LAG Düsseldorf, Urteil vom 24.05.2007 - 13 Sa 1287/06
Fundstelle
openJur 2011, 47858
  • Rkr:
Verfahrensgang
  • vorher: Az. 3 Ca 2195/06

1. Stellt ein Arbeitgeber einem Arbeitnehmer gleichzeitig zwei Kündigungsschreiben zu, die sich (nur) in der Angabe des Kündigungsgrundes unterscheiden, handelt es sich im Zweifel um zwei eigenständige Kündigungserklärungen.

2. Greift der Arbeitnehmer nach dem Inhalt der Klageschrift nur eine Kündigung an, so gelten dennoch beide Kündigungen als angegriffen, wenn die Parteien untereinander die beiden Kündigungen rechtlich unpräzise nur als eine behandelt haben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die entsprechende Sicht des Arbeitgebers bereits innerhalb der Frist des § 4 KSchG aktenkundig geworden ist.

3. Ein Nachschieben von Kündigungsgründen ist nicht möglich, wenn die vor Ausspruch der Kündigung erfolgte Anhörung nicht den Anforderungen des § 102 BetrVG entsprach.

Tenor

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 03.11.2006 3 Ca 2195/06 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor zu 1. zur Klarstellung wie folgt neu gefasst wird:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigungen der Beklagten vom 18.08.2006 nicht aufgelöst ist.

Die Kosten des Berufungsverfahrens hat die Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über den Fortbestand ihres Arbeitsverhältnisses.

Der 46-jährige, verheiratete und drei Kindern unterhaltsverpflichtete Kläger ist bei der Beklagten seit August 1985 zuletzt als Kranführer gegen ein Monatsbruttoeinkommen von 2.800 € tätig. Die Beklagte beschäftigt weit mehr als zehn Arbeitnehmer.

Mit Wirkung zum 1. Mai 2005 setzte die Beklagte den Kläger zunächst vorübergehend von seinem ursprünglichen Einsatzort in T. in den Werksbereich Hafen X. um. Nach der bei der Beklagten geltenden "Richtlinie für die Benutzung von Kraftfahrzeugen für Dienstfahrten" erhalten Arbeitnehmer für Dienstfahrten mit einem eigenen Pkw 0,30 € je Fahrtkilometer erstattet. Als Dienstfahrt gilt unter anderem die Fahrt von der regelmäßigen Arbeitsstätte zur auswärtigen Tätigkeitsstätte. Zur Abrechnung füllt der Mitarbeiter ein Formular unter anderem im Hinblick auf das Datum, die Uhrzeit und die Wegstrecke aus und lässt es vom vorgesetzten Meister gegenzeichnen. Im Betriebsbüro werden die Fahrten rechnerisch erfasst und die zu leistende Erstattung der Höhe nach ermittelt. Anschließend erhält der Leiter des Hafens beziehungsweise sein Stellvertreter die Abrechnung, um sie als "Anweisungsberechtigter" gegenzuzeichnen. Sodann wird vom Betriebsbüro die Erstattung der Fahrtkosten veranlasst. Anfang März 2006 erklärte der Vorgesetzte des Klägers diesem, sein Einsatz erfolge nunmehr dauerhaft in X.. Zugleich wurde dem Kläger in X. ein persönlicher Spind zugewiesen. Der Kläger äußerte sich mehrfach kritisch zum angeordneten Wechsel des Arbeitsortes und erklärte seinem Meister, er werde weiterhin Kilometergeld für die Wegstrecke von T. nach X. abrechnen und - falls dies jemanden stören würde - demjenigen dann erklären, warum er dies tue.

Mit Datum vom 28. Juli 2006 reichte der Kläger zwei Fahrtkostenabrechnungen für die Monate Juni und Juli 2006 ein, mit denen er mehrere Fahrten im Umfang von insgesamt 144 km vom Hafen T. zum Hafen X. als Dienstfahrt geltend machte. Sein vorgesetzter Meister befand sich im Jahresurlaub. Der Kläger legte die Abrechnungen zunächst einem anderen Meister vor. Nachdem dieser die Gegenzeichnung verweigerte, wandte sich der Kläger an einen weiteren Meister. Auch dieser lehnte die Gegenzeichnung ab und reichte die Formulare zur Klärung an seinen Vorgesetzten weiter. Von diesem Sachverhalt erfuhr der Personalleiter der Beklagten am 7. August 2006. Am 14. August 2006 hörte die Beklagte den Kläger an und hielt ihm vor, dass er die - angeblichen - Fahrten von T. nach X. nicht mehr als Dienstfahrt hätte abrechnen dürfen.

Am 16. August 2006 informierte die Beklagte den bei ihr gebildeten Betriebsrat über die gewonnenen Erkenntnisse. Sie erklärte dem Betriebsrat zudem, dass sie insbesondere im Hinblick auf die örtlichen Verhältnisse zusätzlich davon ausgehe, der Kläger habe die fraglichen Fahrten nicht durchgeführt. Im Nachgang zu diesem Gespräch leitete sie dem Betriebsrat zwei schriftliche Anhörungen zu. In der einen heißt es:

Herr D. hat durch die Abgabe der Dienstfahrtenabrechnungen nachweislich versucht, einen Fahrtkostenbetrug zu begehen. Herrn D. war eindeutig bekannt, dass er ausschließlich im Werksbereich Hafen X. eingesetzt wird. Sein Arbeitsbeginn lag somit örtlich im Hafen X.. Er hätte demnach auch den ihm zur Verfügung gestellten Spind im Sozialgebäude X. zur Umkleide nutzen können und nicht den in T. vorhandenen Spind nutzen müssen. Zwar war es ihm unbenommen geblieben, sich in T. umzuziehen, er hätte jedoch - da der Weg zur Arbeit nicht als Arbeitszeit zu werten ist - die sich dann anschließende Rückfahrt zum Arbeitsort - ebenso wie die Fahrt nach Schichtende zum Sozialgebäude T. - nicht als Dienstfahrt eintragen und zur Abrechnung bringen dürfen. Dies hat er aber getan und somit versucht, sich durch die Abrechnung von unzulässigen Dienstfahrten einen monetären Vorteil zu verschaffen.

Dieser Betrugsversuch, den wir nach Anhörung des o.g. Mitarbeiters als bewiesen erachten, macht es unmöglich, Herrn D. ab sofort weiterhin zu beschäftigen.

Das weitere Anhörungsschreiben lautet auszugsweise wie folgt:

Aufgrund der von Herrn D. eingereichten o.g. Dienstfahrtenabrechnungen besteht der dringende Verdacht eines Betrugsversuches.

Die von o.g. Mitarbeiter abgerechneten Fahrten sind keine abrechnungsfähigen Dienstfahrten. Wir verweisen diesbezüglich auf weitere Kündigungsbegehren wegen Tatkündigung aufgrund eines Betrugsversuches hinsichtlich der Abrechnung nicht abrechnungsfähiger Dienstfahrten. Diesbezüglich erhärtet sich der dringende Verdacht (selbst wenn Herr D. gem. eigener Aussage diese Fahrten durchgeführt haben sollte), dass er über die Einreichung der Fahrtkostenabrechnung sich einen ihm nicht zustehenden monetären Vorteil verschaffen wollte.

Hinzu kommt, dass der vom o.g. Mitarbeiter dargelegte Fahrweg aufgrund der örtlichen Gegebenheiten und der Nähe seines Wohnortes zu der Werkseinfahrt Tor 5 beziehungsweise der Tatsache, dass die Einfahrt zu Tor 5 und den Parkplatz des Hafen X. s nur wenige hundert Meter entfernt ist, nicht nur unglaubwürdig ist, vielmehr liegt in erheblichem Maße der dringende Verdacht nahe, dass die von Herrn D. geltend gemachten Dienstfahrten von T. nach X. und zurück gar nicht von ihm durchgeführt worden sind. Statt dessen muss davon ausgegangen werden, dass Herr D. bereits fertig umgezogen von zu Hause seinen Dienst über Tor 5 im Hafen X. angetreten ist und versucht hat, sich über nicht durchgeführte Dienstfahrten einen monetären Vorteil zu verschaffen.

In der mündlichen Kündigungsanhörung vom 16. August 2006 (teilnehmende BR-Mitglieder E. und N.) hat sich zwar ergeben, dass ihr BR-Mitglied E., den o.g. Mitarbeiter am 4. Juli 2006 zum Schichtwechsel Frühschicht/Spätschicht vor dem Sozialgebäude T. gesehen hat. Die Annahme, dass o.g. Mitarbeiter in einem Fall voraussichtlich tatsächlich von T. nach X. gefahren ist, kann den dringenden Verdacht, dass diese Fahrten - weil aufwendig und unlogisch - gar nicht stattgefunden haben, nicht zerstören. Im Übrigen verbleibt es dabei, dass auch die Fahrt an diesem Tag (4. Juli 2006) in keinster Weise als Dienstfahrt zu klassifizieren ist. Dennoch hat o.g. Mitarbeiter auch diese ausweislich seiner Abrechnung als Dienstfahrt abrechnen wollen.

Dieser dringende Verdacht eines Betrugsversuches des Herrn D. macht es unmöglich, Herrn D. ab sofort weiterhin zu beschäftigen .

Auf den Inhalt der beklagtenseits als Anlage zum Schriftsatz vom 7. September 2006 zur Akte gereichten Anhörungsschreiben (Bl. 30 f. und Bl. 36 ff.) im Einzelnen wird verwiesen.

Am 18. August 2006 nahm der Betriebsrat zu den Anhörungen Stellung, indem er jeweils auf der letzten, beklagtenseits formularmäßig gestalteten Seite der Anhörungsschreiben erklärte, "gegen die beabsichtigte fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung Bedenken" zu haben. Zur Begründung vermerkte er "siehe Anlage". Die somit in beiden Stellungnahmen benannte Anlage fügte er insgesamt lediglich einmal bei. In dieser heißt es:

Beabsichtigte fristlose, hilfsweise fristgerechte Kündigung, C. D. (55629)

Der Betriebsrat hat aus sozialen Gründen Bedenken bezüglich der gegen den MA D. ausgesprochenen Kündigung

Im Anschluss daran fertigte die Beklagte zwei Kündigungsschreiben. Beide sind auf dem gleichen Briefbogen erstellt, tragen das Datum vom 18. August 2006 sowie jeweils die Unterschrift desselben Geschäftsführers der Beklagten und des Personalleiters. Das eine Kündigungsschreiben lautet wie folgt:

Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses

Sehr geehrter Herr D.,

wir nehmen Bezug auf das mit Ihnen am 14. August 2006 geführte Gespräch und kündigen hiermit das mit Ihnen bestehende Arbeitsverhältnis fristlos zum heutigen Tage, hilfsweise fristgerecht zum 31. März 2007 wegen des versuchten Betruges bei der Abrechnung von Dienstfahrten.

Die Rechte des Betriebsrats gemäß § 102 BetrVG wurden gewahrt. Die Stellungnahme des Betriebsrates ist diesem Schreiben in Kopie beigefügt.

Vorsorglich weisen wir Sie darauf hin, dass sie zur Aufrechterhaltung ungekürzter Ansprüche auf Arbeitslosengeld verpflichtet sind, sich unverzüglich nach Erhalt dieser Kündigung persönlich bei der Agentur für Arbeit arbeitssuchend zu melden und aktiv nach Beschäftigung zu suchen.

In dem zweiten Schreiben ist im ersten Absatz zum Grund der Kündigung anstelle "wegen des versuchten Betruges" die Wendung "wegen des dringenden Verdachts des versuchten Betruges" angeführt. Ansonsten sind die Schreiben inhaltsgleich.

Mit seiner am 21. August 2006 beim Arbeitsgericht Duisburg eingegangenen Klage hat der Kläger sich gegen "die Kündigung vom 18. August 2006" gewendet. Der Klage für Gericht und Gegner in Kopie beigefügt waren das Kündigungsschreiben vom 18. August 2006, in welchem die Beklagte das Arbeitsverhältnis wegen des dringenden Verdachts des versuchten Betruges ausgesprochen hatte, sowie die Stellungnahme des Betriebsrats. Er hat sich darauf berufen, Kündigungsgründe im Sinne des § 1 KSchG und des § 626 BGB bestünden nicht und die Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung gerügt. Mit noch am gleichen Tag beim Arbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 7. September 2006 nahm die Beklagte zur Vorbereitung des Gütetermins Stellung. In diesem heißt es auszugsweise wie folgt:

Die Parteien streiten über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger, nachdem dieser den Versuch unternommen hat, die Beklagte zu täuschen und sich hierdurch einen rechtswidrigen Vermögensvorteil zu verschaffen. Vor diesem Hintergrund wurden dem Kläger mit Datum vom 18. August 2006 zwei ihm noch am selben Tag zugegangene Schreiben übermittelt, die jeweils den Ausspruch einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung zum Inhalt hatten, und zwar einmal unter dem Gesichtspunkt der erwiesenen Tat und zum anderen unter dem Gesichtspunkt eines zumindest bestehenden dringenden Verdachts.

Im Gütetermin am 13. September 2006 erklärte der Beklagtenvertreter zu Protokoll: "Die Kündigung ist am 18. August 2006 zugegangen."

Der Kläger hat behauptet, die Versetzung nach X. sei eine Strafmaßnahme vor dem Hintergrund von seit Ende 2004 zwischen den Parteien geführten Auseinandersetzungen gewesen. Er habe sich erst ab dem 26. Juli 2006 in X. umgezogen und geduscht. Sein Vorgesetzter habe ihm auch noch für März 2006 die Fahrten zwischen T. und X. abgezeichnet. Die Abrechnungen für Juni und Juli 2006 habe er deshalb Ende Juli 2006 eingereicht, weil er vom 12. Juni bis zum 3. Juli 2006 erkrankt gewesen sei. Unstreitig hatte der Kläger auch für die Monate April und Mai 2006 Fahrtkosten geltend gemacht; die Abrechnungen waren im Geschäftsgang der Beklagten jedoch unbearbeitet geblieben.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die Kündigung vom 18. August 2006 aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, der Vorgesetzte des Klägers habe ihn anlässlich der Anordnung der dauerhaften Umsetzung nach X. darauf hingewiesen, in Konsequenz dieser Entscheidung erfolge keine Fahrtkostenerstattung mehr für den Weg vom ursprünglichen Einsatzort im Hafen T. zum Hafen X.. Entsprechendes habe ihm Anfang Mai auch der Personalreferent erklärt. Sie hat sich darauf berufen, der Kläger habe gezielt mit der Vorlage der fraglichen Abrechnungen für Juni und Juli 2006 gewartet, bis sich sein Vorgesetzter in seinem Jahresurlaub befunden habe. Mit der bewussten Geltendmachung unberechtigter Ansprüche habe er einen Betrugsversuch begangen. Darüber hinaus habe er die behaupteten Fahrten nicht einmal durchgeführt.

Mit Urteil vom 3. November 2006 hat das Arbeitsgericht Duisburg der Klage antragsgemäß stattgegeben. Im Tatbestand des Urteils ist mehrfach von einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung der Beklagten die Rede. Entsprechend heißt es in der Einleitung der Entscheidungsgründe, das Arbeitsverhältnis sei durch die Kündigung der Beklagten vom 18. August 2006 nicht aufgelöst worden. Sie sei gleichermaßen als außerordentliche wie auch als ordentliche Kündigung unbegründet und zwar sowohl als Verdachts- wie auch als Tatkündigung. Im Weiteren hat das Arbeitsgericht angenommen, soweit die Beklagte die Kündigung darauf stütze, der Kläger habe rechtlich unberechtigt die Erstattung der Fahrtkosten verlangt, trage dies die Kündigung nicht. Für einen Betrug fehle es schon an der Täuschungshandlung, da der Kläger ausdrücklich Fahrtkosten für die Fahrten zwischen den Häfen T. und X. geltend gemacht habe. Die Präsentation der Fahrtkostenabrechnungen stelle nichts anderes dar als die Geltendmachung einer Forderung. Soweit die Beklagte eine Täuschung daraus herleiten wolle, dass der Kläger die Abrechnungen gezielt zu einem Zeitpunkt eingereicht habe, als sein unmittelbarer Vorgesetzter sich im Urlaub befunden habe, sei dieser Aspekt im Kündigungsschutzprozess nicht verwertbar, da es insoweit an der ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats fehle. Entsprechendes gelte auch für den weiteren Vorwurf, der Kläger habe einen Betrug auch deshalb versucht, weil er die fraglichen Fahrten tatsächlich nicht durchgeführt habe.

Im Nachgang zur Urteilsverkündung führte die Beklagte umfangreiche weitere Recherchen durch und unterrichtete den Betriebsrat von den gewonnenen Erkenntnissen im Sinne eines Nachschiebens von Kündigungsgründen, und zwar einmal bezogen auf die "Kündigung wegen Ausspruch einer Tatkündigung des versuchten Betruges" und einmal auf die "Kündigung wegen des dringenden Verdachts eines Betrugsversuches". Wegen der Einzelheiten wird auf die schriftlichen Anhörungsunterlagen ausdrücklich Bezug genommen (Bl. 189 ff. der Gerichtsakte).

Gegen das ihr am 15. November 2006 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28. November 2006 Berufung eingelegt und diese mit einem am 12. Januar 2007 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Sie beruft sich darauf, das Arbeitsgericht habe die vorgelegten Betriebsratsanhörungen fehlerhaft gewürdigt. Nach dem Inhalt der Anhörung sei dem Betriebsrat klar gewesen, dass sie die Kündigungen darauf stützen wolle, dass der Kläger einen vermeintlichen Anspruch wider besseres Wissen unter Ausnutzung des "Systems" habe realisieren wollen. Auch der weitere kündigungsrelevante Aspekt, der Kläger habe die angemeldeten Fahrten tatsächlich nicht unternommen, sei dem Betriebsrat mitgeteilt worden, wie sich auch aus der Anhörung zur Verdachtskündigung ergebe. Jedenfalls auf der Grundlage der im Anschluss an das erstinstanzliche Verfahren gewonnenen Erkenntnisse seien die von ihr angenommenen Kündigungsgründe auch nachgewiesen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Duisburg vom 3. November 2006

- 3 Ca 2195/06 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Eine schriftliche Mitteilung über eine Versetzung nach X. habe er nie erhalten. Wegen der dort schlechteren Arbeitsbedingungen, insbesondere auch bezogen auf die Vergütung, sei er mit einer endgültigen Versetzung nie einverstanden gewesen. Zudem vertritt er die Ansicht, es handele sich um eine Versetzung im betriebsverfassungsrechtlichen Sinne und verweist darauf, dass insoweit keine Mitbestimmung des Betriebsrats erfolgt sei. Er habe sich allenfalls störrisch, nicht jedoch betrügerisch verhalten.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 15. März 2007 hat die Beklagte auf ausdrückliche Nachfrage erklärt, sowohl für die Tatkündigung als auch für die Verdachtskündigung sei Kündigungsgrund jeweils gewesen, dass der Kläger unberechtigte Forderungen geltend gemacht habe, und dass er die Fahrten tatsächlich nicht durchgeführt habe. Auf den Hinweis der Kammer, im bisherigen Verlauf des Rechtsstreits sei der maßgebliche Lebenssachverhalt allseitig dahingehend behandelt worden, dass es sich um eine einzige Kündigung - gestützt auf den Verdacht sowie die Tat eines versuchten Betruges - handele, obwohl die Beklagte bereits vor dem Gütetermin vorgetragen habe, dem Kläger zwei Kündigungsschreiben zugestellt zu haben, hat der Kläger zu Protokoll gegeben, sich hierzu nicht erklären zu können. Im Nachgang zum Kammertermin hat er sodann unstreitig gestellt, zwei Kündigungsschreiben erhalten zu haben. Im zweiten Termin vor der Berufungskammer hat der Kläger klargestellt, dass beide Kündigungsschreiben den Gegenstand der Klage bilden sollen. Zum Mandatsgespräch vor Abfassung der Klage hat der Kläger erklärt, seinem Prozessbevollmächtigten zwei Kündigungsschreiben übergeben zu haben, während der Prozessbevollmächtigte bekundet hat, der Kläger habe ihm nur ein Kündigungsschreiben ausgehändigt.

Gründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet. Zutreffend hat das Arbeitsgericht eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses der Parteien verneint. Zur Klarstellung war eine Pluralformulierung in den Tenor aufzunehmen.

A.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere unter Beachtung der Vorgaben der §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit § 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

B.

Die Berufung ist jedoch unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigungen der Beklagten vom 18. August 2006 weder fristlos noch fristgerecht aufgelöst worden.

I.

Nach Auffassung der Berufungskammer hat die Beklagte unter dem 18. August 2006 zwei rechtlich selbstständige Kündigungen ausgesprochen.

Dass die Beklagte nicht nur eine Kündigung auf zwei verschiedene Gründe stützen wollte, ergibt sich bereits daraus, dass sie das Anhörungsverfahren bei ihrem Betriebsrat für die beiden Gründe getrennt durchgeführt hat. Entsprechend heißt es auf der formularmäßigen letzten Seite der Anhörung jeweils, der Betriebsrat bestätige, dass er zu obiger beabsichtigter Kündigung angehört worden sei.

Auch aus der maßgeblichen Sicht des Klägers handelt es sich um zwei Kündigungen. Der Inhalt eines Kündigungsschreibens als einer empfangsbedürftigen Willenserklärung und damit auch die Frage, ob eine auf zwei Gründe gestützte Kündigung oder zwei selbstständige Kündigungen ausgesprochen worden sind, ist objektiv aus dem Empfängerhorizont zu bestimmen, §§ 133, 157 BGB (BAG 4. Dezember 1986 2 AZR 33/86 juris; 17. Mai 2001 2 AZR 460/00 EzA § 620 BGB Kündigung Nr. 3). Die beiden Kündigungsschreiben unterscheiden sich durch den ausdrücklich genannten Kündigungsgrund. Für den Umstand, dass ein Arbeitgeber mehrere Kündigungsgründe nicht innerhalb eines einzigen Schreibens aufführt, kann es auch aus Sicht des betroffenen Arbeitnehmers nur den Grund geben, dass er jedem der Kündigungsgründe eine eigenständige Kündigungserklärung zumessen will. Der Aufwand einer doppelten Erstellung des Textes sowie der entsprechenden Unterschriften lässt sich nicht anders erklären. Insbesondere konnte der Kläger trotz der hohen Ähnlichkeit beider Schreiben nicht glauben, die Beklagte habe ein und dieselbe Kündigungserklärung doppelt ausgefertigt, um deren Zugang sicherzustellen. Denn zum einen ließe sich hiermit die Unterschiedlichkeit in der Angabe des Kündigungsgrundes nicht erklären. Zum anderen sind die Schreiben gleichzeitig zugestellt worden, so dass sich in der Frage des Zugangs für die Beklagte zwangsläufig kein Vorteil aus der doppelten Ausfertigung ergeben konnte. Im Übrigen hat die Beklagte auf den Schreiben jeweils ausdrücklich erklärt, sie kündige "hiermit" das Arbeitsverhältnis. Anderes durfte der Kläger auch nicht daraus schließen, dass die Stellungnahme des Betriebsrats den Kündigungserklärungen nur einfach beigefügt war und dort nur von einer Kündigung die Rede ist. Zunächst ist für den Willen der Beklagten nicht entscheidend, wie der Betriebsrat ihn verstanden hat. Zum anderen konnte der Kläger aus der vom Betriebsrat verwendeten Wendung "ausgesprochenen Kündigung" erkennen, dass dieser nicht präzise formuliert hat.

An dem hier gefundenen Auslegungsergebnis ändert auch nichts, dass bis zum Hinweis der Berufungskammer weder die Parteien noch die Vorinstanz den gegebenen Lebenssachverhalt entsprechend rechtlich gewürdigt haben. Aus Sicht der Kammer ist der fragliche Umstand offensichtlich übersehen worden. Die Beklagte hatte bereits mit Schriftsatz vom 7. September 2006 ausdrücklich formuliert, dem Kläger seien mit Datum vom 18. August 2006 zwei Schreiben übermittelt worden, die jeweils den Ausspruch einer außerordentlichen und hilfsweise ordentlichen Kündigung zum Inhalt hatten. Rechtlich ist dieser Tatsachenvortrag zunächst jedoch an keiner Stelle gewürdigt worden. Aus einer solchen Unterlassung lässt sich jedoch der frühere Wille der Beklagten nicht erschließen. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte auch das Nachschieben der Kündigungsgründe für die Tat- und Verdachtskündigung getrennt durchgeführt hat.

II.

Die unter dem Gesichtspunkt der Tat ausgesprochene Kündigung der Beklagten vom 18. August 2006 ist mangels ordnungsgemäßer Betriebsratsanhörung rechtsunwirksam nach § 102 BetrVG.

1.

Gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG ist der Betriebsrat vor jeder Kündigung zu hören. Dabei hat der Arbeitgeber dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitzuteilen. Eine vom Arbeitgeber ohne vorherige Anhörung des Betriebsrats ausgesprochene Kündigung ist von vornherein unwirksam (§ 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG), ohne dass es noch auf die materiellen Gründe für die Kündigung ankommt. Der unterlassenen Anhörung steht die mangelhafte Anhörung des Betriebsrats gleich, insbesondere wenn der Arbeitgeber seiner Mitteilungspflicht nicht ausreichend nachkommt, und zwar unabhängig davon, ob und wie der Betriebsrat zur mangelhaften Anhörung Stellung genommen hat. Die Mitteilung muss vor Ausspruch der Kündigung erfolgen, wobei eine bestimmte Form für die Unterrichtung nicht vorgeschrieben ist. Sie kann mündlich oder schriftlich erfolgen und zwar gegenüber dem zuständigen Betriebsrat. Inhalt und Umfang der Anhörung richten sich nach dem jeweiligen Einzelfall. Der Arbeitgeber muss zunächst die Person des zu kündigenden Arbeitnehmers namentlich benennen und die Mindestangaben zur Person mitteilen. Die Kündigungsgründe müssen vom Arbeitgeber so detailliert dargelegt werden, dass sich der Betriebsrat ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über ihre Stichhaltigkeit machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben oder Widerspruch gegen die Kündigung einzulegen (BAG 21. Juni 2001 2 AZR 30/00 EzA § 626 BGB Unkündbarkeit Nr. 7; 6. Oktober 2005 2 AZR 316/04 NZA 2006, 990). Entscheidend ist, dass er ohne weitere Nachforschungen in die Lage versetzt wird, die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe zu überprüfen (BAG 17. Februar 2000 2 AZR 913/98 NZA 2000, 761). Dabei gilt der Grundsatz der subjektiven Determinierung (BAG 5. April 2001 - 2 AZR 580/99 - NZA 2001, 893). Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat die Gründe mitteilen, die ihn zum Ausspruch der Kündigung veranlassen und aus seiner subjektiven Sicht den Kündigungsentschluss tragen. Umstände, die der Arbeitgeber nicht für entscheidend hält, braucht er dem Betriebsrat hingegen nicht mitzuteilen. Es kommt deshalb für die Wirksamkeit der Anhörung allein auf die Sicht des Arbeitgebers an. Die Verpflichtung des Arbeitgebers zu einer genauen und umfassenden Unterrichtung des Betriebsrates entfällt, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat bereits vor Beginn des Anhörungsverfahrens erschöpfend über die Kündigungsgründe unterrichtet hat. Der Arbeitgeber genügt seiner Mitteilungsverpflichtung in einem solchen Fall, wenn er im Anhörungsverfahren pauschal auf die bereits mitgeteilten Gründe verweist (BAG 19. Mai 1993 2 AZR 584/92 NZA 1993, 1075).

2.

Danach hat die Beklagte ihren Betriebsrat vor Ausspruch der Tatkündigung nicht ordnungsgemäß angehört. Wie sie auf Nachfrage der Kammer nochmals ausdrücklich bekräftigt hat, bestand ihr Grund für diese Kündigung sowohl in dem Vorwurf, der Kläger habe in rechtlicher Hinsicht unberechtigte Forderungen geltend gemacht, als auch darin, er habe die fraglichen Fahrten tatsächlich nicht durchgeführt. Bezogen auf die Tatkündigung hat sich die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat entgegen ihrer Ansicht jedoch nur auf den erstgenannten Grund berufen. Dies ergibt sich aus der Auslegung der schriftlichen Anhörungen. In der Anhörung zur Tatkündigung beruft sich die Beklagte ausschließlich darauf, der Kläger habe durch die Abrechnung von unzulässigen Dienstfahrten versucht, sich einen monetären Vorteil zu verschaffen. Mit der Formulierung "er hätte den Spind im Sozialgebäude X. nutzen können und nicht den in T. nutzen müssen" bezweifelt die Beklagte gerade nicht, dass der Kläger die Fahrten durchgeführt hat. Bestätigt wird dies zudem durch den Inhalt des dem Betriebsrat gleichzeitig zugeleiteten Anhörungsschreibens zur Verdachtskündigung. In diesen wird zunächst der Vorwurf erhoben, der Kläger habe nicht abrechnungsfähige Fahrten geltend gemacht und insoweit auf das Kündigungsbegehren wegen Tatkündigung verwiesen. Der weitere Vorwurf, es bestehe der Verdacht der Kläger habe die Fahrten tatsächlich nicht durchgeführt, wird mit den Worten "hinzu kommt" eingeleitet. Im weiteren wird dann ausgeführt, der Verdacht sei letztlich auch nicht deshalb entkräftet, weil eines der Betriebsratsmitglieder bei der vorangegangenen mündlichen Unterrichtung bekundet habe, den Kläger zum Schichtwechsel in T. gesehen zu haben. Der Betriebsrat konnte daraus nur schließen, die Beklagte habe womöglich zunächst sowohl die Tat- wie auch die Verdachtskündigung auf beide Vorwürfe stützen wollen, jedoch angesichts des Ablaufs der mündlichen Unterrichtung den Vorwurf, der Kläger habe die Fahrten nicht durchgeführt, nur als Verdacht aufrecht erhalten wollen. Entgegen der Ansicht der Beklagten kommt es deshalb nicht darauf an, dass sie dem Betriebsrat bei der mündlichen Anhörung beide Vorwürfe als Grund für die beabsichtigte Kündigung genannt hat. Darüber hinaus gab es für eine - wie die Beklagte selbst formuliert - differenzierende Betriebsratsanhörung - keinerlei Veranlassung, wenn die Beklagte die Tat- wie auch die Verdachtskündigung auf die gleichen Gründe stützen wollte. Die Beklagte überspannt die Interpretationspflichten des Betriebsrats, wenn sie die Ansicht vertritt, dieser habe berücksichtigen sollen, ein Fallenlassen des Tatvorwurfs sei "mit Rücksicht auf die erkennbare Interessenlage völlig kontraproduktiv". Die Kammer konnte sich zwar des Eindrucks nicht gänzlich erwehren, dass die Einlassung der Beklagten, sie habe auch die Tatkündigung auf beide Vorwürfe stützen wollen, angesichts der erstinstanzlichen Entscheidung taktisch bestimmt war. Nachdem sie jedoch auch auf den nachdrücklichen Hinweis der Berufungskammer beharrlich bei dieser Version verblieben ist, war es der Kammer verwehrt, zu ihren Gunsten entgegenstehende Feststellungen zu treffen.

3.

Die Beklagte kann die Tatkündigung auch nicht mit den Sachverhalten begründen, zu denen sie den Betriebsrat nachträglich angehört hat. Eine fehlerhafte Anhörung führt zur Unwirksamkeit der Kündigung. Diese wird nicht nachträglich dadurch geheilt, dass der Arbeitgeber den Betriebsrat zu weiteren Sachverhalten zutreffend informiert. Bei einer fehlerhaften Betriebsratsanhörung ist deshalb ein Nachschieben von Kündigungsgründen nicht möglich (KR-Etzel 8. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 185 b).

4.

Der Mangel der Kündigung ist auch nicht etwa nach §§ 7, 13 KSchG geheilt, weil der Kläger die Tatkündigung nicht innerhalb der Frist des § 4 KSchG angegriffen hat. Zwar hat er nach dem Wortlaut des Antrags und der Begründung der Klageschrift nur eine Kündigung vom 18. August 2006 angegriffen, bei der es sich aufgrund der Beifügung des entsprechenden Kündigungsschreibens naheliegend um die Verdachtskündigung handeln würde. Bei Würdigung der Umstände gelangt die Berufungskammer jedoch zu dem Ergebnis, dass der Angriff des Klägers auch die Tatkündigung umfasst.

Dabei ist zunächst maßgeblich, dass die Parteien wie auch die Vorinstanz den Rechtsstreit so geführt haben, als handele es sich um eine einzige Kündigung. Auf die Klageschrift hin hat sich die Beklagte sowohl auf die Tat- wie auch die Verdachtskündigung berufen. Sie hat weder in erster Instanz gerügt, der Kläger habe nur eine von zwei Kündigungen angegriffen, noch in der Berufung vorgebracht, das Arbeitsgericht sei fälschlich nur von einer Kündigung ausgegangen. Darüber hinaus wäre es völlig sinnlos, wenn der Kläger sich mit der Klage lediglich gegen die Verdachtskündigung zur Wehr gesetzt, die Tatkündigung hingegen hingenommen hätte. Zwar war dies nur für die Beklagte, mangels Kenntnis des Sachverhalts bei Klageerhebung nicht jedoch für das Arbeitsgericht erkennbar. Nach Auffassung der Kammer ist bei einem derartigen Widerspruch die Sicht der Beklagten maßgeblich. Die Klagefrist des § 4 KSchG ist dazu bestimmt, dass der Arbeitgeber rechtzeitig erfährt, ob der Arbeitnehmer die Kündigung hinnimmt. Interessen des Gerichts sind nicht berührt. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht noch innerhalb der Frist des § 4 KSchG durch die Beklagte erfahren, dass eine weitere Kündigung ausgesprochen worden ist.

Unmaßgeblich muss insoweit bleiben, dass der die Klageschrift verfassende Prozessbevollmächtigte des Klägers nach eigenem Bekunden keine Kenntnis davon hatte, dass es zwei Kündigungsschreiben gab. Für die Auslegung einer Klageschrift ist nämlich nicht der subjektive Wille des Erklärenden maßgeblich, sondern der objektive Erklärungsinhalt.

III.

Die aufgrund des Verdachts eines versuchten Betruges ausgesprochene Kündigung vom 18. August 2006 ist sowohl als fristlose wie als fristgerechte unwirksam. Der fristlosen Kündigung mangelt es an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB. Die fristgerechte Kündigung ist sozial ungerechtfertigt und damit rechtsunwirksam nach § 1 Abs. 1 und 2 des nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes.

1.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann. Hiernach ist bei allen Kündigungsgründen eine Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles erforderlich. Dieses Erfordernis schließt es aus, bestimmte Tatsachen ohne Rücksicht auf die Besonderheiten des Einzelfalles stets als wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung anzuerkennen; es gibt im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB keine absoluten Kündigungsgründe (BAG 15. November 1984 - 2 AZR 613/83 - AP § 626 BGB Nr. 87 = NZA 1985, 661; KR-Fischermeier 8. Aufl. § 626 BGB Rn. 81 mwN). Die Prüfung, ob im konkreten Streitfall ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung vorlag, hat nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei systematisch zu trennenden Abschnitten zu erfolgen. Zunächst ist festzustellen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalles an sich geeignet ist, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Dabei genügt allerdings noch nicht die abstrakte Erheblichkeit eines Sachverhalts zur Begründung der Unzumutbarkeit. Vielmehr muss bereits auf der ersten Stufe festgestellt werden, ob der an sich zur außerordentlichen Kündigung geeignete Sachverhalt zu einer konkreten Beeinträchtigung des Arbeitsverhältnisses geführt hat (vgl. BAG 15. November 1984 aaO; 17. März 1988 - 2 AZR 576/87 - AP § 626 BGB Nr. 99 = NZA 1989, 261). Erst im Anschluss daran ist in einer zweiten Stufe zu prüfen, ob dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar war oder nicht (BAG 17. Mai 1984 - 2 AZR 3/83 - AP Nr. 14 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 1985, 91; 27. April 2006 2 AZR 386/05 NZA 2006, 977 mwN).

Im Unterschied zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund müssen die verhaltensbedingten Gründe bei einer ordentlichen Kündigung nicht so schwerwiegend sein, dass sie für den Arbeitgeber die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ende der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses begründen. Die ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn Umstände im Verhalten des Arbeitnehmers vorliegen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Erforderlich ist ein Verhalten des Arbeitnehmers, durch welches das Arbeitsverhältnis konkret beeinträchtigt wird. Dabei gilt ein objektiver Maßstab, dh. es kommt darauf an, ob ein ruhig und verständig urteilender Arbeitgeber das Verhalten des Arbeitnehmers zum Anlass für eine ordentliche Kündigung nehmen würde (BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 10/92 DB 92, 2446 = NZA 1993, 115; 5. November 1992 2 AZR 287/92 - RzK I 5 i Nr. 81).

Auch der sich auf objektive Tatsachen und Verdachtsmomente gründende Verdacht, der Arbeitnehmer habe eine strafbare Handlung oder eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, kann nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts eine ordentliche oder sogar außerordentliche Kündigung rechtfertigen (BAG 18. November 1999 2 AZR 743/98 AP Nr. 32 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 2000, 418; 5. April 2001 2 AZR 217/00 AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 2001, 837). Entscheidend ist, dass es gerade der Verdacht ist, der das zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendige Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers zerstört oder zu einer unerträglichen Belastung des Arbeitsverhältnisses führt (LAG Düsseldorf 25. Juli 2003 14 Sa 657/03 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 2). Der Arbeitgeber ist vor dem Ausspruch einer Verdachtskündigung gehalten, alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts zu unternehmen. Dabei ist er insbesondere verpflichtet, den verdächtigen Arbeitnehmer zu den gegen ihn bestehenden Verdachtsmomenten anzuhören, um ihm Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung, da bei ihr im Unterschied zu einem bewiesenen Sachverhalt stets die Gefahr besteht, dass ein Unschuldiger betroffen ist. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit erhalten, die Verdachtsgründe zu beseitigen bzw. zu entkräften und ggf. Entlastungstatsachen geltend zu machen. Verletzt der Arbeitgeber schuldhaft die sich aus der Aufklärungspflicht folgende Anhörungspflicht, kann er sich im Prozess nicht auf den Verdacht einer Straftat oder schwerwiegenden Pflichtverletzung berufen; die Verdachtskündigung ist unwirksam (BAG 13. September 1995 2 AZR 587/94 AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung = NZA 1996, 81; 26. September 2002 2 AZR 424/01 AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung).

2.

Die Berufungskammer stimmt mit der Vorinstanz darin überein, dass nach diesen Grundsätzen nicht von einer wirksamen Verdachtskündigung ausgegangen werden kann.

a)

Soweit sich die Beklagte darauf beruft, es bestehe der dringende Verdacht eines versuchten Betruges durch Geltendmachung unberechtigter Forderungen, kann dies die Kündigung nicht stützen. Insoweit hat schon das Arbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, für einen Betrugsversuch fehle es bereits an der erforderlichen Täuschungshandlung, da der Kläger keine unwahren Tatsachen angegeben habe. Das Beharren auf einer vom Arbeitgeber nicht geteilten Rechtsposition und die entsprechende Geltendmachung stellen allein keine Pflichtverletzung dar. Über die Berechtigung einer Forderung entscheidet nicht der Arbeitgeber, sondern die Gerichte. Wenn die Beklagte nunmehr eine Täuschung daraus herleiten will, dass der Kläger aus ihrer Sicht versucht hat, ohne Rechtsgrund unter Ausnutzung des Systems eine Zahlung zu erlangen, ist dies zum einen bereits deshalb nicht verwertbar, weil sie den Kläger zu diesem Vorwurf nicht angehört hat. Zum anderen stellte auch dies tatbestandlich keinen Betrugsversuch dar, weil der Kläger zur Überzeugung der Kammer von der Berechtigung seiner Forderung überzeugt war. Unstreitig hat er stets die Berechtigung der Versetzung in Abrede gestellt und erklärt, er werde die Fahrtkosten weiter verlangen. Daran haben auch die beklagtenseits behaupteten Hinweise seiner Vorgesetzten nichts geändert. Es fehlt damit am Vorsatz bezogen auf die Rechtswidrigkeit des erstrebten Vermögensvorteils. Allein der Umstand, dass der von der Berechtigung seiner Forderungen überzeugte Kläger womöglich versucht hat, die ablehnende Haltung der Beklagten durch Ausnutzen der Unzulänglichkeiten ihres Abrechnungssystems zu umgehen, reicht ohne Abmahnung nicht aus, auch nur die ordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

b)

Mit ihrem weiteren Vorwurf, der Kläger habe die abgerechneten Fahrten tatsächlich nicht durchgeführt, kann die Beklagte die Kündigung weder als außerordentliche noch als ordentliche Verdachtskündigung begründen, da sie den Kläger zuvor hierzu nicht angehört hat. Ein derartiger Vorhalt gegenüber dem Kläger ergibt sich weder aus dem Prozessvortrag der Beklagten noch aus dem ihrerseits vorgelegten Protokoll der Anhörung vom 14. August 2007. Sie hat sich hierauf auch auf den entsprechenden Hinweis der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht berufen. Anders als bei der Anhörung des Betriebsrats ist insoweit ein Nachschieben von Gründen nicht möglich.

C.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Die Kammer hat die Revision für die Beklagte wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Die Frage, unter welchen Umständen eine Kündigungsschutzklage auch als Angriff gegen eine Kündigung angesehen werden kann, von welcher nur die Beklagte, nicht jedoch das Gericht Kenntnis hat, ist soweit ersichtlich nicht geklärt.

R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G

Gegen dieses Urteil kann von der Beklagten

REVISION

eingelegt werden.

Für den Kläger ist gegen dieses Urteil kein Rechtsmittel gegeben.

Die Revision muss

innerhalb einer Notfrist von einem Monat

nach der Zustellung dieses Urteils schriftlich beim

Bundesarbeitsgericht,

Hugo-Preuß-Platz 1,

99084 Erfurt,

Fax: (0361) 2636 - 2000

eingelegt werden.

Die Revision ist gleichzeitig oder

innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung dieses Urteils

schriftlich zu begründen.

Die Revisionsschrift und die Revisionsbegründung müssen von einem bei einem deutschen Gericht zugelassenen Rechtsanwalt unterzeichnet sein.

Nübold vom Lehn Förster