VG Aachen, Urteil vom 03.05.2007 - 1 K 562/06
Fundstelle
openJur 2011, 48605
  • Rkr:
Tenor

Die Beklagte wird unter Änderung des Beihilfebescheides der WBV Süd vom 00.00.0000 und Aufhebung deren Widerspruchsbescheides vom 00.00.0000 verpflichtet, auf den Antrag des Klägers vom 6. Januar 2006 eine weitere Beihilfe von 55,86 EUR zu leisten.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht zuvor der Kläger Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Tatbestand

Der Kläger ist als Berufssoldat im Ruhestand beihilfeberechtigt.

Unter dem 6. Januar 2006 reichte er bei der Beklagten einen Antrag auf Beihilfe bezüglich der Behandlung seiner Ehefrau durch den Facharzt für Orthopädie Dr. med. H. T. -G. ein. In der Rechnung vom 2. Januar 2006 macht Dr. H. T. -G. Sachkosten in Höhe von 79,80 EUR für die zweimalige "Injektion intraartik. mit Hyaluron" geltend.

Mit Bescheid vom 20. Januar 2006 lehnte die Wehrbereichsverwaltung Süd (WBV Süd) eine Beihilfe für dieses Präparat ab, weil Hyaluron kein Arzneimittel im Sinne des Beihilferechts sei.

Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass die Verabreichung von Hyaluron bei seiner Ehefrau medizinisch indiziert sei. Sie sei zurzeit sog. "Goldstandard" in der Behandlung der Arthrose, unter welcher seine Frau leide.

Mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2006 wies die WBV Süd den Widerspruch als unbegründet zurück. Ausgeführt ist, dass gem. § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Beihilfevorschriften (BhV) nur die vom Arzt verordneten Arznei-, Verbandsmittel und dergleichen beihilfefähig seien. Hyaluron sei indes kein Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 des Arzneimittelgesetzes (AMG), sondern lediglich ein verschreibungspflichtiges Medizinprodukt. Demnach sei dessen Beihilfefähigkeit aufgrund einer Weisung des Bundesministeriums der Verteidigung ausgeschlossen.

Der Kläger hat am 27. März 2006 Klage erhoben. Er ist weiterhin der Ansicht, dass die Verabreichung von Hyaluronsäure beihilfefähig sei, auch wenn das bei seiner Ehefrau verwandte Präparat "Susplasyn" kein registriertes Arzneimittel sei.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter teilweiser Änderung des Beihilfebescheides der WBV Süd vom 20. Januar 2006 und Aufhebung deren Widerspruchsbescheides vom 13. März 2006 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 6. Januar 2006 hin eine weitere Beihilfe in Höhe von 55,86 EUR zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie verweist darauf, dass der Wirkstoff "Hyaluronsäure" in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses betr. die Standardtherapeutika bei schwerwiegenden Erkrankungen nicht angegeben sei. Aufgrund dessen könne eine Beihilfe nicht gewährt werden.

Die Kammer hat Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, bei der Erkrankung seiner Ehefrau an einer progredienten Gonarthrose beidseits und einer Retropatellarthrose beidseits sei die Behandlung mit Hyaluron Therapiestandard, durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens des Prof. Dr. med. O. , Universitätsklinikum Aachen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das unter dem 23. Oktober 2006 erstellte Gutachten verwiesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf eine weitere Beihilfe entsprechend seinem Antrag vom 6. Januar 2006 für die Behandlung seiner Ehefrau mit dem Präparat "Susplasyn" in Höhe von 55,86 EUR.

Anspruchsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV, der für Berufssoldaten im Ruhestand entsprechende Anwendung findet. Wenn auch die Beihilfevorschriften des Bundes nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG),

Urteil vom 17. Juni 2004 - 2 C 50.02 - BVerwGE 121, 103 ff. und Urteil vom 25. November 2004 - 2 C 30.03 - ZBR 2006, 195 ff.

nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehaltes genügen, sind sie zur Zeit noch übergangsweise weiter anzuwenden.

Gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BhV sind "aus Anlass einer Krankheit beihilfefähig die Aufwendungen für die vom Arzt ... schriftlich verordneten Arznei-, Verbandsmittel und dergleichen." Dies bedeutet, dass eine Beihilfe für ein ärztlich verordnetes Präparat nur gewährt werden kann, wenn es seiner Art nach unter die als beihilfefähig vorgesehenen Arzneimittel fällt. Für die Einordnung als Arzneimittel kommt es auf die objektive Eigenart und Beschaffenheit des Mittels an, nicht dagegen darauf, ob es im Einzelfall auch ohne Erkrankung beschafft worden wäre. Demgegenüber ist die Legaldefinition des § 2 Abs. 1 AMG und die Anerkennung eines Präparats gemäß dieser Definition zweitrangig. Angesichts des andersartigen Zwecks des Arzneimittelgesetzes, nämlich für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln zu sorgen, ist sie nicht ohne Weiteres auf das Beihilfenrecht zu übertragen. Die Definition kann nur als Ausgangspunkt für die Bestimmung der für die Beteiligung des Dienstherrn an Kosten der Krankenbehandlung des Beamten verwendeten gleichlautenden Begriffes dienen,

vgl. dazu: OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 9. Mai 2005 - 2 A 10106/05 -, ZBR 2006, 203-205 mit weiteren Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts.

Ebensowenig ist eine Beihilfefähigkeit automatisch ausgeschlossen, wenn das verabreichte Präparat "nur" als Medizinprodukt im Sinne des Medizinproduktegesetzes zugelassen ist. Maßgeblich im beihilferechtlichen Sinn ist nämlich der überwiegende Zweck, dem das Mittel nach wissenschaftlicher oder allgemeiner Verkehrsanschauung zu dienen bestimmt ist,

vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 8. Juni 2004 - 11 ME 12/04 - NVwZ-RR 2004, 840 mit weiteren Hinweisen auf Rspr. und Lit.

Hiernach gilt: Entsprechend dem Gutachten des Prof. Dr. med. O1. vom 23. Oktober 2006 ist die Gabe von Hyaluronsäure eine wissenschaftlich allgemein anerkannte Methode zur Behandlung der bei der Ehefrau des Klägers festgestellten Arthrose ihrer Kniegelenke. Er begründet dies unter anderem damit, dass die klinische Wirksamkeit hyaluronsäurehaltiger Medikamente gegeben sei, auch wenn ein Nachweis chondroprotektiver Eigenschaften nicht möglich sei. Insbesondere verweist Prof. Dr. med. O1. darauf, dass der Arzt bei der Behandlung die Alternativen einer oralen medikamentösen Therapie abzuwägen habe, wobei ihm noch die Verordnung von sog. nichtsteroidalen Antirheumatika und die intraartikuläre Verabreichung von Kortison zur Verfügung stehe. Von beiden rät er ab, sofern die konkrete Gabe von Hyaluronsäure bei dem Patienten Wirkung zeige. Außerdem führt Prof. Dr. med. O1. aus, dass jedenfalls das Medikament "Hyalart" entsprechend den Richtlinien des Bundesgesundheitsamtes als Arzneimittel zugelassen sei. Sofern nachfolgende Präparate wie beispielsweise Hyaluron nur als Medizinprodukte registriert seien, unterscheide sich die Grundsubstanz Hyaluronsäure bei diesen Produkten lediglich durch das Molekulargewicht.

Das überzeugende und nachvollziehbare Gutachten gibt keinerlei Veranlassung, an der Richtigkeit zu zweifeln. Wenn die Beklagte demgegenüber argumentiert, dass die Beihilfefähigkeit für das verabreichte Präparat nach einer "Weisung" des Bundesministeriums der Verteidigung ausgeschlossen sei, so ist zu entgegnen, dass die Entscheidung darüber, welche Arzneien jeweils ausgeschlossen oder dem Aufwand nach begrenzt sind, sich aus dem "Programm" der Beihilfevorschriften selbst ergeben muss und nicht ohne jegliche bindende Vorgaben in die Zuständigkeit des Vorschriftenanwenders übertragen werden kann,

vgl. BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2003 - 2 C 26.02 -, ZBR 2004, 172.

Eine Weisung zu der Frage der Beihilfefähigkeit eines Präparates durch eine oberste Behörde ersetzt jedenfalls nicht die wissenschaftliche Anerkennung seines Einsatzes bei der Heilbehandlung.

Dies gilt auch für den Hinweis der Beklagten, dass der Wirkstoff "Hyaluronsäure" in den Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses nicht als Therapeutika aufgeführt sei. Der Gemeinsame Bundesausschuss ist ein Gremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung. Ein solches Gremium kann nicht bestimmen, ob der Beamte unter Fürsorgegesichtspunkten Anspruch auf Beihilfe für ein bestimmtes Präparat hat.

Der Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben. Die vorläufige Vollstreckbarkeit im Kostenpunkt beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.