür fehle, einen Sperrvermerk auf der tschechischen Fahrerlaubnis einzutragen. Die Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, verstoße zudem gegen den Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens, wie er in der sogenannten Kapper- Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs dargelegt worden sei. Eine Missachtung der Grundsätze und der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sei unzulässig. Außerdem sei nicht der Führerscheintourismus ausschlaggebend gewesen, sondern das Versagen des Bundesverkehrsministeriums, europarechtliche Vorgaben in innerstaatliches Recht umzusetzen. Ein von den Richtlinien abweichender Sonderweg in § 28 FeV sei europarechtswidrig und verstoße gegen das Diskriminierungsverbot. Insgesamt sei festzuhalten, dass die Fahrerlaubnis-Verordnung aus formellen und materiellen Gründen europarechtswidrig sei.

Am 13. Februar 2007 hat die Bezirksregierung E einen Widerspruchsbescheid erlassen, den sie im wesentlichen unter Bezugnahme auf die Entscheidungen der Kammer und des OVG NRW im vorangegangenen Eilverfahren begründet hat.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 20. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 13. Februar 2007 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er beruft sich im wesentlichen zur Begründung seiner Verfügung auf die Entscheidung des OVG NRW vom 6. Oktober 2006 und weist darauf hin, das auch der Beschluss des Europäischen Gerichtshofs vom 28. September 2006 der Verwehrung der Anerkennung ausländischer EU-Führerscheine in Fällen von Rechtsmissbrauch nicht entgegenstehe. Der Beklagte nimmt außerdem Bezug auf den Erlass des Ministeriums für Bauen und Verkehr des Landes Nordrhein-Westfalen vom 24. Oktober 2006.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie auf das Verfahren 6 L 475/06 und die Entscheidung des OVG NRW vom 6. Oktober 2006 (16 B 769/06) Bezug genommen.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 20. Februar 2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 13. Februar 2007 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

Der Beklagte hat die Verfügung auf § 3 Abs. 1 und 2 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) gestützt, der durch § 46 Abs. 5 FeV ergänzt wird. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis zu entziehen, wenn sich ihr Inhaber als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist. Nach § 3 Abs. 1 Satz 2 StVG hat die Entziehung bei einer ausländischen Fahrerlaubnis die Wirkung der Aberkennung des Rechts, von der Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen. Gemäß § 3 Abs. 2 Satz 2 StVG und § 46 Abs. 5 Satz 2 FeV erlischt mit der Entziehung einer ausländischen Fahrerlaubnis das Recht zum Führen von Kraftfahrzeugen im Inland.

Werden Tatsachen bekannt, die Bedenken begründen, dass der Inhaber einer Fahrerlaubnis zum Führen eines Kraftfahrzeugs ungeeignet oder bedingt geeignet ist, finden die §§ 11 bis 14 FeV entsprechend Anwendung (§ 46 Abs. 3 FeV).

Die Fahrerlaubnis muss seitens der Straßenverkehrsbehörde entzogen werden, wenn Tatsachen bekannt werden, die Bedenken an der Eignung des Fahrerlaubnisinhabers zum Führen eines Kraftfahrzeuges begründen, der Fahrerlaubnisinhaber das von der Behörde zu Recht geforderte Gutachten nicht oder nicht fristgerecht beibringt, die Behörde deshalb auf die Nichteignung des Fahrerlaubnisinhabers schließt (§ 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV) und der Fahrerlaubnisinhaber hierauf bei der Anordnung zur Beibringung des Gutachtens hingewiesen wurde (§ 46 Abs. 3, § 11 Abs. 8 Satz 2 FeV). Dieser Schluss auf die Nichteignung ist nur zulässig, wenn die Anordnung, ein Gutachten beizubringen, bestimmten Mindestanforderungen in formeller Hinsicht genügt sowie materiell rechtmäßig ist und für die Weigerung, das Gutachten beizubringen, kein ausreichender Grund besteht.

Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 22. Oktober 2003 - 19 A 2549/99 -.

Nach den vorstehend erläuterten rechtlichen Voraussetzungen ist die angefochtene Entziehung der Fahrerlaubnis durch den Beklagten rechtmäßig erfolgt.

Nach § 13 Nr. 2 c) FeV ist ein medizinischpsychologisches Gutachten beizubringen, wenn ein Fahrzeug im Straßenverkehr bei einer Blutalkoholkonzentration (BAK) von 1,6 Promille oder mehr geführt wurde. Der Kläger hat hier am 29. Juni 2000 ein Kraftfahrzeug mit 3,19 Promille und am 11. März 2003 mit 2,48 Promille geführt. Demnach musste der Beklagte die Beibringung eines medizinischpsychologischen Gutachtens nach § 13 Nr. 2 c) FeV zwingend anordnen, nachdem ihm durch die Kreispolizeibehörde W bekannt geworden war, dass der Kläger am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl er nach der Fahrerlaubnisentziehung keinen Nachweis für seine Fahreignung erbracht hatte.

Der Verordnungsgeber hat klargestellt, dass die Klärung von Eignungszweifeln, die auf einer bekannt gewordenen Alkoholproblematik beruhen, in den Fällen des § 13 Nr. 2 FeV ausschließlich durch ein medizinischpsychologisches Gutachten zu erfolgen hat.

Vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 24. September 2001 - 10 S 182/01 -, NZV 2002 S. 149 f.

Das rechtmäßig am 26. September 2005 unter Hinweis auf § 11 Abs. 8 FeV angeforderte Gutachten wurde vom Kläger innerhalb der Frist nicht vorgelegt, so dass der Beklagte aus der Nichtbeibringung des Gutachtens auf die Nichteignung des Klägers zum Führen von Kraftfahrzeugen schließen durfte.

Die Aberkennung des Rechts, von der tschechischen Fahrerlaubnis Gebrauch zu machen, ist mit Art. 1 Abs. 2 i.V.m. Art. 8 Abs. 4 der europäischen Führerscheinrichtlinie 91/439/EWG vom 29. Juli 1991 (ABl. Nr. L 237/1; im Folgenden: Richtlinie 91/439/EWG) vereinbar. Nach dem Wortlaut von Art. 8 Abs. 4 Satz 1 der Richtlinie 91/439/EWG kann ein Mitgliedstaat es ablehnen, die Gültigkeit eines Führerscheins anzuerkennen, der von einem anderen Mitgliedstaat einer Person ausgestellt wurde, auf die in seinem Hoheitsgebiet eine der in Absatz 2 genannten Maßnahmen - Einschränkung, Aussetzung, Entzug oder Aufhebung der Fahrerlaubnis - angewendet wurde. Dabei ist nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs Art. 8 Abs. 4 der Richtlinie allerdings eng auszulegen mit der Folge, dass dann, wenn eine mit der Entziehung der Fahrerlaubnis durch einen Mitgliedstaat etwa verbundene Sperrfrist abgelaufen ist und es bis zum Erwerb der EU-Fahrerlaubnis nicht zu weiteren Verkehrsauffälligkeiten gekommen ist, der Umstand einer früheren Entziehung der Fahrerlaubnis der Anerkennung der erworbenen EU-Fahrerlaubnis grundsätzlich nicht entgegensteht.

Nach diesen Maßstäben wäre der tschechische Führerschein des Klägers in Deutschland grundsätzlich ohne weitere Prüfung oder Anerkennungsakt anzuerkennen. Hier ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Führerschein des Klägers rechtsmissbräuchlich erworben worden ist. Nachdem der Kläger in Deutschland zweimal unter erheblichem Alkoholeinfluss ein Kraftfahrzeug geführt hatte und ihm die Fahrerlaubnis zuletzt mit Urteil des Amtsgerichts Mönchengladbach vom 3. September 2003 mit einer 18-monatigen Sperrfrist entzogen worden war, erwarb er kurz nach Ablauf der Sperrfrist einen tschechischen Führerschein. Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass dabei der Frage, ob der Kläger noch alkoholabhängig ist oder ob er noch Alkohol missbraucht, nachgegangen worden ist. Es liegt hier auf der Hand, dass der Kläger die strengeren Anforderungen an die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis in Deutschland umgehen wollte und den Umstand ausgenutzt hat, dass die tschechische Behörde ihm ohne die auch durch die Richtlinie 91/439 EWG gebotene medizinische Prüfung und unter Verstoß gegen das Wohnsitzprinzip eine Fahrerlaubnis erteilt hat,

so auch OVG NRW, Beschluss vom 6. Oktober 2006, s. o.

Der Europäische Gerichtshof hat bereits in mehreren Entscheidungen zu der Auslegung von Art. 1 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG Stellung genommen. Allerdings fehlt bis heute eine Stellungnahme zu den unter dem Schlagwort „Führerscheintourismus" zusammengefassten Missbrauchsfällen. Dies hat das OVG NRW in seiner ständigen Rechtsprechung betont. Deshalb wird zur Vermeidung entbehrlicher Wiederholungen zunächst auf die Ausführungen des OVG NRW im Beschwerdeverfahren (16 B 769/06) Bezug genommen. Darin hat das OVG NRW dargelegt, dass der in Art. 1 Abs. 2 zum Ausdruck gebrachte Grundsatz der wechselseitigen Anerkennung von Fahrerlaubnissen nach näherer Maßgabe von Art. 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG erheblichen, letztlich der Sicherheit des Straßenverkehrs geschuldeten Einschränkungen unterliege. Die jeweils auf Vorlagebeschlüsse deutscher Gerichte hin ergangenen Entscheidungen des EuGH in Sachen Kapper und Halbritter müssten vor dem skizzierten normativen Hintergrund gesehen werden. Außerdem habe sich der Europäische Gerichtshof mit anderen Fallkonstellationen befasst. Die Reichweite des EuGH-Beschlusses vom 6. April 2006 für Fälle wie den vorliegenden sei deshalb fraglich, weil der EuGH nicht zu dem nach der EuGH-Entscheidung in Sachen Kapper verstärkt festzustellenden Missbrauchsphänomen des sogenannten Führerscheintourismus Stellung bezogen habe. Dieses sei dadurch gekennzeichnet, dass in Deutschland lebende Verkehrsteilnehmer, denen vormals wegen Eignungsmängeln die Fahrerlaubnis entzogen bzw. nicht (wieder-)erteilt worden ist und die gegebenenfalls in diesem Zusammenhang eine ihnen auferlegte medizinischpsychologische Untersuchung entweder nicht "bestanden" oder aber von vornherein verweigert haben, nachfolgend im benachbarten Ausland eine Fahrerlaubnis erwerben konnten, ohne dass die hierzulande aufgetretenen (oft alkohol- bzw. drogenbedingten) Fahreignungsmängel hinreichend abgeklärt worden wären und ohne dass vielfach das Erfordernis eines auf das Kalenderjahr entfallenden mindestens 185-tägigen Wohnaufenthalts am Ort der Führerscheinerteilung (vgl. Art. 9 der Richtlinie 91/439 EWG) konsequent beachtet worden wäre,

so auch OVG NRW, Beschluss vom 13. November 2006 - 16 B 1523/06 - und vom 27. November 2006 - 16 B 1494/06 -.

Die Entscheidung in der Rechtssache Kremer,

EuGH, Beschluss vom 28. September 2006 - C- 340/05 -, DAR 2007, 77,

führt zu keiner anderen Beurteilung. Der EuGH hat nicht zu den unter dem Schlagwort des "Führerscheintourismus" zusammengefassten - zahlreichen - Missbrauchsfällen Stellung bezogen, in denen es im Kern gerade nicht um das Gebrauchmachen von europarechtlichen Freizügigkeitsrechten geht, sondern in denen die Betroffenen ohne erkennbare Bindungen zum Ausstellerstaat lediglich die nach wie vor bestehenden Unzulänglichkeiten im innereuropäischen Informationsaustausch ausnutzen, um die regelmäßig strengeren fahrerlaubnisrechtlichen Vorschriften des Heimatstaates zu umgehen und dabei gegebenenfalls auch die Fahrerlaubnisbehörden des Ausstellerstaates über die vormalige Fahrerlaubnisentziehung bzw. die einer Wiedererlangung der Fahrerlaubnis im Heimatstaat entgegenstehenden Eignungsbedenken nicht informieren (oder gar täuschen),

vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 23. Februar 2007 - 16 B 178/07 - und vom 6. März 2007 - 16 B 236/07 -.

Da der Europäische Gerichtshof sich bisher mit anders gelagerten Sachverhalten befasst hatte, ist die hier entscheidungserhebliche Frage nicht abschließend entschieden worden. Der Fall, dass objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die strengen materiellen Anforderungen des deutschen Wiedererteilungsverfahrens, insbesondere die medizinischpsychologische Untersuchung, umgangen werden sollen, ist in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes zur Richtlinie 91/439/EWG gerade nicht geklärt. Außerdem ist unklar, wie der Europäische Gerichtshof das Inkrafttreten der sog. 3. Führerscheinrichtlinie (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein [Neufassung]) und die damit beabsichtigte Verhinderung von Führerscheintourismus werten wird. Die Änderung und Ergänzung der bisherigen Führerscheinrichtlinie hat nämlich auch und gerade das Ziel, Maßnahmen gegen den sogenannten Führerscheintourismus einzuführen und umzusetzen, wie an der Einführung eines EU-Führerscheinnetzes für den Datenaustausch deutlich wird.

Im vorliegenden Fall ist darüber hinaus der Erwerb der ausländischen EU- Fahrerlaubnis gerade nicht im Zusammenhang mit der Ausübung der durch das EU- Recht gewährleisteten Arbeitnehmerfreizügigkeit oder Niederlassungsfreiheit erfolgt, sondern nur, um damit einfacher wieder in den Besitz einer Fahrerlaubnis zu gelangen.

Außerdem kann von einer Missachtung der grundsätzlichen Pflicht zur gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen keine Rede sein, wenn die Entscheidung des anderen EU-Mitgliedstaates - wie hier - in Unkenntnis wesentlicher Umstände für die Beurteilung der Fahreignung erfolgt ist,

so auch VG Stade, Urteil vom 16. August 2006 - 1 A 2642/05 -, juris.

Vor diesem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Chemnitz mit Beschluss vom 3. August 2006 dem Europäischen Gerichtshof eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt,

VG Chemnitz, Beschluss vom 3. August 2006 - 2 K 1093/05 -, juris.

Die Kammer sieht sich allerdings auch vor dem Hintergrund dieser Befassung des Europäischen Gerichtshofs mit der Missbrauchsproblematik nicht gehindert, über den vorliegenden Fall zu entscheiden. Denn unabhängig von dem Ausgang des genannten Verfahrens ist in der Rechtsprechung des EuGH der Gedanke des rechtsmissbräuchlichen Gebrauchmachens von europarechtlichen Freiheitsverbürgungen bereits anerkannt. Die Berufung auf die durch Gemeinschaftsrecht eröffneten Möglichkeiten und Befugnisse kann versagt oder jedenfalls eingeschränkt werden, wenn diese in missbräuchlicher oder betrügerischer Absicht genutzt werden, um sich der Anwendung nationalen Rechts zu entziehen,

vgl. etwa EuGH, Urteile vom 7. Februar 1979 - 115/78 [Knoors] -, Slg. 1979 I S. 399 = NJW 1979, 1761 , vom 3. Oktober 1990 - C-61/89 [Bouchoucha] -, Slg. 1990 I S. 3563 und vom 9. März 1999 - C-212/97 [Centros Ltd] -, Slg. 1999 I S. 1459 = NJW 1999, 2027.

Soweit dem Betroffenen in diesem Sinne ein missbräuchliches oder betrügerisches Verhalten anzulasten ist, kann ihm gleichwohl nicht generell die Berufung auf einschlägiges Gemeinschaftsrecht versagt werden. Dies setzt vielmehr zusätzlich eine Würdigung der Ziele voraus, die mit den fraglichen Bestimmungen des nationalen Rechts bzw. mit den die Ausübung eurooparechtlicher Grundfreiheiten behindernden nationalen Maßnahmen verfolgt werden. Diese Bestimmungen oder Maßnahmen müssen - was vorliegend der Fall ist - in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, zur Erreichung des verfolgten Ziels geeignet sein und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist,

vgl. EuGH, Urteil vom 9. März 1999 - C-212/97 [Centros Ltd] -, aaO., Rdn. 25 und 34.

Dass diese Rechtsgrundsätze grundsätzlich auch im Bereich des Fahrerlaubnisrechts Geltung haben, wird auch durch die Mitteilung der Kommission zu Auslegungsfragen über den Führerschein in der EU (Amtsblatt Nr. C 077 vom 28. 3. 2002 S.0005-0024, juris) bestätigt. Unter B.3.1. „Rechtslage" ist im Zusammenhang mit dem Unterlassen der Abgabe des ursprünglichen Führerscheins angeführt:

......Darüber hinaus können nach der Rechtsprechung des EuGH (23) die Mitgliedstaaten ein legitimes Interesse daran haben, bestimmte Staatsangehörige daran zu hindern, sich durch im Rahmen des EG-Vertrags geschaffene Möglichkeiten der Anwendung des einzelstaatlichen Rechts zu entziehen. Da das rechtliche Interesse identisch ist, erscheint die analoge Anwendung dieser Regel auf alle Einwohner im Staatsgebiet, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sein können, angemessen. In diesem Fall können die Mitgliedstaaten geeignete Maßnahmen treffen, um zu verhindern, dass Bürger (und Einwohner) sich in betrügerischer Weise oder missbräuchlich auf Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts berufen..."

Fußnote 23 verweist dabei ausdrücklich auf die Rechtssache C-212/97, Centros Ltd. vom 9. März 1999, Absatz 24.

Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten weiterhin berechtigt sein sollen, ihr innerstaatliches Recht anzuwenden, wenn sich Bürger in betrügerischer Weise oder missbräuchlich auf Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts berufen.

Vor diesem Hintergrund kann sich der Kläger wegen des vorliegend festgestellten Rechtsmissbrauchs aus Gemeinschaftsrecht nichts zu seinen Gunsten herleiten. Dadurch wird er auch nicht in der Ausübung europarechtlicher Grundfreiheiten behindert. Denn hier ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger die Fahrerlaubnis im Zusammenhang mit der Niederlassungs- oder Dienstleistungsfreiheit erworben hat. Vielmehr hat er den Führerschein gerade in der Tschechischen Republik erworben, um sich nicht erneut einer medizinisch- psychologischen Untersuchung unterziehen zu müssen,

vgl. dazu auch OVG Berlin, Beschluss vom 8. September 2006 - 1 S 122.05 -, juris; VG Sigmaringen, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 6 K 924/06 - , juris.

Die Kammer hat bereits in früheren Entscheidungen darauf hingewiesen, dass die Richtlinie 91/ 439/EWG eindeutig zu der Notwendigkeit Stellung nimmt, den Gefahren entgegenzuwirken, die durch ungeeignete, insbesondere Alkohol bzw. Drogen missbrauchende Verkehrsteilnehmer hervorgerufen werden. Im Anhang III. werden die Mindestanforderungen hinsichtlich der körperlichen und geistigen Tauglichkeit für das Führen eines Kraftfahrzeugs festgelegt. In den Unterpunkten 14 und 14.1 (Alkohol) ist angeführt:

"Alkoholgenuss ist eine große Gefahr für die Sicherheit im Straßenverkehr. Da es sich um ein schwerwiegendes Problem handelt, ist auf medizinischer Ebene große Wachsamkeit geboten. Bewerbern und Fahrzeugführern, die alkoholabhängig sind oder das Führen eines Fahrzeugs und Alkoholgenuss nicht trennen können, darf eine Fahrerlaubnis weder erteilt noch erneuert werden. Bewerbern oder Fahrzeugführern, die alkoholabhängig waren, kann nach einem nachgewiesenen Zeitraum der Abstinenz vorbehaltlich des Gutachtens einer zuständigen ärztlichen Stelle und einer regelmäßigen ärztlichen Kontrolle eine Fahrerlaubnis erteilt oder erneuert werden."

Das zeigt, dass grundsätzlich auch die Richtlinie 91/439/EWG eine besondere Überprüfung der Fahrer fordert, die alkoholkrank sind oder an einer Alkoholproblematik leiden. Der Kläger hat vorliegend die Fahrerlaubnis in einem Land erworben, das ersichtlich die durch das EU-Führerscheinrecht gebotenen Maßnahmen nicht in dem erforderlichen Maße umgesetzt hat.

Darüber hinaus ist auch die am 19. Januar 2007 in Kraft getretene sog. 3. Führerscheinrichtlinie zu berücksichtigen (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlamentes und Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein [Neufassung]). Diese Richtlinie hat auch das erklärte Ziel, das weit verbreitete Phänomen des Führerscheintourismus zu bekämpfen. Wenn ein hinreichend begründeter Verdacht besteht, dass der Bewerber bereits Inhaber eines anderen Führerscheins ist, müssen die Mitgliedstaaten in Zukunft bei der Ausstellung eines Führerscheins Nachforschungen anstellen. Zur Erleichterung der Zusammenarbeit soll ein EU-Führerscheinnetz errichtet werden. In der Begründung zu der Richtlinie ist unter 2.1. „Bekämpfung des „Führerscheintourismus" folgendes niedergelegt: „Mit diesem Text wird ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung des sogenannten Führerscheintourismus getan. ....Hier ist der Vorschlag des Parlamentes übernommen worden: Ein Mitgliedstaat muss die Ausstellung eines Führerscheins ablehnen, wenn der Bewerber seinen Führerschein in einem anderen Mitgliedstaat eingeschränkt, ausgesetzt oder entzogen bekommen hat (Art. 11)."

Zwar gilt Art. 11 Abs. 1, 3, 4, 5 und 6 der 3. Führerscheinrichtlinie erst ab dem 19. Januar 2009. Aus dem neu eingefügten Absatz 4 ist aber deutlich zu ersehen, dass nach Gemeinschaftsrecht kein Führerscheintourismus ermöglicht werden soll. Gemeinschaftsrechtlichen Grundsätzen widerspricht es auch nicht, diese Ziele, für deren Umsetzung den Mitgliedstaaten aus verwaltungstechnischen Gründen eine Umsetzungsfrist eingeräumt ist, schon heute bei der Auslegung des Ziels der noch geltenden Richtlinie 91/439/EWG zu berücksichtigen.

Bei einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Gemeinschaftsrecht, wie im vorliegenden Fall, ist es dem Kläger demnach verwehrt, sich auf die für ihn günstigeren gemeinschaftsrechtlichen Regelungen zu berufen,

so im Ergebnis auch, VGH Mannheim, Beschluss vom 21. Juli 2006 - 10 S 1337/06 -, NJW 2007 S. 99, VGH Kassel, Beschluss vom 3. August 2006 - 2 TG 673/06 -, NJW 2007 S. 102; OVG Lüneburg, DAR 2005 S. 704 , Ludowisy, DAR 2006 S. 9, 13; VG Osnabrück, Urteil vom 17. November 2006 - 2 A 194/05 -, juris; VG Gießen, Urteil vom 7. November 2006 - 6 E 1359/06 - m.w.N., juris; VG Stade, Urteil vom 16. August 2006 - 1 A 2642/05 -; juris (für einen vergleichbaren Fall); VG Sigmaringen, Beschluss vom 25. Juli 2006 - 6 K 924/06 -, juris (mit umfangreichen Nachweisen); OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30. August 2006 - 1 M 59/06 -, juris (geht davon aus, dass in bestimmten Konstellationen Rechtsmissbrauch vorliegen kann).

Soweit der Kläger sich auf die Entscheidung des OVG Koblenz vom 15. August 2005 (7 B 1102/05) beruft, führt dies in der Sache zu keinem anderen Ergebnis. Denn mittlerweile hat es in seiner Entscheidung vom 11. September 2006

vgl. - 10 B 10734/06 -, juris und ZfSch 2006, 713-717

eine deutliche Distanz zu seiner Entscheidung vom 15. August 2005 erkennen lassen. Es führt aus, dass der Senat es dahinstehen lassen könne, inwieweit der bisher vertretenen Auffassung in jedem Fall zu folgen sei. Sie könne dann nicht zum Tragen kommen, wenn der Fahrerlaubniserwerb in dem anderen EU-Staat rechtsmissbräuchlich erfolgt ist, weil der Betreffende wegen der in der Bundesrepublik gegebenen Offenkundigkeit seiner Ungeeignetheit das nach dem hier geltenden Recht für ihn aussichtslose Erteilungsverfahren bewusst umgeht. Ebenso sei zum anderen zu überlegen, ob nicht zumindest in Fällen, in denen bei dem Betreffenden eine langfristige, bis in die Gegenwart hineinwirkende und sich so gesehen ständig aktualisierende Alkoholproblematik vorliege, die mithin auch nicht etwa allein deshalb entfallen sei, weil ihm in einem anderen EU-Staat eine Fahrerlaubnis ausgestellt worden sei, diese auch ohne das Vorliegen etwaiger neuerlicher Auffälligkeiten von selbstständigem Gewicht wieder entzogen werden könne. Es ist demnach offen, ob das OVG Koblenz seine bisher vertretene Rechtsansicht aufrechterhalten wird oder nicht.

Der gegenteiligen Auffassung, auf die der Kläger sich beruft, dass auch bei erkennbar missbräuchlicher Ausnutzung europarechtlicher Vorschriften der EU- Führerschein ohne weitere Prüfung anzuerkennen ist,

so OVG Hamburg, Beschluss vom 22. November 2006 - 3 Bs 257/06 -, juris; OVG für das Land Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30. August 2006 - 1 M 59/06 -, juris; VG Karlruhe, Urteil vom 22. Januar 2007 - 1 K 1435/06 -,

folgt die Kammer nicht.

Der EuGH hat, wie bereits oben dargelegt, bisher gerade nicht zu einer Fallgestaltung Stellung genommen, in der eine missbräuchliche Inanspruchnahme des Gemeinschaftsrechts vorlag. Der Verweis auf die Inanspruchnahme des Vertragsverletzungsverfahrens wird der Vermeidung der erheblichen Gefahren, die durch Alkohol im Straßenverkehr verursacht werden, nicht gerecht. Zu den Grundsätzen des EuGH zur missbräuchlichen Inanspruchnahme von Gemeinschaftsrecht hat sich das OVG Hamburg in seiner Entscheidung nicht geäußert. Die Kammer teilt in diesem Zusammenhang die Auffassung des OVG NRW, das im vorliegenden Fall im Beschluss vom 6. Oktober 2006 bereits ausgeführt hat, es sei nicht ersichtlich, dass der EuGH sehenden Auges eine massive Gefährdung höchstrangiger, verfassungsrechtlich geschützter Rechtsgüter wie Leben und körperliche Unversehrtheit zahlreicher Menschen in Kauf nehmen würde.

Wegen des Rangs der bedrohten Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit anderer Verkehrsteilnehmer ist es nicht hinnehmbar, dass Maßnahmen des Mitgliedstaates des Wohnsitzes, dem das Gefahrenpotenzial bekannt ist, erst zulässig sein sollen, wenn es bereits zu Verkehrsauffälligkeiten gekommen ist,

so auch VGH Mannheim, Beschluss vom 21. Juli 2006, s. o.; VG Berlin, Beschluss vom 23. August 2006 - 20 A 150.06 -, juris; im Ergebnis auch OLG Stuttgart, Urteil vom 15. Januar 2007 - 1 Ss 560/06 -, DAR 2007, 159.

Auch den Schlussfolgerungen, die der Bayerische Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 22. Februar 2007

vgl. - 11 CS 06. 1644 -

im Hinblick auf die neue Führerscheinrichtlinie zieht, schließt sich die Kammer nicht an. Auch nach dem 19. Januar 2007 kann sie mit Blick auf die Richtlinie 2006/126/EG an ihrer Auffassung, dass zumindest noch nicht geklärt ist, ob die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der Aberkennung des Rechts, von einer ausländischen EU-Fahrerlaubnis im Inland Gebrauch zu machen, auch dann entgegensteht, wenn eine solche Fahrerlaubnis missbräuchlich erlangt worden ist, festhalten. Es ist zwar richtig, dass die Rechtssetzungsorgane der Gemeinschaften nunmehr ausdrückliche Regelungen erlassen haben, um den Führerscheintourismus zu bekämpfen. Soweit der Bayerische Verwaltungsgerichtshof annimmt, es sei eine Umgehung des Rechtsetzungswillens des europäischen Richtliniengebers, wenn der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung von im EU-Ausland ausgestellten Führerscheinen bereits vor den von den zuständigen Gemeinschaftsorganen festgesetzten Zeitpunkten durch den Rekurs auf die Figur des „Missbrauchs von Gemeinschaftsrecht" durchbrochen wird,

BayVGH, aaO, amtlicher Umdruck S. 24/25,

ist dem nicht zu folgen.

Es stellt keine Umgehung des Rechtssetzungswillens des europäischen Richtliniengebers dar, die Figur des „Missbrauchs von Gemeinschaftsrecht" in Fällen der vorliegenden Art heranzuziehen. Zum einen ist festzuhalten, dass in der Begründung zu der 3. Führerscheinrichtlinie unter 2 .1. "Bekämpfung des Führerscheintourismus" ausgeführt ist, dass mit diesem Text ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung des sogenannten Führerscheintourismus getan wird. Die Mitgliedstaaten sollen danach einander bei der Durchführung der Richtlinie unterstützen und sind insbesondere bei der Ausstellung, Ersetzung, Erneuerung und dem Umtausch eines Führerscheins gehalten, zusammen mit anderen Mitgliedstaaten Nachforschungen vorzunehmen, wenn ein hinreichend begründeter Verdacht vorliegt, dass ein Bewerber bereits Inhaber eines Führerscheins ist. Zur Erleichterung dieser Zusammenarbeit soll ein EU-Führerscheinnetz für den Datenaustausch eingerichtet werden. Vor diesem Hintergrund ist den Mitgliedstaaten in Art. 16 der 3. Führerscheinrichtlinie bis zum 19. Januar 2011 eine Umsetzungsfrist eingeräumt worden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass bis dahin Führerscheintourismus geduldet werden soll. Eine Richtlinie entfaltet bereits Vorwirkung mit ihrem Erlass bzw. Inkrafttreten. Die Mitgliedstaaten müssen bereits zu diesem Zeitpunkt sicherstellen, dass das Ziel der Richtlinie mit Ablauf der Umsetzungsfrist erreicht werden kann. Der Mitgliedstaat muss daher nach Inkrafttreten der Richtlinie alle Maßnahmen unterlassen, die das in der Richtlinie vorgeschriebene Ziel ernstlich in Frage zu stellen geeignet sind. Dem entspricht es, das gewollte Ziel bereits jetzt in den Blick zu nehmen und bei der Auslegung der Richtlinie 91/439/EWG zu beachten.

Im übrigen ist hier auch der Umstand zu berücksichtigen, dass es sich bei der hier vorliegenden Alkoholproblematik um einen Dauersachverhalt handelt. Es geht hier um Fahreignungsmängel, die von ihrer Natur her geeignet sind, in die Gegenwart fortzuwirken und von denen deshalb angenommen werden kann, dass sie sich im Hinblick auf ihr Gefährdungspotential ständig - also auch nach dem Zeitpunkt der Erteilung der EU-Fahrerlaubnis - neu aktualisieren. Bereits das Erreichen einer Blutalkoholkonzentration von mehr als 1,6 Promille, die der Betroffene bei Begehung des Alkoholdeliktes aufgewiesen hat, ist ein deutliches Indiz für das Vorliegen einer langfristigen Alkoholproblematik,

so BVerwG, Beschluss vom 10. Dezember 1996 - 11 B 95/96 -, juris; BVerwG, Urteil vom 15. Juli 1988 - VII C 46.87 -, NZV 1988, 238 mit weiteren Nachweisen; Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 11. Oktober 2005 - 12 ME 288/05 -; OVG Koblenz, Beschluss vom 11. September 2006, s.o.

Die in Ziffer 3. der Ordnungsverfügung des Beklagten verfügte Anordnung, den ausländischen Führerschein innerhalb einer bestimmten Frist zur Eintragung der Entziehung abzugeben, ist nach § 3 Abs. 2 Satz 3 StVG i.V.m. § 47 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 FeV nicht zu beanstanden,

vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27. November 2006 - 16 B 1494/06 -; vgl. zu den Möglichkeiten, die Aberkennung des Rechts auf einer EU-Fahrerlaubnis zu dokumentieren: BayVGH, Beschluss vom 6. Oktober 2005 - 11 CS 05.1505 -, juris.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Berufung war hier zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat. Die Frage, ob EU-Führerscheine, die rechtsmissbräuchlich erworben worden sind, von deutschen Behörden anzuerkennen sind, ist bisher obergerichtlich nicht geklärt.