OLG Köln, Urteil vom 14.02.2007 - 5 U 122/06
Fundstelle
openJur 2011, 50014
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 25 O 730/02
Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 26. April 2006 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 730/02 - wird zurückgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Bei der Klägerin entwickelte sich im Anschluss an ihre 2. Geburt am 3. April 1999 ein Plazenta-Polyp, der zu anhaltenden Blutungen führte. In dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus wurde daraufhin am 31. Mai 1999 eine Nachkürretage vorgenommen, in deren Verlauf eine Uterus-Perforation eintrat.

Die Klägerin hat der Beklagten zunächst vorgeworfen, nach der Geburt die Plazenta nicht ordnungsgemäß befundet zu haben; wäre dies mit der gebotenen Sorgfalt geschehen, wären zurückgebliebene Plazentareste entdeckt worden. Die Nachkürretage sei fehlerhaft durchgeführt worden. Gebärmutterschleimhaut und Muskelfasern seien nicht hinreichend geschont worden. Auch zu einer Perforation habe es nicht kommen dürfen. Diese sei zudem unzureichend versorgt worden. Die Klägerin hat zudem eine nicht ausreichende Aufklärung über die mit der Nachkürretage verbundenen Risiken gerügt. Bei sachgerechter Aufklärung hätte sie den Eingriff nicht durchführen lassen. Als Folge der Fehlbehandlung leide sie nunmehr an einem Asherman-Syndrom.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld (Größenordnung: mindestens 30.000,- DM = 15.338,76 €) nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz für den Zeitraum bis zur letzten mündlichen Verhandlung zu zahlen, wobei die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt wird;

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen und immateriellen Schäden - letztere, soweit sie nach der mündlichen Verhandlung entstanden sind - aus der fehlerhaften Behandlung des Personals der Beklagten in der Zeit vom 3.4. bis 8.6.1999 zu zahlen, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat Behandlungsfehler in Abrede gestellt und behauptet, die Klägerin sei über die Risiken des Eingriffs - insbesondere auch über das Risiko einer Perforation - aufgeklärt worden. Sie hat sich ferner auf eine hypothetische Einwilligung der Klägerin berufen.

Das Landgericht hat die Klage - sachverständig beraten - mit Urteil vom 26. April 2006, auf das wegen der tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, abgewiesen. Behandlungsfehler seien nicht festzustellen. Soweit es die Risikoaufklärung angehe, sei von einer hypothetischen Einwilligung der Klägerin auszugehen.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt .

Ausgehend von der gutachterlich getroffenen Feststellung, dass bei der Nachkürettage zuviel Endometrium-Material entfernt und zudem die Uteruswand perforiert worden sei, ist die Klägerin weiterhin der Auffassung, es liege ein Behandlungsfehler vor. Das habe letztlich auch der erstinstanzlich herangezogene Sachverständige Prof. G. nicht anders gesehen, denn er habe in seinem schriftlichen Gutachten nur einen schweren Behandlungsfehler verneint. Der Umstand, dass in 1,5 bis 2,5% der Fälle eine Perforation vorkommen könne, könne nicht die Tatsache beseitigen, dass insoweit ein Behandlungsfehler anzunehmen sei. Auch wenn eine Fehlbehandlung verbreitet sei, bleibe sie eine Fehlbehandlung. Jedenfalls seien die Feststellungen des Landgerichts insoweit unzureichend. Verfahrensfehlerhaft sei die Nachbehandlerin Dr. I. nicht als Zeugin gehört worden; sie habe die Kürettage als "brutal" bezeichnet und damit eine eindeutige Wertung getroffen. Auch Dr. E. C. hätte gehört werden müssen, weil er sie, die Klägerin, untersucht habe. Demgegenüber habe der Sachverständige Dr. G. die Frage, ob ein Behandlungsfehler vorliege, nicht eindeutig beantwortet; er habe sie, die Klägerin, nicht einmal körperlich untersucht. Ihr Antrag, ein aussagekräftigeres weiteres Gutachten einzuholen, sei vom Landgericht nicht beschieden worden.

Die Klägerin wiederholt des weiteren ihren Vorwurf, der Beklagten sei ein Organisationsverschulden zur Last zu legen. Der Operateur Dr. O. sei zum Zeitpunkt der Vornahme des Eingriffs Assistenzarzt gewesen und habe den Eingriff alleine durchgeführt. Damit sei der Facharztstandard nicht gewahrt gewesen.

Zur Aufklärung trägt die Klägerin vor, eine solche habe nicht stattgefunden. Ihr sei nicht einmal bewusst gewesen, dass das Formular, das sie unterschrieben habe, eine Aufklärung enthalte. Im übrigen hätte sie auch über die Alternative einer medikamentösen Behandlung aufgeklärt werden müssen. Sie hätte bei ordnungsgemäßer Aufklärung dem Eingriff nicht zugestimmt, was sie auch schon bei ihrer Anhörung vor dem Landgericht bestätigt habe.

Die Beklagte, die die Zurückweisung der Berufung beantragt, verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Nach den überzeugenden Feststellungen des erstinstanzlich herangezogenen Sachverständigen Prof. G. ist die Plazenta nach der Geburt ordnungsgemäß ärztlich befundet worden. Eine Nachuntersuchung der Gebärmutter brauchte nicht veranlasst zu werden. Dem ist die Klägerin mit der Berufung nicht weiter entgegengetreten.

Der Sachverständige Prof. G. hat auch die Nachkürettage nicht als behandlungsfehlerhaft bewertet. Er hat insoweit klar zum Ausdruck gebracht, dass zwar objektiv zu viel Endometrium-Material entfernt worden sei. Er hat aber in jeder Hinsicht nachvollziehbar dargelegt, dass dies unter den hier gegebenen Umständen nicht als fehlerhaft angesehen werden kann. Bei der Klägerin hatte sich ein Plazenta-Polyp gebildet, der zu starken Blutungen führte. Ziel der Nachkürettage musste es sein, die Plazentareste möglichst vollständig zu entfernen. Hierbei handelt es sich - wie der Sachverständige ausgeführt hat - um eine äußerst schwierige und zeitaufwändige Maßnahme. Ausweislich des Operationsberichtes wurde immer wieder fibrinoides Material zu Tage gefördert, so dass es sich schließlich als notwendig erwies, auch eine scharfe Kürette einzusetzen. Dass es in einer solchen Situation auch ohne Verschuldensvorwurf zu einer objektiv übermäßig erscheinenden Materialentfernung und schließlich auch zu einer Perforation kommen kann, leuchtet ohne weiteres ein. Jedenfalls lassen der Umfang der Endometriumentfernung und die Perforation nicht - im Sinne eines Anscheinsbeweises - den Schluss zu, die Behandler, die im übrigen die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen (Oxytocin-Topf und Gabe von Methergin) eingehalten haben, hätten unsorgfältig gehandelt. Sonstige Anhaltspunkte für ein nicht dem ärztlichen Standard entsprechendes Vorgehen sind nicht feststellbar.

Die Kritik der Klägerin an den gutachterlichen Feststellungen geht fehl. Der Sachverständige hat die Behandlungsunterlagen sorgfältig ausgewertet. Dass er auf eine eingehende körperliche Untersuchung der Klägerin verzichtet hat, ist unschädlich, weil er die Vorbefunde, deren Richtigkeit die Klägerin nicht in Abrede gestellt hat, berücksichtigt hat. Es erschließt sich nicht, welche weitergehenden Erkenntnisse er bei einer Untersuchung der Klägerin erhalten hätte. Insbesondere ist der Sachverständige davon ausgegangen, dass tatsächlich bei der Klägerin objektiv zuviel Endometrium-Material entfernt worden ist. Soweit dies auch die Nachbehandler (insbesondere Dr. I.) bestätigt haben, besteht keine Veranlassung, diese hierzu noch als Zeugen zu vernehmen. Soweit es hingegen um die - hier maßgebende - Frage geht, ob die Nachkürettage als fehlerhaft zu bewerten ist, kommt es auf die konkreten Umstände bei der Vornahme des der Entfernung des Plazenta-Polyps dienenden Eingriffs an. Hierzu können die Nachbehandler schon deshalb keine Auskunft geben, weil sie bei dem Eingriff nicht zugegen waren. Die Bewertung jenes Eingriffs obliegt indes nur der Beurteilung durch einen neutralen Sachverständigen; die Vernehmung der Nachbehandler als (sachverständige) Zeugen scheidet insoweit aus. Die Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nach § 412 ZPO kommt nicht in Betracht, denn die Feststellungen des Sachverständigen Prof. G. sind entgegen der Ansicht der Klägerin vollständig und überzeugend. Soweit der Sachverständige in seinem schriftlichen Gutachten vermeintlich nur einen groben Behandlungsfehler verneint hat, hat er bei seiner mündlichen Anhörung vor der Kammer unzweifelhaft klargestellt, dass tatsächlich keine Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten vorliegen. Er hat insbesondere nochmals klargestellt, dass - bei schwieriger Ausgangslage - sich trotz aller Sorgfalt Perforationen nicht immer vermeiden lassen und dass gerade weil intraoperativ schwer zu entscheiden ist, ob noch auszuschabendes Gewebe oder schon Gebärmuuterschleinhaut vorliegt - auch schon einmal zuviel Endometrium-Material entfernt werden kann, ohne dass daraus der Vorwurf fehlerhafter Behandlung resultieren muss. Das alles ist nachvollziehbar und überzeugt auch den Senat, so dass eine weitere Sachaufklärung nicht erforderlich ist.

Nicht nachgegangen ist das Landgericht dem schon in erster Instanz erhobenen Vorwurf eines Organisationsverschuldens der Beklagten. Das rügt die Klägerin im Ansatz zu recht. Indes hat die Beklagte nunmehr durch Vorlage der Urkunde über die Anerkennung von Dr. O. als Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe vom 12. August 1998 belegt, dass der Facharztstandard bei Durchführung des Eingriffs am 31. Mai 19999 gewahrt war. Für eine gleichwohl zu geringe Erfahrung von Dr. O. fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten. Die bloße Behauptung der Klägerin, Dr. O. habe keine ausreichende Erfahrung gehabt, reicht insoweit nicht aus.

Soweit die Klägerin erstmals im Schriftsatz vom 11. Januar 2007 anführt, sie leide nunmehr unter Hepatitis C, und mutmaßt, sie sei im Hause der Beklagten mit Hepatitis-C-Viren infiziert worden, entbehrt dieser Vorwurf jeder nachvollziehbaren Grundlage und ist offenkundig ins Blaue hinein erhoben worden. Alleine aus dem Umstand, dass "nunmehr" - also nahezu 8 Jahre nach dem Krankenhausaufenthalt - Hepatitis C bei der Klägerin festgestellt worden sein soll, indiziert keinen hierfür ursächlichen Hygienemangel in dem von der Beklagten betriebenen Krankenhaus.

Auch aus einem möglichen Aufklärungsmangel kann die Klägerin keine Ansprüche herleiten. Über eine medikamentöse Behandlung als Alternative zum operativen Vorgehen brauchte nicht aufgeklärt zu werden, da diese nach den insoweit klaren Feststellungen des Sachverständigen keine echte Alternative darstellte. Das Landgericht hat es dahingestellt sein lassen, ob die Klägerin über die Eingriffsrisiken hinreichend aufgeklärt worden ist. Das ist nicht zu beanstanden. Die Klägerin hat bei behaupteter hypothetischer Einwilligung einen Entscheidungskonflikt nicht hinreichend plausibel gemacht. Der Eingriff war dringend indiziert, weil es sonst zu weiteren Blutungen gekommen wäre, die schließlich zu einer Anämie hätte führen können. Die Erklärungen der Klägerin in der mündlichen Verhandlung machen einen Entscheidungskonflikt vor allem dann nicht plausibel, wenn man in Rechnung stellt, dass die Risiken, die sich jetzt verwirklicht haben, nur zu einem sehr geringen Prozentsatz auftreten können, während bei Nichtdurchführung des Eingriffs die Gefahr fortdauernder Blutungen mit möglicherweise sogar lebensgefährlichen Folgen bestanden hätte.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision nach § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.

Berufungsstreitwert: 20.338,76 € (s. Senatsbeschl. v. 10. August 2006)