OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 20.06.2007 - 13 A 744/06
Fundstelle
openJur 2011, 47760
  • Rkr:
Verfahrensgang
Tenor

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 14. Dezember 2005 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

Der Streitwert wird für das Antragsverfahren auf 40.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

Der Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die geltend gemachten Zulassungsgründe, die gemäß § 124a Abs. 4 Satz 4 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) nur im rechtlichen Rahmen der Darlegungen der Klägerin zu prüfen sind, liegen nicht vor.

Die Berufung ist nicht wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) zuzulassen. Bei diesem Zulassungsgrund, der die Einzelfallgerechtigkeit gewährleistet und der ermöglichen soll, unbillige oder grob ungerechte Entscheidungen zu korrigieren, kommt es nicht darauf an, ob die angefochtene Entscheidung in allen Punkten der Begründung richtig ist, sondern nur darauf, ob ernstliche Zweifel im Hinblick auf das Ergebnis der Entscheidung bestehen. Ernstliche Zweifel sind dabei anzunehmen, wenn gegen die Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nach summarischer Prüfung gewichtige Gesichtspunkte sprechen, d. h., wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung in der angefochtenen Gerichtsentscheidung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt wird.

Vgl. BVerfG, Beschluss vom 23. 6. 2000 - 1 BvR

830/00 -, NVwZ 2000, 1163; BVerwG, Beschluss vom 10. 3. 2004 - 7 AV 4.03 -, DVBl. 2004, 838; OVG NRW, Beschlüsse vom 8. 3. 2007 - 13 A 1417/05 -, und vom 8. 1. 2007 - 13 A 4307/06 und

13 A 3884/06 -.

In diesem Sinne bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Das Verwaltungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, dass die im Langantrag bzw. in den Änderungsanzeigen vom 8. bzw. 18. März 1994 bezeichnete Änderung des streitgegenständlichen Arzneimittels nicht durch Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 des Gesetzes zur Neuordnung des Arzneimittelrechts in seiner bis zum 30. Juni 1994 geltenden Fassung - AMRNOG - gedeckt gewesen ist, da mit der Änderung der ursprüngliche Anwendungsbereich verlassen worden ist. Der Begriff "Anwendungsbereich" ist von dem Begriff des "Anwendungsgebiets" zu trennen, wie sich aus § 36 Abs. 1 Satz 2 Arzneimittelgesetz - AMG - ergibt. Gleichwohl muss der Begriff eng verstanden werden, da der Gesetzgeber ihn in einer Vorschrift verwendet, die ausnahmsweise von einer nach § 29 Abs. 3 AMG für notwendig erachteten neuen Zulassung entbindet. Das gebietet ein Verständnis des Begriffes in der Weise, dass er zwar auch, aber eben nur, diejenigen Fälle erfasst, in denen die Anwendungsgebiete des ursprünglichen und des geänderten Arzneimittels sich nicht wesentlich unterscheiden, zumindest aber nahe verwandt sind. Dies ist u.a. dann der Fall, wenn die gewählten Indikationsangaben mit den bisherigen Indikationsangaben nahe verwandt sind und das Arzneimittel im wesentlichen der Behandlung der gleichen Grunderkrankung dient, so dass gewissermaßen der gleiche Patient behandelt wird.

OVG Berlin, Urteil vom 20. 9. 2001 - 5 B 15.99 - , PharmaR 2002, S. 47; OLG Köln, Urteil vom 17.8.1998 - 6 U 52/98 - , PharmaR 1998, S. 427; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, Stand Oktober 2006, § 105 Anm. 26; Brixius/Schneider, Nachzulassung und AMG-Einreichungsverordnung, 2004, S. 35 ff. jeweils m.w.N.

Maßgeblich ist insoweit der von dem pharmazeutischen Unternehmer vorgegebene Anwendungsbereich und nicht der Anwendungsbereich, in dem das Arzneimittel - möglicherweise - faktisch von verordnenden Ärzten bzw. von den das Arzneimittel einnehmenden Patienten genutzt wird. Dies ergibt sich zum einen daraus, dass der Begriff des "Anwendungsbereichs" eng mit dem Begriff des "Anwendungsgebiets" verwandt ist, der letztgenannte Begriff aber nicht der faktischen Anwendung, sondern allein aufgrund der Angaben des pharmazeutischen Unternehmers zu konkretisieren ist (§ 22 Abs. 1 Nr. 6 AMG). Zum anderen folgt dies daraus, dass allgemein im Rahmen von Änderungen - sei es nach Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMRNOG, sei es nach § 29 AMG - zunächst einmal grundsätzlich auf die Angaben des pharmazeutischen Unternehmers abzustellen ist (Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 3 AMRNOG, § 29 Abs. 1 AMG). Schließlich würde ein Abstellen auf "faktische Anwendungsbereiche" in hohem Maße zu Rechtsunsicherheit führen.

Auf den vom pharmazeutischen Unternehmer vorgegebenen Anwendungsbereich auch abstellend: OVG Berlin, a.a.O.; OLG Köln, a.a.O.; Kloesel/Cyran, a.a.O., Brixius/Schneider, a.a.O.

Demnach war die im Langantrag bzw. den Änderungsanzeigen vom 8. bzw. 18. März 1994 bezeichnete Änderung des streitgegenständlichen Arzneimittels nicht mehr von Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMRNOG gedeckt. Die Anwendungsbereiche "Anregung, Förderung und Stärkung der Funktionen von Leber, Galle, Magen" und "Toxische Leberschäden; zur unterstützenden Behandlung bei chronischentzündlichen Lebererkrankungen und Leberzirrhose" unterscheiden sich - auch und gerade im Hinblick auf Indikation und Patientenkreis - ganz wesentlich (Übergang von einem Nicht-Heilmittel auf ein Heilmittel, das zudem der Behandlung schwerer Erkrankungen dient, Eliminierung der Anwendungsbereiche Galle und Magen). Ob das Arzneimittel auch vor der Änderung - gerade mit den Wirkstoffen, die es damals enthielt - faktisch für die Anwendungsbereiche "Toxische Leberschäden u.s.w." genutzt wurde - wie die Klägerin behauptet -, ist unerheblich.

Das Verwaltungsgericht ist weiter zu Recht davon ausgegangen, dass auch das Prinzip des Vertrauensschutzes nicht dazu führt, dass die Zulassung für das streitgegenständliche Arzneimittel verlängert werden kann. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob es angesichts des objektivrechtlichen Charakters arzneimittelrechtlicher Vorschriften überhaupt auf Vertrauensschutz ankommen kann. Jedenfalls muss die Klägerin sich entgegen halten lassen, dass es ihr - bzw. der früheren Zulassungsinhaberin - oblegen hat bzw. obliegt, die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels fortwährend zu erhalten. Wird ein Arzneimittel - wie hier - unzulässig geändert, treten die Folgen kraft Gesetzes, mithin unabhängig von der Vorgehensweise der Zulassungsbehörde ein.

OVG NRW, Urteil vom 22. 8. 2006 - 13 A 4491/04 - , juris; OVG Berlin, Urteil vom 7. 4. 2005 - 5 B 8.03 - , juris.

Im Übrigen setzt eine Berücksichtigung von Vertrauensschutzaspekten voraus, dass von der Beklagten ein Vertrauensschutztatbestand - d.h. ein Umstand, auf dessen Basis Vertrauen entstehen kann - begründet worden ist. Insoweit kann dahinstehen, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ein Vertrauensschutztatbestand durch "bloßes Schweigen" begründet werden kann.

Zum Erfordernis eines Vertrauensschutztatbestandes vgl. Maurer, HStR IV, 3. Aufl. 2006, § 79 Rdnr. 13, 15; Blanke, Vertrauensschutz im deutschen und europäischen Verwaltungsrecht, 2000, S. 89; Hermes/Wieland, Die staatliche Duldung rechtswidrigen Verhaltens, 1988, S. 41; Weber-Dürler, Vertrauensschutz im öffentlichen Recht, 1983, S. 79 ff. Zur Bildung eines Vertrauensschutztatbestandes durch bloßes Schweigen vgl. P. Stelkens/U. Stelkens, in: Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 35 Rdnr. 51; Hermes/Wieland, a.a.O.

Hier wurde jedenfalls ein Vertrauensschutztatbestand zu Gunsten der Klägerin durch "bloßes Schweigen" nicht begründet. Denn die Rechtsvorgängerin der Klägerin wurde mit Schreiben des Bundesgesundheitsamts - BGA - vom 6. Dezember 1994 ausdrücklich darauf aufmerksam gemacht, dass eine abschließende fachliche Beurteilung der Zulässigkeit der angezeigten Änderung und eine Entscheidung über die Verkehrsfähigkeit des Arzneimittels mit der Bestätigung des Eingangs der Änderungsanzeige nicht verbunden sei. Auch hatte das BGA bereits im Rahmen der 6. Bekanntmachung über die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7 AMRNOG vom 23. Oktober 1990 (BAnz. Nr. 206, S. 5827) darauf aufmerksam gemacht, dass eine materielle Überprüfung der Änderungsanzeigen für fiktiv zugelassene Arzneimittel wegen des Sachzusammenhangs mit dem Nachzulassungsverfahren in vielen Fällen erst nach Einreichung der Dokumentationen nach Art. 3 § 7 Abs. 4 Sätze 4 bis 7 AMRNOG erfolgen werde.

In diese Richtung auch Brixius/Schneider, a.a.O., S. 66 f.

Hinzu tritt, dass die im Langantrag bzw. den Änderungsanzeigen vom 8. bzw. 18. März 1994 bezeichnete Änderung des streitgegenständlichen Arzneimittels eindeutig nicht mehr von Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMRNOG gedeckt war, so dass schon von daher eine Grundlage für Vertrauensschutz nicht bestehen konnte.

Eine Vertrauensschutztatbestand wurde auch nicht dadurch begründet, dass die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 9. Februar 1994 darauf aufmerksam machte, dass der Verlängerungsantrag aufgrund einer ersten Prüfung nach Aktenlage von der für das Arzneimittel bestehenden fiktiven Zulassung nicht in allen Punkten abgedeckt werde (weswegen die Versagung der Verlängerung der Zulassung angekündigt wurde), dass die Klägerin darauf mit Schreiben vom 8. März 1994 reagierte und dass die Beklagte in der Folge keine Zulassungsversagung erließ. Denn das Schreiben vom 9. Februar 1994 bezog sich nur darauf, dass das im Langantrag angegebene Anwendungsgebiet nicht von einer Änderungsanzeige abgedeckt gewesen sei; die Änderungsanzeige vom 22. November 1991 bezog sich ihrem Wortlaut nach nicht auf das Anwendungsgebiet. Dieser formale Mangel des Vorliegens einer Änderungsanzeige wurde mit den Änderungsanzeigen vom 8. bzw. 18. März 1994 behoben, so dass schon von daher aus einer "Untätigkeit" der Beklagten nach dem 18. März 1994 nicht gefolgert werden konnte, dass die angezeigte Änderung auch in der Sache durch Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMRNOG gedeckt sei.

Nach alldem kann dahinstehen, ob für den Fall, dass Vertrauensschutz berechtigterweise zu gewähren wäre, überhaupt als Rechtsfolge die Verlängerung der Zulassung - oder nur die Zubilligung eines Entschädigungs- bzw. Schadensersatzanspruchs - in Betracht kommt.

Vgl. Maurer, a.a.O., Rdnr. 132 ; Weber-Dürler, a.a.O., S. 128 ff.

An alldem ändert § 25 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - nichts. Nach § 25 Satz 1 VwVfG soll die Behörde die Abgabe von Erklärungen, die Stellung von Anträgen oder die Berichtigung von Erklärungen oder Anträgen anregen, wenn diese offensichtlich nur versehentlich oder aus Unkenntnis unterblieben oder unrichtig abgegeben oder gestellt worden sind. Dabei richtet sich der Umfang dieser Betreuungspflicht nach den Umständen des Einzelfalles; maßgeblich sind dabei u.a. die Ausformung durch das materielle Recht und der Verfahrensstand.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 19. 4. 2007 - 13 A 2975/06 - ; P. Stelkens/Kallerhoff, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, 6. Aufl. 2001, § 25 Rdnr. 20 m.w.N.

Danach war die Beklagte hier aufgrund des materiellen Rechts und des Verfahrensstands nicht gehalten, die Klägerin darauf aufmerksam zu machen, dass die Änderung des streitgegenständlichen Arzneimittels nicht durch Art. 3 § 7 Abs. 3a Satz 2 Nr. 5 AMRNOG gedeckt gewesen sei. Grundsätzlich oblag es nämlich der Klägerin, die Verkehrsfähigkeit ihres Arzneimittels fortwährend zu erhalten; wird ein Arzneimittel - wie hier - unzulässig geändert, treten die Folgen kraft Gesetzes, mithin unabhängig von der Vorgehensweise der Zulassungsbehörde ein (siehe oben). Auch war es vom Verfahrensstand her nicht sachwidrig, die materielle Prüfung der Zulässigkeit von Änderungen auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben, um so eine Konzentration des Verfahrens herbeizuführen (vgl. die 6. Bekanntmachung des BGA über die Verlängerung der Zulassung nach Art. 3 § 7 AMRNOG vom 23. Oktober 1990). Durch diese Verfahrenpraxis wurden die pharmazeutischen Unternehmer schon deswegen nicht unbilllig benachteiligt, sondern vielmehr begünstigt, da ihnen so - in vielen Fällen - die fiktive Zulassung trotz unzulässiger Änderung bis zum Abschluss des Nachzulassungsverfahrens erhalten blieb. Damit kann offen bleiben, in welchem Verhältnis § 25 VwVfG zum arzneimittelrechtlichen Nachzulassungsverfahren steht (vgl. insoweit den Vorbehalt "soweit" in § 1 Abs. 1 VwVfG) und zu welchen Rechtsfolgen hier eine Verletzung von § 25 VwVfG führen würde.

Besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) weist der vorliegende Rechtsstreit nicht auf. Die Angriffe der Klägerin geben keinen begründeten Anlass zu Ausführungen, die das normale Schwierigkeitsmaß verwaltungsgerichtlicher Entscheidungen überschreiten.

Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) ist ebenfalls nicht ersichtlich. Die von der Klägerin aufgeworfenen Fragen zu einem Vertrauensschutz können - wie eben dargelegt - unmittelbar und eindeutig aus dem Gesetz im Zulassungsverfahren beantwortet werden; der Durchführung eines Berufungsverfahrens bedarf es dazu nicht.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 Gerichtskostengesetz.

Der Beschluss ist unanfechtbar.